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L9480 Bestattung, Friedhof, Leichenbestattung, TotenbeschauNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litcLeitsatz
Abweisung des - zulässigen - Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Wr Leichen- und BestattungsG über die verpflichtende Unterbringung von Leichen in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage; kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben; kein Verstoß gegen das Gleichheitsrecht; Verfügungsrecht über den eigenen Leichnam kein vermögenswertes PrivatrechtSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag und Vorverfahren
1. Gestützt auf Art140 Abs1 B-VG begehrt die Antragstellerin, die Wortfolge "einer Bestattungsanlage" in §10 Abs1 Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz – WLBG, LGBl 38/2004 idF LGBl 29/2013, als verfassungswidrig aufzuheben. Sie hegt das Bedenken, dass diese Wortfolge gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK), gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) verstößt.
2. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegentritt und beantragt, den Gesetzesprüfungsantrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesen abzuweisen.
3. Die Antragstellerin replizierte auf die Äußerung der Wiener Landesregierung und gab in der Folge noch drei weitere ergänzende Stellungnahmen ab.
II. Rechtslage
§§10 und 22 Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz – WLBG, LGBl 38/2004 idF LGBl 29/2013, lauten (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Vorgehen nach der Totenbeschau
§10. (1) Leichen sind nach Vornahme der Totenbeschau unverzüglich in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage unterzubringen.
(2) Für die Dauer der Trauerzeremonie hat die Aufbahrung in einem Aufbahrungsraum einer Bestattungsanlage zu erfolgen. Wenn kein Aufbahrungsraum in der Bestattungsanlage, in der die Bestattung erfolgen soll, vorhanden ist, kann die Aufbahrung auch in der dieser Bestattungsanlage nächstgelegenen Kirche oder in einem anderen Sakralbau sowie in einem Aufbahrungsraum einer anderen Bestattungsanlage erfolgen.
(3) Die Bestimmung des Abs2 findet keine Anwendung, wenn die Aufbahrung von Leichen ehrenhalber von:
1. einer Gebietskörperschaft,
2. einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft,
3. einer Ordensgemeinschaft,
veranlasst wird.
(4) Die Aufbahrung nach Abs3 ist dem Magistrat unverzüglich nach Vornahme der Totenbeschau schriftlich anzuzeigen.
Die Anzeige hat zu enthalten:
1. Vor- und Zuname des Verstorbenen,
2. letzter Wohnort des Verstorbenen,
3. genaue Bezeichnung des Aufbahrungsortes,
4. Tag und Tageszeit der Aufbahrung,
5. Art des Sarges.
(5) Der Anzeige nach Abs4 ist die Todesbescheinigung anzuschließen.
(6) Der Magistrat hat eine Aufbahrung nach Abs3 unter Vorschreibung von Aufträgen im erforderlichen Ausmaß, die nach gesundheitlichen Anforderungen unbedingt notwendig sind, zu genehmigen.
(7) Nach der Aufbahrung ist die Leiche unverzüglich einer Erd- oder Feuerbestattung zuzuführen."
"Grundsätzliche Bestimmungen über Bestattungsanlagen
§22. (1) Die Errichtung von Bestattungsanlagen darf nur in den Gebieten erfolgen, in denen dies der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan vorsieht.
(2)-(3) [...]
(4) In jeder Bestattungsanlage müssen die nach der Größe, Lage und Widmung der Anlage erforderlichen Betriebsgebäude, sanitären Anlagen, Abfallplätze, Versorgungsleitungen und Wasserentnahmestellen vorhanden sein. Falls Leichen gewaschen oder thanatopraktisch behandelt werden, muss noch zusätzlich ein Leichenwaschraum vorhanden sein.
(5) In jeder Bestattungsanlage muss eine Leichenkammer zur Unterbringung der Leichen bis zur Bestattung vorhanden sein. Das Vorhandensein einer Leichenkammer ist nicht erforderlich, wenn die Unterbringung der Leichen in einer Leichenkammer einer anderen Bestattungsanlage möglich ist.
(6) Jede Leichenkammer hat über eine Kühlanlage zu verfügen. Der Fassungsraum der Kühlanlage hat entsprechend der Größe der Bestattungsanlage dem voraussichtlichen Bedarf zu entsprechen. Die Einrichtung einer Kühlanlage in der Leichenkammer ist dann nicht erforderlich, wenn in der Bestattungsanlage nur eine geringe Anzahl von Bestattungen von Leichen zu erwarten ist. In diesem Fall müssen die Leichen bis zum Tag der Bestattung in einer mit einer Kühlanlage versehenen Leichenkammer einer anderen Bestattungsanlage untergebracht werden.
(7) In jeder Bestattungsanlage muss ein Aufbahrungsraum zur Vornahme von Trauerzeremonien vorhanden sein. Das Vorhandensein eines Aufbahrungsraumes ist nicht erforderlich, wenn die Aufbahrung in einem Aufbahrungsraum einer anderen Bestattungsanlage möglich ist.
(8) Aufbahrungsräume und Leichenkammern haben den Anforderungen der Pietät zu entsprechen."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Die Antragstellerin führt zur Zulässigkeit des Antrags u.a. Folgendes aus:
Anlässlich des Todes ihres langjährigen Ehemannes habe sie feststellen müssen, dass hinsichtlich des Aufbewahrungsortes des Leichnams ihres Ehemannes weder dessen Wünsche noch ihre Wünsche Berücksichtigung gefunden hätten. Es sei beider Wunsch gewesen, dass der Leichnam bis zur Bestattung in einer Leichenkammer eines privaten Bestattungsunternehmens ihres Vertrauens aufbewahrt und gekühlt werde. Eine entsprechende Kühlkammer sei bei diesem Bestatter auch vorhanden. Auf Grund des §10 WLBG (in Verbindung mit den massiven Strafdrohungen dieses Gesetzes) habe die Kühlkammer des Bestatters zur Leichenkühlung aber nicht verwendet werden dürfen und daher die Leichenkammer einer Bestattungsanlage in Anspruch genommen werden müssen. Die Antragstellerin wolle nun auf Grund ihres Alters die notwendigen Vorkehrungen für die Zeit nach ihrem Tod treffen und insbesondere auch den Ablauf ihrer Bestattung regeln. Die angefochtene Bestimmung beschränke sie aber dabei in ihrer Gestaltungsfreiheit. Sie wolle auf keinen Fall, dass mit ihrem Leichnam das passiere, was mit jenem ihres verstorbenen Ehemanns geschehen sei.
Die Antragstellerin sei Wiener Landesbürgerin und werde irgendwann sterben. Sie sei daher von der angefochtenen Norm des WLBG unmittelbar betroffen. Sie sei auch aktuell betroffen, weil sie fast 69 Jahre alt sei. Ihr Sterbefall könne nicht abgewartet werden, da nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut der Leichnam unverzüglich nach der Totenbeschau in die Leichenkammer einer Bestattungsanlage gebracht werden müsse. Abgesehen davon seien Tote nicht mehr rechtsfähig und daher zur Stellung eines Individualantrages nicht legitimiert.
1.2. Die Wiener Landesregierung hält diesem Vorbringen entgegen, dass die Normadressaten des §10 Abs1 WLBG die für die Totenbeschau zuständigen Organe der Behörde (Totenbeschauärzte des Magistrats der Stadt Wien) seien und nicht "Personen, die aus einer gegenwärtigen Perspektive über die Abwicklung des eigenen Begräbnisses und diesbezüglicher Verfügungen ihres Leichnams disponier[t]en". Darüber hinaus handle es sich bei dem Umstand, dass die Antragstellerin nach ihrem Tode nicht in einer Leichenkammer außerhalb einer Bestattungsanlage untergebracht werden könne, lediglich um eine faktische Reflexwirkung und nicht um einen Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin, sodass dieser diesbezüglich die Antragslegitimation fehle. Die angefochtene Bestimmung beschränke auch nicht das Verfügungsrecht der Lebenden, da deren Gestaltungsfreiheit betreffend Art, Weise und Ort der Bestattung und vor allem auch deren Wahl eines privaten oder stadtnahen Bestatters völlig unberührt blieben. Letztlich bringt die Wiener Landesregierung vor, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt sei, da auch in §5 Abs5 und §25 Abs8 WLBG sowie in der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend die Totenbeschau Leichenkammern immer nur im Zusammenhang mit einer Bestattungsanlage genannt würden. Auch sei die Bewilligung von Leichenkammern nur im Zusammenhang mit Bestattungsanlagen vorgesehen.
1.3. Der Antrag ist zulässig.
1.3.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
1.3.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
1.3.3. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifeln ließe:
Es ist das höchstpersönliche Recht eines (noch lebenden) Menschen, Verfügungen über seinen Leichnam zu treffen. Diese sind Ausfluss seines über den Tod hinauswirkenden Persönlichkeitsrechtes gemäß §16 ABGB und sind im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und der guten Sitten zu treffen (OGH 13.12.2012, 1 Ob 222/12x; VwGH 14.05.2009, 2008/11/0201; Spielbüchler in Rummel, Kommentar zum ABGB³, Bd. II, §285 Rz 3). Die angefochtene öffentlich-rechtliche Vorschrift des §10 Abs1 WLBG sieht die Unterbringung eines Leichnams in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage vor. Sie beschränkt die Gestaltungsfreiheit der Antragstellerin und greift damit in die Sphäre ihres Persönlichkeitsrechts ein.
Wegen §10 Abs1 WLBG ist es der Antragstellerin zu Lebzeiten nicht möglich, die über den Zeitpunkt ihres Todes hinaus wirksame Verfügung zu treffen, dass ihr Leichnam nicht in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage untergebracht werde. Daher ist der Eingriff auch bereits jetzt aktuell (vgl. VfSlg 11.402/1986, 16.120/2001).
Auch die weiteren Einwendungen der Wiener Landesregierung gegen die Zulässigkeit des Antrags treffen nicht zu: Das Argument, dass hinsichtlich der Bestattung ohnehin Gestaltungsfreiheit bestehe, geht ins Leere, weil es im vorliegenden Fall nicht um die Gestaltung der Trauerzeremonie, sondern um die Unterbringung der Leiche vor Beginn der Aufbahrung bzw. Trauerzeremonie geht. Auch der Einwand des zu engen Anfechtungsumfangs trifft nicht zu: §5 Abs5 und §25 Abs8 WLBG betreffen Ausnahmefälle, die einer getrennten Regelung zugänglich sind. Letztlich steht das WLBG einem speziellen Bewilligungsverfahren für Leichenkammern außerhalb von Bestattungsanlagen nicht entgegen.
Da auch ein anderer zumutbarer Weg als jener des Individualantrages, um die behauptete Verfassungswidrigkeit an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, nicht besteht und auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrags dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.1. Die Antragstellerin hegt das Bedenken, dass die Wortfolge "einer Bestattungsanlage" in §10 Abs1 WLBG gegen das Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art8 EMRK (iVm Art14 EMRK) verstößt.
2.1.1. Begründend führt die Antragstellerin dazu aus:
"Durch die bekämpfte Wortfolge wird die Antragstellerin in ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens beeinträchtigt. Sie kann deswegen nämlich nicht frei wählen[,] in welcher Leichenkammer einmal ihr Leichnam bis zur Bestattung unterzubringen ist. Stattdessen muss sie ihren Leichnam zwingend in der Leichenkammer einer Bestattungsanlage unterbringen lassen. Es wird ihr dadurch verwehrt[,] ihren Leichnam bspw in der Leichenkammer eines privaten Bestattungsunternehmens ihres Vertrauens unterbringen zu lassen.
Für diesen Eingriff liegt richtigerweise kein öffentliches Interesse vor. Die Kühlung von Leichen in anderen Leichenkammern als jenen einer Bestattungsanlage vermag weder die öffentliche Gesundheit noch die öffentliche Ordnung noch die Moral/Ethik oder irgendein anderes öffentliches Interesse zu gefährden. Dies zeigt auch die Rechtslage in anderen Bundesländern, wie etwa Niederösterreich, wo eine Kühlung von Leichen in Leichenkammern privater Bestattungsunternehmen zulässig ist und zudem auch regelmäßig vorkommt.
Sollte der VfGH dennoch ein öffentliches Interesse für gegeben erachten, so ist der Eingriff weder geeignet noch notwendig und schon gar nicht angemessen. Es besteht richtigerweise keine sachliche Rechtfertigung dafür, die Unterbringung bzw Kühlung von Leichen nur in Leichenkammern von Bestattungsanlagen zuzulassen. Allfällige Bedenken hinsichtlich der Hygiene und Pietät können durch wesentlich gelindere Mittel, nämlich durch entsprechende Auflagen für den Betrieb von Leichenkammern erreicht werden. Es ist weder notwendig noch angemessen nur die Unterbringung in Leichenkammern von Bestattungsanlage[n] zu erlauben.
Da in anderen Bundesländern die Unterbringung von Leichen auch in anderen Kühlkammern als jenen einer Bestattungsanlage zulässig ist[,] stützt sich die Antragstellerin ferner auf eine Verletzung von Art8 EMRK iVm Art14 EMRK. Es besteht richtigerweise keine sachliche Rechtfertigung für die Diskriminierung von Wiener Landesbürgern gegenüber den Landesbürgern anderer Bundesländer wie etwa Niederösterreich. Diese Diskriminierung erfolgt im Bereich des Art8 EMRK und somit hinsichtlich eines durch die EMRK gewährleisteten Rechtes."
2.1.2. Die Wiener Landesregierung widerspricht der Antragstellerin mit folgenden Argumenten:
"Die angefochtene Regelung betrifft allein die jedenfalls zu gewärtigende sanitätspolizeilich erforderliche Wegbringung des Leichnams vom Sterbeort. Die angefochtene Bestimmung regelt insofern auch keinen durch den Willen des Verstorbenen disponiblen Bereich. Es ist nicht Sache oder subjektives Recht der jeweiligen Person zu entscheiden, wie sanitätspolizeiliche Abläufe organisiert und geregelt werden und wo dabei eine – ohnehin nur vorübergehende – Unterbringung des Leichnams bis zur Beisetzung zu erfolgen hat.
Die Maßnahme des §10 Abs1 WLBG intendiert daher keinen Eingriff in ein Recht auf Achtung des Privat- und Familieniebens der verstorbenen Person oder Angehöriger. Die allgemeine Freiheit des Lebenden, für die Zeit nach seinem Tod vorzusorgen, soll nach der Intention des Gesetzgebers grundsätzlich auch nicht beschränkt werden. Dies zeigt sich insbesondere in der Bestimmung des §28 Abs2 WLBG, in dem das Recht des Lebenden, die Art und den Ort seiner Bestattung zu bestimmen, festgeschrieben ist.
Dem Recht des Einzelnen auf Bestimmung des Umganges mit seinem Leichnam nach seinem Tode stehen jedoch Schutzpflichten des Staates gegenüber. Dem Gesetzgeber muss eingeräumt werden, notwendige Regelungen über die Art und Weise der Versorgung der Leiche bis zur Bestattung zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer treffen zu können (vgl. [Art.] 8 Abs2 EMRK). In diesem Sinne hat der Gesetzgeber Vorkehrungen getroffen, wie die von Verstorbenen ausgehenden möglichen Gefahren, wie Seuchenausbreitung, Infektionsgefahr, Krankheitsübertragungen u.a., sowie in der Bevölkerung nicht erwünschte Belästigungen zum Wohl der Öffentlichkeit hintangehalten werden. Die in der angefochtenen Bestimmung geregelte unverzügliche Unterbringung von Leichen in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage stellt eine Maßnahme dar, die der Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit sowie von Belästigungen dient, und somit zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer gemäß [Art.] 8 Abs2 EMRK notwendig ist."
2.1.3. In ihrer Replik bringt die Antragstellerin ergänzend vor, dass der Zutritt zu den Kühlkammern bei den Bestattungsanlagen verboten sei und sich daher die Hinterbliebenen nicht entsprechend den Vorstellungen der Antragstellerin von ihr verabschieden könnten. Auch dies sei als "Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der verstorbenen Person oder der Angehörigen zu betrachten. Dies deshalb, weil die Antragstellerin für die Zeit nach ihrem Tod nicht nach ihrem Willen vorsorgen kann."
2.1.4. Gemäß Art8 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens.
Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat bereits in ihrer Entscheidung vom 10. März 1981, Fall X gegen Bundesrepublik Deutschland, Appl. 8741/79, EuGRZ1983, 217 (Z124), festgestellt, dass es durchaus möglich sei, dass bestimmte Personen das Bedürfnis fühlten, ihre Persönlichkeit in der Form auszudrücken, wie sie beerdigt würden. Die Weigerung der Behörden, die Beerdigung auf einem Privatgrundstück zu erlauben, im konkreten Fall in Form des Verstreuens der eigenen Asche auf dem eigenen Grund und Boden, betreffe daher das persönliche Leben so stark, dass sie in Art8 EMRK eingreifen könne. Die Kommission stellte in diesem Fall aber keinen Eingriff fest, weil Gründe wie die Sicherung einer angemessenen Begräbnisstätte, der öffentlichen Gesundheit und der Straßenplanung zu berücksichtigen seien.
In der Folge hat der Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) wiederholt das Verhalten insbesondere von staatlichen Behörden im Zusammenhang mit Leichen bzw. deren Asche unter dem Blickwinkel des Art8 EMRK beurteilt: Die enorm verzögerte Rückgabe einer Leiche nach der Autopsie bzw. einem DNA-Test wurde als Verletzung des Art8 EMRK qualifiziert (EGMR 30.10.2001, Fall Pannullo und Forte, Appl. 37.794/97; 30.6.2011, Fall Girard, Appl. 22.590/04), ebenso der Transport und die Bestattung bzw. Entsorgung eines totgeborenen Kindes ohne Wissen der Mutter (EGMR 14.2.2008, Fall Hadri-Vionnet, Appl. 55.525/00; 12.6.2014, Fall Mari?, Appl. 50.132/12), sowie die Verweigerung der Herausgabe der Leichname getöteter Aufständischer an deren Familienangehörige bzw. an eine Lebensgefährtin (EGMR 6.6.2013, Fall Sabanchiyeva u.a., Appl. 38.450/05; 16.1.2014, Fall Arkhestov u.a., Appl. 22.089/07). Andererseits wurde die Weigerung, den Transfer einer Urne (eines seit mehr als 30 Jahren feuerbestatteten Ehemanns) zu genehmigen, nicht als eine Verletzung des Art8 EMRK beurteilt, weil wegen der Sensibilität der Abwägung des Schutzes der Totenruhe – dieser sei eine Aufgabe der Gesellschaft – mit dem individuellen Interesse (der Ehegattin) an einem Transfer der Urne dem Staat ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen sei (EGMR 17.1.2006, Fall Elli Poluhas Dödsbo, Appl. 61.564/00, Z25). Die Verletzung der Totenruhe an sich, wenn sie durch den Nachlass geltend gemacht werde, bilde keinen Eingriff in das Privat- und Familienleben (EGMR 15.5.2006, Fall Estate of Kresten Filterborg Mortensen, Appl. 1338/03). Wenn aber dem Wunsch eines Lebenden, dass im Fall seines Todes sein Leichnam feuerbestattet werde, von den staatlichen Behörden nicht entsprochen werde, dann sei dies ein Fall, der unter dem Gesichtspunkt des Art8 EMRK zu beurteilen sei (EGMR 21.1.2014, Fall ?i?man, Appl. 46.352/10).
Vor dem Hintergrund dieser Judikatur besteht kein Zweifel, dass im vorliegenden Fall, in dem es um eine Rechtsvorschrift geht, die die Verwirklichung des Wunsches einer Lebenden, im Fall ihres Todes ihren Leichnam nicht in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage unterzubringen, unmöglich macht, ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verbürgte Recht auf Privatleben gegeben ist.
2.1.5. Gemäß Art8 Abs2 EMRK sind Eingriffe in das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit diese gesetzlich vorgesehen sind und Maßnahmen darstellen, die zur Erreichung eines legitimen Zieles (nationale Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung, wirtschaftliches Wohl des Landes, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) geeignet und verhältnismäßig sind (vgl. zB VfSlg 15.632/1999, 16.285/2001, 17.851/2006).
Art8 EMRK will zwar im Wesentlichen eine Person vor willkürlichen Eingriffen der Behörden in ihr Privat- und Familienleben schützen; wie der EGMR aber in seiner Rechtsprechung zu diesem Grundrecht ganz allgemein ausgesprochen hat, legt es aber dem Staat sowohl negative als auch positive Verpflichtungen auf, die mit der tatsächlichen Achtung des Privat- und Familienlebens untrennbar verbunden sind, deren Grenzziehung sich aber nicht genau definieren lässt (EGMR 23.9.1994, Fall Hokkannen, Appl. 19.823/92, Z55; 26.2.2002, Fall Kutzner, Appl. 46.544/99, Z61 f.). Der EGMR hat dabei einen Beurteilungsspielraum des Staates angenommen, so auch in Fragen der Behandlung von Verstorbenen und deren Bestattung (Fall X gegen Bundesrepublik Deutschland; Fall Elli Poluhas Dödsbo, Z25; Fall ?i?man, Z23 ff.). In einer derart sensiblen und intimen Angelegenheit wie dem Tod eines nahen Angehörigen hat der Staat ein besonderes Maß an Sorgfalt und Umsicht walten zu lassen hat (Fall Hadri-Vionnet, Z56).
Im Fall ?i?man hat der EGMR festgestellt, dass – unter den in diesem Fall gegebenen Voraussetzungen – ein Eingriff in das Privat- und Familienleben verhältnismäßig ist und es daher nicht dem Art8 EMRK widerspricht, wenn dem Wunsch eines Lebenden, dass im Fall seines Todes sein Leichnam feuerbestattet werde, von den staatlichen Behörden nicht entsprochen wird.
Der behauptete Eingriff ist hier gesetzlich vorgesehen. Das gesetzliche Gebot, dass eine Leichenkammer Teil einer Bestattungsanlage sein muss, dient zweifellos auch dem legitimen Ziel, Gefahren für das Leben und die Gesundheit Dritter abzuwehren.
Der Eingriff in das Privat- und Familienleben ist – wie im Fall ?i?man – auch im vorliegenden Fall verhältnismäßig: Wegen der von Leichen ausgehenden möglichen Gesundheitsgefahren einerseits und aus Gründen der Pietät andererseits hat der Gesetzgeber bei der Organisation und Gestaltung des Leichen- und Bestattungswesens ein besonderes Maß an Sorgfalt und Umsicht walten zu lassen. Das bedeutet, dass er – der oben dargestellten Judikatur des EGMR entsprechend – einen weiten Gestaltungsspielraum in diesem Bereich hat. Vor dem Hintergrund, dass das WLBG den Normunterworfenen einen großen Freiraum bei der Errichtung von Bestattungsanlagen und Privatbegräbnisstätten, bei der Aufbewahrung von Urnen, bei der Art der Bestattung, bei der Gestaltung der Trauerzeremonie und der Modalitäten der Beerdigung sowie letztlich bei der Gestaltung der einzelnen Gräber einräumt, ist es nicht unverhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber die Unterbringung von Leichen nach Vornahme der Totenbeschau bis zum Beginn der Trauerzeremonie nur in der Leichenkammer einer – rechtlich auch möglichen privaten – Bestattungsanlage gestattet. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung die ihm unter den gegebenen Umständen von der Verfassung gesetzten Schranken des Art8 EMRK nicht überschritten.
2.1.6. Gemäß Art14 EMRK ist der Genuss der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung zu gewährleisten, "die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist".
Eine Verletzung des Art14 EMRK ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da das WLBG nicht nach persönlichen Eigenschaften (Geschlecht, Rasse etc.) differenziert. Die Anknüpfung des §1 WLBG an "Leichen der in Wien verstorbenen oder tot aufgefundenen Personen" verwendet ein rein sachbezogenes Kriterium, welches nicht unter die Generalklausel des "sonstigen Status" fällt (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar², 466 f.). Im Übrigen besteht nach der Judikatur des EGMR in Rechtsfragen, die ethische Implikationen haben und bei denen ein gemeinsamer moralischer (hier eher sittlicher) und rechtlicher Standard fehlt, ein weiter Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, den die Länder im Rahmen ihrer Gesetzgebungsbefugnisse nutzen können (EGMR 28.11.1984, Fall Rasmussen, Appl. 8777/79, Z40).
Auf das in der Replik erstmals erhobene Bedenken, dass den Angehörigen der Zugang zu den Leichenkammern nicht möglich sei, ist nicht einzugehen, weil der Verfassungsgerichtshof auf die Erörterung der im Antrag geltend gemachten Bedenken beschränkt ist und es ihm daher verwehrt ist, ein erstmals in einem späteren Verfahrensschritt vorgetragenes Bedenken wahrzunehmen (VfSlg 9260/1981, 14.802/1997 mwH). Dasselbe gilt für die erstmals in der "Ergänzenden Stellungnahme" vom 5. September 2014 geäußerten Gleichheitsbedenken gegen §10 Abs3 WLBG.
Auch aus dem Hinweis in dieser Stellungnahme, dass "es in ganz Wien zahlreiche Altersheime, Seniorenresidenzen und Pflegeräume sowie Hospize" gebe, wo Leichen ohne Kühlkammern aufbewahrt würden, ist für den Gesetzesprüfungsantrag nichts zu gewinnen, da dieser Hinweis bloß Fragen des rechtmäßigen Vollzugs des Gesetzes aufwirft.
2.2. Die Antragstellerin hegt das weitere Bedenken, dass die angefochtene Wortfolge auch gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) verstößt.
2.2.1. Begründend bringt die Antragstellerin einerseits ihre Diskriminierung als Wiener Landesbürgerin gegenüber den Landesbürgern anderer Bundesländer vor. Andererseits stellt sie die Sachlichkeit der Regelung in Frage. Sie habe keinerlei Einwände gegen die unverzügliche Unterbringung von Leichen in Leichenkammern, es gebe aber keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass diese Leichenkammern unbedingt Teil einer Bestattungsanlage sein müssten. Die Bestimmung diene in Wirklichkeit dazu, private Bestattungsunternehmen von der Leichenkühlung auszuschließen. Diese könnten aber ebenso gut für eine unverzügliche Unterbringung eines Leichnams in einer Leichenkammer, für die Hygiene sowie für die Hintanhaltung von Belästigungen sorgen. Der Gesetzgeber könnte gelindere Mittel, zB Vorschriften und Auflagen für die Leichenunterbringung, einsetzen, um die Pietät oder Hygiene sicherzustellen. Es werde die Wahlfreiheit der Bürger, was mit ihrem Leichnam zwischen Tod und Bestattung passieren solle, fast vollständig beseitigt. In ihren Stellungnahmen weist die Antragstellerin weiters darauf hin, dass es auf Grund von Engpässen in den Kühlkammern vorkomme, dass Särge auf dem Boden abgestellt würden, was hygienisch nicht optimal wäre, dass – im Gegensatz zu privaten Bestattern – in keiner Bestattungsanlage ein Leichenwaschraum vorhanden sei, was für den Fall, dass Leichen gewaschen oder thanatopraktisch behandelt würden, in §22 Abs4 WLBG vorgeschrieben sei, und dass der Zugang zu den Leichenkammern für private Bestatter zeitlich beschränkt sei, wohingegen die Bestattung Wien Schlüssel der Leichenkammern habe.
2.2.2. Die Wiener Landesregierung hält dem entgegen, dass der Gleichheitssatz die Länder nicht hindere, unterschiedliche Regelungen zu treffen. Aus sanitätspolizeilichen Gründen und Gründen der öffentlichen Ordnung sollte in einer Großstadt wie Wien sichergestellt werden, dass eine Aufbahrung bzw. Verwahrung von Leichnamen nicht in privaten Räumlichkeiten bzw. innerstädtischen Kirchen, sondern in entsprechend ausgestatteten Einrichtungen erfolge. Es entspreche auch dem öffentlichen Interesse und jedenfalls dem Wunsch der Bevölkerung, die "Begegnung mit dem Tod" auf jene Orte zu konzentrieren, die dafür geeignet und städteplanerisch vorgesehen seien. Nicht gewünschte Totentransporte im öffentlichen Straßenbild und das Risiko der Bevölkerung, den von Leichen ausgehenden Gefahren ausgesetzt zu sein, würden auf ein Minimum reduziert. Schon die bestehenden Ausstellungsräume von Bestattungsunternehmen (samt in Auslagen ausgestellten Sargmodellen etc.) hätten zu Protesten von Anrainern geführt. Bei dem Vorbringen, dass die angefochtene Bestimmung lediglich dazu diene, private Bestattungsunternehmen von der Leichenkühlung auszuschließen, übersehe die Antragstellerin, dass auch die Bestattung Wien GmbH lediglich ein Bestattungsunternehmen und kein Rechtsträger einer Bestattungsanlage sei. Letztlich sei die Stadt Wien gesetzlich verpflichtet, ausreichend Bestattungsanlagen zu errichten und zu betreiben. Diese Verpflichtung beinhalte auch den Betrieb von Leichenkammern. Dem öffentlichen Interesse an der Bereitstellung dieser Infrastruktur würde es zuwiderlaufen, wenn es allen Anbietern von Bestattungsdienstleistungen frei stünde, diese Infrastruktur nach eigenem Gutdünken zu nutzen. Dadurch könnten die für die Erhaltung betriebsnotwendigen Einnahmen wegfallen, sodass letztlich die öffentliche Hand wieder entsprechende Finanzmittel zuzuschießen hätte.
2.2.3.1. Aus dem Argument, dass in anderen Bundesländern die Unterbringung der Leichen auch in Leichenkammern möglich sei, die nicht Teil einer Bestattungsanlage seien, ist unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nichts zu gewinnen, liegt es doch in der Natur eines Bundesstaates, dass sich die einzelnen landesrechtlichen Regelungen voneinander unterscheiden (s. etwa VfSlg 8161/1977, 8247/1978, 8475/1978, 8934/1980, 9116/1981, 9546/1982, 9804/1983, 10.457/1985, 11.641/1988, 11.979/1989, 12.949/1991, 14.783/1997, 19.202/2010).
2.2.3.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, dass die angefochtene Wortfolge für sich allein betrachtet unsachlich wäre:
Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).
Angesichts der mit einem geordneten Leichen- und Bestattungswesen verbundenen öffentlichen Interessen kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dass dieser überschritten worden wäre, ist nicht erkennbar. Ob die Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).
2.3. Letztlich behauptet die Antragstellerin, dass die angefochtene Wortfolge dem Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK) widerstreitet.
2.3.1. Durch die bekämpfte Wortfolge werde die Privatautonomie der Antragstellerin erheblich verletzt. Ihre Vertragsfreiheit werde eingeschränkt, weil es ihr unmöglich gemacht werde, die Leichenkammer eines privaten Bestatters ihres Vertrauens zu wählen. Auch seien mit der verpflichtenden Unterbringung von Leichen in Leichenkammern einer Bestattungsanlage wesentlich höhere Kosten verbunden, weil dadurch für die Dienstleistung der Leichenunterbringung de facto jedweder freie Wettbewerb ausgeschlossen sei.
2.3.2. Dieses Vorbringen der Antragstellerin ist schon deswegen verfehlt, weil das höchstpersönliche Recht eines (noch lebenden) Menschen, die hier in Rede stehenden Verfügungen über seinen Leichnam zu treffen (s.o. Pkt. III.1.3.3.), kein vermögenswertes Privatrecht ist.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit VfSlg 9887/1983 den Begriff des Eigentums iSd Art5 StGG (Art1 1. ZPEMRK) zwar auf bestimmte Arten von Immaterialgüterrechten (urheberrechtliche Ansprüche) und beginnend mit VfSlg 15.129/1998 gestützt auf das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK auch auf öffentlich-rechtliche Ansprüche ausgedehnt. Er hat weiters in VfSlg 12.227/1989 festgestellt, dass der Staat in die Privatautonomie lediglich unter den Voraussetzungen eingreifen dürfe, die die Verfassungsordnung ganz allgemein für die Zulässigkeit von Eigentumseingriffen vorsieht. Für den Schutzbereich des Art5 StGG (Art1 1. ZPEMRK) war aber stets die vermögensrechtlich wirtschaftliche Seite, nicht aber die persönlichkeitsbezogene Seite des Eigentums im weitesten Sinne maßgeblich (Korinek, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Verfassungsrecht, Art1 1. ZPEMRK Rz 5 f., mwH). Der Vermögenswert eines Rechts bzw. einer Rechtsposition ist für den Begriff des Eigentums iSd Art5 StGG (Art1 1. ZPEMRK) konstitutiv. Da dem Verfügungsrecht über den eigenen Leichnam kein Vermögenswert entspricht, ist Art5 StGG (Art1 1. ZPEMRK) als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die angefochtenen Regelung nicht anwendbar.
Die übrigen im Antrag behaupteten finanziellen Auswirkungen stellen lediglich wirtschaftliche Reflexwirkungen dar, sie betreffen nicht die Rechtssphäre der Antragstellerin (vgl. VfSlg 17.323/2004) und greifen in sie nicht rechtswidrig bzw. unsachlich ein.
IV. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Leichen- und Bestattungswesen, Privat- und Familienleben, Rechtspolitik, Bundesstaatsprinzip, Eigentumseingriff, VfGH / Individualantrag, VfGH / BedenkenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G97.2013Zuletzt aktualisiert am
14.03.2016