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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der D in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 16. Mai 2000, Zl. IIa-60.047/43-91, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens gem. § 79 GewO 1994 und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Nach dem Vorbringen in der Beschwerde im Zusammenhang mit dem Inhalt des angefochtenen Bescheides wurden mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 16. Mai 2000 die Anträge der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Vorschreibung zusätzlicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994 in Ansehung ihrer gastgewerblichen Betriebsanlage und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in diesem Verfahren gemäß §§ 69 und 71 AVG als unbegründet abgewiesen. Der Landeshauptmann führte dazu aus, mit seinem Bescheid vom 15. Februar 2000 sei die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstbehördlichen Bescheid, mit dem zusätzliche Auflagen für ihr Gastlokal vorgeschrieben worden seien, im fortgesetzten Verfahren als unbegründet abgewiesen worden. Ihre gegen diesen Bescheid gerichteten Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens und in eventu auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe die Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit begründet, dass im bekämpften Bescheid ausgeführt sei, von Seiten der Beschwerdeführerin sei innerhalb von vier Wochen keine Stellungnahme zu der mit Schreiben vom 20. Jänner 2000 (zugestellt am 21. Jänner 2000) zur Kenntnis gebrachten Ergänzung des Ermittlungsverfahrens eingelangt. Es müsse hier ein Missverständnis vorliegen, weil der Berufungsbehörde mit Schriftsatz vom 17. Februar 2000, also noch vor Ablauf von vier Wochen nach Zustellung des genannten Schreibens, eine entsprechende Stellungnahme überreicht worden sei, welche keine Berücksichtigung im Bescheid vom 15. Februar 2000 habe finden können. Nach der mit Schreiben vom 21. Jänner 2000 übermittelten ergänzenden Stellungnahme des Amtsarztes vom 4. Jänner 2000 erscheine es nämlich möglich, dass es aus medizinischer Sicht vertretbar sei, Livemusik ausschließlich während der jeweiligen Wintersaison bei gleichzeitiger Einhaltung eines wöchentlichen Ruhetages darzubieten, da schallbedingte Schlafstörungen bei dieser Lösung voll kompensierbar sein müssten. Zu diesem Vorbringen führte der Landeshauptmann aus, nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG kämen als neue Beweismittel im Sinne dieser Bestimmung nur solche in Frage, welche erst nach Abschluss des Verfahrens hervorgekommen seien. Demgegenüber bleibe es aber auch von der Beschwerdeführerin unbestritten, dass sie bereits am 21. Jänner 2000, somit über drei Wochen vor dem abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes vom 15. Februar 2000 Kenntnis von der ergänzenden Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen gehabt habe. Es sei aber auch der Wiedereinsetzungsgrund des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nicht gegeben, weil von der Berufungsbehörde evidentermaßen keine Frist zur Stellungnahme zur den mit Schreiben vom 20. Jänner 2000 übermittelten ergänzenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen vom 4. Jänner 2000 und dem Schreiben der Gemeinde S vom 20. Dezember 1999 eingeräumt worden sei, sondern dieses Schreiben der Beschwerdeführerin lediglich zur Kenntnisnahme übermittelt worden sei. Der Berufungsbehörde könne daher kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie nach fruchtlosem Ablauf von mehr als drei Wochen nach Kenntnisnahme dieses Schreibens durch die Beschwerdeführerin einen abweisenden Bescheid erlassen habe. Der dem bekämpften Bescheid zu Grunde liegende und mit einer geringfügigen zeitlichen Unschärfe versehene Hinweis, dass innerhalb von vier (richtigerweise: dreieinhalb) Wochen keine Stellungnahme eingelangt sei, sei somit keinesfalls als Ausspruch eines Fristversäumnisses, sondern vielmehr als Hinweis auf ein Untätigbleiben der nunmehrigen Beschwerdeführerin zu interpretieren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Bewilligung der Wiederaufnahme oder der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringt sie vor, im zu Grunde liegenden Verfahren gemäß § 79 GewO 1994 habe ihr die belangte Behörde mit Schreiben vom 20. Jänner 2000 das Schreiben der Gemeinde S (vom 20. Dezember 1999) und die ergänzende Stellungnahme des Amtsarztes (vom 3. Jänner 2000) zur Kenntnis gebracht, ohne dass darin eine Frist für eine Stellungnahme gesetzt worden wäre. Die Beschwerdeführerin habe mit Schriftsatz vom 16. Februar 2000, überreicht am 17. Februar 2000, zu den Unterlagen Stellung genommen und weitere Anträge gestellt. Am selben Tag, nämlich am 17. Februar 2000, sei der im Verfahren gemäß § 79 AVG ergangene Berufungsbescheid der belangten Behörde zugestellt worden. Dieser Berufungsbescheid enthalte den Hinweis, dass zu den Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens innerhalb von vier Wochen - gerechnet ab dem 21. Jänner 2000 - keine Stellungnahme eingelangt sei. Dies sei einerseits objektiv unrichtig, da der Schriftsatz vom 16. Februar 2000 am 17. Februar 2000, also noch vor Ablauf von vier Wochen überreicht worden sei und andererseits missverständlich, da in der Mitteilung der belangten Behörde vom 20. Jänner 2000 überhaupt keine Fristsetzung enthalten gewesen sei. Inhaltlich gehe es um die Frage, ob es aus medizinischer Sicht vertretbar sei, die in der Betriebsanlagengenehmigung enthaltene Berechtigung zur Darbietung von Livemusik ausschließlich auf die Zeit der Wintersaison bei gleichzeitiger Einhaltung eines wöchentlichen Ruhetages zu beschränken. Da die belangte Behörde missverständlicherweise von der Einräumung einer Frist ausgegangen sei, obwohl eine solche gar nicht gesetzt worden sei, und die Beschwerdeführerin selbst bei Annahme dieser Frist rechtzeitig Stellung genommen hätte, hätten ihre Stellungnahme und ihre Anträge laut Schriftsatz vom 16. Februar 2000 nicht mehr berücksichtigt werden können. Durch den gestellten Antrag (ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten, Lokalaugenschein und gewerberechtliche Verhandlung) wären mit Sicherheit neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen, welche ein anderes, für die Beschwerdeführerin günstigeres Verfahrensergebnis gebracht hätten. Auf Grund der besonderen Verfahrenskonstellation sei auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden, da möglicherweise doch etwas versäumt worden sei. Die Beschwerdeführerin vertrete jedenfalls die Auffassung, dass § 71 Abs. 1 Z. 2 AVG analog anzuwenden gewesen wäre. Sollte der Schriftsatz vom 16. Februar 2000 verspätet überreicht worden sein, so treffe die Beschwerdeführerin kein Verschulden, da sie nicht habe annehmen können, dass die belangte Behörde ihrerseits von einer gesetzten Frist ausgehe. Das auf Grund der bewilligten Wiedereinsetzung durchzuführende Verfahren hätte für die Beschwerdeführerin ein günstigeres Ergebnis gebracht. Die belangte Behörde verstoße darüber hinaus gegen das Überraschungsverbot, da mit dem Abstellen auf eine Frist, obwohl eine solche gar nicht gesetzt worden sei, nicht habe gerechnet werden müssen.
Nach der hier allein in Betracht kommenden Bestimmung des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens statt zu geben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Parteien nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Die in dieser Gesetzesstelle als Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtserheblichen neuen Tatsachen oder Beweismittel dürfen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht erst neu entstanden, sondern nur neu hervorgekommen sein, d.h. sie müssen schon zu einem früheren Zeitpunkt bestanden haben. Es muss sich überdies um Tatsachen oder Beweismittel handeln, die dem Antragsteller im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides nicht bekannt waren und die auch der entscheidenden Behörde nicht zugänglich waren (vgl. die in Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, I, § 69 AVG E 125 und 126 zitierte hg. Judikatur).
Im vorliegenden Fall erblickt die Beschwerdeführerin den von ihr geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund darin, dass die belangte Behörde im zu Grunde liegenden Verfahren die in der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 16. Februar 2000 gestellten Beweisanträge, nämlich Einholung eines ergänzenden medizinischen Sachverständigengutachtens sowie Durchführung eines Lokalaugenscheins und einer gewerberechtlichen Verhandlung nicht kannte und daher auch nicht berücksichtigen konnte. Bei diesen Beweismitteln handelt es sich schon ihrem Wesen nach nicht um Tatsachen im Sinn des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG, sondern um Beweismittel, die aber nicht als "neu hervorgekommen" im Sinn dieser Gesetzesstelle angesehen werden können, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt und dies auch in der Beschwerde nicht behauptet wird, dass diese Beweismittel der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bekannt gewesen wären. Dass das Begehren der Beschwerdeführerin auf Durchführung dieser Beweismittel im zu Grunde liegenden Verfahren der Behörde nicht zeitgerecht zur Kenntnis gelangte, hat nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin vielmehr seine Ursache in einer in diesem Verfahren unterlaufenen Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die Annahme der belangten Behörde, es liege der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund nicht vor, erweist sich somit als frei von Rechtsirrtum.
Es kann der belangten Behörde aber auch nicht in der Annahme entgegengetreten werden, es sei der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 71 Abs. 1 AVG nicht gegeben. Denn Voraussetzung jeder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 AVG ist die Versäumung einer Frist, was hier aber nach dem ausdrücklichen Beschwerdevorbringen nicht gegeben ist. Daran vermag der Umstand, dass die im zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren entscheidende Behörde möglicherweise eine derartige Fristversäumnis angenommen hat, nichts zu ändern.
Da somit schon das Vorbringen in der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 30 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 27. September 2000
Schlagworte
Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000040116.X00Im RIS seit
24.11.2000