RS Vfgh 2014/10/8 G83/2014 ua

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Veröffentlicht am 08.10.2014
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Index

72/01 Hochschulorganisation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z1, Art11 Abs2
B-VG Art81c, Art83 Abs2
B-VG Art130 Abs1 Z1, Art132 Abs1 Z1, Art136 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
UniversitätsG 2002 §25 Abs1 Z12, §46 Abs2
VwGVG §14, §58

Leitsatz

Abweisung der Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung von Bestimmungen des UniversitätsG 2002 über die Erlassung von Beschwerdevorentscheidungen in Studienangelegenheiten unter Beachtung von Gutachten des Senates; kein Widerspruch eines Beschwerdevorverfahrens zum Regelungssystem der Verwaltungsgerichtsbarkeit und dem Verbot eines administrativen Instanzenzuges; keine Bindungswirkung der Gutachten für die bescheiderlassende Behörde; keine Verfassungswidrigkeit der viermonatigen Entscheidungsfrist im Beschwerdevorentscheidungsverfahren; zweimonatige Verlängerung gegenüber der im Verwaltungsverfahrensgesetz normierten Frist im Hinblick auf die angestrebte Einbeziehung des Kollegialorgans aus universitätsspezifischen Gründen erforderlich

Rechtssatz

Abweisung der Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung des §25 Abs1 Z12 und §46 Abs2 zweiter bis sechster Satz UniversitätsG 2002 (UG 2002).

Zulässigkeit der Anträge; Präjudizialität gegeben.

Die Anträge sind auch nicht insoweit unzulässig, als sie sich (auch) auf Bestimmungen beziehen, aus denen sich nicht die Bindungswirkung des Gutachtens des Senats oder die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ergibt, und das Bundesverwaltungsgericht Bedenken nur hinsichtlich dieser Fragen geäußert hat. Angesichts der Präjudizialität sämtlicher angefochtener Bestimmungen führte dies gegebenenfalls in der Sache, sollten die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes zutreffen, zur teilweisen Abweisung der Anträge.

Art130 Abs1 Z1 B-VG iVm Art132 Abs1 Z1 B-VG liegt die Systementscheidung des Verfassungsgesetzgebers der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 zugrunde, den administrativen Instanzenzug abzuschaffen und die Aufgabe des Rechtsschutzes gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden den Verwaltungsgerichten zu übertragen. Jede Verwaltungsbehörde mit Ausnahme der Gemeindebehörden im eigenen Wirkungsbereich (vgl Art132 Abs6 B-VG) soll damit "erste und letzte Instanz" sein.

Dieses verfassungsrechtliche Regelungssystem steht aber einem Beschwerdevorverfahren, bei dem die bescheiderlassende Verwaltungsbehörde auf Grund einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht eine Vorentscheidung trifft, nicht entgegen. Das Verbot eines administrativen Instanzenzuges zielt auf die Vermeidung mehrstufiger Rechtsschutzverfahren ab und sichert die Rechtswegegarantie, dass zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden grundsätzlich die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Eine Beschwerdevorentscheidung, bei der die Verwaltungsbehörde "aus Anlass der Erhebung einer Beschwerde ermächtigt ist, den angefochtenen Bescheid nach Art einer Berufungsvorentscheidung (§64a AVG) aufzuheben oder in jeder Richtung abzuändern", soll demgegenüber der Verwaltungsbehörde aus System- wie Effizienzüberlegungen die Möglichkeit eröffnen, ihre zunächst oft vereinfacht und schematisiert getroffene Entscheidung auf Grund des Beschwerdevorbringens nachzuschärfen. Die Beschwerdevorentscheidung, wie sie §14 VwGVG regelt, ist daher von einem administrativen Instanzenzug zu unterscheiden und nicht von dessen verfassungsrechtlichem Verbot erfasst.

§46 Abs2 UG 2002 ergänzt für behördliche Verfahren in studienrechtlichen Angelegenheiten des UG 2002 das Verfahren über die Beschwerdevorentscheidung nach §14 VwGVG.

Nach Wortlaut und Systematik des §46 Abs2 UG 2002 hat das in Studienangelegenheiten bescheiderlassende Organ der Universität, wird gegen diesen Bescheid eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht eingebracht, zunächst zwingend ein weiteres Ermittlungsverfahren durch Einbindung des Senats vorzunehmen. Legt dieser ein Gutachten in der Sache vor, so ist das bescheiderlassende Organ gehalten, unter Beachtung dieses Gutachtens eine Beschwerdevorentscheidung gemäß §14 VwGVG zu treffen. Bei diesem Gutachten handelt es sich um eine Stellungnahme, die die bescheiderlassende Behörde entsprechend zu würdigen hat. Eine Bindungswirkung, wie die bescheiderlassende Behörde ihre Beschwerdevorentscheidung zu treffen hat, folgt aus §46 Abs2 UG 2002 nicht.

Damit fällt die Prämisse der Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes, dass ob der Bindungswirkung der bescheiderlassenden Behörde an das Gutachten des Senats ein versteckter administrativer Instanzenzug an den Senat geschaffen würde, weg. Die auf Art130 Abs1 Z1 iVm Art132 Abs1 Z1 B-VG gestützten Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes treffen daher nicht zu. Damit ist aber auch den Bedenken im Hinblick auf Art81c Abs1 B-VG und Art83 Abs2 B-VG die Grundlage entzogen.

Das System der Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Verfahrens der Verwaltungsgerichte unterscheidet sich von jenem zur Regelung des Verwaltungsverfahrens. Die Gesetzgebungskompetenz für das Verfahren der Verwaltungsgerichte kommt nach Art10 Abs1 Z1 B-VG allein dem Bund zu. Nach Art136 Abs2 Satz 1 B-VG wird das Verfahren der Verwaltungsgerichte - mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen - durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Es besteht also ein verfassungsrechtliches Kodifikationsgebot, dem der Bundesgesetzgeber im VwGVG nachgekommen ist. Das bedeutet, dass - anders als im System der Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren, wo der Materiengesetzgeber in Ausübung seiner Adhäsionskompetenz jedenfalls Regelungen treffen darf, soweit der Bundesgesetzgeber von seiner Bedarfskompetenz nach Art11 Abs2 B-VG nicht Gebrauch gemacht hat - das verwaltungsgerichtliche Verfahren des VwGVG ergänzende Regelungen verfassungsrechtlich nur unter den Voraussetzungen des Art136 Abs2 B-VG zulässig sind.

Der Materiengesetzgeber darf das Verfahren der Verwaltungsgerichte betreffende Regelungen nur vorsehen, wenn sie entweder zur Regelung des Gegenstandes iSd Art136 Abs2 B-VG erforderlich sind oder soweit das kodifizierende Bundesgesetz, also das VwGVG selbst, dazu ermächtigt.

Im Hinblick auf die Kundmachung der angefochtenen Bestimmungen vor dem 01.01.2014 ist in §58 Abs2 und Abs3 VwGVG keine Ermächtigung zu anders lautenden Regelungen iSv Art136 Abs2 letzter Satz B-VG zu erblicken.

Die in §46 Abs2 letzter Satz UG 2002 vorgesehene zweimonatige Verlängerung der in §14 Abs1 VwGVG gesetzten Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung erfüllt jedoch das Kriterium der Erforderlichkeit in jedem Fall.

Dem Verfassungsgesetzgeber der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 stand nämlich eine Beteiligung des Senats im Beschwerdevorentscheidungsverfahren in studienrechtlichen Angelegenheiten bereits vor Augen (s die Entschließung des Nationalrates 247/E 24. GP und dazu AB 1771 BlgNR 24. GP, 7). Wenn der Verfassungsgesetzgeber ein derartiges Kollegialorgan aus universitätsspezifischen Gründen über eine Stellungnahme in das Beschwerdevorverfahren einbezogen wissen will, so nimmt er eine Verlängerung der Frist für die Behörde, die sich mit dieser Stellungnahme auseinandersetzen soll, in Kauf.

Das B-VG enthält mit Art136 Abs2 B-VG einen speziellen Maßstab dafür, wann verwaltungsgerichtsverfahrensrechtliche Regelungen außerhalb des VwGVG erforderlich sind. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz bildet für die Beurteilung solcher gesetzlichen Regelungen, wenn und insoweit diese keine Benachteiligung oder gar Diskriminierung einzelner Personen bewirken (was das Bundesverwaltungsgericht nicht vorbringt), keinen eigenständigen Maßstab.

Entscheidungstexte

  • G83/2014 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 08.10.2014 G83/2014 ua

Schlagworte

Hochschulen, Verwaltungsgerichtsverfahren, Rechtsschutz, Verwaltungsverfahren, Instanzenzug, Bindung (der Verwaltungsbehörden), Kompetenz Bund - Länder, Bedarfskompetenz, Bedarfsgesetzgebung, Adhäsionskompetenz, Fristen, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G83.2014

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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