TE Vfgh Beschluss 2014/12/10 E1008/2014

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2014
beobachten
merken

Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

VfGG §33
ZPO §146

Leitsatz

Stattgabe eines Wiedereinsetzungsantrags gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung; Unterlassung der elektronischen Beschwerdeeinbringung lediglich minderer Grad des Versehens; Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2014, E1008/2014-6, wird aufgehoben.

II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung

1.1.    Die Antragstellerin erhob beim Verfassungsgerichtshof eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 18. Juni 2014.

Mit Schreiben vom 6. August 2014 – zugestellt am 8. August 2014 – forderte der Verfassungsgerichtshof die nunmehrige Antragstellerin gemäß §18 VfGG unter Hinweis auf die Säumnisfolgen auf, "innerhalb von einer Woche" den Formmangel – "[e]ntgegen §14a Abs1 und 4 VfGG iVm §1 der Verordnung des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes BGBl II 82/2013 und §7 der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes über die elektronische Durchführung von Verfahren, BGBl II 218/2013, wurde die Beschwerde (einschließlich der Beilagen) nicht elektronisch eingebracht" – zu beheben.

Mit Eingabe vom 11. August 2008 brachte die Antragstellerin die Beilagen zur Beschwerde elektronisch beim Verfassungsgerichtshof ein; eine elektronische Einbringung der Beschwerde selbst erfolgte nicht. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2014 wurde die Beschwerde gemäß §19 Abs3 Z2 litc VfGG wegen nicht behobenen Mangels formeller Erfordernisse ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Rechtsvertreter der Antragstellerin am 27. Oktober 2014 zugestellt.

1.2.    Mit der am 30. Oktober 2014 beim Verfassungsgerichtshof elektronisch eingelangten Eingabe begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Mängelbehebung. Sie begründet ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass der Sekretärin des Rechtsvertreters der Antragstellerin vom Rechtsvertreter aufgetragen worden sei, den Schriftsatz samt Beilagen entsprechend dem Behebungsauftrag des Verfassungsgerichtshofes einzubringen. Die Sekretärin habe versehentlich "eine Zeile in der EDV nicht angeklickt […] und sohin nicht mitübermittelt". "Dieses Nichtanklicken der einen Zeile [sei] als äußerst geringfügig zu bezeichnen". Die Sekretärin arbeite bereits seit 16 Jahren in der Kanzlei des Rechtsvertreters und betreue die EDV selbständig; sie habe für das relevante EDV-Programm einschlägige Kurse absolviert und sie habe "immer verlä[ss]lich und einwandfrei gearbeitet", weshalb kein Anlass "für eine über die erforderliche Überwachung hinausgehende Beaufsichtigung" der Sekretärin bestanden habe.

1.3.    Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG im §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO idgF sinngemäß anzuwenden.

Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg 10.489/1985, 10.880/1986, 18.443/2008).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden.

1.4.    Dem Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde – nach dem Vorbringen – erst durch die am 27. Oktober 2014 erfolgte Zustellung des Beschlusses des Verfassungsgerichthofes vom 18. September 2014, E1008/2014-6, bekannt, dass dem Auftrag zur Mängelbehebung nicht vollständig nachgekommen worden war. Der elektronische Antrag auf Wiedereinsetzung wurde am 30. Oktober 2014, also innerhalb der 14-tägigen Wiedereinsetzungsfrist eingebracht.

Der Antrag ist auch begründet:

Nach dem glaubhaften Vorbringen der Antragstellerin kann nicht angenommen werden, dass ihren Bevollmächtigten ein leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft: Der Rechtsvertreter der Antragstellerin gab seiner Sekretärin den Arbeitsauftrag, dem Behebungsauftrag des Verfassungsgerichtshofes nachzukommen, also die Beschwerde samt Beilage beim Verfassungsgerichtshof elektronisch einzubringen. Die Sekretärin der Kanzlei des Rechtsvertreters ist dem Auftrag des Rechtsvertreters binnen offener Frist nicht vollständig nachgekommen, sie hat es nämlich unterlassen "eine Zeile in der EDV" entsprechend zu markieren bzw. zu aktivieren, weshalb in Folge die Mängelbehebung unvollständig ohne elektronische Übermittlung der Beschwerde erfolgte. Die für das EDV-Programm einschlägig geschulte Sekretärin der Kanzlei des Rechtsvertreters arbeitet seit vielen Jahren in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin und wird vom Rechtsvertreter als verlässliche Sekretärin bezeichnet. Sie hat lediglich die Beilagen der Beschwerde elektronisch eingebracht und es unterlassen, die elektronische Übermittlung der Beschwerde selbst durchzuführen.

Diese Unterlassung führte zu einer Zurückweisung der Beschwerde wegen nichtbehobenen Mangels formeller Erfordernisse; dies kommt jedenfalls bei unabänderlichen Beschlüssen (wie jenen des Verfassungsgerichtshofes) der Verhinderung an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung gleich.

Das Verschulden an der Unterlassung ist nur als leichte Fahrlässigkeit anzusehen – als ein Fehler, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht; der Fehler ist daher als ein die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindernder, minderer Grad des Versehens iSd §146 Abs1 ZPO einzustufen.

1.5.    Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher – gemäß §33 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung – zu bewilligen.

1.6.    Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2014, E1008/2014-6, ist gemäß §150 Abs1 letzter Satz ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben (vgl. VfSlg 13.649/1993, 18.443/2008).

2.       Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und Freiheit der Erwerbsausübung sowie die Verletzung von Art6 EMRK. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob eine Weisung (rechtswidrig) erteilt wurde und die Entscheidung hinreichend begründet ist, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

Damit erübrigt sich eine Entscheidung darüber, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Mängelbehebung, elektronischer Rechtsverkehr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:E1008.2014

Zuletzt aktualisiert am

15.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten