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90/01 StraßenverkehrsrechtNorm
StVO 1960 §43 Abs1 litb Z1, §52 lita Z13bLeitsatz
Gesetzwidrigkeit eines Halte- und Parkverbots in Leonding mangels ausreichenden Ermittlungsverfahrens und ausreichender InteressensabwägungSpruch
I. Punkt I. der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding vom 26. November 2009, Z 5-2894-120/2-2009-Spel, wonach "im Kreuzungsbereich der Daffingerstraße, Böcklingasse und des Erlbachweges – laut dem angeschlossenen Lageplan, der einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bildet – [wird] eine Beschränkung für Halten und Parken gemäß §52 lita Ziff. 13b StVO 1960, BGBl Nr 159, i.d.g.F. mit den Zusatztafeln 'Anfang' und 'Ende' verordnet" wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Oberösterreich verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B221/2013 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Über den Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 5. Oktober 2011 gemäß §99 Abs3 lita Straßenverkehrsordnung 1960 (im Folgenden: StVO) eine Verwaltungsstrafe in Höhe von € 21,– (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt, weil er am 15. September 2010 im Gemeindegebiet von Leonding, Gemeindestraße Ortsgebiet, Daffingerstraße, Buschenschank, im Bereich des Vorschriftszeichens "Halten und Parken verboten" gehalten hat. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS Oberösterreich) vom 10. Jänner 2013 im Hinblick auf die Schuld keine Folge gegeben. Im Hinblick auf die Strafe wurde der Berufung insofern teilweise Folge gegeben, als die Geldstrafe auf € 15,– und die Ersatzfreiheitsstrafe auf sieben Stunden herabgesetzt wurde.
2. Bei Behandlung der zur Zahl B221/2013 protokollierten Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Punktes I. der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding vom 26. November 2009, Z 5-2894-120/2-2009-Spel, wonach "im Kreuzungsbereich der Daffingerstraße, Böcklingasse und des Erlbachweges – laut dem angeschlossenen Lageplan, der einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bildet – [wird] eine Beschränkung für Halten und Parken gemäß §52 lita Ziff. 13b StVO 1960, BGBl Nr 159, i.d.g.F. mit den Zusatztafeln 'Anfang' und 'Ende' verordnet" wird, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 20. Februar 2014 beschlossen, die genannte Bestimmung von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens veranlasst haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"[…] §43 Abs1 litb Z1 StVO sieht die Erlassung dauernder oder vorübergehender Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung vor, wenn und soweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.
[…] Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer verkehrsbeschränkenden Verordnung die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. zB VfSlg 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. zB VfSlg 12.485/1990, 16.805/2003, 17.572/2005). Die Gefahrensituation muss sich für die betreffende Straße deutlich von der allgemeinen, für den Straßenverkehr typischen Gefahrenlage unterscheiden (vgl. zB VfSlg 14.000/1994). Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl. VfSlg 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht somit in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche ein Halte- und Parkverbot in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung eines Halte- und Parkverbotes gebieten.
[…] Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hegt der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding vom 26. November 2009 insofern Zweifel ob deren Rechtmäßigkeit, als diese erlassen worden sein dürfte, obwohl die Erforderlichkeit der Verkehrsbeschränkung nicht in einem ausreichenden Ermittlungsverfahren im Sinn des §43 StVO festgestellt und keine ausreichende Interessenabwägung im Sinn dieser Bestimmung durchgeführt worden sein dürfte.
Aus dem Verordnungsakt geht lediglich hervor, dass die Arbeiterkammer Oberösterreich und die Wirtschaftskammer Oberösterreich anhand von zwei Schreiben der Abteilung 5, Bau-, Umweltrecht und Raumordnung vom 23. Oktober 2009 im Auftrag des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding dazu aufgefordert wurden, zu der Absicht der Stadtgemeinde Leonding, im Kreuzungsbereich der Daffingerstraße, Böcklingasse und des Erlbachweges ein Halte- und Parkverbot zu verordnen, Stellung zu nehmen. Die Arbeiterkammer Oberösterreich teilte daraufhin mit Schreiben vom 6. November 2009 mit, dass von ihrer Seite gegen die in Rede stehende Verordnung keine Einwände bestünden. In einem Aktenvermerk vom 5. Jänner 2010 wird festgehalten, dass das gegenständliche Halte- und Parkverbot verordnet worden sei, um im Kreuzungsbereich Daffingerstraße, Böcklingasse, Erlbachweg (Gastronomiebetrieb Buschenschank) einen reibungslosen Verkehrsfluss sicherstellen zu können. Der Buschenschank stünden in kurzer Entfernung ausreichend Parkplätze zur Verfügung, die seinerzeit seitens der Stadtgemeinde Leonding für diesen Betrieb errichtet worden seien. Weitere Unterlagen über die Entstehung der Verordnung finden sich im Verordnungsakt nicht.
So enthält der Verordnungsakt keine Unterlagen über – laut der Äußerung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding zur Verifizierung entsprechender Beschwerden vorgenommene – Ortsaugenscheine betreffend die Parksituation um die Buschenschank. Auch finden sich im Verordnungsakt weder Hinweise auf die Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens noch Anhaltspunkte dafür, dass die in Punkt I.5. näher dargestellte Abwägung des Interesses an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an einer ungehinderten Benützung der Straße vor Verordnungserlassung vorgenommen wurde. Schließlich dürften auch die beabsichtigten Auswirkungen der Verordnung auf die Verkehrs- und die Parkplatzsituation im Bereich der Buschenschank erst nach der Verordnungserlassung im Aktenvermerk vom 5. Jänner 2010 festgehalten worden sein.
Wie bereits in Punkt III.2.2. ausgeführt, geht der Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass Ermittlungsverfahren und Interessenabwägung jedenfalls vor Erlassung einer Verordnung durchzuführen sind, weil in die Grundlage der Entscheidung des Verordnungsgebers ein vollständiges Bild über die Tatsachenlage und die Artikulation bestimmter Interessen einfließen können soll. Eine nachträglich vorgenommene Rechtfertigung – etwa in der oben erwähnten Äußerung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding – vermag die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung nicht zu beseitigen (vgl. VfSlg 18.401/2008)."
4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verwies auf die Gegenschrift des UVS Oberösterreich im zur Zahl B221/2013 anhängigen Beschwerdeverfahren.
5. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Leonding als verordnungserlassende Behörde erstattete eine Äußerung, in der er vorbringt, dass sämtliche am Zustandekommen der Verordnung beteiligte Personen über ausgezeichnete Ortskenntnisse verfügen würden. "Die Problematik" sei im Vorfeld mit Organen der Polizei erörtert und seien die erforderlichen Abwägungen im Vorfeld der Verordnungserlassung durchgeführt worden. Das Ergebnis sei sachgerecht und zweckmäßig und stelle einen Ausfluss der im Vorfeld angestellten lnteressenabwägung und Erhebungen dar. Eingeräumt werde jedoch, dass die erforderlichen Prozesse, die zur Erlassung der Verordnung geführt hätten, nicht "in der erforderlichen Tiefe" dokumentiert wurden. Es werde jedoch ausdrücklich bestritten, dass die entsprechenden Überlegungen und lnteressenabwägungen nicht stattgefunden haben.
II. Rechtslage
1. §43 StVO 1960, BGBl 159/1960 idF BGBl I 52/2005 (diese Fassung galt im Zeitpunkt der Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnung), lautete auszugsweise:
"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
(a) […]
(b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
2. […]
(c) – (d) […]
(1a) – (11) […]"
2. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding vom 26. November 2009 lautet (der in Prüfung gezogene Teil der Verordnung ist hervorgehoben):
"VERORDNUNG
Gemäß §43 Abs1 litb Ziff. 1 i.V.m. §94 d Ziff. 4 StVO 1960, BGBl Nr 159, i.d.g.F. sowie §40 Abs2 Z4 und §43 Abs2 OÖ. GemO 1990 i.d.g.F. – Übertragungsverordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Leonding vom 16.12.1983, GZ.: 003-2-926-1983 St – wird nachstehende unbefristete Verkehrsanordnung getroffen:
I.
Im Kreuzungsbereich der Daffingerstraße, Böcklingasse und des Erlbachweges – laut dem angeschlossenen Lageplan, der einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bildet – wird eine Beschränkung für Halten und Parken gemäß §52 lita Ziff. 13b StVO 1960, BGBl Nr 159, i.d.g.F. mit den Zusatztafeln 'Anfang' und 'Ende' verordnet.
II.
Die Kundmachung der Verordnung erfolgt gemäß §44 Abs1 StVO 1960, BGBl Nr 159, i.d.g.F. durch die Anbringung der Vorschriftszeichen 'Halten und Parken verboten' gemäß §52 lita Ziff. 13b StVO 1960 mit den Zusatztafeln 'Anfang' und 'Ende' und tritt mit deren Anbringung in Kraft.
Der Bürgermeister:
[…]"
Die Verordnung wurde durch das Anbringen entsprechender Verkehrszeichen am 21. Dezember 2009 kundgemacht.
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Das Verordnungsprüfungsverfahren hat nicht ergeben, dass die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes in seinem Prüfungsbeschluss, dass er die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden habe, unzutreffend wäre. Es ist auch sonst nichts hervorgekommen, das an der Zulässigkeit der Beschwerde im Anlassverfahren und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.
2. In der Sache
2.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer verkehrsbeschränkenden Verordnung die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. zB VfSlg 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993).
2.2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss dargelegten Auffassung, dass die Erforderlichkeit der durch die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding vom 26. November 2009 bewirkten Verkehrsbeschränkung nicht in einem ausreichenden Ermittlungsverfahren im Sinn des §43 StVO festgestellt und keine ausreichende Interessenabwägung im Sinn dieser Bestimmung durchgeführt worden ist.
2.3. Die gemäß §43 StVO gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. zB VfSlg 12.485/1990, 16.805/2003, 17.572/2005). Die Gefahrensituation muss sich für die betreffende Straße deutlich von der allgemeinen, für den Straßenverkehr typischen Gefahrenlage unterscheiden (vgl. zB VfSlg 14.000/1994). Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl. VfSlg 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht somit in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche ein Halte- und Parkverbot in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung eines Halte- und Parkverbotes gebieten.
2.4. Ausgehend vom Prüfungsbeschluss ist festzuhalten, dass aus dem Verordnungsakt lediglich hervorgeht, dass die Arbeiterkammer Oberösterreich und die Wirtschaftskammer Oberösterreich im Auftrag des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding aufgefordert wurden, zu der Absicht der Stadtgemeinde Leonding, im Kreuzungsbereich der Daffingerstraße, Böcklingasse und des Erlbachweges ein Halte- und Parkverbot zu verordnen, Stellung zu nehmen. Die Arbeiterkammer Oberösterreich teilte daraufhin mit Schreiben vom 6. November 2009 mit, dass von ihrer Seite gegen die in Rede stehende Verordnung keine Einwände bestünden. In einem Aktenvermerk vom 5. Jänner 2010 wird festgehalten, dass das Halte- und Parkverbot verordnet worden sei, um im Kreuzungsbereich Daffingerstraße, Böcklingasse, Erlbachweg (Gastronomiebetrieb Buschenschank) einen reibungslosen Verkehrsfluss sicherstellen zu können. Der Buschenschank stünden in kurzer Entfernung ausreichend Parkplätze zur Verfügung, die seinerzeit seitens der Stadtgemeinde Leonding für diesen Betrieb errichtet worden seien. Weitere Unterlagen über das Verordnungserlassungsverfahren sind nicht vorhanden.
So enthält der Verordnungsakt keinen Hinweis auf durchgeführte Ortsaugenscheine. Auch gibt es weder Hinweise auf die Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens noch Anhaltspunkte dafür, dass die vom Bürgermeister der Stadtgemeinde Leonding behauptete Abwägung des Interesses an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an einer ungehinderten Benützung der Straße vor Verordnungserlassung vorgenommen wurde. Schließlich dürften auch die beabsichtigten Auswirkungen der Verordnung auf die Verkehrs- und die Parkplatzsituation im Bereich der Buschenschank erst nach der Verordnungserlassung im Aktenvermerk vom 5. Jänner 2010 festgehalten worden sein.
2.5. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass Ermittlungsverfahren und Interessenabwägung jedenfalls vor Erlassung einer Verordnung durchzuführen sind, weil in die Grundlage der Entscheidung des Verordnungsgebers ein vollständiges Bild über die Tatsachenlage und die Artikulation bestimmter Interessen einfließen können soll. Eine nachträglich vorgenommene Rechtfertigung – etwa in der im Rahmen des zur Zahl B221/2013 anhängigen Beschwerdeverfahrens erstatteten Äußerung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding – vermag die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung nicht zu beseitigen (vgl. VfSlg 18.401/2008). Ebensowenig vermag das "ausdrückliche Bestreiten" des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding, dass "die entsprechenden Überlegungen und Interessensabwägungen nicht stattgefunden haben", daran etwas zu ändern.
IV. Ergebnis
1. Die in Prüfung gezogene Bestimmung erweist sich daher vor dem Hintergrund der bereits im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken aus dem Grund als gesetzwidrig, weil die Erforderlichkeit der durch diese Bestimmung bewirkten Verkehrsbeschränkung weder in einem ausreichenden Ermittlungsverfahren festgestellt noch eine ausreichende Interessenabwägung durchgeführt wurde.
2. Da die als gesetzwidrig erkannte Bestimmung weiterhin in Geltung steht, ist mit der Aufhebung gemäß Art139 Abs3 B-VG vorzugehen.
3. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z4 Oö. Kundmachungsgesetz.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Halte(Park-)verbot, Verordnungserlassung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:V38.2014Zuletzt aktualisiert am
22.10.2014