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L1030 GemeindestrukturNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Gemeindefusionen in der Steiermark; kein Recht einer individuellen Gemeinde auf "ungestörte Existenz"; weitreichender rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Festsetzung bzw Änderung der Gemeindegebiete; jedoch Bindung an das Sachlichkeitsgebot; keine Unsachlichkeit der Vereinigung der Gemeinden Waldbach und Mönichwald; Abweisung des - zulässigen - (Individual-)Antrags einer betroffenen Gemeinde auf Aufhebung der Bezug habenden Bestimmung des Stmk Gemeindestrukturreformgesetzes sowie der Berichtigung der Kundmachung; Fehlen der Promulgationsklausel berichtigungsfähiger Kundmachungsfehler; Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung des Gesetzes zur Gänze als zu weit gefasstRechtssatz
Abweisung des Antrags der Gemeinde Waldbach insoweit, als er sich gegen §3 Abs4 Z6 Stmk GemeindestrukturreformG - StGsrG, LGBl 31/2014 (berichtigt durch LGBl 36/2014), und gegen die Kundmachung des Landeshauptmannes von Steiermark vom 08.04.2014 über die Berichtigung von Fehlern im Landesgesetzblatt, LGBl 36/2014, richtet.
Antragslegitimation der Gemeinde gem Art140 Abs1 Z1 litc B-VG bzw Art139 Abs1 Z3 gegeben.
Wird eine Gemeinde durch Gesetz mit einer oder mehreren Gemeinden vereinigt, berührt sie diese Vereinigung entsprechend ihrem Vorbringen schon deswegen in ihrer Rechtssphäre, weil die Gemeinde durch diese Vereinigung ihre Rechtspersönlichkeit verliert. Die antragstellende Gemeinde ist daher durch das bekämpfte Gesetz rechtlich betroffen, und zwar (nur) insoweit, als sie selbst mit einer anderen Gemeinde vereinigt wird.
Unmittelbarer und aktueller Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin.
Die antragstellende Gemeinde verliert bereits mit 01.01.2015 - mit Ausnahme der Parteifähigkeit in verfassungsgerichtlichen Verfahren betreffend ihre Auflösung - ihre Rechtspersönlichkeit, sie wird folglich als Rechtssubjekt untergehen; es ist ihr - im Hinblick auf den Zeitpunkt des Verlusts der Rechtspersönlichkeit - schon aus diesem Grund nicht zumutbar, mit der Anfechtung weiter zuzuwarten.
Kein zumutbarer Umweg.
Erlassung eines Feststellungsbescheides gesetzlich nicht vorgesehen. Auch die für den Fall der Vereinigung gebotene Bestellung eines Regierungskommissärs sowie eines Beirates gemäß §11 Abs1 iVm §103 Abs2 Stmk GdO 1967 eröffnet keinen zumutbaren Weg. Die Bestellung hat zwar mittels Bescheid zu erfolgen (vgl §103 Abs2 Stmk GdO 1967), jedoch nur von Amts wegen. Der Gemeinde kommt daher zu keinem Zeitpunkt die rechtliche Möglichkeit zu, einen solchen Bescheid zu erwirken.
Das gilt - ungeachtet der Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes - selbst dann, wenn ein solcher Bescheid von Amts wegen erlassen wird. Es ist hier ein außergewöhnlicher Umstand gegeben, der das Recht auf Einbringung eines Gesetzes- bzw Verordnungsprüfungsantrags einräumt, weil die antragstellende Gemeinde bereits mit 01.01.2015 ihre rechtliche Existenz verliert.
Zurückweisung des Antrags, soweit die Aufhebung des StGsrG zur Gänze begehrt wird, als zu weit gefasst. Von einer Aufhebung des StGsrG zur Gänze wären nämlich Bestimmungen (insb jene über die Vereinigung anderer Gemeinden) mitumfasst, von welchen die antragstellende Gemeinde in keiner Weise rechtlich betroffen ist und die mit den sie rechtlich betreffenden Bestimmungen auch in keinem untrennbaren Zusammenhang stehen.
Zulässigkeit auch des - als Antrag auf Verordnungsprüfung auf Grund Art139 Abs1 Z3 B-VG zu qualifizierenden - Antrags auf Aufhebung der Kundmachung über die Berichtigung; die Berichtigung steht mit §3 Abs4 Z6 StGsrG in einem untrennbaren Zusammenhang steht.
Den Anträgen liegt ein hinreichend bestimmter Beschluss des hiefür zuständigen Gemeinderates (§43 Abs1 Stmk GdO 1967) zugrunde.
Auch die Bekämpfung der Kundmachung über die Berichtigung ist vom Gemeinderatsbeschluss umfasst. Dieser ist vom Willen des Gemeinderates getragen, "alle erdenklichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe" gegen die durch das StGsrG verfügte Gemeindevereinigung zu ergreifen sowie "sofort nach der Kundmachung des Gesetzes [...] einen Individualantrag auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof" zu stellen. Diese umfassende Formulierung lässt keinen Zweifel daran, dass sämtliche Rechtschutzmöglichkeiten zur Bekämpfung der Gemeindevereinigung ergriffen werden sollen, wozu auch die Bekämpfung von Kundmachungsfehlern zählt.
Keine Gesetzwidrigkeit der im Rang einer Verordnung stehenden angefochtenen Berichtigung der Kundmachung des StGsrG (durch Einfügung einer Promulgationsklausel); ordnungsgemäße Kundmachung des StGsrG.
Wird ein Landesgesetz - wie im vorliegenden Fall das StGsrG - ohne die Berufung auf den Beschluss des Landtages im Landesgesetzblatt (vgl Art28 Stmk L-VG 2010) kundgemacht, handelt es sich dabei um eine rechtsverbindliche Kundmachung eines Gesetzesbeschlusses, weil der kundgemachte Gesetzestext für die Rechtsunterworfenen auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes, einschließlich der Anführung der die Beurkundung bzw Gegenzeichnung betreffenden Namenswiedergaben des Landeshauptmannes und des Landeshauptmann-Stellvertreters, als Gesetz erkennbar ist.
Die Promulgationsklausel ist nicht Teil des Gesetzesbeschlusses des Landtages, sondern ein Teil der vom Landeshauptmann zu veranlassenden Kundmachung (Art28 Abs4 Stmk L-VG 2010); das Fehlen der Promulgationsklausel bewirkt keine Änderung des - vom Gesetzgeber beschlossenen - Gesetzesinhaltes und kann einen berichtigungsfähigen Fehler iSd §10 Stmk KundmachungsG darstellen.
Der dem Landtagsbeschluss zugrunde liegende Gesetzestext wurde - samt Promulgationsklausel - dem Landeshauptmann und dem ersten Landeshauptmann-Stellvertreter übermittelt. Im Zuge der für die elektronische Kundmachung notwendigen Umformatierungen "verschwand" die im übermittelten Text enthaltene Promulgationsklausel. Es handelt sich dabei offensichtlich um ein Versehen, weil sich kein Hinweis aus dem Akteninhalt ergibt, der eine bewusste Streichung der Promulgationsklausel vermuten lässt.
Die Bundesverfassung enthält zwar eine Bestandsgarantie für die Gemeinde als Institution (vgl insbesondere Art116 Abs1 B-VG), sie garantiert der individuellen Gemeinde aber keineswegs ein Recht auf "ungestörte Existenz".
Die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung ist kein Maßstab für die Verfassungskonformität eines Gesetzes.
Gemäß Art115 Abs2 B-VG obliegt es dem Landesgesetzgeber, das Land in "Gemeinden" zu gliedern und die Gemeindegebiete festzusetzen sowie zu ändern. Insgesamt kommt dem Gesetzgeber dabei ein weitgehender rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Dabei ist der Gesetzgeber insbesondere an das - aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende - Sachlichkeitsgebot gebunden. Der VfGH hat alleine die Frage zu beurteilen, ob die vom Gesetzgeber vorgesehene Gemeindegliederung für sich genommen sachlich ist. Dementsprechend ist es nicht seine Aufgabe, zu untersuchen, ob alternative Festlegungen zweckmäßiger gewesen wären oder bessere Auswirkungen gehabt hätten (mit Judikaturhinweisen).
Der VfGH hegt gegen eine an den in §6 Abs2 Stmk GdO 1967 und §1 StGsrG festgelegten Zielen orientierte Vereinigung von Gemeinden (Stärkung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden zur effizienten Nutzung der Infrastruktur, Abdeckung der Grundversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung, bessere Nutzung vorhandener Flächen für den Siedlungsraum und die wirtschaftliche Entwicklung) dem Grunde nach keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Landesgesetzgebers durch Vereinigung der Gemeinden Mönichwald und Waldbach zur Gemeinde Waldbach-Mönichwald.
Unter Bedachtnahme auf den Zeitpunkt der Erlassung des Gesetzes ist zu prüfen, ob sich das Gesetz im Lichte der zu diesem Zeitpunkt zu erwartenden künftigen Entwicklung als sachlich und nachvollziehbar erweist. Bei dieser Prognoseentscheidung hat der Gesetzgeber zu beurteilen, ob die Gemeindezusammenlegung insgesamt - also nicht bloß auf die Belange der einzelnen Gemeinde bezogen - eine Verbesserung der Gemeindestruktur erwarten lässt.
Der VfGH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, dass die Zusammenlegung einer Kleingemeinde mit weniger als 1.000 Einwohnern mit einer anderen Gemeinde in der Regel sachlich ist, wobei es sich bei dieser Einwohnerzahl nicht um eine starre Grenze, sondern um einen Richtwert handelt. Die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit von Strukturänderungsmaßnahmen ist von einer Vielzahl von Umständen abhängig. Der Umstand alleine, dass eine Änderung der Gemeindestruktur auch Nachteile bewirkt, macht eine solche Maßnahme aber noch nicht unsachlich.
Die antragstellende Gemeinde hatte mit 01.01.2013 701 Einwohner, die Gemeinde Mönichwald 876 (Quelle: Statistik Austria, Statistik des Bevölkerungsstandes vom 28.05.2014). Beide Gemeinden sind daher Kleingemeinden, gegen deren Auflösung bzw Vereinigung von Verfassungs wegen grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Durch die Vereinigung der beiden Gemeinden erreichen sie - wie die beiden anderen "Joglland-Gemeinden" - eine Einwohnerzahl von über 1.000.
Der Gesetzgeber zielt im vorliegenden Fall gerade darauf ab, einen Ausgleich zwischen einer finanziell stärkeren und einer finanziell schwächeren Gemeinde zu schaffen, womit er sich nach der Rechtsprechung des VfGH innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums bewegt.
Es ist nicht unsachlich, wenn die Stmk Landesregierung von einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Infrastruktur bei gleichzeitiger Kostenreduktion ausgeht. Vor allem sind auch die prognostizierte sinkende Bevölkerungszahl beider Gemeinden und die damit zurückgehenden Einnahmen der Gemeinden vertretbare Argumente für die Zusammenführung der Gemeindeverwaltungen und die gemeinsame Nutzung der gemeindlichen Infrastruktur (beispielsweise des Gemeindeamtes und der Schule).
Die Distanz zwischen den beiden Gemeindezentren beträgt vier Straßenkilometer; die Gemeinden sind durch die Landesstraße L 416 miteinander verbunden. Eine solche Entfernung ist für die vorliegende Gemeindevereinigung mit Blick auf die Rechtsprechung des VfGH jedenfalls nicht unsachlich.
Ein anhaltender Widerstand der Bevölkerung kann allenfalls ein Indiz für die Unsachlichkeit sein, für sich alleine kann er jedoch noch keine Unsachlichkeit begründen.
Wie sich bereits aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist dem StGsrG ein mehrjähriger Gemeindestrukturreformprozess vorangegangen, in dessen Rahmen die Grundlagen für die Veränderung der Gemeindestruktur in der Steiermark (ua durch wissenschaftliche Studien) ermittelt und die Gemeindevereinigungen in mehreren Phasen intensiv vorbereitet wurden. Das Vorbringen der antragstellenden Gemeinde, dass sie in den Reformprozess nicht eingebunden gewesen sei, ist nicht zutreffend.
Selbst wenn das StGsrG ohne vorangegangene Grundlagenforschung oder ohne Begründung erlassen worden wäre, begründete dies noch keine Unsachlichkeit des Gesetzes, solange die mit diesem Gesetz erfolgte Vereinigung der Gemeinden im Ergebnis sachlich gerechtfertigt ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gemeinderecht Zusammenlegung, Kommunalstrukturverbesserung, Rechtspolitik, Landesgesetz, Gesetz Kundmachung, Berichtigung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G44.2014Zuletzt aktualisiert am
10.03.2016