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L37152 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des A in B, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1 A/VII, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 8. Juni 2009, Zl. 7-B-BRM-1097/6/2009, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. C GmbH in B, 2. Gemeinde B), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Kärnten hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Die Erstmitbeteiligte (im Folgenden: Bauwerberin) beantragte mit Bauansuchen vom 15. Februar 2007 die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses auf dem im Bauland-Geschäftsgebiet liegenden Gst.-Nr. 450/1 EZ 272 KG Z im Gemeindegebiet der zweitmitbeteiligten Gemeinde, welches im Osten an die im Bauland-Dorfgebiet liegende Parzelle 444/2 EZ 123 KG Z des Beschwerdeführers angrenzt, auf der der Beschwerdeführer eine Tankstelle mit Waschbox, eine Kfz-Werkstätte und ein Cafe betreibt.
Mit Schreiben vom 16. April 2007 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen folgende Einwendungen vor: Das gegenständliche Bauvorhaben widerspreche den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung. Es stehe in offenem Widerspruch zu einer gesetzmäßigen Flächenwidmung, Bebauungsplanung und Abstandsregelung. Die Zulassung der Errichtung und Benützung eines Wohnhauses in unmittelbarer Nähe von lange bestehenden Betriebsanlagen, wie im vorliegenden Fall der Tankstelle und der Kfz-Werkstätte des Beschwerdeführers, verletze sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Freiheit seines Eigentums, weil ihm die bisherige, seit Jahrzehnten geübte Nutzung seines Grundstückes beispielsweise durch Auflagen der Gewerbebehörden zum Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen jeglicher Art (vor allem Staub, Lärm, Geruch, etc.), schlimmstenfalls sogar durch Einstellung der Betriebsstätten verunmöglicht werde. Auf diese Ausführungen verwies der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2007.
Der nichtamtliche Sachverständige DI Dr. V führte in seinem Gutachten vom 11. Dezember 2007 aus, dass keine Notwendigkeit einer Änderung der Genehmigungssituation für die Betriebsanlage des Beschwerdeführers zu erwarten und daher mit keinen zusätzlichen Auflagen der Bezirksverwaltungsbehörde zum Schutz der Nachbarn zu rechnen sei. Zu diesem Gutachten äußerte sich der Beschwerdeführer ablehnend, zu den in dieser Stellungnahme aufgeworfenen Fragen nahm DI Dr. V in seinem Ergänzungsgutachten vom 14. Februar 2008 Stellung.
Der Bürgermeister der zweitmitbeteiligten Gemeinde erteilte mit Bescheid vom 9. April 2008 der Bauwerberin die beantragte Baubewilligung unter Auflagen.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung (vom 22. April 2008), die mit Bescheid des Gemeindevorstandes der zweitmitbeteiligten Gemeinde vom 7. Juli 2008 als unbegründet abgewiesen wurde.
2. Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung vom 22. Juli 2008 hob die belangte Behörde mit Bescheid vom 21. Jänner 2009 den Bescheid des Gemeindevorstandes der zweitmitbeteiligten Gemeinde vom 7. Juli 2008 auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die zweitmitbeteiligte Gemeinde zurück (erster Vorstellungsbescheid).
Begründend legte die belangte Behörde im Wesentlichen dar, für die Beurteilung, ob und allenfalls welche Auflagen nach § 79 GewO 1994 von der Behörde vorzuschreiben seien, bedürfe es keiner anderen Voraussetzungen als im Verfahren zur Genehmigung der Betriebsanlage. In beiden Fällen habe die Behörde die Auswirkungen der Betriebsanlage auf die Nachbarn unter Beiziehung eines gewerbetechnischen und eines ärztlichen Sachverständigen zu beurteilen und zu prüfen, welche Auflagen erforderlich seien, um Gefährdungen oder - im Rahmen des § 79 Abs. 2 leg. cit. - unzumutbare Belästigungen der Nachbarn hintanzuhalten. Im gegenständlichen Fall sei jedoch von der Behörde kein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Es wäre aber Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen gewesen darzulegen, welche Einwirkungen die nach der festgestellten Sachlage zu erwartenden Emissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus auszuüben vermögen. Erst auf Grund dieses Ergebnisses hätte die Behörde ihre rechtlichen Schlüsse ziehen können. Der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt bedürfe somit einer Ergänzung, um abschließend beurteilen zu können, ob Immissionen im Sinne des § 79 Abs. 2 GewO 1994 vorlägen und ob der Beschwerdeführer mit zusätzlichen Auflagen durch die Gewerbebehörde zu rechnen habe.
3. Mit Bescheid vom 15. Mai 2009 wies der Gemeindevorstand der zweitmitbeteiligten Gemeinde nach Verfahrensergänzung die Berufung des Beschwerdeführers vom 22. April 2008 neuerlich als unbegründet ab.
4. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung vom 28. Mai 2009, die mit dem angefochtenen Bescheid (zweiter Vorstellungsbescheid) vom 8. Juni 2009 als unbegründet abgewiesen wurde.
Die belangte Behörde wiederholt zunächst im Wesentlichen ihre Ausführungen im ersten Vorstellungsbescheid vom 21. Jänner 2009. Des Weiteren legt sie dar, dass im Gutachten des (nichtamtlichen) Sachverständigen DI Dr. V vom 18. Dezember 2008 im Wesentlichen festgestellt worden sei, dass durch die geplante Bebauung im Westen durch die Bauwerberin keine Notwendigkeit einer Änderung der Genehmigungssituation für die Betriebsanlage des Beschwerdeführers zu erwarten und daher mit keinen zusätzlichen Auflagen der Bezirksverwaltungsbehörde zum Schutze dieser neuen Nachbarn zu rechnen sei. In ihrer medizinischen Stellungnahme vom 31. März 2009 habe die Amtssachverständige Dr. P ausgeführt, nach dem lärmtechnischen Gutachten sei im gegenständlichen Fall mit einer Erhöhung des Schalldruckpegels lediglich um 0,6 dB zu rechnen; die höchstzulässigen Werte würden nicht überschritten. Es sei daher davon auszugehen, dass es zu keiner hörbaren Änderung der Ausgangssituation kommen werde und - weil die WHO-Grenzwerte eingehalten würden - auch keine gesundheitsrelevanten Auswirkungen zu erwarten seien. Entsprechend dem lufttechnischen Gutachten seien auch keine Überschreitungen von einschlägigen Immissionsgrenzwerten zu erwarten und es sei somit auch hier mit keiner negativen gesundheitlichen Beeinträchtigung zu rechnen.
Der Beschwerdeführer führe dazu aus, das Gutachten des nichtamtlichen Sachverständigen DI Dr. V sei unrichtig und unvollständig, daher könne auch die medizinische Stellungnahme nicht richtig sein. In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein Vorstellungswerber eine Rechtswidrigkeit des auf diesem Gutachten beruhenden Bescheides nicht mit Erfolg aufzeige, wenn er es trotz gebotener Gelegenheit unterlassen habe, den sachverständigen Darlegungen im Verwaltungsverfahren auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2005, Zl. 2002/04/0191). Der Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens befreie die Partei nicht von der Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen, wobei die Erklärung, die ihm vorgehaltenen konkreten Erhebungsergebnisse seien unrichtig, nicht ausreiche, wenn diesen nicht ebenso konkrete Behauptungen entgegengesetzt und entsprechende Beweise angeboten würden. In einem solchen Fall liege kein Verfahrensmangel vor, wenn die Behörde von Amts wegen keine weiteren Beweiserhebungen durchführe (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 30. September 1991, Zl. 91/19/0088).
Dennoch seien von der belangten Behörde Stellungnahmen der Amtssachverständigen Ing. L und DI S zur Frage der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens des nichtamtlichen Sachverständigen DI Dr. V eingeholt worden:
Ing. L habe festgestellt, dass auf Grund des großen Unterschiedes der Wertesituation der spezifischen Belastung durch den Verkehr zur spezifischen Belastung der Tankstelle inkl. Nebeneinrichtungen eine negative Beeinflussung der örtlichen Schallsituation durch die Betriebsanlage bei der geplanten Bebauung nicht zu erwarten sei. Die Erhöhung des Verkehrs sei mittels eines näher bezeichneten Ausbreitungsberechnungsprogramms vorgenommen worden. Die Erhöhung sei als geringfügig anzusehen, der Unterschied der spezifischen Belastung der Tankstelle inkl. Nebeneinrichtungen im Vergleich zur spezifischen Belastung durch den Verkehr würde sich vergrößern und damit die Betriebsanlage noch mehr in den Hintergrund treten. Zusammenfassend könne daher festgehalten werden, dass auf Basis des vorliegenden Gutachtens für die Betriebsanlage des Beschwerdeführers durch die Bebauung im Westen aus schalltechnischer Sicht keine Änderung der Genehmigungssituation und auch keine Vorschreibung weiterer Auflagen zu erwarten sei. Das Gutachten des DI Dr. V vom 18. Dezember 2008 sei vollständig und nachvollziehbar und nach dem Stand der Technik erstellt.
DI S habe dargelegt, dass nach den Ausführungen im vorgelegten Gutachten des DI Dr. V vom 18. Dezember 2008, welches plausibel und nachvollziehbar sei, im Hinblick auf die Luftreinhaltung keine Überschreitungen von einschlägigen Immissionsgrenzwerten laut Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) zu erwarten seien. Auf Grund dieser Stellungnahmen der Amtssachverständigen Ing. L und DI S, denen der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten sei, sei davon auszugehen, dass das Gutachten des Dl Dr. V vom 18. Dezember 2008 richtig und schlüssig sowie nach dem Stand der Technik erstellt worden sei.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 9. März 2011, B 885/09-10, deren Behandlung abgelehnt und diese mit Beschluss vom 11. April 2011, B 885/09-14, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
In seiner vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Die mitbeteiligten Parteien haben sich nicht am verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt.
6. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6.1. Hat der Verfassungsgerichtshof in einem Verfahren gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember geltenden Fassung bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 8 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, in einem solchen Verfahren die Bestimmungen des B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung und des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung weiter anzuwenden.
Im Beschwerdefall ist im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides des Gemeindevorstandes der zweitmitbeteiligten Gemeinde folgende Rechtslage von Bedeutung:
§ 23 Kärntner Bauordnung 1996 (K-BO 1996) idF LGBl. Nr. 16/2009 lautet:
"Parteien, Einwendungen
(1) Parteien des Baubewilligungsverfahrens sind:
...
e) die Anrainer (Abs. 2).
(2) Anrainer sind:
a) die Eigentümer (Miteigentümer) der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke und aller weiteren im Einflußbereich des Vorhabens liegenden Grundstücke sowie
b) entfällt
(3) Anrainer im Sinn des Abs. 2 dürfen gegen die Erteilung der Baubewilligung nur begründete Einwendungen dahingehend erheben, daß sie durch das Vorhaben in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt werden, die ihnen durch die Bestimmungen dieses Gesetzes, der Kärntner Bauvorschriften, des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes eingeräumt werden, welche nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz der Anrainer dienen. Einwendungen der Anrainer im Sinn des ersten Satzes können insbesondere gestützt werden auf Bestimmungen über
a)
die widmungsgemäße Verwendung des Baugrundstückes;
b)
die Bebauungsweise;
c)
die Ausnutzbarkeit des Baugrundstückes;
d)
die Lage des Vorhabens;
e)
die Abstände von den Grundstücksgrenzen und von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen auf Nachbargrundstücken;
f)
die Bebauungshöhe;
g)
die Brandsicherheit;
h)
den Schutz der Gesundheit der Anrainer;
i)
den Immissionsschutz der Anrainer.
...
(5) Wurde eine mündliche Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde, bei Vorhaben nach § 1 Abs. 2 lit. c und d auch durch Verlautbarung in der Kärntner Landeszeitung kundgemacht und wurden die Anrainer im Sinn des § 16 Abs. 2 lit. d persönlich geladen, so bleiben im weiteren Verfahren über die Erteilung der Baubewilligung nur jene Anrainer Parteien, die spätestens bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinn des Abs. 3 und 4 erhoben haben.
..."
6.2. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, das Gutachten des nichtamtlichen Sachverständigen DI Dr. V sei trotz Ergänzungen und Korrekturen - was auch ein Nicht-Sachverständiger beurteilen könne - offensichtlich unvollständig und zwiespältig geblieben.
Dies führe auch der Amtssachverständige Ing. L in seinem Gutachten vom 1. Dezember 2008 mit deutlichen Worten aus. Diese ließen Zweifel berechtigt erscheinen, welche mit dem Sachverständigengutachten "Version 1.1 Ausgabedatum 18. Dezember 2008" des DI Dr. V nicht zur Gänze beseitigt worden seien. So falle einem Laien in die Augen, dass der Sachverständige im Gutachten vom 18. Dezember 2008 kein Wort über den Brandschutz verliere, obwohl die alte Betriebsstätte des Beschwerdeführers - wie jede Tankstelle mit unterirdischen und oberirdischen Tanks - ein erhebliches Brand- und Explosionspotential in sich berge. Mit Auflagen zur Erhöhung des Brandschutzes sei daher zu rechnen, wenn die Wohnbevölkerung heranrücke.
Die Konklusionen des DI Dr. V seien zwiespältig, die Berechnungen erschienen unplausibel, abstrakt und beliebig (wird jeweils näher dargestellt).
DI Dr. V stelle das Widmungsmaß fest, wie es für das Bauverfahren vorgesehen sei, nicht aber, ob es aufgrund von Lärmemissionen einer Betriebsanlage für die Nachbarn zu ihre Gesundheit gefährdenden oder sie unzumutbar belästigenden Lärmimmissionen komme. Die Beurteilung sei aber nicht vom Widmungsmaß eines Grundstückes abhängig, sondern von Art und Ausmaß der von der Betriebsanlage ausgehenden und auf die Nachbarn einwirkenden Emissionen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2005, Zl. 2002/04/0191).
Die amtsärztliche Stellungnahme Dris. P vom 31. März 2009 fuße nicht wirklich auf dem gewerbetechnischen Sachverständigengutachten und sei nicht als Gutachten im engeren Sinn zu qualifizieren. Die Sachverständige beurteile offensichtlich nicht die Betriebsanlage des Beschwerdeführers, sondern das Bauvorhaben, und gehe nicht vom Befund des gewerbetechnischen Sachverständigen aus, wenn sie meint, dass "die oben genannten Werte in keiner Weise überschritten" würden. Als "Grenze des Übergangs zu gesundheitsgefährdenden Auswirkungen bei langdauernden Auswirkungen" bedürfe es laut WHO "tags im Freien einen Beurteilungspegel von 65 dB, nachts einen solchen von 55 dB, Maximalpegel bzw. Lärmspitzen von 90 bis 95 dB tags und Lärmspitzen von 80 - 85 dB nachts", sie berücksichtige aber nicht, dass diese Lärmspitzen laut gewerbetechnischem Gutachten überschritten würden. Der Beschwerdeführer werde daher, wenn das gegenständliche Bauvorhaben verwirklicht werde, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Lärmschutzmaßnahmen setzen müssen, um z.B. die spezifische Lärmbelästigung nachts so zu vermindern, dass eine Gesundheitsgefährdung der heranrückenden Wohnbevölkerung nicht eintrete.
Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung somit auf eine sachverständige Äußerung gestützt, die sich in der Abgabe eines Urteils erschöpfe, aber weder die Tatsachen, auf die sich das Urteil gründe, noch die Art, wie diese Tatsachen beschafft worden seien, erkennen lasse. Damit liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1982, Zl. 82/11/0033).
6.3. Ein mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch stehendes Gutachten kann in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten, somit auf gleicher fachlicher Ebene (durch Einholung eines Gutachten eines Privatsachverständigen), bekämpft werden. Widersprüche zu den Erfahrungen des Lebens und zu den Denkgesetzen können aber auch ohne sachverständige Untermauerung aufgezeigt werden. Auch Hinweisen auf die Ergänzungsbedürftigkeit des Gutachtens muss nachgegangen werden. (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. April 2003, Zl. 2001/12/0195).
Das Gutachten des Sachverständigen DI Dr. V vom 18. Dezember 2012 enthält keine Ausführungen zu den vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 7. Februar 2008 thematisierten Fragen des Brandschutzes, hatte er doch bereits zu allen in dieser Stellungnahme aufgeworfenen Fragen in seinem Ergänzungsgutachten vom 19. März 2008 Stellung genommen.
Auch mit dem Vorbringen, der Sachverständige DI Dr. V hätte den Beurteilungsmaßstab der Gewerbebehörde heranzuziehen gehabt, ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, lautete doch der - durch die Rechtslage gedeckte - Gutachtensauftrag vom 1. August 2007 dahingehend, es sei festzustellen, ob die bestehenden Gewerbebetriebe durch die Genehmigung der beantragten Wohnobjekte in weiterer Folge mit gewerbebehördlichen Auflagen zu rechnen hätten, was - wie dargestellt - vom Sachverständigen verneint wurde.
Die belangte Behörde hat sich der Beurteilung der Baubehörde, das von ihr zu Grunde gelegte Gutachten des nichtamtlichen Sachverständigen DI Dr. V sei schlüssig und nachvollziehbar, angeschlossen. Diese Ansicht ist nicht als unzutreffend zu erkennen, zumal zur Frage der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit ergänzende Stellungnahmen der Amtssachverständigen Ing. L und DI S eingeholt (Schalltechnische und Lufttechnische Stellungnahme vom 12. März 2009 und vom 27. April 2009) eingeholt wurden und diese Frage von beiden (mit näherer schlüssiger Begründung) bejaht wurde.
Der Beschwerdeführer vermag weder mit seinen allgemein gehaltenen Ausführungen, die Berechnungen des Sachverständigen DI Dr. V erschienen unplausibel, abstrakt und beliebig bzw. das Gutachten basiere auf einem Verkehrsaufkommen, welches vom tatsächlichen an der Betriebsstätte des Beschwerdeführers erheblich abweiche, Widersprüche im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung oder eine Ergänzungsbedürftigkeit aufzuzeigen, noch ist er dem Sachverständigengutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.
6.4. Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden:
Tragender Aufhebungsgrund des aufhebenden Vorstellungsbescheides vom 21. Jänner 2009 war, dass die Behörde kein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt habe. Es wäre aber Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen gewesen, darzulegen, welche Einwirkungen die nach der festgestellten Sachlage zu erwartenden Emissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus auszuüben vermögen. Erst auf Grund dieses Ergebnisses hätte die Behörde ihre rechtlichen Schlüsse ziehen können. Der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt bedürfe somit einer Ergänzung, um abschließend beurteilen zu können, ob Immissionen im Sinne des § 79 Abs. 2 GewO 1994 vorlägen und damit verbunden, ob der Beschwerdeführer mit zusätzlichen Auflagen durch die Gewerbebehörde zu rechnen habe.
Der Beschwerdeführer ist mit seinem Vorbringen im Recht, dass das von der Baubehörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten für eine abschließende Beurteilung im vorstehenden Sinn nicht ausreicht, geht doch aus der Stellungnahme der Amtsärztin Dr. P vom 31. März 2009 beispielsweise keineswegs hervor, inwiefern sich die dort angeführte Erhöhung des Schalldruckpegels um 0,6 dB aus dem Gutachten des DI Dr. V ergebe bzw. werden keine Nachweise aus dem Gutachten des DI Dr. V angeführt, die ein Einhalten der angeführten Mindestanforderung der WHO darlegten. Auch bei der Beurteilung der Luftqualität findet sich lediglich der Hinweis, dass keine Überschreitungen von einschlägigen Immissionsgrenzwerten zu erwarten seien und somit auch mit keiner negativen gesundheitlichen Beeinträchtigung zu rechnen sei, ohne dass aber eine nähere Begründung an Hand des Gutachtens des DI Dr. V erfolgt.
7. Die belangte Behörde wäre verhalten gewesen, den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 15. Mai 2009, der sich auf ein nicht vollständiges bzw. nicht schlüssiges Sachverständigengutachten gestützt hat, aufzuheben und die Sache an die Berufungsbehörde zurückzuverweisen, was sie aber in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
8. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014).
Wien, am 12. August 2014
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2011060063.X00Im RIS seit
13.10.2014Zuletzt aktualisiert am
14.10.2014