TE Vwgh Erkenntnis 2014/7/30 Ro 2014/22/0016

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Veröffentlicht am 30.07.2014
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §292 Abs3;
ASVG §293;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Revision der J, vertreten durch Dr. Johannes Stowasser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 6. November 2013, Zl. 165.607/2-III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) den am 28. Juli 2011 bei der Österreichischen Botschaft in Nigeria eingebrachten Antrag der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zwecks Familiennachzugs zu dem in Österreich lebenden Ehegatten, einem österreichischen Staatsbürger, gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Ehegatte der Revisionswerberin beziehe aus seiner Erwerbstätigkeit bei einer Firma ein monatliches Nettogehalt von EUR 1.284,18 inklusive Sonderzahlungen. Hinzu komme, dass der Ehegatte monatliche Mietkosten von EUR 377,69 zu tragen habe und eine monatliche Kreditverpflichtung in der Höhe von EUR 50,-- bestehe. Demzufolge müsste der Ehegatte gemäß § 293 ASVG über ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.415,94 verfügen (nämlich EUR 1.255,89 für ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar, zuzüglich EUR 377,69 an monatlichen Mietkosten und EUR 50,-- an monatlichen Kreditverpflichtungen, abzüglich EUR 267,64 als Wert der freien Station). Aus dieser Gegenüberstellung ergebe sich eine Differenz bzw. ein Fehlbetrag von EUR 131,76 und es sei daher sehr wahrscheinlich, dass der Aufenthalt der Revisionswerberin in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe.

Gemäß § 11 Abs. 3 NAG könne ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 bis 6 NAG erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten sei. Die Revisionswerberin sei zuvor noch nie in Österreich niedergelassen gewesen, weshalb eine Integration in Österreich als nicht vorhanden eingestuft werden könne. Durch den inländischen Aufenthalt des Ehegatten bestünden zweifelsfrei familiäre Bindungen zu Österreich, allerdings müsse dazu festgehalten werden, dass die Revisionswerberin mit ihrem Ehegatten seit Jahren kein gemeinsames Familienleben führe. Auch die Eheschließung sei im Zuge eines Kurzaufenthaltes ihres Ehegatten in Nigeria erfolgt. Unter Berücksichtigung, dass die Sicherung des Lebensunterhaltes eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstelle, scheine aus der Sicht der Behörde die Abweisung der Berufung gerechtfertigt. Obwohl der Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger bei einer im Sinne des Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung ein hohes Gewicht beigemessen werden müsse, könne nur die Eheschließung alleine, ohne ein gemeinsames Familienleben zu führen, nicht die öffentlichen Interessen überwiegen.

Aus der Aktenlage ergäben sich keine Hinweise darauf, dass sich der Ehegatte der Revisionswerberin in einer Ausnahmesituation befinden würde, die bei Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels bedeuten würde, dass der Zusammenführende de facto gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Vielmehr sei das Vorbringen der Revisionswerberin als bloßer Wunsch nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich zu werten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Revision nach Aktenvorlage durch das gemäß § 9 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, iVm Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG an die Stelle der Behörde tretende Verwaltungsgericht Wien erwogen:

Da der angefochtene Bescheid vor Ablauf des 31. Dezember 2013 erlassen wurde und infolge der Bewilligung der Verfahrenshilfe die Beschwerdefrist mit Ende dieses Tages noch gelaufen ist, gelten für die Behandlung der Revision gemäß § 4 Abs. 5 iVm Abs. 1 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung - mit einer fallbezogen kein Rolle spielenden Maßgabe - sinngemäß.

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im November 2013 sind die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 68/2013 maßgeblich.

Die Revisionswerberin bestreitet nicht die oben dargelegte Berechnung der Behörde. Die Revision vertritt die Ansicht, es bestehe keine Grundlage, das zu berücksichtigende Einkommen des Unterhaltspflichtigen durch Wohnkosten zu schmälern bzw. zum Einkommen einen "Wert der freien Station" hinzuzurechnen. Soweit sich die Revision dabei auf das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0711, bezieht, ist darauf zu verweisen, dass dieses Erkenntnis zur Rechtslage vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 (FrÄG 2009), BGBl. I Nr. 122/2009, mit dem die Bestimmung des § 11 Abs. 5 NAG geändert wurde, ergangen ist. § 11 Abs. 5 zweiter und dritter Satz NAG in der diesbezüglich auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage sieht vor, dass feste und regelmäßige Einkünfte durch regelmäßige Aufwendungen, u. a. durch Miet- und Kreditbelastungen, geschmälert werden, wobei einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe (Wert der freien Station) unberücksichtigt bleibt und zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte führt. Die Behörde ist daher zu Recht von einem monatlichen Fehlbetrag von EUR 131,76 ausgegangen und es ist demnach ihre Annahme, der Aufenthalt der Revisionswerberin könnte zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG führen, nicht zu beanstanden.

Dennoch ist die Revision aus folgendem Grund berechtigt:

Die Behörde ging bei ihrer Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK davon aus, die Revisionswerberin würde mit ihrem österreichischen Ehegatten seit Jahren kein gemeinsames Familienleben führen, ohne dies zu begründen. Demgegenüber wird in der Revision ausgeführt, dass anhand der im Reisepass des Ehegatten der Revisionswerberin eingefügten Visa der Republik Nigeria und der entsprechenden Ein- und Ausreisestempel ersichtlich sei, dass dieser seit der Heirat im Jahr 2009 insgesamt mehr als zwölf Monate in Nigeria aufhältig gewesen und sehr wohl ein Familienleben geführt worden sei. Bereits im Verwaltungsverfahren brachte der die Revisionswerberin vertretende Ehegatte vor, dass er im Jahr 2013 einige Monate bei seiner Ehegattin in Nigeria verbracht habe, weil sie kein Visum für Österreich erhalten hätte (vgl. das an die Magistratsabteilung 35 gerichtete Fax vom Juni 2013, das der Behörde am 26. Juni 2013 weitergeleitet wurde). Mit diesem Vorbringen setzte sich die Behörde nicht auseinander und unterließ Ermittlungen und darauf basierende Feststellungen zum Familienleben der Ehegatten.

Angesichts des aufgezeigten Verfahrensmangels, bei dessen Vermeidung die Behörde in Bezug auf die Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 30. Juli 2014

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:RO2014220016.J00

Im RIS seit

14.10.2014

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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