RS Vfgh 2014/9/18 E910/2014

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Veröffentlicht am 18.09.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §75 Abs20

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung von Asyl und subsidiärem Schutz aufgrund Außer-Acht-Lassung des konkreten Sachverhalts sowie unzureichender Auseinandersetzung mit den Ermittlungsergebnissen betreffend die Verfolgungslage Homosexueller in Nigeria

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vertritt die Auffassung, dass beim Beschwerdeführer keine "begründete Furcht vor Verfolgung" bestehe, weil angesichts des Größenverhältnisses der Zahl der schätzungsweise in Nigeria befindlichen Homosexuellen zur Zahl der "Sanktionierung von Homosexualität" keine "maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung" bestehe. Damit verkennt das BVwG grob die Ergebnisse seines eigenen Ermittlungsverfahrens und deren Bedeutung für den Beschwerdefall. Aus der Zahl gerichtlicher Verurteilungen Homosexueller in Nigeria während der letzten Jahre kann nämlich nicht abgeleitet werden, dass kein reales Risiko einer strafgerichtlichen Verfolgung für den Beschwerdeführer in der Zukunft besteht. Dazu kommt, dass sich das BVwG in seinen Ausführungen auf Verurteilungsstatistiken bezieht, die aus den Jahren vor dem Inkrafttreten einer in den Länderfeststellungen genannten gesetzlichen Verschärfung im Jahr 2013 stammen.

Zu der neben der Möglichkeit strafgerichtlicher Verfolgung bestehenden Gefahr von Übergriffen Privater, vor denen staatliche Organe Homosexuelle - den Länderfeststellungen zufolge - nicht zu schützen vermögen, führt das BVwG aus, dass solche Verfolgungshandlungen "(nur) dann aufgetreten sind, als er sexuelle Handlungen in einer der Öffentlichkeit (zumindest indirekten) zugänglichen Weise gesetzt hat". Damit bezieht sich das BVwG offenbar auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wonach dieser in seinen eigenen Privaträumlichkeiten beim Geschlechtsverkehr mit seinem Freund entdeckt wurde. In einem solchen Fall von sexuellen Handlungen, die "in einer der Öffentlichkeit (zumindest indirekten) zugänglichen Weise gesetzt" werden, auszugehen, stellt ein weiteres Abgehen des BVwG vom festgestellten Sachverhalt dar. In diesem Zusammenhang ist zudem auf das Urteil des EuGH vom 07.11.2013, C-199/12 bis C-201/12, zur Auslegung der RL 2004/83/EG zu verweisen. In diesem Urteil führte der Gerichtshof aus, dass die zuständigen Behörden bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines Asylwerbers nicht erwarten können, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Homosexualität, Entscheidungsbegründung, EU-Recht Richtlinie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:E910.2014

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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