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72/01 HochschulorganisationNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit der in der Zulassungsverordnung des Rektorats der Medizinischen Universität Wien geregelten genderspezifischen Auswertung des Eignungstests für das Medizinstudium im Zulassungsverfahren für das Studienjahr 2012/2013; ausreichende Determinierung der gesetzlichen Ermächtigung an das Rektorat zur Verordnungserlassung; sachliche Rechtfertigung der von vornherein für eine begrenzte Übergangskonstellation angeordneten, je nach Geschlecht der Kandidaten unterschiedlichen Bewertung angesichts der signifikanten Geschlechterunterschiede bei früheren TestergebnissenRechtssatz
§10 Abs1 der Verordnung des Rektorats der Medizinischen Universität Wien über die Zulassungsbeschränkung zu den Diplomstudien Human- und Zahnmedizin, Mitteilungsblatt der Medizinischen Universität Wien, 10.03.2010, 10. Stück, Nr 15, idF Mitteilungsblatt der Medizinischen Universität Wien, 24.10.2012, 2. Stück, Nr 2, war nicht verfassungswidrig.
Die in der Zulassungsverordnung geregelte Beschränkung der Zulassung zum Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität Wien in Form eines vor der Zulassung zu absolvierenden Eignungstests für das Medizinstudium (EMS) hat ihre Grundlage in §124b Abs1 iVm Abs5 UniversitätsG 2002 (UG 2002) und ist weiters durch die Regelung des §13 UG 2002 und die auf dieser Bestimmung beruhende Leistungsvereinbarung zwischen der Medizinischen Universität Wien und dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung determiniert.
Dass der Gesetzgeber in §124b Abs1 UniversitätsG 2002 (UG 2002) dem verordnungsgebenden Rektorat zwei Modelle der Zugangsregelung - Aufnahmeverfahren vor der Zulassung oder Auswahl der Studierenden bis längstens zwei Semester nach der Zulassung - zur Auswahl stellt und ausgehend von der Kapazitätsfestlegung gemäß §13 Abs2 litk UG 2002 iVm der Leistungsvereinbarung zwischen dem Bund und der Medizinischen Universität Wien die nähere Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens dem Verordnungsgeber überlässt, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gesetzliche Maßnahmen, die eine nachgewiesene strukturelle Ungleichheit von Männern und Frauen tatsächlich ausgleichen sollen, können als rechtliche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, auch wenn sie mit dem Geschlecht an einem persönlichen Merkmal anknüpfen, von dem es Art7 Abs1 Satz 2 B-VG ansonsten ausschließt, dass es Vorrechte begründet (Art7 Abs2 B-VG lässt also rechtliche Ungleichheit zwischen Mann und Frau zur Herstellung tatsächlicher Gleichheit zwischen den Geschlechtern in bestimmter Hinsicht zu). Auch solche Maßnahmen müssen aber ihrerseits die Grenzen der sachlichen Rechtfertigung beachten, dürfen also insbesondere nicht ungeeignete oder in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht erforderliche oder unverhältnismäßige Mittel vorsehen.
Der VfGH geht mit dem Rektorat der Medizinischen Universität Wien davon aus, dass im Zusammenhang mit der Einführung und Durchführung des EMS angestellte Begleitstudien belegt haben, dass der Umstand, dass in der Vergangenheit Kandidatinnen beim EMS statistisch nachweisbar systematisch schlechter abgeschnitten haben als Männer, unter anderem mit der vorausgehenden Schulbildung (wobei auf Grund des konkreten Inhalts des EMS insbesondere der mathematisch-naturwissenschaftliche schulische Leistungsbereich relevant ist, in dem Geschlechterunterschiede nach wie vor faktisch bestehen) und mit unterschiedlichen Strategien von Männern und Frauen bei der Lösung von Prüfungsaufgaben zusammenhängen dürften.
Auch wenn (infolge begleitender Informationsmaßnahmen und Optimierungen der tatsächlichen Testdurchführung) die Differenz zwischen Männern und Frauen bei den Testergebnissen 2011 im Vergleich zu Vorjahren geringer war, weist der in den vom Verordnungsgeber vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene Testbericht, etwa verglichen mit dem am selben Tag in der Schweiz durchgeführten EMS, nach wie vor signifikante Geschlechterunterschiede bei den Testergebnissen aus.
Insbesondere auch vor dem Hintergrund dieser Auswertungsergebnisse und um die Testverfahren an den drei Medizinischen Universitäten Österreichs zu vereinheitlichen, wurde in der Folge von der Medizinischen Universität Wien gemeinsam mit den beiden anderen österreichischen Medizinischen Universitäten damit begonnen, einen neuen, eigenen Aufnahmetest zu entwickeln.
Der Verordnungsgeber hat die genderspezifische Auswertung des EMS punktuell für das Studienjahr 2012/2013 eingeführt. Die Entwicklung des neuen "Aufnahmetests Humanmedizin-MedAT-H" war dabei bereits im Gange und der Einsatz dieses Tests als für alle drei Medizinischen Universitäten gemeinsame Zugangsbeschränkung vor Zulassung iSd §124b Abs1 UG für das darauffolgende Studienjahr bereits vereinbart. Der Verordnungsgeber hat daher mit der in Prüfung gezogenen Bestimmung eine je nach Geschlecht der Kandidaten unterschiedliche Bewertung individueller Eignung und Fähigkeiten für die Zulassung zum Studium der Humanmedizin für eine von vorneherein begrenzte Übergangskonstellation angeordnet, wobei auch empirisch erprobt war, dass andere Begleitmaßnahmen nicht dazu geführt haben, dass die Geschlechterunterschiede bei den Testergebnissen des EMS im Wesentlichen beseitigt werden konnten. Angesichts dessen erweist sich die in §10 Abs1 der Zulassungsverordnung angeordnete genderspezifische Auswertung des EMS im Zulassungsverfahren für das Studienjahr 2012/2013 als verhältnismäßige Maßnahme iSd Art7 Abs2 B-VG, um eine (weitere) strukturelle Benachteiligung von Frauen bei der Anwendung des EMS zu vermeiden.
(Anlassfall B530/2013, E v 27.09.2014, Abweisung der Beschwerde).
Schlagworte
Hochschulen, Determinierungsgebot, Gleichheit Frau - Mann, geschlechtsspezifische DifferenzierungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:V5.2014Zuletzt aktualisiert am
10.03.2016