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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litcLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Patientenverfügungs-Gesetzes betreffend Formerfordernisse für die Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung teils mangels positiver und konkreter Bezeichnung der aufzuhebenden Wortfolgen, teils als zu eng gefasst; Unzulässigkeit auch des Eventualantrags auf Aufhebung des gesamten GesetzesSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag und Vorverfahren
1. Gestützt auf Art140 Abs1 B-VG stellt der Antragsteller den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle
"1. §4 zweiter Satz, §5, §6 Absatz 2 und §7 des Patientenverfügungs-Gesetzes, BGBl I Nr 55/2006, zur Gänze als verfassungswidrig aufheben;
2. Teile des ersten Absatzes von §6 leg. cit. als verfassungswidrig aufheben, sodass §6 Abs1 wie folgt lautet: 'Eine Patientenverfügung ist verbindlich, wenn sie schriftlich unter Angabe des Datums errichtet worden ist.';
3. Teile des zweiten Satzes von §9 leg. cit. als verfassungswidrig aufheben, sodass §9 Satz 2 wie folgt lautet: 'Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, wie konkret die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, beschrieben sind, inwieweit die Verfügung von den Formvorschriften für eine verbindliche Patientenverfügung abweicht.';
in eventu (statt 1.-3.) das gesamte Patientenverfügungs-Gesetz, BGBl I Nr 55/2006, als verfassungswidrig aufheben;"
2. Der Antragsteller errichtete am 1. März 2012 folgende Patientenverfügung, welche er am 22. November 2013 erneuerte:
"Patientenverfügung
Ich, ****** *****, geboren am *********, wohnhaft in **************************, **** ****, Sozialversicherungsnummer **** ** ** **, lege Wert auf ein selbstbestimmtes Leben und ein selbstbestimmtes Sterben und ordne, nach reiflicher Überlegung und intensiver Auseinandersetzung mit den folgenden Inhalten, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte an:
I.
Wenn ich nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung das Bewusstsein irreversibel eingebüßt habe oder wenn mein Gehirn irreversibel so schwer geschädigt ist, dass ich auf Reize nicht oder kaum mehr reagiere und daher nicht mehr in der Lage bin, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, dann will ich,
-dass alle lebenserhaltenden therapeutischen Maßnahmen unterlassen werden;
-dass mir keine künstliche Ernährung verabreicht wird, und zwar unabhängig von ihrer Form (zB Magensonde durch den Mund, die Nase, die Bauchdecke oder venöse Zugänge);
-dass die künstliche Flüssigkeitszufuhr nach ärztlichem Ermessen reduziert wird;
-dass keine künstliche Beatmung durchgeführt wird;
-dass ich im Fall eines Herz-Kreistauf-Stillstandes nicht wiederbelebt werde;
-dass mein Körper bis zu meinem Ableben fachgerecht gepflegt wird und ich menschenwürdig untergebracht werde.
II.
Liegen Krankheitsbilder vor, die sich von den unter I. dieser Patientenverfügung geschilderten Krankheitsbildern unterscheiden, dann wünsche ich mir, dass mein natürlicher Wille und meine individuellen Bedürfnisse auch nach irreversiblem Verlust der Einwilligungsfähigkeit seitens der Ärzte und des Pflegepersonals angemessen Berücksichtigung finden. Daher sollen bspw alle medizinischen Möglichkeiten zur Schmerz- und Symptomkontrolle ausgeschöpft werden. Erzielen die Mittel der Schmerz- und Symptomkontrolle dennoch nicht den erwünschten Erfolg, dann sollen mir Anästhetika verabreicht werden. Ich nehme eine durch die Verabreichung von Analgetika oder Anästhetika unter Umständen verursachte Verkürzung meiner Lebenszeit ausdrücklich in Kauf.
Wien, am 1. März 2012
[Unterschrift des Antragstellers]"
3. Die Patientenverfügung sei – mangels Erfüllung der für die Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung im Bundesgesetz über Patientenverfügungen (Patientenverfügungs-Gesetz - PatVG), BGBl I 55/2006, geforderten Formvorschriften – nicht verbindlich, sondern bloß beachtlich iSd §9 PatVG.
4. Zur Begründung seiner Antragslegitimation führt der Antragsteller im Wesentlichen Folgendes aus:
4.1. Der Antragsteller habe eine beachtliche Patientenverfügung errichtet, auf deren Auslegung die §§4 bis 9 PatVG anzuwenden seien. In diesem Sinne sei er Normadressat der Bestimmung. Da es sich bei der Patientenverfügung des Antragstellers lediglich um eine beachtliche Patientenverfügung handle, sei es nicht gesichert, dass der Antragsteller gegen seinen Willen keinen medizinischen Eingriffen unterzogen werde, weshalb die bekämpften Bestimmungen einen Eingriff in sein durch Art8 Abs1 EMRK garantiertes Recht auf Selbstbestimmung und damit einen Eingriff in seine Rechtsposition darstellten.
4.2. Die bekämpften Bestimmungen seien auch unmittelbar auf den Normadressaten als Verfasser einer beachtlichen Patientenverfügung anwendbar.
4.3. Da der Antragsteller eine Patientenverfügung errichtet habe, sei der Eingriff in seine Rechtssphäre aktueller Natur. Es könne jederzeit eine Situation eintreten, in welcher der Patientenverfügung ihrer Funktion nach Relevanz zukommen solle. Es sei für den Antragsteller aber nicht gesichert, dass die Patientenverfügung in dieser Situation tatsächlich beachtet werde. Es würde eine Überdehnung des Erfordernisses der Aktualität der Betroffenheit darstellen, wenn diese erst dann als erfüllt angesehen werde, wenn die Anordnungen in der Patientenverfügung tatsächlich nicht beachtet würden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Antragsteller mangels Einsichts- und Urteilsfähigkeit nämlich keine Möglichkeit mehr, seinen Willen auf andere Weise durchzusetzen.
4.4. Es bestehe auch keine Möglichkeit, ein Verfahren zu provozieren, in dem die bekämpfte Norm präjudiziell sei, weshalb die "Unzumutbarkeit eines Umwegs" vorliege. Fallkonstellationen, in denen das Pflegschaftsgericht zur Entscheidung über die Beachtlichkeit einer Patientenverfügung angerufen werden könne, seien erst dann denkbar, wenn der Antragsteller nicht mehr äußerungsfähig sei.
4.5. Mit der Aufhebung der bekämpften Normen werde die getroffene – und bisher bloß beachtliche – Patientenverfügung des Antragstellers auf Grund ihrer Schriftlichkeit, der Datumsangabe und der konkret erfolgten Umschreibung der abgelehnten medizinischen Maßnahmen verbindlich.
5. In der Sache hegt der Antragsteller gegen die angefochtene Bestimmung Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art8 EMRK und auf die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG.
5.1. Zunächst erblickt der Antragsteller eine Verletzung in seinem durch Art8 EMRK garantierten Recht auf Selbstbestimmung:
Art8 EMRK verpflichte den Staat dazu, zu verhindern, dass Personen von anderen Personen gegen ihren Willen behandelt würden. Dieser Verpflichtung komme der Staat bereits dadurch voll und ganz nach, indem er eine bloße schriftliche Verfügung eines Patienten genügen lasse, um eine bestimmte Behandlung an diesem auszuschließen. Sobald der Staat aber zusätzliche formale Hürden für diese Verfügung aufstelle und ihre Errichtung dadurch nur unter besonderen Voraussetzungen ermögliche, komme er seiner aus Art8 EMRK resultierenden Verpflichtung nicht mehr in vollem Umfange nach, sondern greife damit ins Grundrecht ein. Zwar stelle die Gesundheit des Patienten ein legitimes Eingriffsziel dar, dieses Ziel werde durch die genannten Bestimmungen jedoch nicht erreicht.
So seien die Bestimmungen des PatVG für einen "Übereilungsschutz" des Patienten nicht notwendig. Insbesondere spreche §10 Abs1 Z1 PatVG Patientenverfügungen, die übereilt getroffen worden seien, die Wirksamkeit ab. Auch ein im Rahmen der abzufassenden Patientenverfügung aufklärender Arzt oder Jurist könne eine Übereilung nicht verhindern. Außerdem könne jede einsichts- und urteilsfähige Person im Anlassfall ohne verpflichtende ärztliche Aufklärung jede Behandlung ablehnen, auch dann, wenn dies eine absehbare negative Auswirkung auf den Gesundheitszustand des Patienten habe.
Auch für die Nachvollziehbarkeit des Patientenwillens sei eine Errichtung vor einem Rechtsanwalt, Notar oder Patientenvertreter nicht erforderlich, da §4 Satz 1 PatVG ohnehin die konkrete Umschreibung der abgelehnten Behandlungsmethoden als Voraussetzung für eine verbindliche Patientenverfügung statuiere.
Es lasse sich auch nichts daraus gewinnen, dass eine nicht verbindliche Patientenverfügung noch immer zumindest "beachtlich" sein könne. Die Auslegung der maßgeblichen Bestimmung des §9 PatVG berge auf Grund der Unbestimmtheit dieser Bestimmung, die ein bewegliches System mit jedenfalls sieben Determinanten einrichte, die große Gefahr der Verfälschung des Patientenwillens bzw. der schlichten Nichtbeachtung der Verfügung "mangels Verbindlichkeit". Für den "Vollzug" der Patientenverfügung sei außerdem ein Arzt als juristischer Laie zuständig, der auf Grund des §9 PatVG über komplexe Rechtsfragen zu entscheiden habe, wodurch die Unsicherheit der bloß beachtlichen Patientenverfügung noch erheblich verstärkt werde. Diese Unsicherheit werde durch §8 Abs3 des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG) untermauert, da nach dieser Bestimmung beim einsichts- und urteilsunfähigen Patienten die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters zu einer Behandlung erforderlich sei, "sofern die Vornahme der medizinischen Behandlung nicht durch eine verbindliche Patientenverfügung ausgeschlossen ist". Da die beachtliche Patientenverfügung in dieser krankenanstaltenrechtlichen Bestimmung keine Erwähnung finde, müsse in einem Fall, in dem ein Patient lediglich eine beachtliche Patientenverfügung erstellt habe, der Sachwalter des Patienten – zumeist ein juristischer und medizinischer Laie – die Patientenverfügung zur Erforschung des mutmaßlichen Patientenwillens lediglich ins Kalkül ziehen und sei an diese nur als Richtschnur und Orientierungshilfe gebunden. Der Sachwalter und der Arzt hätten konsensual über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden. Sei nur einer von ihnen für lebenserhaltende Maßnahmen, hätten diese Vorrang. Im Falle einer beachtlichen Patientenverfügung komme es deshalb für den Patienten unweigerlich zu einer Fremdbestimmung.
Die Verpflichtung zur Erneuerung der Patientenverfügung im Abstand von jeweils fünf Jahren sei nicht einzusehen, da der Patient seine Verfügung jederzeit – etwa auf Grund geänderter Lebensumstände oder geänderter medizinischer Möglichkeiten – gemäß §10 Abs2 PatVG formlos widerrufen könne. Auch die Bestimmung des §10 Abs1 Z3 PatVG schütze den Patienten, da eine Patientenverfügung nach dieser Bestimmung unwirksam sein solle, wenn der Stand der medizinischen Wissenschaft sich im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert habe. Die Erneuerungspflicht sei überzogen und unangemessen, da sich der Patient wiederholt unter Umständen psychisch belastenden ärztlichen Aufklärungsgesprächen samt den damit verbundenen Kosten sowie der Errichtung der Patientenverfügung vor einem Rechtsanwalt, Notar oder Patientenvertreter samt den damit verbundenen Kosten aussetzen müsse. Eine Verfügung mit ähnlicher Tragweite wie jene der Patientenverfügung, nämlich die letztwillige Verfügung nach §578 ABGB, erfordere keine Erfüllung der in den aufzuhebenden Bestimmungen genannten Voraussetzungen. Die formalen Erfordernisse gälten auch für jede nachträgliche Änderung der Patientenverfügung.
Personen, die kein gutes Verhältnis zu Ärzten hätten und sich daher keinem Beratungsgespräch unterziehen wollten, seien durch die formalen Hürden an der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung gehindert. Die Regelungen seien dem Ziel des Gesundheitsschutzes deshalb nicht förderlich, sondern abträglich.
5.2. Der Antragsteller behauptet weiters eine Verletzung im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG:
Der Gesetzgeber differenziere zwischen Personen, die mangels Erfüllung der formalen Hürden eine bloß beachtliche Verfügung errichtet hätten, und solchen, die eine verbindliche Patientenverfügung errichtet hätten. Die Unsachlichkeit der Differenzierung gründe vor allem darauf, dass weder die medizinische noch die juristische Aufklärung auf die Vorbildung des Patienten Bezug nehme. Eine verpflichtende Beratung von Personen, die bereits eine klare Vorstellung davon hätten, wozu die Patientenverfügung diene, wie dies auch auf den Antragsteller u.a. wegen des von ihm absolvierten Psychologiestudiums zutreffe, sei überflüssig. Dennoch sei eine beachtliche Patientenverfügung solcher Personen nicht verbindlich, obwohl sie wegen der intensiven Auseinandersetzung mit der jeweiligen Angelegenheit und nach reiflicher Überlegung inhaltlich der verbindlichen Patientenverfügung in nichts nachstehe.
Auch eine unter Umständen im Einzelfall vorliegende "qualifizierte Beachtlichkeit" ändere daran nichts, da der klare gesetzgeberische Befehl der Verbindlichkeit der Patientenverfügung fehle. Es sei davor zu warnen, die Möglichkeit für den behandelnden Arzt, den in der Verfügung zum Ausdruck kommenden Willen heranzuziehen, ohne dabei eine Haftung fürchten zu müssen, mit der Verpflichtung zur Heranziehung dieses Willens gleichzusetzen. Sachgerecht und ausreichend sei die Bestimmung des §10 Abs1 Z1 PatVG über die Wirkungslosigkeit der Verfügung, wenn sie nicht frei und ernstlich erklärt werde. Einer allfälligen Ungenauigkeit der Verfügung könne mit §4 Satz 1 iVm §8 PatVG begegnet werden. Alle weiteren Hürden für die Errichtung seien jedoch nicht sachlich zu rechtfertigen und benachteiligten Personen, die diese Hürden nicht erfüllen könnten oder wollten, trotzdem aber eine selbstbestimmte Entscheidung getroffen hätten.
6. Die Bundesregierung erstattete mit Schriftsatz vom 11. Februar 2014 eine Äußerung, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
6.1. Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Anfechtungsumfang vom Antragsteller nicht richtig abgegrenzt worden sei. So grenze der Hauptantrag den Anfechtungsumfang zu eng ab. Die gänzliche Aufhebung des §5 PatVG würde die in einem untrennbaren äußeren Sprach- und Sachzusammenhang stehende Bestimmung des §14 PatVG unverständlich und unanwendbar machen. Auch die Bestimmung des §1 Abs2 PatVG, die regle, dass eine Patientenverfügung verbindlich oder beachtlich sein könne, würde im Fall einer Aufhebung der Bestimmungen eine gänzlich andere Bedeutung erhalten. Es blieben nämlich nur die Voraussetzungen der Schriftlichkeit, der Datumsangabe und die konkrete oder aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehende eindeutige Beschreibung der medizinischen Behandlungen, die Gegenstand einer Ablehnung seien, in Geltung. Damit bliebe als Abgrenzungskriterium zwischen verbindlicher und beachtlicher Patientenverfügung nur die in §4 PatVG näher spezifizierte Form der Beschreibung der medizinischen Behandlungen, die Gegenstand einer Ablehnung seien, die jedoch keine sinnvolle Grenzziehung ermöglichten. Es sei somit nicht hinreichend bestimmt, in welcher Weise sich die beiden Arten der Patientenverfügung voneinander unterscheiden würden. Der Eventualantrag grenze hingegen den Anfechtungsumfang zu weit ab, da mit der Aufhebung des gesamten PatVG mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden würde, als Voraussetzung für den Anlassfall sei.
6.2. Die Bundesregierung tritt den im Antrag erhobenen Bedenken auch inhaltlich entgegen:
Das PatVG greife zwar in das durch Art8 EMRK garantierte Recht auf Privatleben ein, weil dort Voraussetzungen der Wirksamkeit von Patientenverfügungen geregelt seien. Neben der "Moral" und den "Rechte[n] anderer" komme auch das Schutzziel "Gesundheit" im Sinne eines individuellen Gesundheitszustandes des Betroffenen als ein mit diesem Eingriff verfolgtes Ziel in Betracht. Dass der Gesetzgeber zusätzlich zur verbindlichen Patientenverfügung die Möglichkeit einer beachtlichen Patientenverfügung vorsehe, liege – insbesondere auch vor dem Hintergrund des Fehlens eines europaweiten Konsenses über die rechtliche Bindungskraft der Patientenverfügung – innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers.
Die Unterscheidung zwischen verbindlicher und beachtlicher Patientenverfügung beruhe unter anderem darauf, dass die Patientenverfügung einer unmittelbar geäußerten Ablehnung einer bestimmten Heilbehandlung in einer konkreten Situation nicht ohne weiteres gleich gehalten werden könne. Für den Verfasser einer Patientenverfügung sei nämlich nicht prognostizierbar, wie er sich in der konkreten Krankheitssituation oder in der terminalen Lebensphase tatsächlich fühle. Die Verbindlichkeit des pro futuro geäußerten Patientenwillens hänge davon ab, wie intensiv sich der Patient mit der Krankheitssituation beschäftigt habe und wie gut er über die in Betracht kommenden Behandlungsmethoden und ihre Auswirkungen informiert gewesen sei. Die Umstände der Erklärung des Patienten seien in der Regel viel schwieriger festzustellen als bei einer aktuellen Willenserklärung. Da die Patientenverfügung die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal unmittelbar binde, seien entsprechende Errichtungsvorschriften erforderlich.
Das Aufklärungserfordernis stelle sicher, dass der Patient sich mit der Krankheitssituation ausführlich auseinandergesetzt habe und eine informierte Entscheidung treffe. Dass eine Übereilung dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen werde, schade nicht, sondern stelle eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung des Schutzziels dar. §10 Abs1 Z1 PatVG diene entgegen dem Vorbringen des Antragstellers diesem Ziel nicht in ausreichender Weise, da diese Bestimmung nicht den Fall der Übereilung betreffe, sondern solche Patientenverfügungen, die nicht frei und ernstlich erklärt würden.
§6 PatVG und das darin geregelte Erfordernis der Errichtung der Patientenverfügung vor einem Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundigen Patientenvertreter stellten weiters sicher, dass die Patientenverfügung möglichst klar formuliert werde, sodass der behandelnde Arzt in der Entscheidungssituation eine eindeutige Entscheidungsvorgabe des Patienten vorfinde.
Die Verpflichtung zur Erneuerung in §7 PatVG diene ebenfalls diesem Erfordernis. Die Behauptung, dass eine solche Erneuerung bei letztwilligen Verfügungen nicht notwendig sei, gehe ins Leere, da bei diesen der medizinische Fortschritt keine Rolle spiele und es insofern an der Vergleichbarkeit mangle.
Eine Patientenverfügung, die nicht alle Voraussetzungen der §§4 bis 7 PatVG erfülle, solle nicht unbeachtlich sein. Die im Gesetz vorgesehene Unterscheidung zwischen verbindlichen und beachtlichen Patientenverfügungen sowie das in §9 PatVG grundgelegte Modell einer abgestuften Beachtlichkeit seien zur Zielerreichung geeignet. Dem Vorbringen des Antragstellers, dass §9 PatVG jegliche Vorhersehbarkeit für den Verfasser der Patientenverfügung vermissen lasse, sei entgegenzuhalten, dass die Patientenverfügung vornehmlich an den Arzt gerichtet sei. Das PatVG treffe verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur Sicherstellung der Authentizität der Verfügung sowie der entsprechenden realitätsbezogenen Einschätzung der tatsächlichen künftigen Verhältnisse. Sie diene damit dem in Art8 Abs2 EMRK formulierten Ziel des Gesundheitsschutzes (vgl. Kopetzki, in: Kopetzki (Hrsg.), Antizipierte Patientenverfügungen, 2000, 45). Mit weniger schweren Eingriffen könne das Ziel der Sicherstellung einer autonomen und authentischen Patientenentscheidung nicht mit gleicher Sicherheit erreicht werden. Dennoch habe sich der Gesetzgeber nicht zu einem System entschlossen, das nur die verbindliche Patientenverfügung kenne, sondern habe mit §9 PatVG die Beachtlichkeit angeordnet, die nach Ansicht der Bundesregierung im Rahmen des oben dargestellten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Art8 EMRK sichere.
Auch die Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz gingen ins Leere. Im Hinblick auf die Unsicherheit der einer Patientenverfügung zugrunde liegenden Prognosen, auf die notwendige Unschärfe der Angaben über jene Situationen, in denen die Verfügung Anwendung finden solle, und schließlich auf den raschen medizinischen Fortschritt (vgl. Kneihs, in: Kopetzki (Hrsg.), Antizipierte Patientenverfügungen, 2000, 66; Kopetzki, aaO, 47) sei es sachlich gerechtfertigt, antizipierte Verfügungen im Unterschied zu aktuellen Behandlungsverweigerungen einwilligungsfähiger Patienten nicht in jedem Fall ohne weiteres für verbindlich zu erklären. Die gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen für Patientenverfügungen seien daher durch "Unterschiede im Tatsächlichen" gerechtfertigt. Die Aufklärung durch den Arzt diene dazu, den Patienten in einer für den medizinischen Laien verständlichen Form zu informieren. Informationsdefizite des Patienten könnten nämlich zu falschen Vorstellungen und missverständlichen Formulierungen führen. Darüber hinaus falle es nicht medizinisch geschulten Laien oft schwer, ihre Vorstellungen entsprechend zu artikulieren. Dass sich in Einzelfällen auch medizinisch ausreichend vorgebildete Patienten einer Aufklärung unterziehen müssten, bewirke keine Unsachlichkeit der Regelung. Es liege im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, Vorschriften zur Aufklärung über die Errichtung von Patientenverfügungen zu erlassen, welche vom Regelfall eines nicht umfassend sachkundigen Patienten ausgingen. Eine juristische Vorbildung dispensiere im Übrigen auch in anderen Angelegenheiten nicht von der Notariatsaktpflicht.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über Patientenverfügungen (Patientenverfügungs-Gesetz – PatVG), BGBl I 55/2006, lauten wie folgt (die im Antrag angefochtenen Gesetzesbestimmungen bzw. die angefochtenen Wortfolgen in §6 Abs1 und §9 Satz 2 PatVG sind hervorgehoben):
"1. Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
Anwendungsbereich
§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Voraussetzungen und die Wirksamkeit von Patientenverfügungen.
(2) Eine Patientenverfügung kann verbindlich oder für die Ermittlung des Patientenwillens beachtlich sein.
Begriffe
§2. (1) Eine Patientenverfügung im Sinn dieses Bundesgesetzes ist eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er im Zeitpunkt der Behandlung nicht einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig ist.
(2) Patient im Sinn dieses Bundesgesetzes ist eine Person, die eine Patientenverfügung errichtet, gleichgültig, ob sie im Zeitpunkt der Errichtung erkrankt ist oder nicht.
Höchstpersönliches Recht, Fähigkeit der Person
§3. Eine Patientenverfügung kann nur höchstpersönlich errichtet werden. Der Patient muss bei Errichtung einer Patientenverfügung einsichts- und urteilsfähig sein.
2. Abschnitt
Verbindliche Patientenverfügung
Inhalt
§4. In einer verbindlichen Patientenverfügung müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Aus der Patientenverfügung muss zudem hervorgehen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt.
Aufklärung
§5. Der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung muss eine umfassende ärztliche Aufklärung einschließlich einer Information über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung vorangehen. Der aufklärende Arzt hat die Vornahme der Aufklärung und das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift durch eigenhändige Unterschrift zu dokumentieren und dabei auch darzulegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt, etwa weil sie sich auf eine Behandlung bezieht, die mit einer früheren oder aktuellen Krankheit des Patienten oder eines nahen Angehörigen zusammenhängt.
Errichtung
§6. (1) Eine Patientenverfügung ist verbindlich, wenn sie schriftlich unter Angabe des Datums vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen (§11e Kranken- und Kuranstaltengesetz, BGBl Nr 1/1957) errichtet worden ist und der Patient über die Folgen der Patientenverfügung sowie die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs belehrt worden ist.
(2) Der Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundige Mitarbeiter der Patientenvertretungen hat die Vornahme dieser Belehrung in der Patientenverfügung unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift durch eigenhändige Unterschrift zu dokumentieren.
Erneuerung
§7. (1) Eine Patientenverfügung verliert nach Ablauf von fünf Jahren ab der Errichtung ihre Verbindlichkeit, sofern der Patient nicht eine kürzere Frist bestimmt hat. Sie kann unter Einhaltung der Formerfordernisse des §6 nach entsprechender ärztlicher Aufklärung erneuert werden; damit beginnt die Frist von fünf Jahren neu zu laufen.
(2) Einer Erneuerung ist es gleichzuhalten, wenn einzelne Inhalte der Patientenverfügung nachträglich geändert werden. Dabei sind die Bestimmungen über die Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung entsprechend anzuwenden. Mit jeder nachträglichen Änderung beginnt die in Abs1 genannte Frist für die gesamte Patientenverfügung neu zu laufen.
(3) Eine Patientenverfügung verliert nicht ihre Verbindlichkeit, solange sie der Patient mangels Einsichts-, Urteils- oder Äußerungsfähigkeit nicht erneuern kann.
3. Abschnitt
Beachtliche Patientenverfügung
Voraussetzungen
§8. Eine Patientenverfügung, die nicht alle Voraussetzungen der §§4 bis 7 erfüllt, ist dennoch für die Ermittlung des Willens des Patienten beachtlich.
Beachtung der Patientenverfügung
§9. Eine beachtliche Patientenverfügung ist bei der Ermittlung des Patientenwillens umso mehr zu beachten, je eher sie die Voraussetzungen einer verbindlichen Patientenverfügung erfüllt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit der Patient die Krankheitssituation, auf die sich die Patientenverfügung bezieht, sowie deren Folgen im Errichtungszeitpunkt einschätzen konnte, wie konkret die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, beschrieben sind, wie umfassend eine der Errichtung vorangegangene ärztliche Aufklärung war, inwieweit die Verfügung von den Formvorschriften für eine verbindliche Patientenverfügung abweicht, wie häufig die Patientenverfügung erneuert wurde und wie lange die letzte Erneuerung zurückliegt.
4. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen
Unwirksamkeit
§10. (1) Eine Patientenverfügung ist unwirksam, wenn
1. sie nicht frei und ernstlich erklärt oder durch Irrtum, List, Täuschung oder physischen oder psychischen Zwang veranlasst wurde,
2. ihr Inhalt strafrechtlich nicht zulässig ist oder
3. der Stand der medizinischen Wissenschaft sich im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat.
(2) Eine Patientenverfügung verliert ihre Wirksamkeit, wenn sie der Patient selbst widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr wirksam sein soll.
Sonstige Inhalte
§11. Der Wirksamkeit einer Patientenverfügung steht es nicht entgegen, dass darin weitere Anmerkungen des Patienten, insbesondere die Benennung einer konkreten Vertrauensperson, die Ablehnung des Kontakts zu einer bestimmten Person oder die Verpflichtung zur Information einer bestimmten Person, enthalten sind.
Notfälle
§12. Dieses Bundesgesetz lässt medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet.
Pflichten des Patienten
§13. Der Patient kann durch eine Patientenverfügung die ihm allenfalls aufgrund besonderer Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten, sich einer Behandlung zu unterziehen, nicht einschränken.
Dokumentation
§14. (1) Der aufklärende und der behandelnde Arzt haben Patientenverfügungen in die Krankengeschichte oder, wenn sie außerhalb einer Krankenanstalt errichtet wurden, in die ärztliche Dokumentation aufzunehmen.
(2) Stellt ein Arzt im Zuge der Aufklärung nach §5 fest, dass der Patient nicht über die zur Errichtung einer Patientenverfügung erforderlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, so hat er dies, gegebenenfalls im Rahmen der Krankengeschichte, zu dokumentieren.
Verwaltungsstrafbestimmung zum Schutz vor Missbrauch
§15. Wer den Zugang zu Einrichtungen der Behandlung, Pflege oder Betreuung oder den Erhalt solcher Leistungen davon abhängig macht, dass eine Patientenverfügung errichtet oder dies unterlassen wird, begeht, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 25 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 50 000 Euro, zu bestrafen.
[…]"
III. Erwägungen
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
3. Der zweite und der dritte Teil des Antrags, mit denen Elemente des §6 Abs1 und des §9 PatVG angefochten werden, erweisen sich als unzulässig, da sie das Erfordernis der genauen Bezeichnung der aufzuhebenden Bestimmungen nicht erfüllen.
3.1. Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG muss ein Gesetzesprüfungsantrag das Begehren enthalten, das – nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige – Gesetz seinem gesamten Inhalt nach oder bestimmte Stellen des Gesetzes aufzuheben. Um das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 11.888/1988, 12.062/1989, 12.263/1990, 14.040/1995, 14.634/1996) die bekämpften Gesetzesstellen genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich aufgehoben werden soll (VfSlg 12.062/1989, 12.487/1990, 14.040/1995, 16.340/2001).
3.2. Der zweite und der dritte Teil des Antrags enthalten keine bestimmte Bezeichnung jener Gesetzesstellen, deren Aufhebung begehrt wird, und erfüllen somit nicht das Erfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG. Die Wendung, der Verfassungsgerichtshof wolle "[…] 2. Teile des ersten Absatzes von §6 leg. cit. als verfassungswidrig aufheben, sodass §6 Abs1 wie folgt lautet: 'Eine Patientenverfügung ist verbindlich, wenn sie schriftlich unter Angabe des Datums errichtet worden ist.'; 3. Teile des zweiten Satzes von §9 leg. cit. als verfassungswidrig aufheben, sodass §9 Satz 2 wie folgt lautet: 'Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, wie konkret die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, beschrieben sind, inwieweit die Verfügung von den Formvorschriften für eine verbindliche Patientenverfügung abweicht.'" grenzt den als verfassungswidrig erachteten Teil des PatVG nicht – in einer den Anforderungen des VfGG entsprechenden Weise – klar und unmissverständlich ab. Es wäre die Aufgabe des Antragstellers gewesen, die aufzuhebenden Wortfolgen positiv und konkret zu bezeichnen.
3.3. Der zweite und der dritte Teil des Antrags geben die angefochtenen Bestimmungen vielmehr in der nach einer etwaigen Aufhebung bereinigten Fassung wieder. Dies entspricht nicht der vom Verfassungsgerichtshof für zulässig erachteten Art und Weise der Formulierung des Antrags. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, eine bestimmte vom Antragsteller gewünschte Rechtslage herzustellen, da die antragsgemäße Aufhebung hier einem dem Verfassungsgerichtshof verwehrten Akt positiver Normsetzung gleichkäme (vgl. zB VfSlg 13.915/1994, 15.283/1998, 16.533/2002). Eine Gesetzesaufhebung im Sinne des zweiten und dritten Antrags kommt demnach nicht in Betracht.
4. Im ersten Teil des Antrags begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Bestimmungen des §4 zweiter Satz, §5, §6 Abs2 und des §7 PatVG zur Gänze.
4.1. Die Bundesregierung erachtet den vom Antragsteller gewählten Anfechtungsumfang als zu eng. Die gänzliche Aufhebung des §5 PatVG mache die in einem untrennbaren äußeren Sprach- und Sachzusammenhang stehende Bestimmung des §14 PatVG unverständlich und unanwendbar. Auch die Vorschrift des §1 Abs2 PatVG, welche regle, dass eine Patientenverfügung verbindlich oder beachtlich sein könne, erhalte im Fall einer Aufhebung der Bestimmungen eine gänzlich andere Bedeutung.
4.2. Diese Einwände der Bundesregierung treffen nicht zu. §14 PatVG regelt, dass der aufklärende und der behandelnde Arzt Patientenverfügungen in die Krankengeschichte oder, wenn sie außerhalb einer Krankenanstalt errichtet wurden, in die ärztliche Dokumentation aufzunehmen hat sowie dass ein Arzt, so er im Zuge der Aufklärung nach §5 PatVG feststellt, dass der Patient nicht über die zur Errichtung einer Patientenverfügung erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, dies zu dokumentieren hat. Die Bestimmung verweist damit auf §5 PatVG (Aufklärung des Errichters einer Patientenverfügung), der von der vom Antragsteller im ersten Teil des Antrags beantragten Aufhebung umfasst wäre. Der Verfassungsgerichtshof hat es wiederholt als der Zulässigkeit von Gesetzesprüfungsanträgen nicht entgegenstehend angesehen, wenn durch Aufhebung einer Gesetzesbestimmung andere Bestimmungen des Gesetzes unanwendbar wurden (vgl. zB die bei Rohregger, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art140 B-VG, Rz 216, Fn 644 angeführte Rechtsprechung; vgl. auch VfSlg 18.652/2008). Aus diesem Grund schadet es im Hinblick auf die Zulässigkeit nicht, wenn §14 PatVG seinen Anwendungsbereich verliert.
Auch der Umstand, dass der – nicht angefochtene – §1 Abs2 PatVG, der die Unterscheidung zwischen einer verbindlichen und einer beachtlichen Patientenverfügung trifft, im Fall der Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen im Rechtsbestand verbliebe, lässt den ersten Teil des Antrags nicht deshalb als zu eng gefasst erscheinen, weil diese Bestimmung – so die Annahme der Bundesregierung – eine gänzlich andere Bedeutung erhielte. Diese Annahme trifft indessen nicht zu. Nach Aufhebung der vom Antragsteller im ersten Teil des Antrags angefochtenen Bestimmungen bliebe die Unterscheidung in eine verbindliche und in eine beachtliche Patientenverfügung aufrecht; lediglich die Unterschiede zwischen beiden würden im Falle der Aufhebung geringer werden.
4.3. Der erste Teil des Antrags erweist sich jedoch aus einem anderen Grund als zu eng gefasst und daher unzulässig. Angesichts der vom Antragsteller vorgetragenen Bedenken wäre Voraussetzung der Zulässigkeit nämlich zumindest die konkrete Anfechtung jener Wortfolgen in §6 Abs1 PatVG gewesen, welche die Errichtung durch einen Rechtsanwalt oder dgl. vorsehen.
4.4. Ein Antrag auf gleichzeitige Aufhebung dieser Wortfolgen ist zwar mit dem zweiten Teil des Antrags intendiert, dieser erweist sich jedoch aus den unter Punkt 3 dargestellten Gründen als unzulässig.
5. Auch der Eventualantrag, in dem die Aufhebung des gesamten PatVG als verfassungswidrig beantragt wird, erweist sich als unzulässig.
5.1. Da nicht alle Bestimmungen des PatVG in die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell und unmittelbar eingreifen, käme eine Aufhebung des gesamten Gesetzes nur bei einem untrennbaren Zusammenhang aller Bestimmungen des Gesetzes in Betracht, der dazu führt, dass auch Bestimmungen aufgehoben werden können, von denen der Antragsteller nicht aktuell und unmittelbar betroffen wäre. Ein untrennbarer Zusammenhang liegt nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes jedoch nicht schon deshalb vor, weil – wie hier – im Falle der Aufhebung des §4 zweiter Satz, §5, §6 Abs2 und §7 PatVG zur Gänze, der Aufhebung von Teilen des ersten Absatzes von §6 leg. cit. und von Teilen des zweiten Satzes von §9 leg. cit. einzelne Bestimmungen des PatVG unanwendbar würden (vgl. etwa VfSlg 11.591/1987, 15.129/1998).
5.2. Da ein untrennbarer Zusammenhang der übrigen Bestimmungen des PatVG mit den in die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell und unmittelbar eingreifenden Bestimmungen nicht vorliegt und Bedenken gegen die übrigen Bestimmungen des PatVG zudem nicht vorgebracht wurden, ist auch der Eventualantrag als unzulässig zurückzuweisen.
IV. Ergebnis
1. Der Antrag ist zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Gesundheitswesen, Patientenverfügung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / BedenkenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G82.2013Zuletzt aktualisiert am
18.08.2014