TE Vwgh Erkenntnis 2014/9/9 2013/22/0247

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.2014
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Esther Lenzinger, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 3. Juli 2013, Zl. 164.741/2-III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden: Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, vom 7. Jänner 2011 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gemäß § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), welcher nach Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 mit 1. Juli 2011 als Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG gewertet wurde, ab.

Begründend führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 3. November 2003 in das Bundesgebiet eingereist und habe am 4. November 2003 einen Asylantrag gestellt. Dieser Antrag sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes im November 2010 rechtskräftig abgewiesen worden.

Die Behörde habe eine begründete Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien eingeholt, in der diese die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen festgestellt habe. Eine Ausweisung sei gegen den Beschwerdeführer bis dato noch nicht erlassen worden.

Der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag darauf verwiesen, in Österreich zahlreiche gute Freunde gefunden und die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden zu haben. Er habe ein Gewerbe zur Güterbeförderung eintragen lassen, erbringe Zustelldienstleistungen und sei selbsterhaltungsfähig. Zudem sei er aktives Mitglied in einer Moschee und in einem Cricket-Verein. Zu seinen in Pakistan lebenden Eltern und drei Geschwistern würde nur noch ein loser Kontakt bestehen.

Die Behörde hielt fest, dass sich in Österreich, "außer ihrem angeblichen Bruder", keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers befänden, wobei der Bruder nicht zur Kernfamilie zähle. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei seit der rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages rechtswidrig, zuvor habe er nur über ein vorübergehendes asylrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt. Insgesamt seien keine intensiven familiären oder intensiven beruflichen Bindungen in Österreich festzustellen gewesen. Es sei seit der Einreise des Beschwerdeführers kein derart maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten, dass ihm gemäß § 11 Abs. 3 NAG zwangsläufig der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen wäre. Die Behörde gelangte zur Ansicht, dass den öffentlichen Interessen - nämlich der Einhaltung der fremdenrechtlichen Einwanderungsbestimmungen - der Vorzug einzuräumen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass es sich beim vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall nicht um einen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Die Beurteilung des gegenständlichen Falles richtet sich im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (4. Juli 2013) nach den Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 68/2013.

Gemäß § 41a Abs. 9 NAG erfordert die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" u.a., dass dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der Behörde diesbezüglich vorgenommene Interessenabwägung.

Zwar hat die Behörde bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich iSd § 11 Abs. 3 Z 8 NAG zu Recht berücksichtigt, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen ist, nicht damit rechnen durfte, er werde dauerhaft in Österreich bleiben können.

Die Behörde ist auch grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber wurde aber in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ausweisungen nach § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden derartige Ausweisungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Prüfung eines Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 NAG herangezogen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. Dezember 2013, Zl. 2012/22/0151, und vom 30. Juli 2014, Zl. 2013/22/0226).

Im vorliegenden Fall hielt sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde zwar noch nicht zehn Jahre, aber bereits über neuneinhalb Jahre in Österreich auf. Diese Aufenthaltsdauer wäre entsprechend zu berücksichtigen gewesen (vgl. die bereits zitierten hg. Erkenntnisse Zl. 2012/22/0151 und Zl. 2013/22/0226, denen ebenfalls jeweils ein beinahe zehnjähriger Inlandsaufenthalt zugrunde lag), was sich dem angefochtenen Bescheid aber nicht entnehmen lässt. Die Behörde hat anerkannt, dass der Beschwerdeführer ein Sprachdiplom auf dem Niveau A2 vorgelegt und eine selbständige Tätigkeit als "Pizzazusteller" ausgeübt habe. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er selbsterhaltungsfähig sei, ist sie nicht entgegengetreten. Auch wenn die Behörde an einer Stelle im angefochtenen Bescheid lediglich von einem "angeblichen" Bruder spricht, legte sie ihrer Interessenabwägung doch erkennbar den Aufenthalt eines - wenn auch nicht zur Kernfamilie zu zählenden - Familienangehörigen des Beschwerdeführers, nämlich seines Bruders, zugrunde. Angesichts der dargestellten integrationsbegründenden Umstände vermag der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des knapp unter zehn Jahre liegenden Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers die Auffassung der Behörde, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei nicht iSd § 11 Abs. 3 NAG geboten, nicht zu teilen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG sowie § 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, iVm § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Da der Beschwerdeführer im Rahmen der Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Eingabengebühr befreit worden ist, war der diesbezügliche Aufwand nicht zuzusprechen. Wien, am 9. September 2014

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013220247.X00

Im RIS seit

13.11.2014

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten