TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/11 B960/2012

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Veröffentlicht am 11.06.2014
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Index

L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Wr BauO 1930 §7a Abs5, §133
Wr Stadtverfassung §65

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht infolge gesetzloser Vorgehensweise des Bauausschusses der Bezirksvertretung des 1. Bezirks bei Beschlussfassung über eine Ausnahmebewilligung für ein Restaurant in einer Wohnzone

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

              Der Bescheid wird aufgehoben.

II.              Die Stadt Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist als Nachbar iSd §134 Abs3 Bauordnung für Wien (im Folgenden: WBO) Partei in einem das Grundstück Sonnenfelsgasse 7, 1010 Wien, betreffenden Bauverfahren. Das Baugrundstück liegt in einer Wohnzone gemäß §7a WBO. In solchen Zonen ist der Wohnungsbestand grundsätzlich zu erhalten. Ausnahmen davon hat gemäß §7a Abs5 iVm §133 Abs1 Z1 WBO der Bauausschuss der örtlich zuständigen Bezirksvertretung (im Folgenden: Bauausschuss) unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen.

2. Am 30. Jänner 2012 beriet der Bauausschuss über die ausnahmsweise Zulassung der Errichtung eines Restaurants im Erdgeschoß an Stelle von 4 Wohnungen im Gesamtausmaß von 116,07 m² für das Projekt Sonnenfelsgasse 7. Dabei ist Folgendes geschehen:

Der Bauausschuss beschloss zunächst mehrheitlich die Ablehnung des Bauvorhabens. In der Folge wies ein Beamter im Rahmen einer Rechtsbelehrung darauf hin, dass die Ablehnung rechtswidrig wäre, weil ausreichend Ersatzwohnraum geschaffen würde. Daraufhin teilte ein Stimmführer der Vorsitzenden des Bauausschusses mit, dass er sich bei der Abstimmung in einem Rechtsirrtum befunden hätte. Über die Rechtmäßigkeit einer neuerlichen Abstimmung herrschte aber keine Klarheit, sodass die Bezirksvorsteherin beigezogen wurde. Diese entschied sich für eine neuerliche Abstimmung und "vorsichtsweise" für die Sistierung des Beschlusses. Daraufhin ließ die Vorsitzende des Bauausschusses darüber abstimmen, ob eine neuerliche Abstimmung erfolgen solle. Die Durchführung einer neuerlichen Abstimmung wurde bei Stimmengleichheit mit Dirimierung der Vorsitzenden beschlossen. In der Folge wurde über das Bauvorhaben neuerlich abgestimmt und auch die Zulassung der Ausnahme bei Stimmengleichheit mit Dirimierung der Vorsitzenden beschlossen.

3. Am 2. Februar 2012 erließ der Bauausschuss den entsprechenden Ausnahmebescheid. Gegen den die Berufung gegen diesen Bescheid (und den Baubescheid) abweisenden Bescheid der Bauoberbehörde für Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, des §65 Wiener Stadtverfassung (im Folgenden: WStV), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

4.1. Auf Grund des §65 WStV sei eine neuerliche Abstimmung unzulässig gewesen. Der Bauausschuss sei nicht zuständig gewesen, eine zweite Abstimmung vorzunehmen. Auch Gründe der Rechtssicherheit würden gegen eine Wiederholung der Abstimmung sprechen. Dadurch sei das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht "auf ein faires Verfahren gemäß Art83 Abs2 B-VG" verletzt worden. Die belangte Behörde habe diese Unzuständigkeit der ersten Instanz trotz des entsprechenden Berufungsvorbringens nicht aufgegriffen und keine Ermittlungen über die Art und Weise des Zustandekommens des Beschlusses gepflogen. Sie habe dadurch einem dem Rechtsempfinden widersprechenden, antidemokratischen und gesetzwidrigen Verhalten Vorschub geleistet und damit Willkür geübt.

4.2. Überdies sei §65 WStV unbestimmt. Einerseits sei nämlich unklar, ob der Bürgermeister, wenn er sistiere, verpflichtet sei, die Angelegenheit dem Gemeinderat vorzulegen. Andererseits gehe im Fall der Vorlage aus der Regelung nicht klar hervor, ob der Gemeinderat die Sache selbst oder nur kassatorisch zu entscheiden hätte.

5.1. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie insbesondere den Beschwerdevorwürfen gegen die Vorgangsweise des Bauausschusses entgegentritt:

"Im nun vorliegenden Fall ist vor der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes in der Sitzung des Bauausschusses der Bezirksvertretung des 1. Bezirkes am 30. Jänner 2012 vorauszuschicken, dass §133 Abs1 Z1 BO den Bauausschuss der Bezirksvertretung zur Entscheidung in einer Angelegenheit der Hoheitsverwaltung beruft. Im hier maßgeblichen Zusammenhang geht es um die Erteilung der Bewilligung einer Ausnahme vom Gebot der Verwendung von Aufenthaltsräumen in Wohnzonen nur als Wohnung oder Teil einer Wohnung gemäß §7a Abs5 BO. Diese Angelegenheit ist gemäß §139 Abs1 BO eine solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde. In dieser Angelegenheit ist der Bauausschuss der Bezirksvertretung als Organ der Gemeinde Wien tätig (§8 Abs1 Z10 WStV), die eine Stadt mit eigenem Statut ist (§1 Abs1 WStV). In einem solchen behördlichen Verfahren hat der Bauausschuss gemäß ArtI Abs2 A. Z3 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 anzuwenden.

Vor diesem Hintergrund sind die Vorgänge in der Sitzung des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 1. Bezirk nicht als Sistierung im Sinn des §65 WStV anzusehen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes finden, solange eine Mitteilung nach außen nicht erfolgt ist, auch dann, wenn der Bescheidinhalt bereits durch den Beschluss einer Kollegialbehörde 'gegeben' ist, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 über Bescheide noch keine Anwendung (VwSlg. 9018 A/1976; VwGH 26. April 1993, ZI. 91/10/0252; 26. April 2000, ZI. 99/05/0239). Es liegt vielmehr lediglich erst ein interner Akt der Willensbildung der betreffenden Behörde vor, dessen Abänderung nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 noch zulässig ist. Die Unabänderlichkeit des Bescheides seitens der Verwaltungsbehörde tritt also erst im Zeitpunkt seiner Erlassung ein (VwGH vom 26. April 1993, ZI. 91/10/0252 sowie die in Hengstschläger/Leeb, AVG, 2. Teilband, Rz 2 zu §62 zitierte Judikatur).

Diese Rechtsmeinung wird durch den Wortlaut des §62 Abs4 AVG bestätigt. Danach können bestimmte Fehler nur 'in Bescheiden' berichtigt werden. Dies setzt voraus, dass der zu berichtigende Bescheid bereits erlassen ist (VwGH vom 26. Juni 1996, ZI. 95/12/0004), also mindestens einer Partei gegenüber mündlich verkündet oder schriftlich zugestellt und damit existent wurde (VwGH vom 30. Oktober 1991, ZI. 91/09/0047). Vor der Erlassung stellt die Berichtigung kein nach außen in Erscheinung tretendes Problem dar, weil die Behebung von - allenfalls erst nach der Fertigung - erkannten Mängeln noch behördenintern erfolgen kann (VwGH vom 30. Oktober 1991, ZI. 91/09/0047, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG, 2. Teilband, Rz 57 zu §62).

Die Vorgänge, wie sie aus dem der Beschwerde beigeschlossenen Protokoll über die 9. Sitzung des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 1. Bezirk am 30. Jänner 2012 hervorgehen, sind daher keine Sistierung, sondern im Rahmen eines zulässigen Diskussionsprozesses vor der Erlassung des Bescheides erfolgt. Dies geht eindeutig auch daraus hervor, dass die Änderung des ersten Beschlusses durch einen zweiten Beschluss erfolgt ist, der noch in derselben Sitzung gefasst wurde. Eine solche Vorgangsweise ist nach der soeben geschilderten Judikatur rechtlich unproblematisch.

Es bestand im vorliegenden Fall somit keine Verpflichtung, mit der gegenständlichen Angelegenheit den Bürgermeister zu befassen und auch keine Verpflichtung des Bürgermeisters, im gegenständlichen Bauverfahren in irgendeiner Form tätig zu werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Bauausschuss zu Recht als zuständige Behörde entschieden hat. Deshalb ist der Beschwerdeführer nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Weiters ist auf folgende Problematik hinzuweisen:

Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dadurch verletzt, dass die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001). Zuständige Behörde für die Erteilung der Ausnahmebewilligung nach §7a Abs5 BO ist gemäß §133 Abs1 Z1 BO der Bauausschuss der Bezirksvertretung. Nimmt man nun an, dass eine Sistierung des in der Sache zuerst gefassten Beschlusses des Bauausschusses zulässig war und durch die Verfügung der Bezirksvorsteherin tatsächlich erfolgt ist, müsste man nach dem Wortlaut des §65 WStV folgerichtig auch annehmen, dass die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Erteilung der Ausnahme gemäß §7a Abs5 BO auf den Bürgermeister übergegangen ist. Eine Entscheidungskompetenz des Bürgermeisters in dieser Angelegenheit nach der Bauordnung für Wien stünde jedoch angesichts des klaren Wortlautes des §133 Abs1 Z1 BO eindeutig mit dem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in Widerspruch und wäre daher verfassungswidrig (vgl. in diesem Zusammenhang auch Cech, Moritz, Ponzer, Seite 48, die zu Recht ein Sistierungsrecht im Bereich individueller Verwaltungsakte als äußerst problematisch ansehen).

Die Entscheidung des Bürgermeisters wurde im vorliegenden Fall daher zu Recht nicht eingeholt. Vielmehr hat das gesetzlich zur Entscheidung berufene Organ im Rahmen seiner Entscheidungsfindung und des damit verbundenen Diskussionsprozesses eine gültige Entscheidung getroffen. Die belangte Behörde ist daher der Auffassung, dass der Beschwerdeführer durch die Entscheidung des Bauausschusses nicht in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt ist."

5.2. Gegen den Vorwurf der Unbestimmtheit des §65 WStV argumentierend stellt die belangte Behörde ihre Interpretation dieser Bestimmung unter Hinweis auf die einschlägige Literatur dar.

6. Die beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.

II. Rechtslage

1. §65 WStV idF LGBl 37/2009 lautet:

"Sistierung von Beschlüssen

§65. Wenn eine Bezirksvertretung oder ein Ausschuß der Bezirksvertretung Beschlüsse faßt, welche gegen ein Gesetz oder gegen Beschlüsse des Gemeinderates verstoßen oder den Wirkungsbereich der Bezirksvertretung oder des Ausschusses der Bezirksvertretung überschreiten, ist der Bezirksvorsteher verpflichtet, ihre Ausführung aufzuschieben und hierüber innerhalb von 14 Tagen die Entscheidung des Bürgermeisters einzuholen, welchem auch seinerseits das Recht zusteht, in solchen Fällen mit der Sistierung vorzugehen und innerhalb der gleichen Frist die Angelegenheit dem Gemeinderat zur Entscheidung vorzulegen."

2. §7a WBO idF LGBl 25/2009 lautet:

"Wohnzonen

§7a. (1) In den Bebauungsplänen können aus Gründen der Stadtstruktur, Stadtentwicklung und Vielfalt der städtischen Nutzung des Baulandes sowie Ordnung des städtischen Lebensraumes zur Erhaltung des Wohnungsbestandes sowohl im Wohngebiet als auch im gemischten Baugebiet Wohnzonen ausgewiesen werden.

              (2) Die Wohnzonen sind von den übrigen Gebieten eindeutig abzugrenzen. Die Grenzen der Wohnzonen können mit Fluchtlinien zusammenfallen.

              (3) Aufenthaltsräume in Wohnzonen, die als Wohnung in einem Hauptgeschoß oder Teile einer solchen Wohnung im Zeitpunkt der Festsetzung der Wohnzone gewidmet waren oder rechtmäßig verwendet wurden oder später neu errichtet werden, sind auch weiterhin nur als Wohnung oder Teile einer Wohnung zu verwenden. Ein Aufenthaltsraum wird auch dann als Wohnung oder Teil einer Wohnung verwendet, wenn in ihm auch Tätigkeiten ausgeübt werden, die zwar nicht unmittelbar Wohnzwecken dienen, jedoch üblicherweise in Wohnungen ausgeübt werden.

              (4) In Gebäuden, in denen das Flächenausmaß für Wohnungen das für Büro- oder Geschäftsräume überwiegt, ist der Ausbau von Dachgeschossen nur für Wohnungen, Hauswaschküchen und die dazugehörigen Nebenräume sowie für Triebwerksräume zulässig; für die Verwendung der Wohnungen in Dachgeschossen gilt Abs3 sinngemäß.

              (5) Ausnahmen von Abs3 sind auf Antrag durch die Behörde (§133) zuzulassen, wenn dadurch in Wohngebieten die im Gebäude für Wohnungen verwendeten Flächen nicht weniger als 80 vH der Summe der Nutzflächen der Hauptgeschosse, jedoch unter Ausschluss des Erdgeschosses betragen; in Wohngebieten und in gemischten Baugebieten sind weiters Ausnahmen von Abs3 sowie Ausnahmen von Abs4 zuzulassen, wenn die Wohnqualität in den betroffenen Aufenthaltsräumen durch äußere Umstände wie Immissionen, Belichtung, Belüftung, fehlende sonstige Wohnnutzungen im selben Haus oder die besonders schlechte Lage im Erdgeschoss und ähnliches gemindert ist oder wenn Einrichtungen, die der lokalen Versorgung der Bevölkerung dienen, geschaffen oder erweitert werden sollen oder wenn zugleich anderer Wohnraum in räumlicher Nähe in zumindest gleichem Ausmaß geschaffen wird.

              (6) [...]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3. Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

3.1. Der belangten Behörde ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, wenn sie meint, dass nach dem ersten Beschluss des Ausschusses "lediglich ein interner Akt der Willensbildung der betreffenden Behörde" vorgelegen sei, dessen Abänderung nach dem AVG noch zulässig gewesen wäre. Wenn sie aus diesem Grund die Vorgangsweise des Ausschusses aber als "rechtlich unproblematisch" qualifiziert, dann übersieht sie, dass die Abänderung eines internen Aktes auch den organisationsrechtlichen Vorschriften über die Willensbildung der betreffenden Behörde entsprechen muss (Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9, Rz 426 mit Judikaturhinweisen).

3.2. Die Wiener Stadtverfassung legt eindeutig fest, wie vorzugehen ist, wenn ein Ausschuss einer Bezirksvertretung einen gesetzwidrigen Beschluss gefasst hat: §65 WStV sieht die Sistierung des Beschlusses durch den Bezirksvorsteher und die Einholung der Entscheidung des Bürgermeisters innerhalb von 14 Tagen vor.

3.3. In der Sitzung des Bauausschusses am 30. Jänner 2012 hat ein sachverständiger Beamter im Rahmen einer Rechtsbelehrung auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses nach dessen formeller Beschlussfassung hingewiesen. Die Bezirksvorsteherin hat – wie aus dem Protokoll dieser Sitzung unmissverständlich hervorgeht – den Beschluss im Laufe der Sitzung des Bauausschusses sistiert. Die Bezirksvorsteherin hätte nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes innerhalb von 14 Tagen auch die Entscheidung des Bürgermeisters einholen müssen. Dies wäre die gesetzeskonforme Vorgehensweise gewesen. Die vom Bauausschuss gewählte Vorgehensweise der neuerlichen Beschlussfassung hingegen findet weder in der Wiener Stadtverfassung noch in der Geschäftsordnung der Bezirksvertretungen ihre gesetzliche Deckung. Der Bauausschuss ist gesetzlos vorgegangen.

3.4. Das Argument der belangten Behörde, dass bei Befolgung des §65 WStV die Entscheidungskompetenz vom Bauausschuss auf den Bürgermeister übergegangen wäre, dies aber mit der Zuständigkeitsregelung des §133 Abs1 Z1 WBO nicht vereinbar gewesen und daher mit dem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in Widerspruch gestanden wäre, überzeugt nicht: Der Landesgesetzgeber hat die Ausnahmezulassungskompetenz des Bauausschusses im Rahmen der WBO-Novelle LGBl 25/2009 vor dem Hintergrund des in der Wiener Stadtverfassung festgelegten Systems der internen Entscheidungsfindung, im Speziellen auch des §65 WStV in der im Pkt. II.1. wiedergegebenen Fassung, beschlossen. Es entspricht daher dem Willen des Landesgesetzgebers, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, die im gegebenen Fall offensichtlich auch vorlagen, der Beschluss des Bauausschusses durch den Bezirksvorsteher sistiert werden muss und die Zuständigkeit zur Entscheidung auf den Bürgermeister übergeht. Ähnliche Regelungen von bedingten Zuständigkeitsübergängen finden sich mehrfach in der österreichischen Rechtsordnung, ohne dass gegen sie grundsätzlich verfassungsrechtliche Bedenken bestünden (zB Devolution gemäß §73 Abs2 AVG). Der Gesetzgeber hätte dem Bürgermeister die Ausnahmezulassungskompetenz auch unmittelbar einräumen können.

3.5. Die Vorgehensweise des Bauausschusses steht im besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften im Widerspruch. Von der belangten Behörde ist diese Fehlerhaftigkeit aber nicht wahrgenommen worden. Damit liegt auch der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein wegen Gesetzlosigkeit als Willkür zu qualifizierendes Verhalten der belangten Behörde zu Grunde, durch das der Beschwerdeführer im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden ist (vgl. VfSlg 9910/1983 mwH).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 220,– enthalten.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Ausnahmebewilligung, Bundeshauptstadt Wien, Bezirksvertretungen, Behördenzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B960.2012

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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