TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/14 B193/2013

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Veröffentlicht am 14.06.2014
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Index

L6500 Jagd, Wild

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Anlassfall

Spruch

I.              Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II.              Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.980,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 10. August 2012 wurde der zwischen der Österreichischen Bundesforste AG als Verpächterin und den nunmehrigen Beschwerdeführern als Pächter abgeschlossene Jagdpachtvertrag gemäß §20 lita Tiroler Jagdgesetz 2004, LGBl 41 (im Folgenden: TJG 2004) von Amts wegen aufgelöst. Gegenstand dieses Jagdpachtvertrages war die Verpachtung des Jagdausübungsrechtes im Jagdrevier Hasatal auf die Dauer von zehn Jahren, von 1. April 2008 bis 31. März 2018.

Die Vertragsauflösung wurde mit vier rechtskräftigen Bestrafungen eines Pächters nach dem TJG 2004 begründet. Mit Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 27. Jänner 2011 und 13. Oktober 2011 sei er gemäß §§70 Abs1 litl iVm §37 TJG 2004 wegen der Nichterfüllung der Abschusspläne 2009 und 2010 und mit den Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 13. Oktober 2011 und vom 29. März 2012 gemäß §3 Abs7 der Zweiten Durchführungsverordnung zum TJG 2004 wegen gesetzwidriger Abschussmeldungen bestraft worden. Mit dem Berufungserkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 15. Juni 2012 sei er gemäß §40 Abs1 litk TJG 2004 wegen der rechtswidrigen Errichtung eines Bodenstandes bestraft worden.

Damit sei der Auflösungstatbestand des §20 lita TJG 2004 verwirklicht und der Jagdpachtvertrag zwingend aufzulösen. Sämtliche Verwaltungsstrafen wurden über den Pächter in seiner Funktion als Jagdleiter der Eigenjagd Thiersee, Revierteil Hasatal, verhängt.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführer wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird in der Beschwerde zusammengefasst ausgeführt, dass sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Soweit die Verwaltungsstrafen auf Grund eines Verstoßes gegen die Zweite Durchführungsverordnung zum TJG 2004 verhängt wurden, hätten sie der Auflösung des Jagdpachtvertrages nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Der von der Behörde zitierte §70 Abs1 litl TJG 2004 enthalte lediglich die Strafnormen, sei aber nicht Grundlage für die Bestrafung an sich. Da lediglich das Berufungserkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 15. Juni 2012 eine Verwaltungsübertretung nach dem TJG 2004 (§40 Abs1 litk) zum Gegenstand habe, liege keine "wiederholte" Übertretung iSd §20 lita TJG 2004 vor. Die Anwendung des ersten Tatbestandes in §20 lita TJG 2004 sei auch insofern rechtswidrig, als die zugrunde gelegten Verwaltungsstrafen die Nichteinhaltung von Abschussplänen sanktionieren. Die belangte Behörde hätte sich insofern auf den Auflösungstatbestand hinsichtlich der Nichteinhaltung von Vorschriften über die Abschussregelung in §20 lita TJG 2004 stützen müssen. Schließlich biete das TJG 2004 keinen Anhaltspunkt dafür, jagdrechtliche Verwaltungsstrafen des Jagdleiters, der der Jagdbehörde gegenüber verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich ist, derselben Person in ihrer Funktion als Pächter zuzurechnen. Diese Vorgehensweise führe zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Schlechterstellung von Konstellationen, in denen ein Mitpächter die Funktion des Jagdleiters übernimmt, gegenüber der Konstellation, wo eine außenstehende Person zum Jagdleiter bestellt wird. Nur im ersteren Fall komme es dazu, dass die verwaltungsrechtlichen Verfehlungen auf die Pächter durchschlagen.

Die Beschwerdeführer behaupten weiters die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§20 lita TJG 2004) durch die belangte Behörde. Die Auflösung des 10-jährigen Jagdpachtvertrages bei jeder – noch so geringen – Verwaltungsübertretung sei nicht gerechtfertigt, weil diese Bestimmung aus einer Zeit stamme, in der ausschließlich geschulte und erfahrene Personen die Jagd ausgeübt hätten und es selten zu jagdrechtlichen Übertretungen gekommen sei. Auch die von der belangten Behörde herangezogene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 29.11.1989, 89/03/0223) gehe von jener damaligen Situation aus. Die Jagd habe sich in den letzten Jahrzehnten jedoch deutlich geändert. Sie werde nun von einem viel größeren Bevölkerungsanteil ausgeübt, und es komme gehäuft zu jagdrechtlichen Übertretungen. Aus diesem Grund müsse §20 lita TJG 2004 reformiert werden. Die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung ergebe sich auch daraus, dass die Behörde bei der Bestrafung nach den jagdrechtlichen Bestimmungen Ermessen ausüben könne, sodass es letztlich in ihrer Hand liege, ob ein Jagdpachtvertrag aufgelöst wird. §20 TJG 2004 erlaube es der Behörde nicht, die Strafbescheide inhaltlich zu prüfen. Das verfassungsrechtliche Differenzierungsgebot verlange eine eindeutige Regelung dahingehend, welche Übertretungen des TJG 2004 die Auflösung des Jagdpachtvertrages zur Folge haben, und die Einräumung von Ermessen zugunsten der Jagdbehörde.

§20 lita TJG 2004 sei auch unsachlich, weil diese Bestimmung die Behörde zur Auflösung von Jagdpachtverträgen, aber nicht von – hinsichtlich der Anzahl von Wild beschränkten – Wildabschussverträgen berechtige. Begehe ein auf Grund eines Wildabschussvertrages Berechtigter dieselbe Verwaltungsübertretung wie ein Jagdpächter, könne die Behörde gemäß §20 TJG 2004 den Jagdpachtvertrag, aber nicht den Wildabschussvertrag auflösen. Diese Unterscheidung sei sachlich nicht gerechtfertigt.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Rechtslage

Das TJG 2004 lautet samt Überschriften auszugsweise wie folgt:

"Jagdpachtung

§18 Jagdpachtvertrag

(1) Die Ausübung des Jagdrechtes kann nur in seiner Gänze Gegenstand eines Pachtvertrages sein. Der Verpächter einer Eigenjagd kann jedoch die Nutzung bestimmter Wildarten im Vertrag ausnehmen und sich vorbehalten. Die Ausübung des Jagdrechtes in einem Teil eines Jagdgebietes kann nur dann Gegenstand eines gültigen Jagdpachtvertrages sein, wenn jeder Teil den Erfordernissen eines selbstständigen Jagdgebietes entspricht.

(2) Die Pachtdauer beträgt mindestens zehn Jahre. Die Verlängerung eines Pachtvertrages kann auch auf kürzere Zeit erfolgen. Der Pachtvertrag erlischt mit dem Tod des Einzelpächters. Bei Tod eines Mitpächters treten die anderen Mitpächter in die Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein.

(3) Pachtverträge und deren Verlängerung, Änderung oder Ergänzung sind der Bezirksverwaltungsbehörde vom Verpächter innerhalb von drei Wochen nach dem Vertragsschluss unter Vorlage einer Vertragsausfertigung anzuzeigen. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Rechtswirksamkeit des Pachtvertrages mit Bescheid auszusetzen, wenn er nicht nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zustande gekommen ist, wenn er diesem Gesetz widersprechende Bestimmungen enthält, wenn im Fall des §11 Abs7 die Ausübung des Jagdrechtes nicht auf einen Jagdleiter übertragen wird oder wenn ein früherer Jagdpachtvertrag nach §20 aufgelöst wurde. Gegen einen solchen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde ist die Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig. Nach dem Ablauf von vier Wochen nach dem Einlangen der Anzeige des Pachtvertrages bei der Bezirksverwaltungsbehörde ist eine Aussetzung der Rechtswirksamkeit des Vertrages nicht mehr zulässig.

(4) Feststellungen nach §4 Abs2 und 3 sowie Verfügungen nach §8 Abs1, 2, 3 und 5 haben auf laufende Pachtverträge keinen Einfluss, wohl aber auf Pachtverhältnisse nach Ablauf der ursprünglichen Pachtdauer, wenn sie noch vor diesem vereinbart worden sind.

§19 Mitpächter, Unterverpachtung

(1) Mehrere Mitpächter haften für die Bezahlung des Pachtzinses und für den Ersatz des Wild- und Jagdschadens zur ungeteilten Hand.

(2) Eine Unterverpachtung der Jagd ist unzulässig.

§20 Auflösung des Jagdpachtvertrages

Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, wenn ein Pächter

a) sich wiederholt einer Übertretung dieses Gesetzes schuldig macht, den Vorschriften über die Abschussregelung nicht entspricht oder die Jagd beharrlich in nicht weidgerechter Weise ausübt;

b) den Vorschriften über den Jagdschutz trotz Aufforderung durch die Bezirksverwaltungsbehörde nicht entspricht;

c) wiederholt Jagdgäste einlädt, die sich im Jagdgebiet Übertretungen dieses Gesetzes schuldig machen;

d) mit der Bezahlung des Pachtzinses trotz schriftlicher Mahnung länger als drei Monate in Verzug ist;

e) einer im Interesse der Landeskultur behördlich verfügten Verminderung des Wildstandes nicht nachkommt;

f) trotz schriftlicher Mahnung mit der Bezahlung des rechtskräftig festgestellten Wildschadens länger als drei Monate in Verzug ist.

Vor der Entscheidung über einen Antrag ist der Bezirksjagdbeirat zu hören. Gegen einen solchen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde ist die Berufung

an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, wenn ein Pächter" in §20 sowie der Wortfolge "sich wiederholt einer Übertretung dieses Gesetzes schuldig macht," in §20 lita TJG 2004 ein. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G6/2014, hob er die genannten Bestimmungen als verfassungswidrig auf.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat somit bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

2. Der Bescheid ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 460,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B193.2013

Zuletzt aktualisiert am

14.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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