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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §37;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ro 2014/11/0047Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde und Revision des W T in Wien, vertreten durch Dr. Andrea Simma, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Favoritenstraße 22/12a, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 9. Oktober 2013, Zl. 41.550/344- 9/13, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz,
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die vom Verfassungsgerichtshof abgetretene und zur hg. Zl. Ro 2014/11/0047 protokollierte Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten.
Begründung
Zu I.
Mit Beschluss vom 21. Februar 2014, B 1441/2013-9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den angefochtenen Bescheid ab und trat diese unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die abgetretene Beschwerde langte am 25. März 2014 beim Verwaltungsgerichtshof ein. Der Revisionswerber hat gegen denselben Bescheid schon vor der Abtretung durch den Verfassungsgerichtshof durch seine Vertreterin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die am 12. Februar 2014 eingelangte und zur hg. Zl. Ro 2014/11/0027 protokollierte Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Damit hatte der Revisionswerber sein Recht zur Erhebung einer Revision bereits verbraucht, weshalb sich die vom Verfassungsgerichtshof abgetretene Beschwerde als unzulässig erweist und mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen war.
Zu II.
Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 6. Februar 2013 wurden Anträge des Revisionwerbers vom 7. August 2012 auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß §§ 1 Abs. 1 und 3, 3 sowie 10 Abs. 1 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) sowie auf Hilfeleistung in Form von Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung gemäß §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 2 und 5 und 10 Abs. 1 VOG abgewiesen.
Nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften führte das Bundessozialamt zusammengefasst aus, gemäß § 10 Abs. 1 VOG dürften Leistungen nach § 2 Z. 1, 7 und 9 VOG nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hierfür erfüllt seien, sofern das Ansuchen binnen 6 Monaten nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung bzw. nach dem Tod des Beschädigten gestellt werde. Für die Leistungen nach § 2 Z. 2 bis 6 und Z. 8 VOG betrage diese Frist zwei Jahre. Werde ein Ansuchen erst nach Ablauf der jeweiligen Frist gestellt, so seien die Leistungen nach § 2 Z. 1 bis 7 und 9 VOG mit Beginn des auf das Ansuchen folgenden Monates zu erbringen. Da der Antrag auf Verdienstentgang erst nach Ablauf der vorgesehen Frist am 8. August 2012 gestellt worden sei, sei der Anspruch mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monats zu prüfen, folglich mit 1. September 2012.
Laut den Angaben des Revisionswerbers sei dieser vom 9. Oktober bis zum 21. November 1979 im Jugenderziehungsheim E. in Linz untergebracht gewesen. Während des dortigen Aufenthaltes sei er geschlagen, getreten und gedemütigt worden und für mehrere Tage nackt in einem kleinen Raum untergebracht worden. Zudem sei er in den Jahren 1973 und 1974 Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen Arzt (Dr. X.) geworden.
Nach vier Jahren Hauptschule sei der Revisionswerber kurzzeitig in einer Fachschule gewesen und Anfang 1977 Gastschüler einer Handelsschule in V. Da er jedoch dem Unterricht oft unentschuldigt ferngeblieben sei, habe dies den Ausschluss aus der Handelsschule zur Folge gehabt. Im Zeitraum von 1977 bis 1980 sei er Angestelltenlehrling in diversen Betrieben gewesen und sei in weiterer Folge häufig wechselnden Beschäftigungen nachgegangen. Seit Ende 2005 beziehe er eine Berufsunfähigkeitspension. Anhaltspunkte dafür, dass sich sein fiktiver Berufsverlauf ohne die während der Heimunterbringung und des Missbrauchs in den Jahren 1973 bzw. 1974 erlittenen physischen und psychischen Schädigungen anders gestaltet hätte, seien den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen.
Mit nervenfachärztlichen und psychologischen Sachverständigengutachten, jeweils vom 19. November 2012, sei eine bipolare Störung festgestellt worden, welche nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die Missbrauchserlebnisse bzw. auf den Heimaufenthalt 1979 in Linz zurückzuführen, sondern als Kombination aus anlage- bzw. umweltbedingten Faktoren anzusehen sei. Die Heimunterbringung bzw. die Missbrauchserlebnisse hätten aus medizinisch-psychologischer Sicht nicht als wesentliche Ursache zum gegenwärtigen Leidenszustand beigetragen.
Für die Beurteilung eines Schadens im Sinne des § 3 VOG gälten sowohl hinsichtlich des Grundes als auch hinsichtlich der Höhe die schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (§ 1293 ff ABGB). Das Ansuchen um Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 3 VOG könne nicht bewilligt werden, weil das Vorliegen eines verbrechenskausalen Verdienstentganges im fiktiven schadensfreien Verlauf (ohne die während der Heimunterbringung bzw. die Missbrauchserlebnisse erlittenen physischen und psychischen Schädigungen) zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.
Es werde ausdrücklich festgehalten, dass sowohl die während des Heimaufenthaltes in Linz zugefügten Misshandlungen als auch die Missbrauchserlebnisse in keiner Weise in Frage gestellt würden. Allerdings müsse nach den gesetzlichen Bestimmungen des VOG mit Wahrscheinlichkeit feststehen, dass die durch diese Misshandlungen bzw. Missbrauchserlebnisse erlittenen physischen und psychischen Schädigungen den beruflichen Werdegang des Revisionswerbers dermaßen beeinträchtigt hätten, dass er heute nicht den Beruf ausüben könne, dem er bei Nicht-Erleben der Misshandlungen bzw. Missbrauchserlebnisse hätte nachgehen können und deshalb heute bzw. ab September 2012 noch immer einen Verdienstentgang erleide. Dazu werde angemerkt, dass es durchaus möglich sein könne, dass sich die Berufslaufbahn wegen der erlittenen Misshandlungen bzw. Missbrauchserlebnisse und der daraus resultierenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen anders hätte gestalten können. Die bloße Möglichkeit der Verursachung reiche für Leistungen nach dem VOG jedoch nicht aus.
Nach der "höchstrichterlichen" Rechtsprechung seien die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder die Unmöglichkeit, entscheidungsrelevante Tatsachen festzustellen, von demjenigen zu tragen, der aus der Tatsache ein Recht herleiten wolle.
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Ersatzes für Verdienstentgang nach §§ 1 Abs. 1 und 3 und § 3 VOG seien somit nicht erfüllt.
Hinsichtlich des Antrages auf Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung wurde nach Zitierung des § 4 Abs. 5 VOG ausgeführt, im Hinblick auf die erwähnten psychologischen und nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten vom 19. November 2012 könne die Kausalität der Symptomatik des Revisionswerbers nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als gegeben angesehen werden. Die Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Heilfürsorge seien somit nicht erfüllt.
Mit Bescheid der Bundesberufungskommission vom 9. Oktober 2013 wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen und der erstbehördliche Bescheid bestätigt. Dabei stützte sich die Bundesberufungskommission auf die im Berufungsverfahren eingeholten Aktengutachten von Dr. S (einer Nervenfachärztin) und Mag. W (einer klinischen Psychologin), welche von ihr zusammengefasst wie folgt wiedergegeben wurden:
"Fragestellung an die Sachverständigen:
1. Hat das erlittene Trauma die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit in einem Ausmaß verschlimmert,
-
dass (der Revisionswerber) ohne die angeschuldigten Ereignisse arbeitsfähig wäre, in dem Sinne, dass die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit (des Revisionswerbers) in deutlich geringerem Ausmaß bestünden?
-
Oder wäre (der Revisionswerber) ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls arbeitsunfähig, in dem Sinne, dass die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (des Revisionswerbers) ohne die angeschuldigten Ereignisse in annähernd gleichem Ausmaß bestünden?
2. Hatte das erlittene Trauma die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung mit Wahrscheinlichkeit in einem Ausmaß verschlimmert,
-dass (der Revisionswerber) ohne die angeschuldigten Ereignisse keiner Psychotherapie bedürfte?
-
Oder bedürfte (der Revisionswerber) ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls einer Psychotherapie?
3. Stellungnahmen zum Berufungsvorbringen.
Klinisch-psychologische Beurteilung:
1. (Der Revisionswerber) wäre ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls arbeitsunfähig. Ob die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit (des Revisionswerbers) ohne die angeschuldigten Ereignisse in annähernd gleichem Ausmaß bestünden kann jedoch nicht seriös beantwortet werden.
2. (Der Revisionswerber) bedürfte auch ohne die angeschuldigten Ereignisse einer Psychotherapie.
Begründung:
(Der Revisionswerber) leidet an einer psychiatrischen Grunderkrankung, an der er schon vor den angeschuldigten Ereignissen erkrankt war, die Ereignisse haben zwar sicherlich negativen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung gehabt, sie können jedoch nicht als wesentliche Ursache der Erkrankung angesehen werden.
3. Stellungnahme zum Berufungsvorbringen:
Auch nach genauer Durchsicht des Berufungsvorbringens ergibt sich keine Änderung der getroffenen Beurteilung, da die Ausführungen zum größten Teil bereits bekannt waren und die nicht bekannten keine Änderung der getroffenen Einschätzung nach sich ziehen.
Psychiatrisch-fachärztliche Beurteilung:
1. (Der Revisionswerber) wäre ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls arbeitsunfähig in dem Sinne, dass die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit (des Revisionswerbers) ohne die angeschuldigten Ereignisse in annähernd gleichem Ausmaß bestünden.
2. (Der Revisionswerber) bedürfte ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls einer Psychotherapie.
Begründung: Es liegt, wie schon im eigenen und im psychologischen Gutachten vom Oktober 2012 festgestellt, eine vorbestehende Grunderkrankung vor. Der Heimaufenthalt stellt im Längsschnitt betrachtet bei seiner seit Kindheit bestehenden Persönlichkeitsentwicklungsstörung ein sozusagen "punktuelles" zusätzliches traumatisierendes Erlebnis dar, kann jedoch nicht als wesentlicher Auslöser betrachtet werden.
Der nachgereichte Befund des PSD (sozialpsychiatrisches Ambulatorium Landstraße vom 10.1. 2013) bestätigt die Diagnosen, nimmt jedoch zur Kausalität ausdrücklich nicht Stellung und ergeben sich daher daraus keine neuen Erkenntnisse betreffend die Beurteilung einer eventuellen Kausalität."
Nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften führte die Bundesberufungskommission zusammengefasst aus, die eingeholten Sachverständigengutachten seien schlüssig und nachvollziehbar und wiesen keine Widersprüche auf. Es sei, "basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchungen erhobenen klinischen Befund sowie den vorgelegten und eingeholten medizinischen Beweismitteln", auf die Art der Leiden, deren Ausmaß und die Kausalität eingegangen worden. Die vorgelegten Beweismittel stünden nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises. Vielmehr werde im Befund des Psychosozialen Dienstes Wien (PSD) vom 10. Jänner 2013 u. a. angegeben, dass aus der Anamnese des Revisionswerbers hervorgehe, dass er schon während seiner Kindheit psychisch auffällig gewesen sei. Als Diagnose werde eine bipolare affektive Störung gemischte Episode, posttraumatische Belastungsstörung, paranoide Persönlichkeitsstörung, Alkoholabhängigkeitssyndrom und Zustand nach Schädelhirntrauma 1992 sowie arterielle Hypertonie angeführt. Entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers werde in keinem der vorgelegten Befundberichte des PSD Wien die Kausalität der psychiatrischen Leiden beurteilt.
Die "angeschuldigten" Ereignisse hätten nicht als wesentliche Ursache zum gegenwärtigen Leidenszustand beigetragen. Dieser sei überwiegend auf anlage- bzw. umweltbedingte Faktoren zurückzuführen. Der Berufungswerber wäre ohne die angeschuldigten Ereignisse ebenfalls arbeitsunfähig in dem Sinne, dass die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ohne die angeschuldigten Ereignisse in annährend gleichem Ausmaß bestünden und bedürfte auch ohne diese einer Psychotherapie.
Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Revision. Das ins Verfahren eingetretene Bundesverwaltungsgericht legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des VOG, BGBl. Nr. 288/1972, idF BGBl. I Nr. 71/2013, lauten (auszugsweise):
"Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
...
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre
Erwerbsfähigkeit gemindert ist. ...
(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn
1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder
2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.
...
Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges
§ 3. (1) Hilfe nach § 2 Z 1 ist monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst oder den Hinterbliebenen durch den Tod des Unterhaltspflichtigen als Unterhalt entgangen ist oder künftighin entgeht. …
...
Heilfürsorge
§ 4. ...
...
(2) Die Hilfe nach § 2 Z 2 hat,
1. wenn das Opfer oder der Hinterbliebene einer gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, freiwillig krankenversichert ist oder ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung besteht, der zuständige Träger der Krankenversicherung,
2. sonst die örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zu erbringen. Die im § 2 Z 2 angeführten Leistungen gebühren in dem Umfang, in dem sie einem bei der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse Pflichtversicherten auf Grund des Gesetzes und der Satzung zustehen.
...
(5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Opfer oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die das Opfer oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Eine Kostenübernahme bis zum angeführten Höchstausmaß erfolgt auch, sofern der Träger der Krankenversicherung Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstattet.
...
Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen
§ 10. (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.
..."
2. Die Revision ist gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz VwGbk-ÜG zulässig, weil der angefochtene Bescheid noch vor dem 31. Dezember 2013 zugestellt wurde, die Beschwerdefrist aber vor Ablauf des 31. Dezembers 2013 noch nicht verstrichen war. Für die Behandlung dieser Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 leg. cit. die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß.
3. Die Revision ist im Ergebnis auch begründet.
3.1. Der Revisionswerber bringt vor, die Abweisung seines Antrages werde damit begründet, dass die psychiatrische Grunderkrankung schon vor den "angeschuldigten" Ereignissen bestanden hätte bzw. der gegenwärtige Leidenszustand auf anlage- und umweltbedingte Faktoren zurückzuführen wäre, es werde aber nicht ausgeführt, was unter diesen zu verstehen sei. Die im Akt erliegenden Berichte des Revisionswerbers aus der Jugend wie zB des Jugendamtes V. aus den Jahren 1978/79 ergäben keinen Hinweis auf eine psychische Erkrankung des Revisionswerbers. Dort werde festgehalten, dass der Revisionswerber schwer erziehbar gewesen und zu Hause frech und dem Unterricht öfters unentschuldigt ferngeblieben wäre. Dies sei jedoch nicht gleichbedeutend mit einer psychiatrischen Grunderkrankung. Auch in den Sachverständigengutachten fehle diesbezüglich eine Auseinandersetzung bzw sei nicht feststellbar, inwiefern die Berichte in die Gutachten eingeflossen seien. Der Revisionswerber habe im Verfahren mehrfach vorgebracht, in seiner Jugend an keiner psychischen Erkrankung gelitten zu haben. Die Rückschlüsse von einer psychischen Erkrankung der Mutter mit Suizid auf die genetische Veranlagung und psychische Beeinträchtigung des Revisionswerbers seien zweifelsfrei nicht ausreichend substantiiert worden. Pubertäre Verhaltensweisen insbesondere infolge des überraschenden Todes seines Vaters und in Konfrontation mit seiner in dieser Situation auch wegen geschäftlicher Belange überforderten Mutter, ließen noch keine lebenslange Beeinträchtigung mit Konsequenz der Berufsunfähigkeit und jahrelangem Therapieerfordernis als wahrscheinlich annehmen, während sexueller Missbrauch und die geschilderten Misshandlungen im Heim allgemein anerkannt häufig zu lebenslangen psychischen Erkrankungen und auch den vom Revisionswerber gezeigten Symptomen (Depression, Sucht etc.) führten. Insbesondere werde auch weder in den Gutachten noch in der angefochtenen Entscheidung begründet, warum nicht die Missbrauchserlebnisse eine möglicherweise bereits angelegte Erkrankung erst zum Durchbruch gebracht und zur Berufsunfähigkeit sowie zum Erfordernis einer dauerhaften Behandlung geführt hätten.
3.2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich ist, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Die belangte Behörde trifft im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen zu den Vorfällen, die sich sowohl in der Jugend als auch im Erwachsenenalter des Revisionswerbers zugetragen haben, welche allenfalls geeignet wären, eine nach dem VOG für Verdienstentgang und Notwendigkeit einer psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung kausale Gesundheitsschädigung auszulösen bzw. überwiegend zu begünstigen oder zu ihr beizutragen.
Es fehlen insbesondere Feststellungen zum Beginn, zur Dauer, zur Häufigkeit und zur Art der Handlungen des vorgebrachten sexuellen Missbrauchs durch Dr. X. Diese Angaben sind auch nicht aus den Verwaltungsakten ersichtlich. Hinsichtlich des Beginns bzw. der Dauer des sexuellen Missbrauchs ging die Erstbehörde anscheinend von den Jahren 1973 bis 1974 aus, wohingegen der Revisionswerber jedenfalls in seiner Berufung geschildert hat, dass er erst im Jahr 1976 durch den Schularzt an Dr. X verwiesen worden sei. Sowohl die Sachverständigen als auch die belangte Behörde dürften von der Annahme ausgegangen sein, dass ein "Missbrauch" stattgefunden hat, legen aber nicht dar, was sie unter sexuellem Missbrauch am Revisionswerber (Beginn, Dauer, Häufigkeit, Art der Handlungen) verstanden und welches Geschehen sie ihrer Einschätzung zu Grunde gelegt haben. Auch welche Vorgänge im Erziehungsheim E. im Einzelnen der Beurteilung zu Grunde gelegt wurden, ist nicht erkennbar.
Wie die Sachverständigen angesichts dieser fehlenden Angaben zu der Beurteilung gelangen konnten, die Gesundheitsschädigung des Revisionswerbers sei nicht kausal auf "Missbrauchsfälle", sondern auf "anlage- und umweltbedingte" Faktoren zurückzuführen, ist nach den bisherigen Ausführungen nicht schlüssig nachvollziehbar. Die belangte Behörde war zwar nicht gehalten, die mögliche Ursache für eine psychische Erkrankung des Revisionswerbers zu finden, sie hätte vor dem dargestellten Hintergrund aber nachvollziehbar zu begründen, weshalb die von ihr für gegeben erachtete psychische Erkrankung des Revisionswerbers nicht kausal auf eine Handlung iSd § 1 Abs. 1 VOG zurückzuführen ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 21. November 2013, Zl. 2011/11/0217). Eine solche Einschätzung kann aber nur vorgenommen werden, wenn die belangte Behörde einwandfreie und umfassende Feststellungen zu den potentiell eine nach dem VOG kausale Gesundheitsschädigung auslösenden vorliegenden Vorfällen trifft.
3.2.2. Vor dem Hintergrund dieser fehlenden Feststellungen ist es auch nicht nachvollziehbar, wie die Sachverständigengutachten und die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt sind, dass anlagebedingte Faktoren überwiegen und für die Gesundheitsschädigung des Revisionswerbers verantwortlich sein sollen; dies auch vor dem Hintergrund, da es keine Feststellungen zum Ausmaß oder zur Art der "psychischen Erkrankung" der Mutter des Revisionswerbers gibt. Welche Umstände oder Vorfälle, die vor oder nach dem in Rede stehenden "Missbrauch" bzw. dem Heimaufenthalt stattgefunden haben, einen unbedenklichen Rückschluss auf eine psychiatrische Grunderkrankung des Revisionswerbers zulassen, ist nicht nachvollziehbar.
3.2.3. Der Bescheidbegründung ist zudem nicht zweifelsfrei zu entnehmen, von welcher Gesundheitsschädigung beim Revisionswerber die belangte Behörde überhaupt ausgeht. Die eingeholten Sachverständigengutachten attestieren eine bipolare Störung mit sekundärem Suchtverhalten bzw. eine "psychiatrische Grunderkrankung". Im Bericht des PSD Wien vom 10. Jänner 2013 werden zusätzlich noch eine posttraumatische Belastungsstörung, eine paranoide Persönlichkeitsstörung, ein Alkoholabhängigkeitssyndrom und ein Zustand nach Schädelhirntrauma 1992 angeführt.
Im angefochtenen Bescheid finden sich in diesem Zusammenhang auch keine Feststellungen, wann sich die zu Grunde gelegte Gesundheitsschädigung bzw. die psychiatrische Grunderkrankung des Revisionswerbers derart ausgewirkt haben sollte, dass eine psychiatrische Behandlung notwendig wurde und dieser einen Verdienstentgang erlitten hat. Ohne solche Feststellungen ist nicht nachzuvollziehen, inwieweit eine anlagebedingte Grunderkrankung oder andere Faktoren den Verdienstentgang des Revisionswerbers verursacht bzw. ausgelöst haben sollten. Nach Ausweis der Verwaltungsakten befindet sich der Revisionswerber (erst) seit 2005 in ständiger Therapie beim PSD Wien und war vor der Gewährung der Berufsunfähigkeitspension erwerbstätig. Der belangten Behörde gelingt es vor dem Hintergrund der fehlenden Feststellungen nicht, schlüssig zu begründen, warum die vorliegende Gesundheitsschädigung des Revisionswerbers allein auf eine psychiatrische Grunderkrankung zurückzuführen sein soll.
3.2.4. Falls die Sachverständigen der Auffassung gewesen sein sollten, die bipolare Störung des Revisionswerbers sei so beschaffen, dass ihr Ausbruch von traumatischen Erlebnissen nicht überwiegend abhängig sein könne und deswegen überwiegend auf anlage- oder umweltbedingte Faktoren zurückzuführen sei, so fehlt es diesbezüglich in der Begründung an einer ausreichenden Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. an entsprechenden Ausführungen zu den anlage- und umweltbedingten Faktoren und sonstigen Umständen, die allenfalls einen derartigen Rückschluss zuließen.
3.3. Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG aufzuheben.
3.4. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 21. August 2014
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:RO2014110027.J00Im RIS seit
06.10.2014Zuletzt aktualisiert am
13.10.2015