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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Bestätigung des über einen algerischen Staatsangehörigen verhängten Aufenthaltsverbotes; kein Begründungswert des bloßen Verweises auf ein früheres Judikat des Asylgerichtshofes und dessen LänderfeststellungenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist algerischer Staatsangehöriger und stellte am 7. September 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 29. Oktober 2010 rechtskräftig abgewiesen wurde. Seit Antragstellung befindet er sich durchgängig im österreichischen Staatsgebiet.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. Mai 2010, 121 Hv 51/2010x wurde der Beschwerdeführer wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden sowie gewerbsmäßigen Betruges zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten bei Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
2. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 5. Dezember 2013 bestätigte der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) Wien ein über den Beschwerdeführer auf Grund seiner Verurteilung verhängtes, mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, ohne die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen.
Zur medizinischen Versorgungslage in Algerien wird dabei Folgendes ausgeführt:
"Die medizinische Versorgungslage wird mit einem für die Bürger weitgehend kostenlosen Gesundheitssystem (unter Umständen mit Selbstbehalt) auf niedrigem Niveau sichergestellt. Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenanstalten gibt es in den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt. Aus dieser Darstellung kann abgeleitet werden, dass auch Darmerkrankungen in Algerien behandelt werden können. […]
Bezüglich der medizinischen Versorgung in Algerien ergeben sich die Feststellungen aus Beschreibungen, wie sie in [der] Asylgerichtshofentscheidung (AsylGH 12.12.2011 A5 243502-3/2008) auf Länderberichtsbasis angeführt sind, die keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit ergeben."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten insbesondere auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass sich der belangte UVS Wien unzureichend mit der medizinischen Versorgungslage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe.
4. Das Verwaltungsgericht Wien legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der belangten Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:
Der Verfassungsgerichtshof judizierte bereits in VfSlg 9293/1981, dass es unzulässig ist, wenn eine Behörde ihre Entscheidung nur dadurch begründet, dass sie auf die Begründung einer anderen Entscheidung verweist, insbesondere dann, wenn jene der gegenständlichen Entscheidung nicht beigelegt wird und auch nicht auf anderem Wege an den Beschwerdeführer ergangen ist. Dem bloßen Verweis auf eine andere Entscheidung kommt jedenfalls kein Begründungswert zu.
Hinsichtlich der in den Erwägungen des angefochtenen Bescheides enthaltenen Aussagen des UVS Wien zur medizinischen Versorgung in Algerien fällt auf, dass lediglich auf ein früheres Judikat des Asylgerichtshofes (AsylGH 12.12.2011, A5 243502-3/2008) und dessen Länderfeststellungen verwiesen wird; daraus folgt, dass der UVS Wien Quellen für den "Länderbericht" verwendete, die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits mehrere Jahre alt waren (vgl. auch VfSlg 18.861/2009 sowie VfGH 13.3.2013, U2313/12). Dadurch hat er den angefochtenen Bescheid mit Willkür belastet.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot, BescheidbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B130.2014Zuletzt aktualisiert am
29.10.2014