RS OGH 2014/8/11 17Os25/14a, 11Os26/14d, 11Os86/14b, 11Os103/14b (11Os104/14z), Bsw30465/06

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.08.2014
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Norm

StPO §126
MRK Art6 Abs3 litd Fall2 IV4

Rechtssatz

Zwar werden Staatsanwälte von Art 90a B-VG als Organe der Gerichtsbarkeit bezeichnet und sind gemäß § 3 Abs 2 StPO zur Objektivität verpflichtet. In der Hauptverhandlung sind sie als Anklagevertreter jedoch Beteiligte des Verfahrens (§ 210 Abs 2 zweiter Satz StPO) und nehmen strukturell eine Gegenposition zum Angeklagten ein. Aufgrund dieses Rollenwechsels ist auch der von der Staatsanwaltschaft (im Ermittlungsverfahren) bestellte und geführte Sachverständige, soweit sich die Anklage begründend auf dessen Expertise stützt und ihn das Gericht für das Hauptverfahren neuerlich bestellt (§ 126 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO), als „Zeuge der Anklage“ im Sinn eines – nach dem gebotenen strengen Maßstab – von einer Verfahrenspartei nicht unabhängigen Sachverständigen zu sehen.

Tritt aber der Sachverständige als „Zeuge der Anklage“, mithin als Belastungszeuge auf, hat das Gesetz – um der Garantie des Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK zu entsprechen – dem Angeklagten das Recht einzuräumen, die Ladung und Vernehmung eines „Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen“, also die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu erwirken, der entweder nicht in einem vergleichbaren Naheverhältnis zur Anklagebehörde steht oder – gleichsam compensando – das Vertrauen der Verteidigung genießt (Grabenwarter in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 99, 101 mwN; vgl EGMR 4. 4. 2013, Nr 30456/06, C. B. gg Österreich, mit welchem Urteil die gerichtliche Bestellung nach dem System der Strafprozessordnung in der Fassung vor dem StrafprozessreformG als konventionskonform beurteilt wurde [insbesondere Z 42, wo sich der ausdrückliche Hinweis findet, dass der Sachverständige nicht von der Staatsanwaltschaft bestellt wurde]). Dies ist nach derzeitiger Rechtslage nicht der Fall.

Entscheidungstexte

  • 17 Os 25/14a
    Entscheidungstext OGH 11.08.2014 17 Os 25/14a
  • 11 Os 26/14d
    Entscheidungstext OGH 16.09.2014 11 Os 26/14d
    Auch; Beisatz: Antrag auf Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit jener Bestimmungen der StPO, die im Spannungsverhältnis zu Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK stehen. (T1)
  • 11 Os 86/14b
    Entscheidungstext OGH 28.10.2014 11 Os 86/14b
    Auch; Beis wie T1
  • 11 Os 103/14b
    Entscheidungstext OGH 25.11.2014 11 Os 103/14b
    Beis wie T1
  • Bsw 30465/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 04.04.2013 Bsw 30465/06
    Vgl aber; Beisatz: Wurde der Sachverständige nicht durch den Staatsanwalt bestellt, sondern durch das Gericht, so ist er nicht als Partei des Verfahrens zu betrachten, sondern als unabhängiger Sachverständiger. Die Nichtzulassung eines Privatgutachtens und die Nichtzulassung des privaten Sachverständigen als Zeugen in der Hauptverhandlung verletzte im vorliegenden Fall nicht das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren, weil sie vom Gericht gut begründet wurde und die Verteidigung ausreichende Gelegenheit hatte, Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu stellen und diesen mit dem Privatgutachten zu konfrontieren. (C. B. gg. Österreich) (T2)
    Veröff: NL 2013,119

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2014:RS0129607

Im RIS seit

26.09.2014

Zuletzt aktualisiert am

17.07.2015
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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