RS Vfgh 2014/9/29 U2699/2013

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Veröffentlicht am 29.09.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8
Flüchtlingskonvention Genfer, BGBl 55/1955 Art1 Abschnitt A Z2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines afghanischen Staatsangehörigen; willkürliche Verneinung einer asylrelevanten Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie infolge Annahme des Fehlens einer Kausalität für die Verfolgung

Rechtssatz

Ein unabänderliches Merkmal, das den Verfolgungstatbestand der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK) erfüllt, kann auch die Zugehörigkeit zu einem Familienverband darstellen und zwar unabhängig davon, ob die Zugehörigkeit zu einem Familienverband den Grund für eine Verfolgung von staatlicher Seite darstellt oder ob auf Grund der Angehörigeneigenschaft Verfolgung von privater Seite droht, der Staat aber nicht fähig oder willig ist, dem Verfolgten Schutz zu gewähren.

Eine Konstellation, in der die Angehörigeneigenschaft bei sämtlichen verfolgten Familienmitgliedern das einzige Anknüpfungsmerkmal iSd GFK ist, liegt vor, wenn sich die private Verfolgung auf Grund eines Verhaltens, das die Verfolger einem Familienmitglied anlasten, gegen einen unbeteiligten Dritten bloß wegen dessen Abstammung richtet (vgl zur so genannten Blutrache VwGH 26.02.2002, 2000/20/0517; 22.08.2006, 2006/01/0251).

Der AsylGH setzt sich zwar mit der Frage auseinander, ob eine asylrelevante Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK vorliegt, verneint dies aber, weil sich "die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu seiner Familie wegdenken [ließe], ohne dass die Verfolgung des Beschwerdeführers als Besitzer des Grundstücks wegfallen würde", weshalb "die Zugehörigkeit zur Familie des Beschwerdeführers [...] für dessen Verfolgung wegen des Grundstücks [...] nicht kausal" sei. Die Zugehörigkeit zur Familie des Beschwerdeführers ließe sich auch bezüglich des dem Beschwerdeführer unterstellten Mordes (an einem Mitglied der feindlichen Familie) wegdenken, ohne dass die Verfolgung des Beschwerdeführers als vermeintlichem Mörder wegfallen würde.

Die der Argumentation des AsylGH zugrunde liegende Prüfung einer "Kausalität", ob die Zugehörigkeit zum Familienverband unverzichtbare Bedingung ("conditio sine qua non") der Verfolgung ist, läuft darauf hinaus, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie immer dann nicht vorliegen kann, wenn eine Verfolgung auch aus einem anderen Grund denkbar ist. Mit dieser - geradezu zynisch anmutenden - Argumentation übersieht der AsylGH aber die Intention der Festlegung asylrelevanter Fluchtgründe in §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK. Diese geht nicht dahin, dass der Asylwerber glaubhaft zu machen hätte, dass die von ihm behauptete Verfolgung denkmöglich einzig und ausschließlich auf dem geltend gemachten Asylgrund beruht. Vielmehr kommt es darauf an, ob bei Würdigung der Gesamtumstände wohlbegründet zu befürchten ist, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie asylrelevante Verfolgung droht. Der AsylGH hätte also zu prüfen gehabt, ob die Zugehörigkeit zur Familie das zentrale Motiv der Verfolgung des Beschwerdeführers ist und insoweit einen selbständigen Verfolgungsgrund darstellt.

Indem der AsylGH insoweit die Regelungsintention des §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK in verfassungsrechtlich bedeutsamer Weise verkannt hat, hat er seine Entscheidung mit Willkür belastet.

Aufhebung der Entscheidung in vollem Umfang, da die Gewährung subsidiären Schutzes die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten voraussetzt und mit dem Status des Asylberechtigten ein dauerhaftes Einreise- und Aufenthaltsrecht verbunden ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Entscheidung Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U2699.2013

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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