Index
55/01 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art140 Abs1 / PrüfungsumfangLeitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des AMA-Gesetzes über die Möglichkeit der Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen bei nicht ordnungsgemäßer Entrichtung von Agrarmarketingbeiträgen mangels Überprüfbarkeit dieser strafrechtlichen Sanktion durch ein Tribunal im Sinne der EMRKSpruch
I. §21g Abs3 des Bundesgesetzes über die Errichtung der Marktordnungsstelle "Agrarmarkt Austria" (AMA-Gesetz 1992), BGBl Nr 376 in der Fassung BGBl I Nr 55/2007, war bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 verfassungswidrig.
II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zahlen B1170-1172/2010, B235/2012, B968/2013 und B281/2014 auf Art144 B-VG gestützte Beschwerden anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Mit Bescheiden des Vorstands für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria wurden den beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170-1172/2010 jeweils für das Inverkehrbringen von Wein Agrarmarketingbeiträge bzw. Erhöhungsbeiträge (zu B1170/2010 insgesamt in Höhe von € 44.633,20 bzw. € 6.243,73; zu B1171/2010 in Höhe von € 19.939,72 bzw. € 3.987,94; zu B1172/2010 in Höhe von € 5.309,45 bzw. € 1.061,89) gemäß §§21a ff. des Bundesgesetzes über die Errichtung der Marktordnungsstelle "Agrarmarkt Austria" (AMA-Gesetz 1992), BGBl 376 in unterschiedlichen Fassungen, vorgeschrieben.
Die von den beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170-1172/2010 gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wies der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (in der Folge: BMLFUW) mit Bescheiden vom jeweils 13. Juli 2010 gemäß §289 Abs2 BAO iVm §§21c Abs1 Z9 und Abs2, 21d Abs3 und 21e Abs1 Z9 sowie 21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 2/2008 ab.
In den gegen die Bescheide des BMLFUW vom jeweils 13. Juli 2010 erhobenen, zu B1170-1172/2010 protokollierten, auf Art144 B-VG gestützten und im Wesentlichen gleichlautenden Beschwerden wird jeweils die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG, auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG, auf Freiheit der Berufswahl gemäß Art18 StGG sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt. Begründend wird in den Beschwerden zur Festsetzung von Erhöhungsbeiträgen gemäß §21g AMAGesetz 1992 – unter wörtlicher Wiedergabe eines hiezu erstellten Rechtsgutachtens – im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kombination aus Sanktionszweck und Sanktionshöhe eine strafrechtliche Anklage im Sinne des Art6 EMRK bewirke, über die ein Tribunal zu entscheiden habe.
1.2. Der beschwerdeführenden Gesellschaft zu B235/2012 wurde mit Bescheid des Vorstands für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria vom 21. Oktober 2011 für die Schlachtung von Schweinen in einem bestimmten Zeitraum gemäß §§21a ff. AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 2/2008 ein Agrarmarketingbeitrag bzw. ein Erhöhungsbeitrag in Höhe von € 12.250,50 bzw. € 1.225,05 vorgeschrieben.
Die von der beschwerdeführenden Gesellschaft zu B235/2012 gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des BMLFUW vom 17. Jänner 2012 gemäß §289 Abs2 BAO iVm §§21a ff. AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 2/2008 und §4 der Verordnung des Verwaltungsrates der Agrarmarkt Austria über die Aufbringung von Beiträgen zur Förderung des Agrarmarketings, Verlautbarungsblatt 8/2007 (Punkt 12), abgewiesen.
In der gegen den abweisenden Bescheid des BMLFUW vom 17. Jänner 2012 erhobenen, ebenfalls auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde (protokolliert zu B235/2012) wird die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen, gegen die Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG, auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 Abs1 StGG verstoßenden Gesetzes, nämlich mehrerer näher bezeichneter Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
1.3. Dem Beschwerdeführer zu B968/2013 wurden mit Bescheid des Vorstands für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria vom 2. Dezember 2011 Agrarmarketingbeiträge für die Erzeugung von Obst, Gemüse und Kartoffeln für das Beitragsjahr 2010 in der Höhe von € 1.488,46 sowie für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen für das Beitragsjahr 2011 in der Höhe von € 954,25 vorgeschrieben; zusätzlich wurde mit diesem Bescheid ein Erhöhungsbeitrag in Höhe von € 732,81 festgesetzt. Mit Bescheid derselben Behörde vom 31. August 2012 wurden dem Beschwerdeführer Agrarmarketingbeiträge für die Erzeugung von Obst, Gemüse und Kartoffeln für das Beitragsjahr 2011 in der Höhe von € 1.379,46 sowie für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen für das Beitragsjahr 2012 in der Höhe von € 1.295,25 vorgeschrieben. Demselben Beschwerdeführer (in diesem Fall zu B281/2014) wurden mit Bescheid vom 5. September 2013 Agrarmarketingbeiträge für die Erzeugung von Obst, Gemüse und Kartoffeln für das Beitragsjahr 2012 in der Höhe von € 1.511,11 und für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen für das Beitragsjahr 2013 in der Höhe von € 1.546,60 sowie zusätzlich ein Erhöhungsbeitrag über € 917,31 vorgeschrieben.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden des BMLFUW vom 15. Juli 2013 und 13. Dezember 2013 gemäß §21a ff. AMA-Gesetz 1992 (idF BGBl I 2/2008 bzw. BGBl I 177/2013) iVm §§276 und 279 BAO abgewiesen.
In den zu B968/2013 bzw. B281/2014 protokollierten Verfahren macht der Beschwerdeführer in seinen gegen die Bescheide des BMLFUW vom 15. Juli 2013 bzw. 13. Dezember 2013 gerichteten und auf Art144 B-VG gestützten – im Wesentlichen gleichlautenden – Beschwerden jeweils die Verletzung in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen, gegen die Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG sowie auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG verstoßenden Gesetzes, nämlich mehrerer näher bezeichneter Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992, geltend und beantragt die Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
1.4. Der BMLFUW legte in den Verfahren zu B1170-1172/2010, B235/2012 und B968/2013 die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften, in denen er den Bedenken der beschwerdeführenden Gesellschaften bzw. des Beschwerdeführers entgegentritt und beantragt, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen. Im Verfahren zu B281/2014 legte das – gemäß Art151 Abs51 Z9 B-VG mit 1. Jänner 2014 an die Stelle der den angefochtenen Bescheid erlassenden Behörde getretene – Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
2. Bei der Behandlung dieser Beschwerden sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992, BGBl 376 idF BGBl I 55/2007, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 23. Juni 2014 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"2.1. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden den Beschwerdeführern Erhöhungsbeiträge gemäß §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 vorgeschrieben.
2.2. Gemäß Art6 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat, gehört wird (s. hiezu auch VfSlg 7608/1975, 12.162/1989 ua.).
In seinem Urteil vom 17. April 2012, Fall Steininger, Appl. 21.539/07, newsletter 2012, 126, sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass Erhöhungsbeiträge iSd §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 108/2001 strafrechtlicher Natur seien, weshalb der Zugang zu einem Tribunal iSd Art6 Abs1 EMRK erforderlich sei; 'die (bloß) nachprüfende Kontrolle' des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes sei – auch iSd Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes (VfSlg 11.506/1987) – bei einem solchen strafrechtlichen Verfahren nicht ausreichend (Rz 56 - 58) – vgl. hiezu auch EGMR 4.4.2013, Fall Kloiber, Appl. 21.565/07, newsletter 2013, 117.
Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in diesen Fällen zu beurteilende Fassung des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 (BGBl I 108/2001) weicht von der den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Fassung der genannten Bestimmung (BGBl I 55/2007) lediglich hinsichtlich des letzten Satzteiles des letzten Satzes betreffend die Vorgehensweise bei verspäteter Entrichtung der AMA-Beiträge ab, betrifft jedoch nicht die in beiden Fassungen wortgleich vorgesehene Möglichkeit der Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen bis zum Zweifachen des Beitrags.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich gehalten, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu folgen und geht vorläufig davon aus, dass bis zum 1. Jänner 2014, mit dem die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle (BGBl I 51/2012) in Kraft trat, die Rechtsordnung für die vorliegenden Verfahren keine dem Art6 Abs1 EMRK genügende Instanz vorgesehen hat. Weder dürfte es sich beim Vorstand gemäß §5 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 108/2001 noch beim im Instanzenzug anrufbaren BMLFUW um ein Tribunal iSd Art6 EMRK handeln; dem nach diesen Instanzen anrufbaren Verwaltungsgerichtshof dürfte lediglich eine – iSd o.a. Judikatur des Verfassungsgerichtshofes bzw. des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für Sanktionen strafrechtlichen Charakters nicht ausreichende – nachprüfende Kontrolle zukommen.
Das im Hinblick auf die Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen bestehende System des AMA-Gesetzes 1992 idF vor den Novellen BGBl I 51/2012 bzw. BGBl I 177/2013 dürfte daher den dargelegten Anforderungen nicht genügt haben, wobei der Sitz dieser Verfassungswidrigkeit im in Prüfung gezogenen §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 gelegen haben dürfte."
4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle das Verfahren einstellen, in eventu aussprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben werde.
4.1. Zur Frage der Zulässigkeit führt die Bundesregierung insbesondere Folgendes aus:
"Für die Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung sprechen würden.
Die Bundesregierung ist jedoch der Ansicht, dass der Gegenstand des Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Hintergrund der mit Art6 Abs1 EMRK begründeten Bedenken unzutreffend ab[ge]grenzt erscheint und daher das Verfahren gemäß Art140 B-VG einzustellen wäre (vgl. aus der Literatur zB Rohregger, in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Art140 Rz. 213 ff. mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung). Wenn die – bis zum Inkrafttreten der Regelungen über die zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit mit 1. Jänner 2014 – fehlende Zuständigkeit eines Tribunals im Sinne des Art6 Abs1 EMRK zur Entscheidung über den Erhöhungsbeitrag gemäß §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten begründet, so liegt der Sitz der Verfassungswidrigkeit eher in den Regelungen der Zuständigkeit (§21i Abs2 AMA-Gesetz 1992 in der Fassung vor dem BGBl I Nr 177/2013), als in den (materiellen) Bestimmungen über den Erhöhungsbeitrag (näher dazu auch noch unten). Eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung würde daher mehr aus dem Rechtsbestand ausscheiden als zur Beseitigung der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit erforderlich erscheint, zumal die aufgezeigten Bedenken sich auch nur mehr bei in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten realisieren könnten. Der Verfassungsgerichtshof hat unter mehreren als Anfechtungsgegenstand in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen jene zu wählen, bei deren Aufhebung das Ausmaß der inhaltlichen Änderung der verbleibenden Regelung am geringsten gehalten wird (vgl. wiederum Rohregger aaO, Rz 214 mit weiteren Nachweisen). Bei Aufhebung des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 entfiele die gesamte Bestimmung über Erhöhungsbeiträge mit Wirkungen auch für Fälle, in denen bereits das Bundesverwaltungsgericht zuständig wäre. Bei einem Ausspruch, dass §21i Abs2 AMA-Gesetz 1992 in der Fassung vor dem BGBl I Nr 177/2013 verfassungswidrig war, würde hingegen das Verfahren nach Aufhebung der Bescheide, die den Anlassfall für das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren bilden, vor dem Bundesverwaltungsgericht (somit vor einem Tribunal im Sinne des Art6 EMRK) fortgesetzt.
Da die zitierte Bestimmung über die Zuständigkeit nicht in Prüfung gezogen worden ist, geht die Bundesregierung vom Fehlen der Prozessvoraussetzungen aus. Sollte der Verfassungsgerichtshof hingegen diesen Gesichtspunkt des Sitzes der Verfassungswidrigkeit erst im Rahmen der meritorischen Prüfung aufgreifen, wird beantragt auszusprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird."
4.2. Den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung tritt die Bundesregierung wie folgt entgegen:
"Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I Nr 55/2007 nicht wegen eines möglichen Verstoßes gegen Art6 EMRK verfassungswidrig ist. Erst dadurch, dass in den Beschwerdefällen vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft als Berufungsbehörde über die Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen entschieden wurde und keine nachprüfende Kontrolle durch eine Einrichtung mit Tribunalqualität vorgesehen war, ist ein Verstoß gegen Art6 EMRK von der auch im Prüfungsbeschluss, Rz. 28, zitierten Rechtsprechung des EGMR in den Fällen Steini[n]ger bzw. Kloiber erkannt worden.
Die Auffassung, dass der in Prüfung gezogene §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I Nr 55/2007 nicht verfassungswidrig ist, ergibt sich auch aus folgender Überlegung:
Seit 1. Jänner 2014 hat das Bundesverwaltungsgericht über Berufungen/Beschwerden zu entscheiden, die gegen die Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen in Bescheiden der AMA erhoben wurden (vgl. §21i Abs2 des AMA-Gesetzes 1992 idF BGBl I Nr 177/2013; für bereits beim Bundesminister anhängige Fälle vgl. Art151 Abs51 Z8 B-VG). Unabhängig davon, ob der in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beschwerdegegenständliche Zeitraum, für den der Erhöhungsbeitrag vorgeschrieben wurde, vor dem 1. Jänner 2014 oder nach dem 1. Jänner 2014 liegt und auch unabhängig davon, ob der Erhöhungsbeitrag vor oder nach dem 1. Jänner 2014 vorgeschrieben wurde, liegt in derartigen Fällen kein Verstoß gegen Art6 EMRK vor, da das Bundesverwaltungsgericht die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Kriterien der Entscheidung durch ein Tribunal erfüllt (vgl. etwa Berka, Verfassungsrecht, 5. Auflage, Rz. 1596 ff.).
Eine vor dem 1. Jänner 2014 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Höhe erfolgte Entrichtung ('Nichtentrichtung') des Marketingbeitrags kann jedoch nicht anders gesehen werden als eine Nichtentrichtung des Marketingbeitrags nach dem 1. Jänner 2014, da sich am gesetzlichen Tatbild bzw. der Vorwerfbarkeit der Nichtentrichtung in diesen Zeiträumen nichts geändert hat.
Die Verfassungswidrigkeit ist somit nicht in §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I Nr 55/2007 begründet. Die Bundesregierung ist vielmehr der Auffassung, dass 'lediglich' bei den Bescheiden, mit denen der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft als Berufungsbehörde über die Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen entschieden hat, wegen Verstoßes gegen Art6 EMRK eine Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht vorliegen kann.
Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass §21g Abs3 des AMA-Gesetzes 1992, BGBl Nr 376/1992, in der Fassung des Agrarrechtsänderungsgesetzes 2007, BGBl I Nr 55/2007, nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."
4.3. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten bestimmen. Diese Frist sei erforderlich, weil auf Grund der Kompetenzdeckungsklausel in §1 AMA-Gesetz 1992 von einer längeren Dauer des Gesetzgebungsverfahrens (Notwendigkeit einer Verfassungsmehrheit) auszugehen sei. Eine Ersatzregelung erscheine notwendig, weil ohne eine dem §21g Abs3 AMA-G 1992 idF BGBl I 55/2007 entsprechende Bestimmung, die Erhöhungsbeiträge bei Nichtentrichtung des vorgeschriebenen Beitrages vorsehe, die Effektivität der Beitragsentrichtung in Frage gestellt wäre.
5. Die im Anlassfall zu B235/2012 beschwerdeführende Gesellschaft erstattete eine Äußerung, in der sie die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken als zutreffend erachtet und beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Bestimmung des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 und weiters auch §21a Abs1 Z5 und Abs2, §21c Abs1 Z3 und Abs2, §21d Abs1 und Abs2 Z5, §21e Abs1 Z3, §21f Abs1 Z3 und Abs2, §21g Abs1 und 2, §21h Abs1 Z5, §21i Abs1 sowie §21j Abs1 und 2 leg.cit. als verfassungswidrig aufheben.
II. Rechtslage
Die in den vorliegenden Fällen maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. Der zweite Abschnitt des AMA-Gesetzes 1992 regelt einen "Agrarmarketingbeitrag", der für die in §21a Abs1 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 näher genannten Zwecke, etwa zur Förderung und Sicherung des Absatzes von land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen und daraus hergestellten Erzeugnissen (Z1), zur Erschließung und Pflege von Märkten für diese Erzeugnisse im In- und Ausland (Z2), zur Verbesserung des Vertriebs dieser Erzeugnisse (Z3), und ähnliche Maßnahmen des Agrarmarketings, erhoben wird.
2. §21c Abs1 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 legt hinsichtlich des Beitragsgegenstandes Folgendes fest:
"Beitragsgegenstand
§21c. (1) Bei
1. Übernahme von Milch zum Versand oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung,
2. Vermahlung von Getreide im Rahmen einer Handelsvermahlung,
3. Schlachtung von Rindern, Kälbern, Schweinen, Lämmern, Schafen und Schlachtgeflügel,
4. Haltung von Legehennen zur Erzeugung von Hühnereiern,
5. Erzeugung von Gemüse und Obst,
6. Erzeugung von Kartoffeln (ausgenommen Kartoffeln zur Stärke- und Alkoholerzeugung),
7. Erzeugung oder Kultivierung von Gartenbauerzeugnissen,
8. Bewirtschaftung von Weingartenflächen,
9. erstmaligem Inverkehrbringen von Wein
ist nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen ein Beitrag zu entrichten.
(2) […]"
Die gemäß §43 Abs1 Z20 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 177/2013 mit 1. August 2013 in Kraft getretenen Z8 und 9 des §21c Abs1 AMA-Gesetz 1992 leg.cit. – die nur für das zu B281/2014 protokollierte Verfahren maßgeblich sind – lauten wie folgt:
"8. Ernte einer Traubenmenge pro Weinwirtschaftsjahr (1. August bis 31. Juli), die mehr als 3 000 l Wein entspricht,
9. Abfüllung und Verkauf von mehr als 3 000 l Wein in Behältnissen mit einem Inhalt bis zu 60 l sowie Verbringung oder Export von Wein in Behältnissen mit einem Inhalt über 60 l außerhalb des Bundesgebietes und"
In den Verfahren zu B1170-1172/2010 geht es um Beiträge für das erstmalige Inverkehrbringen von Wein gemäß §21c Abs1 Z9 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007, im Verfahren zu B235/2012 um einen Beitrag für die Schlachtung von Schweinen gemäß §21c Abs1 Z3 leg.cit. Im Verfahren zu B968/2013 geht es um Beiträge für die Erzeugung von Gemüse, Obst und Kartoffeln gemäß §21c Abs1 Z5 und 6 leg.cit. sowie um Beiträge für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen gemäß §21c Abs1 Z8 leg.cit. Schließlich behandelt das Verfahren zu B281/2014 Beiträge für die Erzeugung von Gemüse, Obst und Kartoffeln gemäß §21c Abs1 Z5 und 6 leg.cit. sowie für Vorgänge im Sinne des §21c Abs1 Z8 und 9 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 177/2013.
3. Die Höhe des Beitrages ergibt sich für die vorliegenden Fälle aus §21d AMAGesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 bzw. BGBl I 177/2013 und den darauf gestützten Verordnungen.
4. Die §§21f ff. AMA-Gesetz 1992 enthalten nähere Bestimmungen über die Entstehung der Beitragsschuld, über das Verfahren der Beitragsentrichtung sowie über Aufzeichnungspflichten von Beitragsschuldnern.
Der unter dem Titel "Beitragserklärung" stehende §21g AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 lautet (der in Prüfung gezogene Absatz ist hervorgehoben):
"Beitragserklärung
§21g. (1) Der Beitragsschuldner hat bis zu dem in §21f Abs2 oder 3 genannten Termin unter Verwendung eines hiefür von der AMA aufgelegten Vordrucks eine Beitragserklärung einzureichen, in der er in den Fällen des §21f Abs1 Z1 bis 3 den für den Vormonat zu entrichtenden Beitrag, in den Fällen des §21f Abs1 Z5 lita den für das laufende Jahr und in den Fällen des §21f Abs1 Z5 litb und c den für das Vorjahr und in den Fällen des §21f Abs1 Z4 und 6 den für die jeweils vorangehenden drei Monate zu entrichtenden Beitrag selbst zu berechnen hat.
(2) Wird der Beitrag vom Beitragsschuldner nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Höhe entrichtet, so hat die AMA den Beitrag mit Bescheid vorzuschreiben.
(3) Stellt die AMA fest, dass der Beitrag nicht oder nicht in der richtigen Höhe entrichtet wurde, kann sie eine Erhöhung bis zum Zweifachen des Beitrags vorschreiben. Bei der Festsetzung dieser Erhöhung ist zu berücksichtigen, inwieweit dem Beitragsschuldner bei Beachtung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes das Erkennen der Beitragsschuld zugemutet werden konnte und die Nichtentrichtung oder nicht richtige Entrichtung erstmalig oder wiederholt erfolgt ist. Bei verspäteter Entrichtung kann die AMA, soweit es im Einzelfall keine unbillige Härte bedeutet, Säumniszuschläge vorschreiben."
Mit der Novelle BGBl I 177/2013 wurde der erste Absatz des §21g AMA-Gesetz 1992 geändert und ein Absatz 1a hinzugefügt. Diese – laut §43 Abs1 Z20 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 177/2013 mit 1. August 2013 in Kraft getretenen und somit für das zu B281/2014 protokollierte Verfahren anzuwendenden – Absätze lauten wie folgt:
"(1) Der Beitragsschuldner hat bis zu dem sich aus §21f Abs2 oder 3 ergebenden Termin unter Verwendung eines hierfür von der AMA aufgelegten Vordrucks eine Beitragserklärung einzureichen, in der er in den Fällen
1. des §21f Abs1 Z1 bis 3 den für den Vormonat,
2. des §21f Abs1 Z5 lita und §21f Abs1 Z6 lita den für das laufende Kalender- bzw. Weinwirtschaftsjahr,
3. des §21f Abs1 Z4 den für die jeweils vorangehenden drei Monate und
4. des §21f Abs1 Z5 litb und §21f Abs1 Z6 litb den für das vorangegangene
Kalender- bzw. Weinwirtschaftsjahr zu entrichtenden Beitrag selbst zu berechnen hat.
(1a) Als Einreichung der Beitragserklärung im Sinne des Abs1 gelten im Falle
1. des §21f Abs1 Z6 lita die Ernte- und Erzeugungsmeldung sowie
2. des §21f Abs1 Z6 litb die Bestandsmeldung sowie die Begleitpapiere, die der AMA vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft in Form eines Online-Zugangs zur Weindatenbank zugänglich zu machen sind."
5. Der Beitrag ist von der Agrarmarkt Austria einzuheben. Die mit BGBl I 177/2013 novellierten Absätze 2 und 3 des §21i des AMA-Gesetzes 1992 (Abs2 sieht gegen Bescheide der Agrarmarkt Austria die Möglichkeit vor, eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben) traten gemäß §43 Abs1 Z21 leg.cit. erst mit 1. Jänner 2014 in Kraft und sind daher auf die vorliegenden Fälle nicht anzuwenden. Der auf die vorliegenden Fälle anzuwendende §21i AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 108/2001 sieht vor:
"Beitragserhebung
§21i. (1) Die Erhebung des Beitrags obliegt der AMA.
(2) Gegen Bescheide der AMA auf Grund dieses Abschnitts ist eine Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zulässig.
(3) Die AMA und der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft sind bei der Vollziehung dieses Abschnitts Abgabenbehörden im Sinne des §49 Abs1 BAO in der jeweils geltenden Fassung; weiters ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Oberbehörde bei Ausübung des Aufsichtsrechts.
(4) Die AMA ist berechtigt, im Interesse der Raschheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit fällige Beiträge unter Anwendung des §1438 ABGB aufzurechnen gegen von der AMA auszubezahlende Förderungen, die dem Beitragsschuldner gewährt werden, soweit nicht nach anderen Vorschriften eine Aufrechnung ausgeschlossen wird."
III. Erwägungen
1.1. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren wiederholt dargelegt, dass der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen ist, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).
1.3. Die Bundesregierung führt in ihrer Äußerung zur Frage der Zulässigkeit insbesondere aus, dass durch eine Aufhebung des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden würde, als zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit erforderlich scheine. Der Verfassungsgerichtshof habe bei mehreren als Anfechtungsgegenstand in Betracht kommenden Bestimmungen jene zu wählen, bei deren Aufhebung das Ausmaß der inhaltlichen Änderung der verbleibenden Regelung am geringsten gehalten werde. Bei Aufhebung des §21g Abs3 leg.cit. entfiele die gesamte Bestimmung über Erhöhungsbeiträge auch für jene Fälle, in denen bereits das Bundesverwaltungsgericht zuständig sei, wohingegen bei einem Ausspruch, dass §21i Abs2 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 108/2001 verfassungswidrig gewesen sei, die Verfahren nach Aufhebung der Bescheide, welche die Anlassfälle für das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren bilden würden, vor dem Bundesverwaltungsgericht und somit einem Tribunal im Sinne des Art6 EMRK fortgesetzt werden könnten.
1.4. Das Vorbringen der Bundesregierung, dass der Verfassungsgerichtshof den Anfechtungsumfang zu eng gewählt habe, weil er §21i AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 108/2001 nicht in Prüfung gezogen habe, trifft nicht zu:
Der Verfassungsgerichtshof hat Bedenken gegen die gesetzliche Regelung, wonach Erhöhungsbeiträge in einem Ausmaß, dass sie einer strafrechtlichen Sanktion entsprechen, verhängt werden können, ohne dass diese Entscheidungen von einem Tribunal im Sinne des Art6 EMRK mit voller Kognitionsbefugnis überprüft werden können. Diese Verfassungswidrigkeit kann sowohl durch die Beseitigung der die Sanktion vorsehenden Norm als auch durch die Aufhebung der den Instanzenzug regelnden Bestimmung, sofern dadurch ein Gericht mit voller Kognitionsbefugnis zuständig gemacht würde, bereinigt werden.
Welcher Weg im Einzelfall eher dem Aufhebungsumfang im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entspricht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Im vorliegenden Fall führte die Aufhebung der Zuständigkeitsbestimmung jedenfalls zu einem größeren Eingriff in die gesetzliche Regelung, weil davon nicht nur die Zuständigkeit in Verfahren über Erhöhungsbeiträge betroffen wäre, sondern auch alle anderen Verwaltungsverfahren mitumfasst wären. Im Übrigen wäre es nicht zulässig, den Anfechtungsumfang ausschließlich auf Grund der bereinigten Rechtslage an einer neuen, vom Gesetzgeber mittlerweile für die Zukunft (in einer Weise, die die angenommene Verfassungswidrigkeit beseitigt) veränderten Rechtslage zu messen.
1.5. Der Sitz der Verfassungswidrigkeit ist daher – wie im Prüfungsbeschluss vorläufig angenommen – in §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 gelegen.
2. Soweit die Bundesregierung in ihrer Äußerung zu den vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss im Hinblick auf Art6 EMRK dargelegten Bedenken festhält, dass die Verfassungswidrigkeit nicht in §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 begründet sei, wiederholt sie unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Bedenken ihre Ausführungen zur Zulässigkeit (s. Pkt. III.1.3.) des Prüfungsbeschlusses. Im vorliegenden Fall lässt sich die Frage des Sitzes der Verfassungswidrigkeit von den inhaltlichen Bedenken nicht trennen. Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner im Prüfungsbeschluss angenommenen Auffassung fest, wonach der Sitz der Verfassungswidrigkeit in §21g Abs3 leg.cit., der die Möglichkeit zur Vorschreibung von Erhöhungsbeiträgen – laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Strafen im Sinne des Art6 EMRK – vorsieht, gelegen ist und – da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen – das Verfahren zulässig ist.
3. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden.
Das AMA-Gesetz 1992 sah bis zum 1. Jänner 2014, mit dem die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I 51/2012) in Kraft trat, zur Entscheidung über die Berufung gegen erstinstanzliche Bescheide der Agrarmarkt Austria, mit denen Erhöhungsbeiträge gemäß §21g Abs3 leg.cit. vorgeschrieben wurden, kein Tribunal im Sinne des Art6 EMRK vor. Die in Prüfung gezogene Bestimmung widersprach daher – wie im Prüfungsbeschluss angenommen – Art6 Abs1 EMRK.
4. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich im Gegensatz zu den Ausführungen in der Äußerung der im Anlassfall zu B235/2012 beschwerdeführenden Gesellschaft, wonach auch weitere Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992 in Prüfung zu ziehen seien (s. Pkt. I.5.), nicht dazu veranlasst, den Aufhebungsumfang weiter zu ziehen, zumal deren Bedenken zu einem wesentlichen Teil von den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Prüfungsbeschluss nicht umfasst sind.
5. Der durch die Novelle BGBl I 177/2013 geänderte §21i Abs2 AMA-Gesetz 1992, der gemäß §43 Abs1 Z21 leg.cit. mit 1. Jänner 2014 in Kraft getreten ist, sieht nunmehr vor, dass Bescheide, mit welchen die Agrarmarkt Austria Erhöhungsbeiträge nach §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 vorschreibt, mittels Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, einem Tribunal im Sinne des Art6 EMRK, bekämpft werden können. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher auf die Feststellung zu beschränken, dass §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 verfassungswidrig war (vgl. VfSlg 5824/1968, 6597/1971, 12.325/1990, 16.466/2002 ua.).
IV. Ergebnis
1. Es ist daher festzustellen, dass §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992, BGBl 376 idF BGBl I 55/2007, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 verfassungswidrig war.
2. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs erfließt aus Art140 Abs5 B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Der im Anlassfall zu B235/2012 beschwerdeführenden Gesellschaft sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz in Gesetzesprüfungsverfahren (vom – hier nicht gegebenen – Fall des §65a VfGG abgesehen) im VfGG nicht vorgesehen ist.
Schlagworte
Marktordnung, Strafrecht, Tribunal, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G142.2014Zuletzt aktualisiert am
14.03.2016