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97/01 Öffentliches AuftragswesenNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Ausschluss einer Bietergemeinschaft von der Teilnahme am Vergabeverfahren wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines ihrer Mitglieder; Verwaltungsgericht angesichts der Möglichkeit einer (ordentlichen oder außerordentlichen) Revision an den Verwaltungsgerichtshof kein letztinstanzliches vorlagepflichtiges GerichtRechtssatz
Keine Bedenken gegen die vom Verwaltungsgericht angewendeten Bestimmungen des BundesvergabeG 2006 (BVergG 2006) unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes.
Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er wegen der besonderen Gefährdung, die von der Insolvenz eines Auftragnehmers für die Auftragsdurchführung ausgeht, allein die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über einen Bieter als zwingenden Ausschlussgrund ausreichen lässt, oder mit Blick auf andere Effizienzüberlegungen eine abweichende Beurteilung durch den Auftraggeber im Einzelfall zulässt. Das Verwaltungsgericht hat damit den angewendeten Bestimmungen durch die von ihm vertretene Rechtsansicht auch keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.
Keine Verletzung des gesetzlichen Richters durch Unterlassung der Vorlage der Frage der Auslegung des Art45 Abs2 Vergabe-RL an den EuGH.
Die den VfGH bei den Erkenntnissen VfSlg 17214/2004 und 17865/2006 leitenden Überlegungen sind auf das durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51/2012, eingeführte Rechtsmittel der Revision an den VwGH übertragbar. Das zugrunde liegende Modell der Revisionszulassung ist in den hier wesentlichen Punkten dem System der Grundsatz- und Zulassungsrevision nach der ZPO nachgebildet. Eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision ist gemäß Art133 Abs4 Satz 1 B-VG nur zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Wie für den OGH besteht auch für den VwGH grundsätzlich die Möglichkeit (und gegebenenfalls die Verpflichtung), eine Revision zuzulassen, um dem EuGH eine entscheidungsrelevante unionsrechtliche Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, indem er (vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte) Zweifel über die Auslegung von Unionsrecht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung qualifiziert. Insofern sind vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (siehe EuGH 04.06.2002, Rs C-99/00, Lyckeskog, und 16.12.2008, Rs C-210/06, Cartesio) die Verwaltungsgerichte nicht als letztinstanzliche Gerichte iSd Art267 Abs3 AEUV anzusehen, weil deren Entscheidungen noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts beim VwGH angefochten werden können.
Anders gelagert sind jene - im vorliegenden Verfahren nicht einschlägigen - Fälle, in denen die Revision von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist (vgl Art133 Abs4 Satz 2 und Abs9 Satz 2 B-VG iVm §25a Abs2 und 4 VwGG).
Da im vorliegenden Fall die Revision nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist, ist das Verwaltungsgericht Wien im vorliegenden Fall nicht letztinstanzliches Gericht iSd Art267 Abs3 AEUV iVm Art83 Abs2 B-VG. Ob die Entscheidung über eine Frage der Auslegung des Art45 Abs2 Vergabe-RL für das Verwaltungsgericht erforderlich und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen war, unterfällt daher hier nicht dem Schutz von Art83 Abs2 B-VG.
Die Frage, ob das Verwaltungsgericht Wien die herangezogenen Bestimmungen des BVergG 2006 oder Art45 Abs2 Vergabe-RL unmittelbar anzuwenden hatte, ist vom VfGH nicht aufzugreifen.
Schlagworte
Vergabewesen, Rechtspolitik, EU-Recht Richtlinie, EU-Recht Vorabentscheidung, Verwaltungsgericht, VerwaltungsgerichtshofEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:E304.2014Zuletzt aktualisiert am
10.03.2016