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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / AllgLeitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung der Ausnahme sogenannter geschützter Sektoren vom vergabespezifischen Rechtsschutz im Tiroler Vergaberecht; keine Bedenken gegen Kontrolle durch Gerichte oder durch Tribunale iSd EMRK; kein Anwendungsvorrang gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften im vorliegenden Fall; verfassungsgerichtliche Kontrolle auch für Ausführungsregelungen zum GemeinschaftsrechtSpruch
Der letzte Satz des §2 Abs2 des Gesetzes vom 6. Juli 1994 über die Vergabe von Aufträgen (Tiroler Vergabegesetz), LGBl. für Tirol Nr. 87/1994, war verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Landesvergabeamtes beim Amt der Tiroler Landesregierung (künftig: TVA) anhängig, mit dem ein Antrag auf Feststellung, daß der Zuschlag in einem bestimmten Vergabeverfahren rechtswidrigerweise nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, zurückgewiesen wurde. In diesem Verfahren ging es um die Vergabe näher bestimmter Leistungen für ein Innkraftwerk durch die Tiroler Wasserkraftwerke AG (im folgenden: TIWAG); die öffentliche Bekanntmachung dieser Auftragserteilung erfolgte im Supplement zum ABl. (der EG) vom 6. April 1996.
Am 11. April 1996 stellte ein übergangener Bieter beim TVA den eingangs genannten Feststellungsantrag. Das TVA wies den Antrag u.a. mit der Begründung zurück, daß es nach §2 Abs2 des Tiroler Vergabegesetzes, LGBl. 87/1994 (künftig: TirVergG), zur Nachprüfung von Auftragsvergaben aus dem Bereich der sogenannten geschützten Sektoren, zu denen auch die Energieversorgung zähle, nicht zuständig sei.
2. a) Bei Behandlung dieser Beschwerde entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des letzten Satzes des §2 Abs2 TirVergG. Der Gerichtshof beschloß daher, diese Bestimmung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
b) Die Tiroler Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Auffassung vertritt, der Verfassungsgerichtshof habe die in Prüfung genommene Vorschrift nicht anzuwenden, weil ihrer Anwendung der Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbarer Richtlinienbestimmungen des EG-Rechts entgegenstehe; dementsprechend beantragte die Landesregierung die Einstellung des Gesetzesprüfungsverfahrens.
c) Das TVA hat eine Äußerung erstattet, in der es im Einklang mit der Auffassung der Tiroler Landesregierung und anders als bei der Erlassung des im Anlaßverfahren bekämpften Bescheides die Ansicht vertritt, es hätte die in Prüfung stehende Bestimmung infolge des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden gehabt.
Auch die im Verfahren beteiligte TIWAG hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Ansicht vertritt, dem Verfassungsgerichtshof käme eine Gesetzesprüfungskompetenz hinsichtlich des TirVergG angesichts des Umstandes überhaupt nicht zu, daß das österreichische Vergaberecht "zu fast 100 % gemeinschaftsrechtlich determiniert" sei. Weiters bestreitet die TIWAG die Beschwerdelegitimation der beschwerdeführenden Gesellschaft im Anlaßverfahren, sucht die schrittweise Umsetzung des gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechts durch den Landesgesetzgeber und die Differenzierung zwischen Regelungen betreffend Aufträge im Sektorenbereich einerseits und solchen in den Bereichen der Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge andererseits zu rechtfertigen und weist in der Sache auf existierenden Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte hin.
Die beteiligte Beschwerdeführerin des Anlaßverfahrens tritt in ihrer Äußerung den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes bei und sucht diese noch mit gemeinschaftsrechtlichen Argumenten zu unterstützen.
II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Land Tirol unterliegt die Vergabe von Aufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber, zu denen gemäß §1 Abs1 litc TirVergG auch die TIWAG zählt, einer gesetzlichen Regelung. Dazu bestimmt der unter der Rubrik "Anwendung bundesgesetzlicher Bestimmungen" stehende §4:
"Auf die Vergabe von Aufträgen sind der 1., 2. und 3. Teil des Bundesvergabegesetzes mit folgenden Abweichungen sinngemäß anzuwenden:
a) die Befugnisse der Bundesregierung kommen der Landesregierung zu;
b) die §§2 Abs1, 6, 7, 8 und 55 sind nicht anzuwenden;
c) an die Stelle des im §46 Abs3 und 4 genannten
Amtsblattes zur Wiener Zeitung tritt der Bote für Tirol."
Die Teile 1, 2 und 3 des damit verwiesenen, zum Zeitpunkt der Beschlußfassung und des Inkrafttretens des TirVergG in seiner Stammfassung BGBl. 462/1993 in Geltung gestandenen Bundesvergabegesetzes (BVergG) enthielten Regelungen über den Geltungsbereich (Teil 1), die allgemeinen Regeln über das bei der Vergabe von Aufträgen einzuhaltende Verfahren (Teil 2) und besondere Bestimmungen, die für Auftragsvergabeverfahren im Anwendungsbereich der entsprechenden Vergaberechtsrichtlinien der EG (also für Vergaben oberhalb der sogenannten Schwellenwerte) gelten (Teil 3).
Das 4. Hauptstück des 3. Teils des BVergG enthielt in der Stammfassung besondere Regelungen für Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor. Dazu zählt gemäß dem damaligen §67 Abs1 BVergG - von hier nicht maßgebenden Ausnahmen abgesehen - auch die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Erzeugung, Beförderung oder der Verteilung von Strom und der Versorgung dieser Netze mit Strom. Für Auftragsvergaben im Bereich dieser sogenannten geschützten Sektoren galten gemäß §67 Abs1 BVergG bloß die Bestimmungen dieses 4. Hauptstücks des 3. Teils sowie die Geltungsbereichsregeln und der Begriffsbestimmungen enthaltende §9 BVergG, nicht aber die allgemeinen Bestimmungen über das Vergabeverfahren des 2. Teils des Bundesgesetzes.
Der 4. Teil des BVergG enthält Bestimmungen über den Rechtsschutz. Er wurde vom Tiroler Landesgesetzgeber nicht rezipiert. Vielmehr enthält das TirVergG in seinem 2. Teil eigene Regelungen über den Rechtsschutz (§§5 bis 15 TirVergG): Hiefür ist ein Landesvergabeamt eingerichtet, dem u.a. die Zuständigkeit zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen im Vergabeverfahren, die Zuständigkeit zur Feststellung, ob der Zuschlag rechtmäßig dem Bestbieter erteilt wurde, und die Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen übertragen ist. Weiters enthält das TirVergG Regeln über den zivilrechtlichen Bieterschutz (§14) und über die Kontrolle durch die EFTA-Überwachungsbehörde (§15; eine Anpassung dieser Bestimmung an die durch den EU-Beitritt Österreichs geänderte Situation ist nicht erfolgt).
Hinsichtlich der Auftragsvergaben im Bereich der sogenannten geschützten Sektoren bestimmt §2 Abs2 TirVergG (die in Prüfung genommene Bestimmung ist hervorgehoben):
"(2) Im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ist dieses Gesetz nur anzuwenden, soweit sich dies aus dem 4. Hauptstück des 3. Teiles des Bundesvergabegesetzes, BGBl. Nr. 462/1993, ergibt. Auf die Vergabe von Aufträgen in diesen Bereichen ist der 2. Teil dieses Gesetzes nicht anzuwenden."
2. a) Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdelegitimation der beschwerdeführenden Gesellschaft, die auch weder von der Landesregierung noch vom TVA in Zweifel gezogen wird, ist - was in der Äußerung der TIWAG übersehen wird - schon deshalb gegeben, weil sie Adressat des von ihr bekämpften Bescheides ist.
b) Der Verfassungsgerichtshof nahm im Prüfungsbeschluß an, daß ausschließlich jener Teil der Begründung den zurückweisenden Bescheid der belangten Behörde trage, der die Unzuständigkeit des TVA auf §2 Abs2 letzter Satz TirVergG stützt. Dem tritt die Tiroler Landesregierung nicht entgegen. Sie meint jedoch, der Verfassungsgerichtshof habe diese Vorschrift aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen nicht anzuwenden.
Im Einleitungsbeschluß hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf die - zum Rechtsschutz im Dienstleistungsbereich ergangene - Entscheidung des EuGH vom 17. September 1997, Rs C-54/96, Dorsch Consult, vorläufig angenommen, daß der Anwendung der in Prüfung genommenen Bestimmung der Vorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts nicht entgegenstehe.
Darauf antwortet die Tiroler Landesregierung:
"Nach dem in Prüfung gezogenen §2 Abs2 letzter Satz des Tiroler Vergabegesetzes ist der 2. Teil dieses Gesetzes nicht anzuwenden. Bekanntlich kommt dem Gemeinschaftsrecht ein Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht zu (vgl. richtungsweisendes Urteil des EuGH Rs. 6/64). Wenn man von der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinie ausgeht, wäre die entgegenstehende nationale Bestimmung nicht mehr anzuwenden. Im Hinblick auf das Vorhandensein der Bestimmungen über das Nachprüfungsverfahren einschließlich der Einrichtung des Landesvergabeamtes als Nachprüfungsinstanz im Tiroler Vergabegesetz ist nach Ansicht der Tiroler Landesregierung vor allem auf Grund von Art1 Abs3 und 2 Abs9 die Richtlinie 92/13/EWG als unmittelbar anwendbar anzusehen. Die in Prüfung gezogene Bestimmung des Tiroler Vergabegesetzes ist daher nicht anzuwenden, auch nicht vom Verfassungsgerichtshof im zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren. Es liegt daher keine Präjudizialität vor. Diese Auslegung scheint auch dem Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30. September 1996, B3067/95, möglich, wenn auch nicht zwingend zu sein. Sie vorzunehmen oder zu verwerfen, ist nach seiner Ansicht im Rahmen des dualen Rechtsschutzsystems des Gemeinschaftsrechts Sache des Europäischen Gerichtshofes (vgl. auch hiezu VfGH vom 11.12.1995, B2300/95). Im Licht dieses Erkenntnisses wäre, wenn Zweifel an der hier vertretenen Auslegung der vorrangigen Geltung der Richtlinie 92/13/EWG bestehen, ein Vorabentscheidungsantrag an den EuGH zu stellen."
Der Tiroler Landesregierung ist zuzugestehen, daß der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung B3067/95 vom 30. September 1996 in ähnlicher Konstellation im Bereich der Kontrolle eines von einem dem BVergG unterliegenden öffentlichen Auftraggeber vergebenen Dienstleistungsauftrages die Auffassung vertreten hat, es wäre Aufgabe des Bundesvergabeamtes gewesen, die Frage, ob sich aus den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. L 395/1989, 33, idF des Art41 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. L 209/1992, 1, die Zuständigkeit des zur Kontrolle von Bau- und Lieferaufträgen kompetenten Bundesvergabeamtes auch zur Kontrolle von Auftragsvergaben im Bereich der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG ableiten lasse, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen; der eine solche Kompetenz ohne weiteres annehmende Bescheid des Bundesvergabeamtes wurde daher wegen Verletzung der Vorlagepflicht gemäß Art177 Abs3 EGV als dem Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter widersprechend behoben.
In seinem Urteil vom 17. September 1997, Rs C-54/96, Dorsch Consult, auf das eben deshalb im Prüfungsbeschluß hingewiesen wurde, hat inzwischen der EuGH für Recht erkannt, daß sich aus der genannten Richtlinie für die Überwachung der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen nicht ergebe,
"daß mangels Umsetzung dieser Richtlinie innerhalb der hierzu vorgesehenen Frist die zur Nachprüfung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau- und Lieferaufträge zuständigen Instanzen der Mitgliedstaaten auch zur Nachprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge befugt sind. Die Erfordernisse einer der Richtlinie 92/50 entsprechenden Auslegung des nationalen Rechts und eines effektiven Schutzes der Rechte des einzelnen gebieten es dem nationalen Gericht jedoch, zu prüfen, ob dem einzelnen aufgrund der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ein Anspruch auf Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge zuerkannt werden kann. Unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles hat das nationale Gericht insbesondere zu prüfen, ob dieser Anspruch auf Nachprüfung vor denselben Instanzen geltend gemacht werden kann, die auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vorgesehen sind".
Ausdrücklich meinte der EuGH in der Begründung seines Urteils, es sei Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, welches Gericht (im Sinne des Art177 EGV) für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, wobei die Mitgliedstaaten jedoch für den wirksamen Schutz jener Rechte verantwortlich seien, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Die Mitgliedstaaten seien zwar verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine wirksame Nachprüfung auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sicherzustellen; die maßgebliche Richtlinienbestimmung gebe "jedoch nicht an, welche nationalen Instanzen zuständig sein müssen oder daß es sich dabei um dieselben Instanzen handeln muß, die die Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Bau- und Lieferaufträge bestimmt haben".
Aus der genannten Entscheidung des EuGH ergibt sich - was die Tiroler Landesregierung in ihrer Äußerung übersieht -, daß die allgemeine Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG für die Frage, welches staatliche Organ zur Überprüfung des Vergabeverfahrens zuständig ist, keine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift enthält.
Die Überlegungen des EuGH lassen sich auch auf die hier zur Entscheidung stehende Frage der Klärung der Zuständigkeit zur Kontrolle von Vergaben im Sektorenbereich übertragen. Denn hinsichtlich der hier zu behandelnden Fragen unterscheidet sich die für den Sektorenbereich maßgebliche Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ABl. L 76/1992, 14, nicht von der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG, die für die referierte Entscheidung des EuGH maßgeblich war.
Es ist also dem EG-Recht nicht zu entnehmen, welches staatliche Organ zur Kontrolle von Vergaben im Sektorenbereich zuständig ist, vielmehr ist die Zuständigkeit nach den Vorschriften des nationalen Rechts zu ermitteln. Aus Art18 Abs1 und 83 Abs2 B-VG geht hervor, daß es Sache des Gesetzgebers ist, die Behördenzuständigkeit klar und eindeutig im Gesetz festzulegen (vgl. VfSlg. 9937/1984, 13816/1994 ua.).
Angesichts dessen ergibt sich die Zuständigkeit des TVA aus den einschlägigen Vorschriften der Gesetze. Dabei ist insbesondere auch der in Prüfung genommene letzte Satz des §2 Abs2 TirVergG von Bedeutung; ihn hatte daher das TVA bei Erlassung des angefochtenen Bescheides anzuwenden, und auch für den Verfassungsgerichtshof stellt aus den genannten Gründen diese Vorschrift eine Voraussetzung seiner Entscheidung dar.
Es hat sich somit die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß der Anwendung der in Prüfung genommenen Bestimmung der Vorrang unmittelbar anwendbarer gemeinschaftsrechtlicher Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, als zutreffend erwiesen.
c) Die beteiligte TIWAG vertritt in ihrer Äußerung die Ansicht, der Verfassungsgerichtshof sei zur Prüfung von Bestimmungen des TirVergG auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsrecht überhaupt nicht zuständig, da das Gesetz "zu fast 100 %" (so auf S 2) bzw. "ausschließlich" (so auf S 6) "gemeinschaftsrechtlich determiniert" sei.
Abgesehen vom Umstand, daß die in Prüfung genommene Bestimmung, die anordnet, daß die Vorschriften des TirVergG über den vergabespezifischen Rechtsschutz für Auftragsvergaben im Sektorenbereich nicht anzuwenden sind, gerade nicht gemeinschaftsrechtlich determiniert ist, ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, daß es auf einem fundamentalen Fehlverständnis des Verhältnisses von Gemeinschaftsrecht und innerstaatlichem Recht beruht. Es ist nämlich in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß der Gesetzgeber bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden bleibt, als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird. Der Gesetzgeber unterliegt in diesen Fällen also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen (vgl. zB VfGH v. 7.10.1997, V76/97 ua., und aus der Literatur etwa Öhlinger, Verfassungsrecht3, 1997, 98; Holzinger, Zu den Auswirkungen der österreichischen EU-Mitgliedschaft auf das Rechtsschutzsystem der Bundesverfassung, in: FS Günther Winkler, 1997, 351 ff., hic:
355; noch weitergehend: Korinek, Zur Relevanz von europäischem Gemeinschaftsrecht in der verfassungsgerichtlichen Judikatur, in:
FS Theodor Tomandl, 1998, 465 ff., hic: 470 f.). Es ist auch unbestritten, daß - insoweit Bindung an die Verfassung gegeben ist - die Frage der Entsprechung gesetzlicher Regelungen mit der Verfassung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, und zwar auch dann, wenn es sich um Ausführungsregelungen zum Gemeinschaftsrecht handelt .
Dem Gesetzesprüfungsverfahren stehen somit gemeinschaftsrechtliche Hindernisse nicht entgegen.
d) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verfahren zulässig.
3. a) Im Einleitungsbeschluß ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß das Verfahren der Vergabe öffentlicher Aufträge auch im Sektorenbereich nach Maßgabe des ersten Satzes des §2 Abs2 TirVergG einer gesetzlichen Regelung unterliegt, daß aber die Vergabekontrolle, wie sie für sonstige gesetzlich geregelte öffentliche Auftragsvergaben vorgesehen ist, für Auftragsvergaben im Sektorenbereich zufolge des zweiten (in Prüfung genommenen) Satzes des §2 Abs2 leg.cit. ausgeschaltet ist. Dies schien dem Verfassungsgerichtshof sowohl mit dem Gleichheitsgrundsatz als auch mit dem Rechtsstaatsgebot unvereinbar zu sein:
"Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig keine sachlichen Gründe dafür zu erkennen, daß die spezifisch vergaberechtlichen Rechtsschutzvorschriften für Auftragsvergaben im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung und im Telekommunikationsbereich - im Gegensatz zu allen anderen gesetzlich geregelten Auftragsvergaben - nicht gelten, sodaß für den sogenannten Sektorenbereich ein den anderen Bereichen entsprechender Rechtsschutz nicht gegeben zu sein scheint. Der Tiroler Landesgesetzgeber hat - im Interesse der Einrichtung eines effizienten Rechtsschutzes im Vergabewesen und der Sicherung der Objektivität von Vergabeentscheidungen sowie in Anpassung an die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts - im allgemeinen die Einrichtung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für erforderlich angesehen. Warum es dann gerechtfertigt sein soll, in einem einzelnen Bereich auf einen derartigen Rechtsschutz zur Gänze und ersatzlos zu verzichten, ist dem Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht einsichtig. Vielmehr scheint dies zu einer sachlich nicht begründbaren Ungleichbehandlung der Teilnehmer am Vergabeverfahren im Sektorenbereich gegenüber Bewerbern und Bietern bei sonstigen öffentlichen Auftragsvergaben zu führen und ihnen einen offenkundig im allgemeinen als notwendig erachteten effektiven Rechtsschutz vorzuenthalten. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich somit vorläufig der Rechtsansicht von Thienel (Das Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz, WBl. 1993, 373, insb. 374 f.) an, der derartige Differenzierungen im Rechtsschutz ebenfalls für verfassungswidrig erachtet.
Auch dürfte die gemeinschaftsrechtliche Situation die Regelung nicht rechtfertigen: Das gemeinschaftsrechtliche Vergaberecht differenziert zwar im Rechtsschutzbereich zwischen dem Rechtsschutz im Bereich der Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen einerseits (für die die allgemeine Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG idF des Art41 der Richtlinie zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge 92/50/EWG gilt) und jenem im Sektorenbereich andererseits (für den die Rechtsmittelrichtlinie Sektoren 92/13/EWG gilt), doch verlangen beide Richtlinien entsprechende innerstaatliche vergabespezifische Rechtsschutzinstrumente.
Daß im TirVergG die Regeln über den Rechtsschutz für den Sektorenbereich nicht in Geltung gesetzt wurden, könnte möglicherweise auf den Umstand zurückzuführen sein, daß zur Zeit der Ausarbeitung des TirVergG kraft des EWR-Abkommens bloß die allgemeine Rechtsmittelrichtlinie Bestandteil des österreichischen Rechts war, wohingegen die (seit 1992 bestehende und im ABl. vom 23. März 1992 publizierte) Rechtsmittelrichtlinie Sektoren erst mit dem Beschluß des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 7/94 vom 21. März 1994 mit Wirkung ab 1. Juli 1994 Bestandteil des österreichischen Rechts wurde (BGBl. 566/1994 iVm BGBl. 616/1994). Dieser Umstand ist aber anscheinend nicht geeignet, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen: Zwar kann das schrittweise Inkrafttreten der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen des österreichischen Vergaberechts das Verhalten des Tiroler Landtages bei der Beschlußfassung des TirVergG möglicherweise erklären, obwohl zum Zeitpunkt der Beschlußfassung die Rechtsmittelrichtlinie "Sektoren" schon Bestandteil des österreichischen Rechts war, es vermag aber wohl keine sachliche Rechtfertigung für die - heute noch andauernde - ungleiche Behandlung von Bietern und Bewerbern zu bieten, die dazu führt, daß im Sektorenbereich ein vergabespezifischer Rechtsschutz überhaupt nicht existiert."
b) Die Tiroler Landesregierung trat den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegen. Sie bestätigt ausdrücklich die Vermutung über den Grund der Nichtaufnahme von Vorschriften über einen vergabespezifischen Rechtsschutz im Sektorenbereich und führt dazu aus:
"Wie vom Verfassungsgerichtshof bereits ausgeführt wurde, wurde die Richtlinie 92/13/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsvorsorgung sowie im Telekommunikationssektor mit Beschluß des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 7/94 vom 21. März 1994 mit Wirkung vom 1. Juli 1994 Bestandteil des österreichischen Rechtes (BGBl. Nr. 566/1994, herausgegeben am 22. Juli 1994, in Verbindung mit BGBl. Nr. 616/1994).
Das Tiroler Vergabegesetz wurde am 6. Juli 1994 beschlossen. Die Ausarbeitung fiel also noch vor den Zeitpunkt, in dem die Richtlinie 92/13/EWG Bestandteil des österreichischen Rechtes wurde. Auch nach §7 Abs2 des - allerdings bereits im Jahre 1993 beschlossenen - Bundesvergabegesetzes, BGBl. Nr. 462/1993, fand der Rechtsschutz im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor keine Anwendung."
Abschließend weist die Tiroler Landesregierung darauf hin, daß das BVergG seit der Novelle BGBl. 776/1996 auch für den Sektorenbereich einen vergabespezifischen Rechtsschutz eingeführt habe und verweist darauf, daß der Tiroler Landtag im Dezember 1997 das Tiroler Vergabegesetz 1998 beschlossen hat, das ebenfalls den Rechtsschutz für die Vergabe aller Aufträge vorsieht. Dieser Gesetzesbeschluß ist im am 20. Februar 1998 ausgegebenen 9. Stück des LGBl. unter Nr. 17 mit der Bezeichnung Tiroler Vergabegesetz 1998 kundgemacht worden; dieses Gesetz trat mit 1. März 1998 in Kraft, gleichzeitig trat das TirVergG aus 1994 außer Kraft.
c) Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen. Sie gingen dahin, daß es sachlich nicht zu rechtfertigen und mit dem Rechtsstaatsgebot unvereinbar sei, den Bewerbern und Bietern in einem Teilbereich der gesetzlichen Regelungen unterliegenden Vergabeverfahren einen ansonsten als notwendig erachteten effektiven Rechtsschutz zu versagen.
Der Verfassungsgerichtshof hat - was im Hinblick auf die Äußerung der TIWAG hervorgehoben sei - keine Bedenken dagegen, daß der zuständige Gesetzgeber die Kompetenz zur Feststellung, ob der Zuschlag an den Bestbieter erteilt wurde oder nicht, die nach den Vergabegesetzen systematisch gesehen nur ein Element einer schadenersatzrechtlichen Sanktion für das Fehlverhalten öffentlicher Auftraggeber bei der Zuschlagserteilung darstellt, bei den ordentlichen Gerichten beläßt (vgl. §1 JN). Es bestehen aber auch keine Bedenken dagegen, diese Kompetenz bei anderen Behörden, die als Tribunale im Sinne des Art6 EMRK und den Erfordernissen der Rechtsmittelrichtlinien entsprechend eingerichtet sind, anzusiedeln. Schließlich ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht verwehrt, diese Kompetenz in Fällen bestimmter Konstellation einer besonderen Behörde (etwa im Bund dem Bundesvergabeamt oder im Land Tirol dem TVA) zuzuweisen und im übrigen in der Zuständigkeit der Gerichte zu belassen. Dies widerstreitet an sich weder dem Rechtsstaatsprinzip noch - soweit die Zuordnung zu den einzelnen Bereichen nach sachlichen Kriterien erfolgt - dem Gleichheitsgrundsatz. Die Systemgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Während somit keine Bedenken dagegen bestehen, daß durch die in Prüfung genommene Bestimmung die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Zuschlags nicht an das TVA übertragen wurde, sondern bei den Gerichten verbleibt, hat sich die Differenzierung hinsichtlich des Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung als sachlich nicht rechtfertigbar erwiesen. Für diesen Bereich sollen die vergabespezifischen Rechtsvorschriften des TirVergG sichern, daß den Bewerbern und Bietern ein den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz gewährt wird, der die in der Lehre konstatierten Defizite bloß gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens (vgl. insb. Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in: Korinek-Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 19 ff., insb. 30 f.) ausgleichen soll. Von diesem vergabespezifischen Rechtsschutz sind durch die in Prüfung stehende Regelung Vergabeverfahren im Bereich der sogenannten geschützten Sektoren ausgenommen; eine sachliche Rechtfertigung hiefür hat weder die Tiroler Landesregierung genannt, noch ist sie im Verfahren sonst hervorgekommen.
Die auch den vergabespezifischen Rechtsschutz vor Zuschlagserteilung für einen bestimmten vergaberechtlich geregelten Bereich ausschaltende Bestimmung des letzten Satzes des §2 Abs2 TirVergG hat sich daher als verfassungswidrig erwiesen. Im Hinblick darauf, daß das Gesetz inzwischen außer Kraft getreten ist, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die als verfassungswidrig erkannte Bestimmung verfassungswidrig war.
4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt erfließt aus Art140 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, EU-Recht Richtlinie, VfGH / Prüfungsmaßstab, Rechtsstaatsprinzip, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von VerwaltungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:G450.1997Dokumentnummer
JFT_10019697_97G00450_00