Norm
StPO §126Rechtssatz
Zwar werden Staatsanwälte von Art 90a B-VG als Organe der Gerichtsbarkeit bezeichnet und sind gemäß § 3 Abs 2 StPO zur Objektivität verpflichtet. In der Hauptverhandlung sind sie als Anklagevertreter jedoch Beteiligte des Verfahrens (§ 210 Abs 2 zweiter Satz StPO) und nehmen strukturell eine Gegenposition zum Angeklagten ein. Aufgrund dieses Rollenwechsels ist auch der von der Staatsanwaltschaft (im Ermittlungsverfahren) bestellte und geführte Sachverständige, soweit sich die Anklage begründend auf dessen Expertise stützt und ihn das Gericht für das Hauptverfahren neuerlich bestellt (§ 126 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO), als „Zeuge der Anklage“ im Sinn eines – nach dem gebotenen strengen Maßstab – von einer Verfahrenspartei nicht unabhängigen Sachverständigen zu sehen.
Tritt aber der Sachverständige als „Zeuge der Anklage“, mithin als Belastungszeuge auf, hat das Gesetz – um der Garantie des Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK zu entsprechen – dem Angeklagten das Recht einzuräumen, die Ladung und Vernehmung eines „Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen“, also die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu erwirken, der entweder nicht in einem vergleichbaren Naheverhältnis zur Anklagebehörde steht oder – gleichsam compensando – das Vertrauen der Verteidigung genießt (Grabenwarter in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 99, 101 mwN; vgl EGMR 4. 4. 2013, Nr 30456/06, C. B. gg Österreich, mit welchem Urteil die gerichtliche Bestellung nach dem System der Strafprozessordnung in der Fassung vor dem StrafprozessreformG als konventionskonform beurteilt wurde [insbesondere Z 42, wo sich der ausdrückliche Hinweis findet, dass der Sachverständige nicht von der Staatsanwaltschaft bestellt wurde]). Dies ist nach derzeitiger Rechtslage nicht der Fall.
Entscheidungstexte
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2014:RS0129607Im RIS seit
26.09.2014Zuletzt aktualisiert am
17.07.2015