TE Vfgh Erkenntnis 2014/9/25 V65/2014

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Veröffentlicht am 25.09.2014
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Nö ROG 1976 §22 Abs1
Örtliches Raumordnungsprogramm der Marktgemeinde Eichgraben idF vom 13.08.2008

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit des örtlichen Raumordnungsprogrammes der Marktgemeinde Eichgraben hinsichtlich der Umwidmung einer Grundfläche von Bauland-Wohngebiet in Grünland-Grüngürtel wegen mangelnder Grundlagenforschung; keine hinreichende Dokumentation einer wesentlichen Änderung der Planungsgrundlagen

Spruch

I.              Das örtliche Raumordnungsprogramm der Marktgemeinde Eichgraben in der vom Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben am 13. August 2008 unter Tagesordnungspunkt 2a beschlossenen Fassung, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 5. bis 20. September 2008, wird, soweit dieses für einen Teil des Grundstücks Nr 627, KG Eichgraben, die Widmung "Grünland-Grüngürtel", Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün", festlegt, als gesetzwidrig aufgehoben.

II.              Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B874/2013 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Die beiden Beschwerdeführer sind je zur Hälfte Eigentümer des Grundstücks Nr 627, KG Eichgraben. Für einen Teil dieses Grundstücks ist seit der durch Beschluss des Gemeinderates der Marktgemeinde Eichgraben vom 13. August 2008, Tagesordnungspunkt 2a der Gemeinderatssitzung, erfolgten Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes (in der Folge: ÖRP) die Widmung "Grünland-Grüngürtel" ("Ggü") mit der Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün" festgesetzt. Zuvor war dieses Grundstück zur Gänze mit der Widmung "Bauland-Wohngebiet" ("BW") ausgewiesen.

1.2. Am 19. Dezember 2008 stellten die Beschwerdeführer einen Antrag auf Feststellung, dass es sich bei dem als Grünland gewidmeten Teil ihres Grundstücks nicht um Wald iSd Bundesgesetzes vom 3. Juli 1975, mit dem das Forstwesen geregelt wird (Forstgesetz 1975), BGBl 440 idF BGBl I 55/2007, handle, was von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten mit Bescheid vom 17. März 2009 antragsgemäß festgestellt wurde. In der Folge wurde die bis dahin bestehende "Wald"-Kennzeichnung des relevanten Grundstückteils der Beschwerdeführer aus der Digitalen Katastralmappe (DKM) ausgetragen.

1.3. Der im Jahr 2012 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Individualantrag der nunmehrigen Beschwerdeführer, mit welchem die Aufhebung des ÖRP im Hinblick auf die Umwidmung ihres o.a. Grundstückteils in "Grünland-Grüngürtel" mit der Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün" angestrebt wurde, wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Oktober 2012 zu V58/2012 zurückgewiesen, weil ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Verordnung im Verfahren zur Bauplatzerklärung bestanden habe.

1.4. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Eichgraben vom 4. Dezember 2012 wurde der Antrag der Beschwerdeführer, jenen Teil des o.a. Grundstücks, der als "Grünland-Grüngürtel" mit der Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün" gewidmet ist, zum Bauplatz zu erklären, abgewiesen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom Gemeindevorstand der Marktgemeinde Eichgraben mit Bescheid vom 5. Juni 2013 abgewiesen.

Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Juli 2013 abgewiesen. Eine Bauplatzerklärung komme auch für eine Teilfläche eines Grundstücks nur dann in Betracht, wenn diese im Bauland liege.

1.5. In der gegen den letztgenannten Bescheid gemäß Art144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde wird die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich des ÖRP, und die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) geltend gemacht. Die Beschwerde führt u.a. aus, dass nach §22 Abs1 Z2 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 (NÖ ROG 1976), LGBl 8000-23, das Raumordnungsprogramm nur bei Vorliegen von wesentlichen Änderungen der Grundlagen hätte geändert werden dürfen.

1.6. Die Niederösterreichische Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den in der Beschwerde geäußerten Bedenken entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

1.7. Die Marktgemeinde Eichgraben brachte die Verordnungsakten in Vorlage und erstattete eine kurze Äußerung.

2. Bei der Behandlung der gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Juli 2013 gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des örtlichen Raumordnungsprogrammes der Marktgemeinde Eichgraben in der vom Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben am 13. August 2008 unter Tagesordnungspunkt 2a beschlossenen Fassung, soweit dieses für einen Teil des Grundstücks Nr 627, KG Eichgraben, die Widmung "Grünland-Grüngürtel", Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün", vorsieht, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 11. Juni 2014 beschlossen, dieses örtliche Raumordnungsprogramm insoweit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"2. Mit der Änderung des ÖRP im Zuge der digitalen Neudarstellung erfolgte die Umwidmung eines ca. 830m2 umfassenden Teils des o.a. Grundstücks der Beschwerdeführer von vormals 'Bauland-Wohngebiet' in nunmehr 'Grünland-Grüngürtel' mit der Funktionsfestlegung 'Bachbegleitgrün', womit dieser Teil nun nicht mehr bebaut werden darf.

Der im Zuge der Erlassung der gegenständlichen Änderung des ÖRP eingeholte Bericht des mit der Ausarbeitung der Änderung betrauten Ziviltechnikers vom 11. August 2008 hält zur Änderung des ÖRP u.a. Folgendes fest:

'Folgende Änderungen wurden im Zuge der Digitalisierung im Flächenwidmungsplan durchgeführt:

[…]

Änderung von Bauland – Kern- bzw. Wohngebiet in Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün. Diese Flächen haben die Kenntlichmachung 'Wald', in der Natur ist ein entsprechender Baumbestand vorhanden, daher werden diese Bereiche als Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün festgelegt.

Die ausgewiesenen Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbezeichnung 'Bachbegleitgrün' mit der Festlegung der Widmungsgrenze orientiert sich an de[n] als Forst in der DKM ausgewiesenen Flächen bzw. auch am Verlauf dieser Flächen an den Nachbargrundstücken […].

Daher ergeben sich unterschiedliche Breiten. In diesem Sinne wurden die Bereiche als Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün festgelegt, dass entlang der Gewässer ausreichend breite Betreuungs- und Er-haltungsstreifen frei von jeglicher Bebauung gehalten werden.

Ist laut DKM oder laut Naturstand keine Bepflanzung entlang eines Bachlaufs eingetragen, wurde daher in diesen Bereichen keine Eintragung eines Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbezeichnung 'Bachbegleitgrün' vorgenommen.

[…]

Bei einigen Parzellen […] sind im Uferbereich bereits Bebauungen vorhanden, od. es sind bereits Einreichprojekte vorhanden, die einer [entsprechenden] Widmung entgegenstehen.'

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3. Gemäß §22 NÖ ROG 1976 darf ein örtliches Raumordnungsprogramm nur abgeändert werden, wenn einer der in §22 Abs1 leg.cit. genannten Gründe vorliegt. Es dürfte unbestritten sein, dass im Zuge der Änderung des ÖRP zum Zwecke einer digitalen Neudarstellung nicht bloß die bestehenden Festlegungen der Widmungen in die neue Darstellung übernommen wurden, sondern auch – u.a. betreffend das Grundstück der Beschwerdeführer – Änderungen der inhaltlichen Festlegungen erfolgten.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt aussprach, ist die Änderung eines Flächenwidmungsplanes nur zulässig, wenn einer der in §22 Abs1 NÖ ROG 1976 genannten Gründe vorliegt, etwa wegen eines rechtswirksamen Raumordnungsprogrammes des Landes oder anderer rechtswirksamer überörtlicher Planungen (Z1), wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen (Z2) oder aus einem anderen der in §22 Abs1 genannten Gründe (Z3 bis 6). Das Gesetz verleiht nämlich – wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 14.537/1996 festgehalten hat – 'dem Flächenwidmungsplan, indem es seine Änderung nur unter bestimmt umschriebenen Voraussetzungen gestattet (und dadurch dem pflichtgemäßen Ermessen des Verordnungsgebers überlässt), im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich erhöhte Bestandskraft (vgl. etwa VfSlg 11.990/1989)'. Von einer – die Änderung des Flächenwidmungsplanes rechtfertigenden – ''wesentlichen Änderung der Grundlagen' kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht schon dann gesprochen werden, wenn neue Tatsachen bloß punktuell neue Zielsetzungen rechtfertigen, sondern erst dann, wenn sie erlauben, neue Ziele allgemeiner Art anzustreben' (vgl. VfSlg 14.537/1996; s. auch die zum Niederösterreichischen Raumplanungsrecht ergangenen Erkenntnisse VfSlg 13.282/1992 und 13.835/1994; vgl. auch VfSlg 9361/1982 und 11.374/1987).

4. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten über die Erlassung der Verordnung ergibt sich weder ausdrücklich noch implizit, welcher der Änderungsgründe des §22 NÖ ROG 1976 die Beschlussfassung des ÖRP gerechtfertigt hätte. Als Änderungsanlass wird lediglich angegeben, dass der Zweck der Änderung darin bestehe, 'das Örtliche Raumordnungsprogramm (Flächenwidmungsplan)' digital neu darzustellen; dies stellt aber keinen Änderungsgrund iSd §22 Abs1 leg.cit. dar.

Aus der im Verordnungsakt erliegenden, im Zuge der Genehmigung der Änderung des ÖRP vom Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben mit der Niederösterreichischen Landesregierung geführten Korrespondenz ergibt sich ebenfalls, dass der Änderungsanlass aus den Verfahrensunterlagen der Gemeinde nicht ersichtlich gewesen sei; im Schreiben der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. August 2008 heißt es wörtlich, dass 'im Erläuterungsbericht in nachvollziehbarer Weise auszuführen [wäre], bei welcher [Grundlage] eine Änderung festgestellt wurde, worin diese besteht, warum sie als wesentliche beurteilt wurde und inwiefern die neue Festlegung der geänderten Grundlage nunmehr entspricht. Dies setzt die Aufbereitung (Erhebung, Analyse und Bewertung) der Grundlagen der Festlegung voraus'. Nach den übrigen, im Verordnungsakt erliegenden Stellungnahmen wird die hinsichtlich des Grundstücks der Beschwerdeführer vorgenommene Widmungsänderung zwar grundsätzlich als zweckmäßig erachtet, daraus ergibt sich aber nicht, welche wesentliche Änderung der Grundlagen iSd §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 die Änderung gerechtfertigt hätte.

Der Verfassungsgerichtshof hegt daher zusammengefasst das Bedenken, dass aus allen ihm vorliegenden, die Umwidmung des o.a. Grundstücks der Beschwerdeführer betreffenden Unterlagen und Akten nicht hervorgehe, dass im gegebenen Fall eine wesentliche Änderung der Grundlagen eingetreten oder sonst ein Tatbestand iSd §22 Abs1 NÖ ROG 1976 vorgelegen wäre, wodurch die Abänderung des Flächenwidmungsplanes zulässig wäre. Weder ist ersichtlich, von welchen Planungsgrundlagen die Gemeinde bei der ursprünglichen Planungsfestlegung ausgegangen ist, noch ist erkennbar, worin die seither eingetretene wesentliche Änderung der Planungsgrundlagen bestanden haben sollte, die diese Änderung der planerischen Absichten und letztlich die vorgenommenen Umwidmungen rechtfertigen könnte.

Im Verordnungsprüfungsverfahren wird auch zu klären sein, ob die Änderung lediglich dazu diente, eine früher gesetzwidrige Widmung zu korrigieren und auf Grund eines nunmehr gesetzmäßigen Planverfahrens eine andere, gesetzmäßige Widmung zu verfügen, was nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zulässig wäre (vgl. zum Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz VfSlg 16.323/2001). Weiters wird im Verordnungsprüfungsverfahren zu klären sein, ob allenfalls die Voraussetzungen des §22 Abs2 NÖ ROG 1976 vorgelegen sind."

4. Die Niederösterreichische Landesregierung legte den Verordnungsakt vor und sah von der Möglichkeit, eine Äußerung zu erstatten, ab.

5. Die Marktgemeinde Eichgraben erstattete eine Äußerung, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"Bezüglich der Parzelle Nr 627, EZ225, KG Eichgraben ist folgendes festzuhalten:

Im Jahr 2008 wurden die Digitalisierung des Flächenwidmungsplanes und die daraus resultierende[n] Änderungen sowie einige punktuelle Änderungen durchgeführt.

[…]

Diese Tatsache stellt laut NÖ ROG §22 Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes eine wesentliche Änderung der Grundlagen dar.

Im Plan der Grundlagenforschung 'Bestand ortsbildprägende Grünelemente, Stand Juli 1990, Sommer 1994' zeigt sich, dass sich auf der Parzelle Nummer 627, EZ225, KG Eichgraben, nördlich des Bachlaufes kein Wald befindet.

[…]

Nach Einspielung der DKM im Jahr 2008 wurde ersichtlich, dass sich auf der Parzelle Nummer 627, EZ225, KG Eichgraben, nördlich des Bachlaufes Wald befindet.

Diese Tatsache stellt laut NÖ ROG §22 Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes eine wesentliche Änderung der Grundlagen dar.

Daher wurden im Änderungspunkt 3 [des Berichts des mit der Ausarbeitung der Änderung betrauten Ziviltechnikers vom 11. August 2008] folgende Festlegungen getroffen:

[…]

3. Änderung von Bauland - Kern- bzw. Wohngebiet in Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün. Diese Flächen haben die Kenntlichmachung 'Wald', in der Natur ist ein entsprechender Baumbestand vorhanden, daher werden diese Bereiche als Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün festgelegt.

Die ausgewiesenen Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbezeichnung 'Bachbegleitgrün' mit der Festlegung der Widmungsgrenze orientiert sich an de[n] als Forst in der DKM ausgewiesenen Flächen bzw. auch am Verlauf dieser Flächen an den Nachbargrundstücken (z.B. Parz. 628, 632/4, u.a.). Daher ergeben sich unterschiedliche Breiten. in diesem Sinne wurden die Bereiche als Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün festgelegt, dass entlang der Gewässer ausreichend breite Betreuungs- u. Erhaltungsstreifen frei von jeglicher Bebauung gehalten werden.

Ist laut DKM oder laut Naturstand keine Bepflanzung entlang eines Bachlaufes eingetragen, wurde daher in diesen Bereichen keine Eintragung eines Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbezeichnung 'Bachbegleitgrün' vorgenommen.

Bei der Parz. 1762/1 wurde nur die Hälfte der Parzelle als Grünland- Grüngürtel gewidmet, da aus dem Naturstand klar ersichtlich ist, das[s] der im Bauland verbleibende Teil als Grundstückszufahrt verwendet wird.

Bei einigen Parzellen (z.B. 1455 od. 1488/1 u. a.) sind im Uferbereich bereits Bebauungen vorhanden, od. es sind bereits Einreichprojekte vorhanden, die einer [entsprechenden] Widmung entgegenstehen.

Folgende Stellungnahmen wurden dazu abgegeben: …

30.) Amt der NÖ Landesregierung

Gruppe Wasser

Landhausplatz 1

3109 St. Pölten

Stellungnahme des Ortsplaners:

Änderung von Bauland - Kern- bzw. Wohngebiet in Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün. Diese Flächen haben die Kenntlichmachung 'Wald', in der Natur ist ein entsprechender Baumbestand vorhanden, daher werden diese Bereiche als Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün festgelegt.

ln diesem Sinne wurden die Bereiche als Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbestimmung Bachbegleitgrün festgelegt, dass entlang der Gewässer ausreichend breite Betreuungs- u. Erhaltungsstreifen frei von jeglicher Bebauung gehalten werden.

Allerdings wenn keine Bepflanzung laut DKM entlang des Bachlaufes eingetragen ist[,] wurde auf diesen Parzellen keine Eintragung eines Grünland - Grüngürtel mit der Zweckbezeichnung 'Bachbegleitgrün' vorgenommen.

Es wird dem Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben aus fachlicher Sicht empfohlen, dieser Änderung des Flächenwidmungsplanes teilweise zuzustimmen.

Die Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Eichgraben im Bereich der Parzelle Nummer 627 ist daher nicht als bloß punktuelle Änderung anzusehen, mit der Festlegung der Grüngürtelwidmung und der Zweckbestimmung 'Bachbegleitgrün' wird sehr wohl ein Ziel allgemeiner Art angestrebt, nämlich die Erhaltung und der Schutz der Ufervegetation im gesamten Gemeindegebiet der Marktgemeinde Eichgraben."

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmung des NÖ ROG 1976 idF LGBl 8000-23 stellt sich wie folgt dar:

"§22

Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes

(1) Ein örtliches Raumordnungsprogramm darf nur abgeändert werden:

1. wegen eines rechtswirksamen Raumordnungsprogrammes des Landes oder anderer rechtswirksamer überörtlicher Planungen,

2. wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen,

3. wegen Löschung des Vorbehaltes,

4. wenn sich aus Anlaß der Erlassung oder Abänderung des Bebauungsplanes

eine Unschärfe des örtlichen Raumordnungsprogrammes zeigt, die klargestellt

werden muß,

5. wenn dies zur Verwirklichung der Ziele des Entwicklungskonzeptes dient,

6. wenn im Einvernehmen mit dem Grundeigentümer Bauland in Grünland umgewidmet werden soll, wobei die geschlossene Siedlungsentwicklung nicht beeinträchtigt und die Ausnützung günstiger Lagevorteile nicht behindert wird.

(2) Ein örtliches Raumordnungsprogramm ist abzuändern, wenn sich herausstellt,

dass eine als Bauland gewidmete und noch nicht bebaute Fläche von Gefährdungen gem. §15 Abs3 Z1 bis 3 und 5 tatsächlich betroffen ist und die Beseitigung dieser Gefährdungen nicht innerhalb einer Frist von 5 Jahren sichergestellt werden kann. Als bebaut gelten Grundstücke oder Grundstücksteile, auf denen ein Gebäude errichtet ist, das nicht als Nebengebäude anzusehen ist.

(3)-(5) […]"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

In seinem Prüfungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die zu B874/2013 protokollierte Beschwerde zulässig ist und er bei seiner Entscheidung darüber die in Rede stehende Verordnung des Gemeinde-rates der Marktgemeinde Eichgraben in dem in Prüfung gezogenen Umfang anzuwenden hätte. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

1. Im Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des ÖRP hat sich die im Prüfungsbeschluss getroffene vorläufige Annahme bestätigt, dass die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Änderung des ÖRP, soweit sie das Grundstück Nr 627, KG Eichgraben, betraf, nicht vorlagen.

2. Gemäß §22 Abs1 NÖ ROG 1976 darf ein örtliches Raumordnungsprogramm – das gemäß §13 Abs2 leg.cit. insbesondere einen Flächenwidmungsplan zu enthalten hat – nur geändert werden, wenn einer der in §22 Abs1 Z1 bis 6 leg.cit. genannten Änderungsanlässe (s. oben unter Pkt. II.) vorliegt. Es ist offenkundig, dass im vorliegenden Fall keine der in den Z1, 3, 4, 5 oder 6 des §22 Abs1 leg.cit. genannten Voraussetzungen vorlag; dies wurde im Verfahren auch nicht behauptet. Somit kommt als Änderungstatbestand nur §22 Abs1 Z2 leg.cit. ("wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen") in Betracht.

3. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. u.a. VfSlg 14.780/1997, 18.640/2008) müssen die für eine Änderung des Flächenwidmungs- bzw. Bebauungsplanes herangezogenen Entscheidungsgrundlagen erkennbar dokumentiert sein. Eine dem Gesetz entsprechende Grundlagenforschung "hätte nämlich — dem Charakter der Raumplanung als einer 'planmäßigen und vorausschauenden Gesamtgestaltung eines bestimmten Gebietes' (VfSlg 2674/1954) entsprechend — in allgemeinen Überlegungen zu bestehen, die die Grundlage für die jeweilige Planungsentscheidung hinsichtlich der von der Umwidmung konkret betroffenen Flächen bilden und als solche auch erkennbar und nachvollziehbar sind" (s. VfSlg 14.537/1996).

Aus dem Bericht des mit der Ausarbeitung der Änderung betrauten Ziviltechnikers vom 11. August 2008, auf welchen die Marktgemeinde Eichgraben im Rahmen ihrer Äußerung verweist, geht u.a. hervor, dass bestimmte Flächen von Grundstücken, die mit der Kenntlichmachung "Wald" versehen sind bzw. bei welchen in der Natur ein entsprechender Baumbestand vorhanden ist, in "Grünland-Grüngürtel" mit der Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün" umgewidmet werden, um entlang der Gewässer ausreichende Betreuungs- und Erhaltungsstreifen von jeglicher Bebauung freizuhalten (s. Pkt. I.5.).

Damit ist nicht dargetan, dass sich die Planungsgrundlagen verglichen mit den Grundlagen für die früheren Festlegungen wesentlich geändert haben, zumal keineswegs hervorgeht, dass dieser Baumbestand bei Festlegung der vorhergehenden Widmung nicht schon bestanden hätte.

Wesentliche Änderungen der Planungsgrundlagen müssen nach der angeführten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes eine aktenmäßige und damit überprüfbare Dokumentation erfahren. Die im Bericht vom 11. August 2008 dargelegten Ausführungen vermögen eine solche Grundlagenforschung nicht zu ersetzen. Somit fehlt es jedenfalls an einer hinreichenden Dokumentation der wesentlichen Änderung der Planungsgrundlagen, weshalb das ÖRP schon aus diesem Grund gesetzwidrig ist.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, ob für die vorliegende Änderung des ÖRP überhaupt ein Änderungsanlass iSd §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 vorgelegen ist, einzugehen.

4. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten daher im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden. Das ÖRP ist auf Grund mangelnder Grundlagenforschung gesetzwidrig.

IV. Ergebnis

1. Das örtliche Raumordnungsprogramm der Marktgemeinde Eichgraben in der vom Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben am 13. August 2008 unter Tagesordnungspunkt 2a beschlossenen Fassung, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 5. bis 20. September 2008, ist daher, soweit dieses für einen Teil des Grundstücks Nr 627, KG Eichgraben, die Widmung "Grünland- Grüngürtel", Funktionsfestlegung "Bachbegleitgrün", vorsieht, als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:V65.2014

Zuletzt aktualisiert am

31.10.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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