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55/01 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung der angefochtenen Bescheide im AnlassfallSpruch
I. Die beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170/2010, B1171/2010, B1172/2010 sowie B235/2012 und der Beschwerdeführer zu B968/2013 sowie B281/2014 sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, den beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170/2010, B1171/2010 und B1172/2010 zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit insgesamt € 3.420,– bestimmten Prozesskosten, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu B235/2012 zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten sowie dem Beschwerdeführer zu B968/2013 und B281/2014 zuhanden seines Rechtsvertreters die mit jeweils € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und amtswegiges Gesetzes-prüfungsverfahren
1.1. Mit Bescheiden des Vorstands für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria wurden den beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170-1172/2010 jeweils für das Inverkehrbringen von Wein Agrarmarketingbeiträge bzw. Erhöhungsbeiträge (zu B1170/2010 insgesamt in Höhe von € 44.633,20 bzw. € 6.243,73; zu B1171/2010 in Höhe von € 19.939,72 bzw. € 3.987,94; zu B1172/2010 in Höhe von € 5.309,45 bzw. € 1.061,89) gemäß §§21a ff. des Bundesgesetzes über die Errichtung der Marktordnungsstelle "Agrarmarkt Austria" (AMA-Gesetz 1992), BGBl 376 in unterschiedlichen Fassungen, vorgeschrieben.
Die von den beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170-1172/2010 gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wies der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (in der Folge: BMLFUW) mit Bescheiden vom jeweils 13. Juli 2010 gemäß §289 Abs2 BAO iVm §§21c Abs1 Z9 und Abs2, 21d Abs3, 21e Abs1 Z9 sowie 21g Abs3 AMA-G 1992 idF BGBl I 2/2008 ab.
In den gegen die Bescheide des BMLFUW vom jeweils 13. Juli 2010 erhobenen, zu B1170-1172/2010 protokollierten, auf Art144 B-VG gestützten und im Wesentlichen gleichlautenden Beschwerden wird jeweils die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG, auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG, auf Freiheit der Berufswahl gemäß Art18 StGG sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt. Begründend wird in den Beschwerden zur Festsetzung von Erhöhungsbeiträgen gemäß §21g AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 55/2007 – unter wörtlicher Wiedergabe eines hiezu erstellten Rechtsgutachtens – im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kombination aus Sanktionszweck und Sanktionshöhe eine strafrechtliche Anklage im Sinne des Art6 EMRK bewirke, über die ein Tribunal zu entscheiden habe.
1.2. Der beschwerdeführenden Gesellschaft zu B235/2012 wurde mit Bescheid des Vorstands für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria vom 21. Oktober 2011 für die Schlachtung von Schweinen in einem bestimmten Zeitraum gemäß §§21a ff. AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 2/2008 ein Agrarmarketingbeitrag bzw. ein Erhöhungsbeitrag in Höhe von € 12.250,50 bzw. € 1.225,05 vorgeschrieben.
Die von der beschwerdeführenden Gesellschaft zu B235/2012 gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des BMLFUW vom 17. Jänner 2012 gemäß §289 Abs2 BAO iVm §§21a ff. AMA-Gesetz 1992 idF BGBl I 2/2008 und §4 der Verordnung des Verwaltungsrates der Agrarmarkt Austria über die Aufbringung von Beiträgen zur Förderung des Agrarmarketings, Verlautbarungsblatt 8/2007 (Punkt 12), abgewiesen.
In der gegen den abweisenden Bescheid des BMLFUW vom 17. Jänner 2012 erhobenen, ebenfalls auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde (protokolliert zu B235/2012) wird die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen, gegen die Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG, auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 Abs1 StGG verstoßenden Gesetzes, nämlich mehrerer näher bezeichneter Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
1.3. Dem Beschwerdeführer zu B968/2013 wurden mit Bescheid des Vorstands für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria vom 2. Dezember 2011 Agrarmarketingbeiträge für die Erzeugung von Obst, Gemüse und Kartoffeln für das Beitragsjahr 2010 in der Höhe von € 1.488,46 sowie für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen für das Beitragsjahr 2011 in der Höhe von € 954,25 vorgeschrieben; zusätzlich wurde mit diesem Bescheid ein Erhöhungsbeitrag in Höhe von € 732,81 festgesetzt. Mit Bescheid derselben Behörde vom 31. August 2012 wurden dem Beschwerdeführer Agrarmarketingbeiträge für die Erzeugung von Obst, Gemüse und Kartoffeln für das Beitragsjahr 2011 in der Höhe von € 1.379,46 sowie für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen für das Beitragsjahr 2012 in der Höhe von € 1.295,25 vorgeschrieben. Demselben Beschwerdeführer (in diesem Fall zu B281/2014) wurden mit Bescheid vom 5. September 2013 Agrarmarketingbeiträge für die Erzeugung von Obst, Gemüse und Kartoffeln für das Beitragsjahr 2012 in der Höhe von € 1.511,11 und für die Bewirtschaftung von Weingartenflächen für das Beitragsjahr 2013 in der Höhe von € 1.546,60 sowie zusätzlich ein Erhöhungsbeitrag über € 917,31 vorgeschrieben.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden des BMLFUW vom 15. Juli 2013 und 13. Dezember 2013 gemäß §21a ff. AMA-Gesetz 1992 (idF BGBl I 2/2008 bzw. BGBl I 177/2013) iVm §§276 und 279 BAO abgewiesen.
In den zu B968/2013 bzw. B281/2014 protokollierten Verfahren macht der Beschwerdeführer in seinen gegen die Bescheide des BMLFUW vom 15. Juli 2013 bzw. 13. Dezember 2013 gerichteten und auf Art144 B-VG gestützten – im Wesentlichen gleichlautenden – Beschwerden jeweils die Verletzung in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen, gegen die Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG sowie auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG verstoßenden Gesetzes, nämlich mehrerer näher bezeichneter Bestimmungen des AMA-Gesetzes 1992, geltend und beantragt die Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
2. Der BMLFUW legte in den Verfahren zu B1170-1172/2010, B235/2012 und B968/2013 die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften, in denen er den Bedenken der beschwerdeführenden Gesellschaften bzw. des Beschwerdeführers entgegentritt und beantragt, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen. Im Verfahren zu B281/2014 legte das – gemäß Art151 Abs51 Z9 B-VG mit 1. Jänner 2014 an die Stelle der den angefochtenen Bescheid erlassenden Behörde getretene – Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
3. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof am 23. Juni 2014 gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992, BGBl 376 idF BGBl I 55/2007, ein. Mit Erkenntnis vom 8. Oktober 2014, G142-147/2014, stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 verfassungswidrig war.
II. Erwägungen
1. Die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – Beschwerden sind begründet.
2. Der BMLFUW hat die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung des §21g Abs3 AMA-Gesetz 1992, BGBl 376 idF BGBl I 55/2007, angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaften bzw. des Beschwerdeführers nachteilig war.
3. Die beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170/2010, B1171/2010, B1172/2010 sowie B235/2012 und der Beschwerdeführer zu B968/2013 sowie B281/2014 wurden somit durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (ständige Rechtsprechung beginnend mit VfSlg 10.404/1985).
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die angefochtenen Bescheide sind daher aufzuheben, ohne dass auf die weiteren Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Den beschwerdeführenden Gesellschaften zu B1170/2010, B1171/2010 und B1172/2010 ist insgesamt der einfache Pauschalsatz – erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag – zuzusprechen, weil sie durch dieselben Rechtsanwälte vertreten waren und es ihnen sowohl in zeitlicher als auch in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht möglich gewesen wäre, gegen die – vom Sachverhalt und der rechtlichen Beurteilung her – gleichgelagerten Bescheide eine gemeinsame Beschwerde einzubringen (vgl. VfSlg 17.317/2004). Dem Beschwerdeführer zu B968/2013 bzw. B281/2014 sind jeweils die in den Beschwerden verzeichneten Kosten zuzusprechen.
In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in Höhe von € 460,– (B1170-1172/2010) bzw. (die jeweils verzeichneten) € 400,– (B235/2012, B968/2013 und B281/2014) sowie der Ersatz der für jede Beschwerde entrichteten Eingabengebühr in Höhe von jeweils € 220,– (B1170-1172/2010 und B235/2012) bzw. jeweils € 240,– (B968/2013 und B281/2014) enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / AnlassfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B1170.2010Zuletzt aktualisiert am
23.10.2014