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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AMG 1983 §76b Abs9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde 1. des M L und 2. der Q GmbH, beide in Wien und vertreten durch Mag. Kurt Kadavy, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 45/7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. März 2012, Zlen. UVS- 07/L/57/9932/2011-9 und UVS-07/LV/57/9968/2011, betreffend Übertretungen des Arzneimittelgesetzes und Zurückweisung einer Berufung (weitere Partei: Bundesministerin für Gesundheit),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung der Berufung als unzulässig hinsichtlich des Ausspruches des Verfalls) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. März 2012 wurde (u.a.) die erstbeschwerdeführende Partei zweier Übertretungen nach §§ 59 Abs. 1 iVm 83 Abs. 1 Z. 5 Arzneimittelgesetz (AMG) bzw. §§ 7 Abs. 1 iVm 84 Abs. 1 Z. 5 AMG für schuldig erkannt und über sie zwei Geldstrafen von jeweils EUR 1.050,-- (im Falle der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 7 Tagen und 7 Stunden) verhängt (Spruchpunkt I.a.). Weiters wurde die Berufung der beschwerdeführenden Parteien gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 8. Juli 2011, mit dem (u.a.) über näher bezeichnete beschlagnahmte Waren (5040 Stück als "Poppers" bezeichnete Produkte) gemäß § 76b Abs. 9 AMG der Verfall ausgesprochen worden war, als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt II. ihrer Entscheidung im Wesentlichen aus, der Verfall sei (in erster Instanz) ausgesprochen worden, weil nach dem Gutachten des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen bei der Anwendung der unter dem Begriff "Poppers" zusammengefassten Produkte schwere gesundheitliche Schäden und in seltenen Fällen plötzliche Todesfälle möglich seien. Gemäß § 76b Abs. 9 AMG habe die Bezirksverwaltungsbehörde die beschlagnahmte Ware als Sicherungsmaßnahme für verfallen zu erklären, wenn davon eine ernstliche und erhebliche Gefährdung von Mensch oder Tier ausgehe und der Verfügungsberechtigte nicht gewährleiste, dass die Ware nach deren Freigabe nicht in Verkehr gebracht werde. Gemäß § 84 Abs. 3 AMG könne im Straferkenntnis nach Abs. 1 Z. 1, 2, 3, 5, 6, 7, 7a, 8, 9, 16, 17 und 32 auf den Verfall der den Gegenstand der strafbaren Handlung bildenden Arzneimittel erkannt werden. Auf den Verfall könne nach § 84 Abs. 3 AMG auch selbständig erkannt werden, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder bestraft werden könne.
Im gegenständlichen Fall sei der Verfall nach § 76b Abs. 9 AMG ausgesprochen worden, weil schwere gesundheitliche Schäden und in seltenen Fällen plötzliche Todesfälle möglich seien. Es handle sich demnach um eine Sicherungsmaßnahme ohne Strafcharakter. Der Verfall nach § 76b Abs. 9 AMG stelle keinen Verfall im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens dar (Verweis auf das zum Pflanzenschutzmittelrecht ergangene hg. Erkenntnis vom 19. November 2009, Zl. 2008/07/0137). Zur Entscheidung über die Berufung sei daher nicht die belangte Behörde, sondern der Landeshauptmann zuständig. Die Berufung sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhoben die beschwerdeführenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2012, B 688, 689/12-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof mit weiterem Beschluss vom 9. November 2012, B 688, 689/12-9, zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abtrat.
Über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten die beschwerdeführenden Parteien ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 4. Jänner 2013.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zu I.:
Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG anzuwenden sind.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983 idF BGBl. I Nr. 146/2009 (AMG), lauten (auszugsweise):
"§ 76b. (1) ...
(9) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die beschlagnahmte Ware als Sicherungsmaßnahme für verfallen zu erklären, wenn davon eine ernstliche und erhebliche Gefährdung von Mensch oder Tier ausgeht und der Verfügungsberechtigte nicht gewährleistet, dass die Ware nach deren Freigabe nicht in Verkehr gebracht wird.
...
§ 84. (1) ...
(3) Im Straferkenntnis nach Abs. 1 Z 1, 2, 3, 5, 6, 7, 7a, 8, 9, 16, 17 und 32 kann auf den Verfall der den Gegenstand der strafbaren Handlung bildenden Arzneimittel erkannt werden. Auf den Verfall kann auch selbständig erkannt werden, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder bestraft werden kann.
..."
Schon mit Blick auf den Wortlaut des § 76b Abs. 9 AMG sowie darauf, dass das AMG in § 84 Abs. 3 eine eigene Verfallsbestimmung im Zusammenhang mit Verwaltungsstrafverfahren enthält, begegnet die Annahme der belangte Behörde, bei einem auf § 76b Abs. 9 AMG gestützten Ausspruch des Verfalls handle es sich um eine Sicherungsmaßnahme ohne Strafcharakter, keinen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, VwSlg. 14.475/A, zum Ausdruck gebracht, dass ein Spruch, mit dem eine Berufung zurückgewiesen wurde, grundsätzlich nicht in der Weise umgedeutet werden kann, dass er eine bloße Feststellung der Unzuständigkeit der Berufungsbehörde darstellt, die nicht als abschließende Entscheidung über die Berufung qualifiziert werden kann (vgl. dazu etwa auch das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, Zl. 2006/18/0308, mwN).
Vor dem Hintergrund dieser Judikatur hätte die belangte Behörde demnach die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung, soweit sie sich gegen den Ausspruch des Verfalls nach § 76b Abs. 9 AMG richtete, nicht als unzulässig zurückweisen dürfen, sondern gemäß § 6 Abs. 1 AVG vorgehen müssen. Im Hinblick darauf erweist sich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als inhaltlich rechtswidrig, sodass der angefochtene Bescheid in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Zu II.:
Gemäß § 33a VwGG idF BGBl. I Nr. 51/2012 (der in der Beschwerdesache gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 weiterhin anzuwenden ist) kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates, des unabhängigen Finanzsenates oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z. 2 oder 3 B-VG durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Bescheid von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird, in Verwaltungsstrafsachen und Finanzstrafsachen jedoch nur dann, wenn eine Geldstrafe von höchstens EUR 1.500,-- verhängt wurde.
Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
In der vorliegenden Beschwerde werden, sofern sie sich nicht auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides bezieht, keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des § 33a VwGG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Soweit die beschwerdeführenden Parteien in ihrer Beschwerdeergänzung auf ihre Ausführungen in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde verweisen, ist dieser Verweis unbeachtlich (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2012/10/0212, mwN).
Der erkennende Senat hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde insoweit abzulehnen.
Wien, am 8. Oktober 2014
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2012100211.X00Im RIS seit
17.11.2014Zuletzt aktualisiert am
18.11.2014