Index
L10015 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Salzburg;Norm
AVG §59 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde 1. der A und 2. des B, beide in C, beide vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 25. März 2013, Zl. 20704-07/679/7-2013, betreffend Wiederaufnahme eines baurechtlichen Verfahrens (mitbeteiligte Parteien: 1. D und 2. E, beide vertreten durch Dr. Sonja Moser, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Mühlbacherhofweg 4/11; 3. Gemeinde C), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Aufhebung der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Bescheid des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 23. April 2007 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen, soweit die Aufhebung der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Bescheid der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 31. März 2011 ausgesprochen wurde, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Salzburg hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 23. April 2007 wurde den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien (bauwerbenden Parteien) vom Bürgermeister der drittmitbeteiligten Gemeinde die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses auf einem näher genannten Grundstück im Gebiet der drittmitbeteiligten Gemeinde erteilt. Dieser Bescheid wurde rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 brachten die beschwerdeführenden Parteien bei der Baubehörde erster Instanz eine Anzeige ein, dass die bauwerbenden Parteien bei Ausführung des Baus nicht bloß geringfügig vom Konsens abgewichen seien; die Höhenangaben im Einreichplan würden von jenem Vermessungsplan, welcher der Bauplatzerklärung zugrunde gelegen sei, abweichen, was zur Folge habe, dass sich eine "Stockwerksüberschreitung" gegenüber dem Bebauungsplan ergebe.
Die bauwerbenden Parteien räumten ein, "(d)urch die falsch eingetragene Linie das Urgelände im Bauplan des Bescheides ..., vom 23.04.2007, wurde aus einem oberirdischen ein unterirdisches Geschoß." Mit Eingabe vom 23. September 2009 beantragten sie eine Änderung der mit Bescheid vom 23. April 2007 erteilten Baubewilligung. Diese wurde - laut unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23. November 2009, die am 4. und nochmals am 9. März 2010 fortgesetzt wurde, mit erstinstanzlichem Bescheid vom 8. Oktober 2010 erteilt; die dagegen von den beschwerdeführenden Parteien erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 31. März 2011 abgewiesen. Über die dagegen erhobene Vorstellung der beschwerdeführenden Parteien wurde noch nicht entschieden.
Bereits mit Schriftsatz vom 9. März 2010 stellten die beschwerdeführenden Parteien einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG hinsichtlich des Bescheides vom 23. April 2007. Dies begründeten sie mit Hinweis auf § 69 Abs. 1 und Z 1 und Z 2 AVG im Wesentlichen damit, dass sämtliche Planunterlagen nachweislich falsche Angaben enthielten. Dieser Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde mit Schriftsatz vom 22. März 2010 geringfügig ergänzt.
Nach übereinstimmenden Angaben im Bescheid der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 4. September 2012, im angefochtenen Bescheid und in der Beschwerde (die nachfolgend genannten Bescheide liegen den vorgelegten Verfahrensunterlagen nicht bei) wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit Bescheid des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 30. April 2010 abgewiesen; die dagegen eingebrachte Berufung der beschwerdeführenden Parteien wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 31. März 2011 abgewiesen.
Auf Grund der dagegen erhobenen Vorstellung der beschwerdeführenden Parteien wurde der Bescheid vom 31. März 2011 mit Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 28. September 2011 (erster Vorstellungsbescheid) aufgehoben. Dies wurde zunächst damit begründet, dass nicht von einer Präklusion der beschwerdeführenden Parteien auszugehen sei, weil die unrichtigen Angaben betreffend das natürliche Gelände kausal für das Unterlassen von Einwendungen in dem dem Bescheid vom 23. April 2007 zugrunde liegenden Verfahren gewesen seien; im Berufungsbescheid vom 31. März 2011 fehlten jedoch jegliche Feststellungen und eine Begründung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen zur Wiederaufnahme eines Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG; insgesamt erscheine der Berufungsbescheid, mit dem die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages verfügt worden sei, zur Gänze unbegründet und sei allein aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet und daher aufzuheben; im fortzusetzenden Verfahren werde die Gemeinde hinsichtlich der Beurteilung der Tatbestände des § 69 Abs. 1 Z 1 und Z 2 AVG die entsprechenden Untersuchungen durchzuführen haben, wobei auf die von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Kriterien zur Beurteilung dieser Rechtsfragen ausdrücklich hingewiesen werde; für das weitere Verfahren werde darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung der Eigenschaft als oberirdisches Geschoss gemäß § 56 Abs. 5 ROG 2009 das natürliche Gelände maßgeblich sei; die in der Bauplatzerklärung dargestellten Höhenschichtlinien gäben jedenfalls das natürliche Gelände wieder; diese sollten daher zur Beurteilung gemäß § 56 Abs. 5 ROG 2009 herangezogen werden. Dieser Bescheid blieb unangefochten.
In der öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde am 29. März 2012 wurde einstimmig die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie die Aufnahme von ergänzenden Ermittlungen beschlossen.
Für den 20. Juni 2012 wurde vom Bürgermeister der drittmitbeteiligten Stadtgemeinde sodann eine "mündliche Verhandlung" in der Angelegenheit "Verhandlung um klarer Darstellung des Sachverhaltes des Einfamilienhauses von (den bauwerbenden Parteien) auf Grundstück ...." anberaumt. Dabei teilte der Verhandlungsleiter laut Verhandlungsschrift mit, "dass der Vorstellungsbehörde folgend die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt wird." Der weitere Verlauf der Verhandlung bezog sich auf das wiederaufgenommene Bauverfahren. Die bauwerbenden Parteien äußerten sich gemeinsam mit dem Planverfasser dahin gehend, dass weder das Untergeschoss noch das Dachgeschoss bei der Anzahl der Geschosse zu berücksichtigen seien; die Baugrenzlinie, Baulinien und Baufluchtlinien würden eingehalten; der Nachbarabstand, die maximal zulässige Traufe und die Firsthöhen sowie die Ausnutzbarkeit stimmten mit dem Bebauungsplan und dem Einreichplan überein; das Grundstück der beschwerdeführenden Parteien werde gemäß § 25 Abs. 1 BGG nicht beeinträchtigt; das Objekt entspreche allen Vorgaben und gesetzlichen Grundlagen; der Vorwurf der Täuschung werde mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen; da die bauwerbenden Parteien erst an diesem Tag von der Vorstellungsentscheidung des Landes Kenntnis erlangt hätten, werde um Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme dazu und zu den vorgelegten Unterlagen (Stellungnahme der beschwerdeführenden Parteien) ersucht.
In einer "Ergänzung zur Verhandlungsschrift" vom
25. Juni 2012 teilten die bauwerbenden Parteien mit, "(n)ach
Durchsicht der bei der Verhandlung zur Verfügung gestellten
Unterlagen (Vorstellungsentscheidung des Landes, sowie weitere
Stellungnahme (der beschwerdeführenden Parteien)) und unter
Einbeziehung der bei der Verhandlung neuerlich geführten Gespräche
hinsichtlich der Abstände und sonstiger baurelevanter Eckdaten
(...) schließen wir uns der Darstellung unseres Planverfassers
voll inhaltlich an. .... Der von der Gemeinde
festgestellte/eingestandene Fehler in Bezug auf Geländehöhen
entzieht sich unserer Beurteilbarkeit. ... Wir warten
diesbezüglich auf die Meinung der Experten und hoffen, dass die
Baubehörde eine gute Lösung ... findet."
Der Berufung der beschwerdeführenden Parteien gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 30. April 2010 (Abweisung der beantragten Wiederaufnahme) wurde sodann mit Bescheid der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 4. September 2012 Folge gegeben und die Verfahren betreffend die Bescheide des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 23. April 2007 und der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 31. März 2011 wiederaufgenommen (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. wurde dem Antrag der bauwerbenden Parteien auf Genehmigung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses keine Folge gegeben und die beantragte Bewilligung versagt. In ihrer Begründung zu Spruchpunkt II. bezog sich die Berufungsbehörde auf die Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zur Feststellung des Urgeländes und kam zu dem Ergebnis, dass das Kellergeschoss als Vollgeschoss zu berücksichtigen sei und die gesetzlich vorgegebenen Grenzabstände auf Grund der Traufenhöhe des Objektes nicht eingehalten würden. Zu Spruchabschnitt I. führte die Berufungsbehörde aus, bei Erteilung der Baubewilligung (gemeint wohl: mit Bescheid vom 23. April 2007) sei von dem im Zeitpunkt der Bauverhandlung vorhandenen Gelände ausgegangen worden. Eine Erschleichung der Bewilligung durch die Vorlage falscher Planunterlagen habe nicht festgestellt werden können. Mit Erkenntnis vom 21. Oktober 2009, Zl. 2009/06/0136, habe der Verwaltungsgerichtshof erstmals konkret festgestellt, wie das Naturgelände im Salzburger Baurecht festzustellen sei. Mit diesem Erkenntnis sei eine rechtliche Klarstellung geschaffen worden, die seitens der beschwerdeführenden Parteien offensichtlich zum Anlass genommen worden sei, die Wiederaufnahme des Verfahrens innerhalb der dreijährigen Frist unter Zugrundelegung dieser neuen rechtlichen Beurteilung, somit dieser neuen Tatsachen, zu beantragen. Dem Wiederaufnahmeantrag komme somit Berechtigung zu.
Dagegen erhoben die bauwerbenden Parteien die Vorstellung vom 21. September 2012. Hinsichtlich des Spruchpunktes I. brachten sie im Wesentlichen vor, die Berufungsbehörde habe das Vorliegen eines berechtigten Wiederaufnahmegrundes falsch beurteilt; der diesbezügliche Antrag wäre aus formalrechtlichen Gründen wegen Verfristung abzuweisen gewesen. Spätestens in der Bauverhandlung vom 23. November 2009 hätten die beschwerdeführenden Parteien von den "von ihnen geltend gemachten Wiederaufnahmegründen Kenntnis gehabt". Die Baubewilligung sei weder erschlichen worden, noch stelle die Änderung der Rechtsprechung bzw. Konkretisierung derselben eine neue Tatsache im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG dar (Hinweis auf das hg. Erkenntnis Zl. 95/15/0108). Zu Spruchpunkt II. brachten die bauwerbenden Parteien unter anderem vor, den beschwerdeführenden Parteien komme keine Parteistellung zu, ihre Einwendungen hätten zurück- bzw. abgewiesen werden müssen. Die Höhenfestlegung sei im Verfahren betreffend die Baubewilligung vom 23. April 2007 im Einvernehmen mit den beschwerdeführenden Parteien getroffen worden; deren Einwände seien daher präkludiert. Die Baubehörden hätten den bauwerbenden Parteien Gelegenheit zu einer Planänderung geben müssen, bevor sie das Bauansuchen abwiesen. Erst durch Zustellen des Bescheides (vom 4. September 2012) hätten sie erfahren, dass es um die Baubewilligung gehe, die nun plötzlich nach fünf Jahren und nach rechtskräftiger Erteilung versagt werde. Das zitierte hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2009, Zl. 2009/06/0136, zur Feststellung des Urgeländes sei für den gegenständlichen Fall nicht einschlägig, weil auf dem Bauplatz selbst keine Geländeveränderungen durchgeführt worden seien, sondern durch die Gemeinde in Verbindung mit der Aufschließungsstraße. Darüber hinaus habe sich die Berufungsbehörde nicht mit den einander widersprechenden Aussagen des DI L. und des Amtssachverständigen S. zur Lage des Kellergeschosses auseinandergesetzt. DI L. sei bereits mehrmals für die beschwerdeführenden Parteien tätig gewesen und daher befangen.
Mit dem angefochtenen Bescheid (vom 25. März 2013, zweiter Vorstellungsbescheid) hob die belangte Behörde den Bescheid der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 4. September 2012 auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, die Berufungsbehörde habe die mittels des ersten Vorstellungsbescheides vom 28. September 2011 überbundene Rechtsansicht gänzlich verkannt. Es seien Ermittlungen hinsichtlich des Vorliegens von Wiederaufnahmegründen aufgetragen worden. Demgegenüber beschränkten sich die durchgeführten Ermittlungen nahezu ausschließlich auf die Feststellung des Urgeländes, der damit im Zusammenhang stehenden Höhenentwicklung und der Vereinbarkeit mit den Festlegungen des Bebauungsplanes.
Die Berufungsbehörde habe keine Ermittlungen angestellt, ob der Wiederaufnahmeantrag hinsichtlich der Wahrung der 14-tägigen Frist rechtzeitig gestellt worden sei; dieser Umstand sei von der belangten Behörde der im unmittelbaren zeitlichen Konnex mit dem Wiederaufnahmeantrag abgehaltenen Bauverhandlung vom 4. März 2010 (in welcher das Urgelände behandelt worden sei) zugeschrieben worden, sodass eine inhaltliche Auseinandersetzung damit unterblieben sei.
Bei einer geänderten Rechtsprechung handle es sich auch nicht um eine neue "Tatsache" im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG; der Umstand, dass die in den Bauplänen wiedergegebenen Höhen nicht jenen des Urgeländes entsprochen hätten, stelle jedoch eine Tatsache im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG dar.
Sofern die Berufungsbehörde eine Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Bewilligung der geringfügigen Änderung (Bescheid der Gemeindevertretung vom 31. März 2011) durchgeführt habe, handle es sich diesbezüglich um eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen, weil diesbezüglich kein Antrag gestellt worden sei. Auf Grund welcher Umstände diese verfügt worden sei, sei dem Berufungsbescheid nicht zu entnehmen.
Darüber hinaus seien Bestimmungen sowohl betreffend das Parteiengehör als auch die tragenden Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens verletzt worden, indem die beschwerdeführenden Parteien von der bereits am 29. März 2012 beschlossenen Wiederaufnahme nicht bescheidmäßig in Kenntnis gesetzt und so von der Fortsetzung des Baubewilligungsverfahrens gänzlich überrascht worden seien, weil nicht einmal in der ausgeschriebenen Verhandlung vom 20. Juni 2012 eindeutig erkennbar gewesen sei, dass nunmehr das Verfahren betreffend die Baubewilligung Gegenstand der Verhandlung sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete jedoch auf die Verfassung einer Gegenschrift. Die bauwerbenden Parteien beantragten in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.
§ 69 Abs. 1 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, in der hier anzuwendenden
Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, lautet auszugsweise:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
(2) ..."
§ 9 Abs 1 Baupolizeigesetz - BauPolG, LGBl. Nr. 40/1997, in der Fassung LGBl. Nr. 31/2009, lautet auszugsweise:
"§ 9
(1) Die Bewilligung ist zu versagen, wenn die bauliche Maßnahme vom Standpunkt des öffentlichen Interesses unzulässig erscheint. Dies ist der Fall, wenn
(...)
2. die bauliche Maßnahme mit einem Bebauungsplan oder der Bauplatzerklärung nicht im Einklang steht;
(...)
6. durch die bauliche Maßnahme ein subjektiv-öffentliches Recht einer Partei verletzt wird; solche Rechte werden durch jene baurechtlichen Vorschriften begründet, welche nicht nur dem öffentlichen Interesse dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch den Parteien; hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über die Höhe und die Lage der Bauten im Bauplatz;
7. ..."
Gemäß § 80 Abs. 3 Salzburger Gemeindeordnung 1994, LGBl. Nr. 107/1994, in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 12/2004, kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde auf dem Gebiet der Landesvollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Rechtsmittelzuges innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung an die Landesregierung erheben. Die Aufsichtsbehörde hat den Bescheid, wenn durch ihn Rechte des Einschreiters verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.
Das Prüfungsrecht der Aufsichtsbehörde wird durch den Umfang der Anfechtung des gemeindebehördlichen Bescheides durch den Vorstellungswerber eingeschränkt. Nur in dem Umfang, in dem dieser den gemeindebehördlichen Bescheid auch angefochten hat, besteht ein Prüfungsrecht der Aufsichtsbehörde und kann der Bescheid im Falle der Verletzung subjektiver Rechte aufgehoben werden. Soweit der Bescheid nicht angefochten wurde, fehlt der Aufsichtsbehörde die Entscheidungszuständigkeit. Abweichendes kann sich im Falle der Untrennbarkeit der verschiedenen Spruchteile des gemeindebehördlichen Bescheides ergeben. (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2004/06/0135, mwN). Die Aufsichtsbehörde hat darüber hinaus die Zuständigkeit der Gemeinde zu prüfen.
Nicht nur die Gemeinde, sondern auch andere Parteien des Verfahrens, so auch die Aufsichtsbehörde selbst und der Verwaltungsgerichtshof, sind an die die Aufhebung tragenden Gründe des aufsichtsbehördlichen Bescheides gebunden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. Februar 2009, Zl. 2006/15/0381, und vom 29. Jänner 2008, Zl. 2006/05/0297, mwH). Allein um diese Bindungswirkung zu vermeiden, muss ein beim Verwaltungsgerichtshof angefochtener Bescheid, auch wenn sein Spruch auf Aufhebung lautet, im Fall seiner vom Verwaltungsgerichtshof nicht gebilligten Begründung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben werden.
Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend das mit Bescheid des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 23. April 2007 abgeschlossene Bauverfahren gemäß § 69 AVG. Entscheidungsrelevant sind in diesem Zusammenhang auch die tragenden Aufhebungsgründe des Bescheides der Salzburger Landesregierung vom 28. September 2011 (erster Vorstellungsbescheid). Demnach hatte die Gemeinde im fortzusetzenden Verfahren die entsprechenden Untersuchungen hinsichtlich der Beurteilung der Tatbestände des § 69 Abs. 1 Z 1 und 2 AVG durchzuführen, wobei auf die von der Judikatur des VwGH entwickelten Kriterien zur Beurteilung dieser Rechtsfrage ausdrücklich hingewiesen wurde.
Die Aufhebung des Bescheides vom 4. September 2012 begründete die belangte Behörde damit, dass die Berufungsbehörde dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Es sei auch nicht begründet worden, aufgrund welcher Umstände das Verfahren betreffend den Bescheid der Gemeindevertretung vom 31. März 2011 - hinsichtlich dessen kein Antrag gestellt worden sei - allenfalls von Amts wegen wiederaufgenommen worden sei. Darüber hinaus sei den Parteien die am 29. März 2012 beschlossene Wiederaufnahme nicht mit dem gebotenen verfahrensrechtlichen Bescheid zur Kenntnis gebracht worden, sodass die bauwerbenden Parteien von der Fortsetzung des Baubewilligungsverfahrens überrascht worden seien. Auch das Parteiengehör sei verletzt worden, weil das Gutachten von DI L. nicht übermittelt worden sei.
Die Beschwerde bringt dazu vor, durch die Übermittlung des Protokolls der Sitzung der Gemeindevertretung der drittmitbeteiligten Gemeinde am 29. März 2012, in welcher einstimmig die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie die Aufnahme von ergänzenden Ermittlungen beschlossen worden seien, sei "diese Entscheidung rechtlich existent geworden". Sie sei nicht bekämpft worden, weshalb "diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen" sei. Es habe auch keine Verletzung des Parteiengehörs stattgefunden, weil die bauwerbenden Parteien spätestens in der Verhandlung vom 20. Juni 2012 über den Umstand der Wiederaufnahme des Bauverfahrens, die Einwendungen und das Gutachten von DI L. informiert gewesen seien. Dies hätten sie auch in ihrer Stellungnahme vom 25. Juni 2012 zum Ausdruck gebracht. Ein allfälliges Unterlassen des Parteiengehörs wäre somit nicht relevant, weil die bauwerbenden Parteien in ihrer Vorstellung vom 21. September 2012 den Ausführungen in Bezug auf das Vorliegen eines dreigeschossigen Gebäudes keine verfahrenswesentlichen Argumente hätten entgegensetzen können. Die Berufungsbehörde habe auch nicht die mit dem ersten Vorstellungsbescheid überbundene Rechtsansicht falsch verstanden. Die belangte Behörde gehe selbst nicht vom Vorliegen präkludierter Wiederaufnahmegründe aus. Tatsächlich sei der Wiederaufnahmeantrag fristgerecht eingebracht worden, weil die beschwerdeführenden Parteien am 4. März 2010 erstmals im Besitz jener Unterlagen gewesen seien, auf deren Basis die Unrichtigkeit der im Baubescheid vorgenommenen Höhenangaben nachweisbar und somit die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme gegeben gewesen seien. Dieses neue Beweisergebnis stelle zweifellos einen Wiederaufnahmegrund im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG dar. Darüber hinaus sei die Ansicht verfehlt, die Divergenz zum bestehenden Bebauungsplan sei auf eine geänderte Rechtsprechung zurückzuführen, was im Sinn der ständigen Judikatur nicht als Wiederaufnahmegrund zu werten sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 24. März 2011, Zl. 2009/06/0150, keine Judikaturänderung zum Ausdruck gebracht, sondern die sich aus dem ROG 2009 ergebenden Konsequenzen hinsichtlich der Ermittlung des Urgeländes bestätigt. Da eine inhaltliche Identität der Rechtsgrundlage hinsichtlich des § 41 ROG 1998 und § 64 ROG 2009 vorliege, könne von einer geänderten Gesetzeslage bzw. Judikaturänderung nicht ausgegangen werden.
Dazu ist zunächst auszuführen, dass es nicht notwendig ist, die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens in einem eigenständigen Bescheid auszusprechen (vgl. die Ausführungen bei Hengstschläger - Leeb, AVG, Rz 1 zu § 70).
Die Berufungsbehörde sprach in Spruchabschnitt I. des Bescheides vom 4. September 2012 über die Wiederaufnahme des Verfahrens ab und führte dazu begründend aus, eine Erschleichung der Bewilligung durch die Vorlage falscher Planunterlagen habe nicht festgestellt werden können; mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 2009, Zl. 2009/06/0136, sei eine rechtliche Klarstellung getroffen worden, die die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertige. Damit wurde - unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieser Ausführungen - zu den Tatbeständen des § 69 Abs. 1 Z 1 und 2 AVG, wie im ersten Vorstellungsbescheid vom 28. September 2011 aufgetragen worden war, abgesprochen. Es ist nicht erkennbar, welche Ermittlungsmängel die belangte Behörde der Berufungsbehörde im Hinblick auf die Beurteilung der Tatbestände des § 69 Abs. 1 Z 1 und 2 AVG vorwirft, zumal sie selbst - jedoch ohne jede Begründung - davon ausging, dass durch die Neubeurteilung des Urgeländes neue Tatsachen im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG vorlägen. Die in der Vorstellung gerügte Frage der Fristwahrung prüfte sie hingegen nicht.
Es wäre jedoch erforderlich gewesen, das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für die Wiederaufnahme festzustellen und entsprechend zu begründen, weil dies eine Voraussetzung dafür ist, neuerlich in dem bereits mit Bescheid vom 23. April 2007 rechtskräftig abgeschlossenen Bauverfahren entscheiden zu können. Die bauwerbenden Parteien brachten dazu in ihrer Vorstellung vom 21. September 2012 mit näherer Begründung vor, die Wiederaufnahme sei verfristet. Die belangte Behörde setzte sich mit diesem Vorbringen jedoch nicht auseinander.
Zutreffend zeigte die belangte Behörde hingegen auf, dass hinsichtlich des Bescheides der Gemeindevertretung vom 31. März 2011 kein Wiederaufnahmeantrag gestellt wurde und die Berufungsbehörde auch nicht darlegte, auf Grund welcher Umstände sie eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen verfügte. In diesem - vom übrigen Spruch trennbaren - Umfang wurde der Berufungsbescheid vom 4. September 2012 von der belangten Behörde zu Recht aufgehoben.
Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der Aufhebung der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Bescheid des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Gemeinde vom 23. April 2007 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014).
Wien, am 12. August 2014
Schlagworte
Trennbarkeit gesonderter AbspruchBindung an die Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde ErsatzbescheidIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2013060087.X00Im RIS seit
13.10.2014Zuletzt aktualisiert am
14.10.2014