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L6500 Jagd, WildNorm
StGG Art5Leitsatz
Aufhebung von Bestimmungen des Tir JagdG 2004 über die Auflösung des Jagdpachtvertrages durch die Bezirksverwaltungsbehörde wegen Verstoßes gegen das Eigentumsrecht; Unsachlichkeit des Eingriffs in die Privatautonomie der Vertragsparteien als zwingende administrativrechtliche Folge von bereits zwei verwaltungsstrafrechtlichen SchuldsprüchenSpruch
I. Folgende Bestimmungen des Tiroler Jagdgesetzes 2004 (TJG 2004), LGBl für Tirol Nr 41, werden als verfassungswidrig aufgehoben:
1. in §20 die Wortfolge "Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, wenn ein Pächter" und
2. in §20 lita die Wortfolge "sich wiederholt einer Übertretung dieses Gesetzes schuldig macht,".
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2014 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B193/2013 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 10. August 2012 wurde der zwischen der Österreichischen Bundesforste AG als Verpächterin und den Beschwerdeführern als Pächter abgeschlossene Jagdpachtvertrag gemäß §20 lita TJG 2004 von Amts wegen aufgelöst. Gegenstand dieses Jagdpachtvertrages war die Verpachtung des Jagdausübungsrechtes im Jagdrevier Hasatal auf die Dauer von zehn Jahren, von 1. April 2008 bis 31. März 2018.
Die Vertragsauflösung wurde mit vier rechtskräftigen Bestrafungen eines Pächters nach dem TJG 2004 begründet. Damit sei der Auflösungstatbestand des §20 lita TJG 2004 verwirklicht und der Jagdpachtvertrag zwingend aufzulösen. Sämtliche Verwaltungsstrafen wurden über den Pächter in seiner Funktion als Jagdleiter der Eigenjagd Thiersee, Revierteil Hasatal, verhängt.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung der Beschwerdeführer wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 als unbegründet abgewiesen.
2. Bei der Behandlung der dagegen gerichteten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, wenn ein Pächter" in §20 sowie der Wortfolge "sich wiederholt einer Übertretung dieses Gesetzes schuldig macht," in §20 lita TJG 2004 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat am 11. Dezember 2013 beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"[…] 3.1. Vorangestellt sei Folgendes: Das Regelungssystem im TJG 2004 sieht vor, dass die Ausübung des Jagdrechtes auf einem Eigenjagdgebiet grundsätzlich dem Grundeigentümer zusteht. Übt er das Jagdrecht nicht selbst aus oder ist eine juristische Person oder eine Mehrheit von Personen Eigentümer des Eigenjagdgebietes, ist die Ausübung des Jagdrechtes zu verpachten oder auf einen Jagdleiter zu übertragen (§11 Abs2 und 4).
Die Verpachtung eines Eigenjagdgebietes (oder eines Genossenschaftsjagdgebietes) ist erheblichen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen. So darf die Ausübung der Jagd nur an eine Person verpachtet werden, die im Besitz einer gültigen Tiroler Jagdkarte ist (§11 Abs6). Wird sie an eine juristische Person oder an eine Mehrheit von Personen verpachtet, so ist das Jagdausübungsrecht auf einen Jagdleiter zu übertragen (§11 Abs7), der im Besitz einer Tiroler Jagdkarte sein muss (§11 Abs3). Die Übertragung des Jagdausübungsrechtes auf einen Jagdleiter bewirkt, dass dieser gegenüber der Jagdbehörde zum Jagdausübungsberechtigten mit allen Rechten und Pflichten desselben wird. Durch die Bestellung zum Jagdleiter wird dieser Partei in allen jagdbehördlichen Verfahren, welche die Ausübung des Jagdrechtes unmittelbar betreffen (vgl. VwGH 24.01.1996, 93/03/0095 zur niederösterreichischen Rechtslage). Gegenstand des Pachtvertrages hat grundsätzlich das gesamte (behördlich festgestellte) Jagdgebiet zu sein (§18 Abs1). Die Pachtdauer beträgt mindestens zehn Jahre (§18 Abs2).
Jagdpachtverträge (sowie deren Verlängerung, Änderung oder Ergänzung) sind vom Verpächter der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen. Der Jagdbehörde obliegt die Beurteilung der Frage der Zulässigkeit und des rechtlichen Bestandes von Jagdpachtverträgen (vgl. zB VwGH 27.11.2012, 2010/03/0159). Sie hat die Rechtswirksamkeit des Pachtvertrages mit Bescheid unter anderem dann auszusetzen, wenn er entgegen den Bestimmungen des TJG 2004 zustande gekommen ist oder gesetzwidrige Bestimmungen enthält. Nach dem Ablauf von vier Wochen nach dem Einlangen der Anzeige des Pachtvertrages bei der Bezirksverwaltungsbehörde ist eine Aussetzung des Pachtvertrages nicht mehr zulässig (§18 Abs3). Die Verletzung der jagdrechtlichen Vorschriften durch den Pächter ermächtigt die Jagdbehörde unter den Voraussetzungen des §20 TJG 2004 zur Auflösung des Jagdpachtvertrages.
Das Jagdausübungsrecht wird durch subjektive Kriterien beschränkt, die eine Person erfüllen muss, um das Jagdausübungsrecht in Anspruch zu nehmen. In den §§27 bis 29 TJG 2004 wird das Führen einer gültigen Tiroler Jagdkarte vorausgesetzt, für deren Erlangung unter anderem der Nachweis der jagdlichen Eignung zu erbringen ist (§28 Abs1 litc). Dieser Nachweis ist grundsätzlich durch Vorlage des Zeugnisses über die mit Erfolg abgelegte Jagdprüfung zu erbringen, deren Gegenstand die zur ordnungsgemäßen Jagdausübung erforderlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Wildkunde und Wildhege, des Jagdbetriebes, des Jagdhundewesens, der Verhütung von Wildschäden, des Naturschutzes, der forstlichen Bewirtschaftung, des Waffen- und Schießwesens und der praktischen Handhabung der Jagdwaffen und des Jagdrechtes bildet (§28 Abs3 litb). Die Ausstellung einer Jagdkarte ist trotz Vorliegens der Voraussetzungen zu ihrer Erlangung unter anderem dann zu versagen, wenn die Person die erforderliche Verlässlichkeit nicht besitzt oder wiederholt gegen jagdrechtliche Vorschriften verstoßen hat (§29).
3.2. Im Regelungssystem des TJG 2004 ist das Recht zur Ausübung der Jagd in einem Eigenjagdgebiet daher zahlreichen Beschränkungen unterworfen. Das Jagdrecht ist ein aus dem Eigentum an Grund und Boden fließendes Privatrecht (VfSlg 7891/1976, 9858/1983). Davon zu unterscheiden ist das Recht zur Ausübung der Jagd. Dieses Recht steht nur in Eigenjagden dem Grundeigentümer selbst zu, sofern er keine juristische Person und alleiniger Eigentümer ist (§11 Abs2 und 4 TJG 2004). Ansonsten ist das Jagdausübungsrecht vom Grundstückseigentum getrennt. Die Regelungen – und damit einhergehende Einschränkungen – des Jagdausübungsrechtes durch die Landesgesetzgebung sind im allgemeinen Interesse der Jagdwirtschaft und der Jagdpolizei zulässig (VfSlg 7891/1976, 9121/1981). Bei Regelungen, die dem Grundeigentümer das Jagdausübungsrecht entziehen, hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, der seine Grenze am Anspruch des Grundeigentümers auf einen Anteil am Jagdpachtschilling findet (VfSlg 6209/1970).
Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken dagegen, die Ausübung der Jagd in einem Eigenjagdgebiet einem Regelungssystem zu unterwerfen, das dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Jagdwirtschaft dient. So ist die Einrichtung von Formen gemeinschaftlicher Jagdausübung grundsätzlich verfassungskonform (VfSlg 6209/1970) und sind Mitwirkungsbefugnisse des Grundeigentümers bei der Verwaltung einer Gemeinschaftsjagd nicht zwingend vorzusehen (VfSlg 9858/1983).
3.3. Die in Prüfung gezogene Regelung des §20 TJG 2004 beschränkt die Vertragsabschlussfreiheit eines Grund(mit-)eigentümers, dessen Grundstück gemäß §4 Abs2 TJG 2004 als Eigenjagdgebiet oder Teil eines Genossenschaftsjagdgebietes behördlich festgestellt wurde sowie des (Mit-)Pächters, der mit dem Abschluss des Jagdpachtvertrages das Recht zur Jagdausübung erwirbt. Gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK ist die Unversehrtheit des Eigentums verfassungsrechtlich gewährleistet. Im Erkenntnis VfSlg 12.227/1989 hat der Verfassungsgerichtshof grundlegend ausgesprochen, dass die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung, weil sie sich auf alle privaten Vermögensrechte erstreckt, auch das Recht zum Abschluss privatrechtlicher Verträge, also die Privatautonomie umfasst. Der Staat darf demzufolge – gleichgültig, ob er den Abschluss bestimmter Verträge verhindert oder umgekehrt dazu zwingt – in die Privatautonomie lediglich unter den Voraussetzungen eingreifen, die die Verfassungsordnung ganz allgemein für die Zulässigkeit von Eigentumseingriffen vorsieht (weiters VfSlg 13.963/1994, 14.503/1996).
Dies bedeutet, dass die Befugnis der Behörde, einen Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, in die verfassungsrechtlich gewährleistete Privatautonomie eingreift. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann der Gesetzgeber eine Eigentumsbeschränkung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise vorsehen, soweit dies im öffentlichen Interesse liegt und nicht unverhältnismäßig und unsachlich ist (vgl. VfSlg 12.100/1989, 12.227/1989, 13.659/1993).
4. Die in Prüfung gezogene Bestimmung scheint diese Kriterien nicht zu erfüllen:
4.1. Im Falle der Verwirklichung des Auflösungstatbestandes in §20 lita TJG 2004 hat die Jagdbehörde den Jagdpachtvertrag zwingend aufzulösen. Für eine Abstandnahme von der Auflösung des Jagdpachtvertrages bietet das Gesetz keine Rechtsgrundlage. Die Behörde hat also nicht zu prüfen, ob die den Pächtern zur Last fallenden jagdrechtlichen Übertretungen Nachteile für die Jagd oder den Verpächter mit sich brachten (VwGH 21.6.1989, 89/03/0077). Der erste Auflösungstatbestand in §20 lita TJG 2004 ist schon dann erfüllt, wenn ein Pächter wiederholt – also mehr als einmal – die Bestimmungen des TJG 2004 verletzt hat. Der Behörde ist kein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der es ihr ermöglicht, die Art und Schwere der begangenen Verwaltungsübertretungen in Bezug auf das zu schützende öffentliche Interesse zu berücksichtigen.
Angesichts der Heterogenität der in §70 TJG 2004 festgelegten jagdrechtlichen Verwaltungsübertretungen scheint aber im Hinblick auf die zu schützenden öffentlichen Interessen einer geordneten Jagdwirtschaft und der Jagdpolizei ein gänzlich undifferenziertes Anknüpfen an Verwaltungsübertretungen bei Vornahme eines hoheitlichen Eingriffs in die Privatautonomie der vertragsschließenden Teile unverhältnismäßig, weil Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen gänzlich unberücksichtigt bleiben müssen. Die in §70 TJG 2004 aufgezählten Strafbestimmungen sanktionieren einerseits den Verstoß gegen Verhaltensvorschriften, die unmittelbar mit der Jagdausübung zusammenhängen und deren Missachtung sich auf die Jagdausübung auswirken. Die jagdrechtlichen Strafbestimmungen sanktionieren andererseits aber auch den Verstoß gegen Verhaltensnormen, die nicht unmittelbar mit der Jagdausübung zusammenhängen, sondern dazu dienen, der Jagdbehörde die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu erleichtern und eine reibungslose Aufsicht zu ermöglichen. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass der Auflösungstatbestand in §20 lita TJG 2004 weder in der einen noch in der anderen Kategorie der Verwaltungsübertretungen im Hinblick auf die Art und Schwere der Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einer geordneten Jagdwirtschaft differenziert.
Die in Prüfung gezogene Bestimmung bezweckt die Gewährleistung einer geordneten Ausübung des Jagdrechtes. Zwar kann nicht bezweifelt werden, dass alle Verhaltensnormen, deren Zuwiderhandeln gemäß §70 TJG 2004 zu sanktionieren ist, diesem öffentlichen Interesse dienen. Dass aber die in §70 TJG 2004 festgelegten Verwaltungsübertretungen an völlig unterschiedliche Sachverhalte mit deutlich divergierendem Unrechtsgehalt anknüpfen, scheint schon dadurch offenkundig zu sein, dass die Höhe der Geldstrafe nicht für alle Verwaltungsübertretungen einheitlich festgelegt ist (Geldstrafe bis zu € 1.500,– gegenüber einer Geldstrafe von bis zu € 4.500,–). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begrenzt das Sachlichkeitsgebot den Spielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung von Sanktionen für rechtswidriges Verhalten. Er hat es insbesondere für unzulässig angesehen, dass der Verfall als absolute Strafdrohung unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch eine Gesetzesübertretung bewirkten Schadens vorgesehen ist (vgl. VfSlg 9901/1983) und dass eine Regelung ihrem System nach ein exzessives Missverhältnis zwischen der Höhe der Strafe einerseits und dem Grad des Verschuldens und der Höhe des verursachten Schadens andererseits einschließt (vgl. VfSlg 10.904/1986, ähnlich bereits VfSlg 10.597/1985). In Fortführung dieser Rechtsprechung sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass das Sachlichkeitsgebot auch den Fall verpöne, in dem ein exzessives Missverhältnis zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der als primären Rechtsfolge vorgesehenen Geldstrafe gegeben ist (VfSlg 12.151/1989). Werde der Strafzweck nur erreicht, wenn die für den Fall des vorsätzlichen rechtswidrigen Verhaltens vorgesehene Strafe derart empfindlich sei, dass ein in der Regel normgemäßes Verhalten durchgesetzt werden könne, stelle sich grundsätzlich auch eine Mindeststrafe als verfassungsrechtlich zulässig dar (vgl. VfSlg 18.775/2009). Die aus dem Sachlichkeitsgebot erfließende notwendige Differenzierung im Gesetz hinsichtlich des Unrechtsgehaltes eines gesetzlich verpönten Verhaltens verbiete es jedoch dem einfachen Gesetzgeber, eine Mindeststrafe festzusetzen, wenn die von der Mindeststrafe erfassten Tatbestände auf eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte anzuwenden sind und damit Verstöße ganz unterschiedlicher Gravität erfasst werden, ohne dabei hinreichend die Berücksichtigung dieser Unterschiede zu ermöglichen (VfSlg 19.351/2011). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung, die – wie der Gerichtshof vorläufig annimmt – auch auf administrativrechtliche Folgen von verwaltungsstrafrechtlichen Schuldsprüchen anzuwenden ist, erscheint es dem Verfassungsgerichtshof vorerst nicht nachvollziehbar, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung keine Differenzierung hinsichtlich der Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen vornimmt, sondern, unabhängig davon, welchen Bezug sie zur Jagdausübung selbst haben, zwingend die Rechtsfolge der Vertragsauflösung vorsieht, zumal durch die in Prüfung gezogene Regelung auch an vergleichsweise geringfügige Übertretungen ein schwerwiegender Eingriff in die Privatautonomie der Vertragsparteien, nämlich die behördliche Vertragsauflösung geknüpft wird.
4.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt auch Bedenken dagegen, einen Jagdpachtvertrag, der von einer Mehrheit von Pächtern abgeschlossen wurde, zur Gänze, also auch hinsichtlich aller Mitpächter aufzulösen, wenn der erste Auflösungstatbestand in §20 lita TJG 2004 auch nur von einem Mitpächter verwirklicht wurde (vgl. VwGH 29.11.1989, 89/03/0223). Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er die Auflösung eines Jagdpachtvertrages im Interesse der geordneten Jagdwirtschaft und der Jagdpolizei ermöglicht, weil dem Pächter dadurch das Jagdausübungsrecht entzogen wird. Wird das Jagdausübungsrecht aber von einer Personenmehrheit gepachtet, erscheint es überschießend, dass der Jagdpachtvertrag auch hinsichtlich jener Pächter aufgelöst werden muss, die den Auflösungstatbestand nicht verwirklicht haben. Zudem scheint diese Rechtsfolge in einem Wertungswiderspruch zu §18 Abs2 TJG 2004 zu stehen, der bei Ausscheiden eines Mitpächters durch dessen Tod nicht das Erlöschen des Jagdpachtvertrages, sondern das Eintreten der Mitpächter in die Rechte und Pflichten des Verstorbenen vorsieht."
4. Die Tiroler Landesregierung sah von der Erstattung einer meritorischen Äußerung ab.
5. Die im Anlassfall beschwerdeführenden Parteien erstatteten eine Äußerung, in der sie sich den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes anschließen und das Beschwerdevorbringen im Wesentlichen wiederholen.
II. Rechtslage
Die im Anlassfall maßgeblichen Bestimmungen des TJG 2004 lauten – samt Überschriften – wie folgt (die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):
"Jagdpachtung
§18 Jagdpachtvertrag
(1) Die Ausübung des Jagdrechtes kann nur in seiner Gänze Gegenstand eines Pachtvertrages sein. Der Verpächter einer Eigenjagd kann jedoch die Nutzung bestimmter Wildarten im Vertrag ausnehmen und sich vorbehalten. Die Ausübung des Jagdrechtes in einem Teil eines Jagdgebietes kann nur dann Gegenstand eines gültigen Jagdpachtvertrages sein, wenn jeder Teil den Erfordernissen eines selbstständigen Jagdgebietes entspricht.
(2) Die Pachtdauer beträgt mindestens zehn Jahre. Die Verlängerung eines Pachtvertrages kann auch auf kürzere Zeit erfolgen. Der Pachtvertrag erlischt mit dem Tod des Einzelpächters. Bei Tod eines Mitpächters treten die anderen Mitpächter in die Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein.
(3) Pachtverträge und deren Verlängerung, Änderung oder Ergänzung sind der Bezirksverwaltungsbehörde vom Verpächter innerhalb von drei Wochen nach dem Vertragsschluss unter Vorlage einer Vertragsausfertigung anzuzeigen. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Rechtswirksamkeit des Pachtvertrages mit Bescheid auszusetzen, wenn er nicht nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zustande gekommen ist, wenn er diesem Gesetz widersprechende Bestimmungen enthält, wenn im Fall des §11 Abs7 die Ausübung des Jagdrechtes nicht auf einen Jagdleiter übertragen wird oder wenn ein früherer Jagdpachtvertrag nach §20 aufgelöst wurde. Nach dem Ablauf von vier Wochen nach dem Einlangen der Anzeige des Pachtvertrages bei der Bezirksverwaltungsbehörde ist eine Aussetzung der Rechtswirksamkeit des Vertrages nicht mehr zulässig.
(4) Feststellungen nach §4 Abs2 und 3 sowie Verfügungen nach §8 Abs1, 2, 3 und 5 haben auf laufende Pachtverträge keinen Einfluss, wohl aber auf Pachtverhältnisse nach Ablauf der ursprünglichen Pachtdauer, wenn sie noch vor diesem vereinbart worden sind.
§19 Mitpächter, Unterverpachtung
(1) Mehrere Mitpächter haften für die Bezahlung des Pachtzinses und für den Ersatz des Wild- und Jagdschadens zur ungeteilten Hand.
(2) Eine Unterverpachtung der Jagd ist unzulässig.
§20 Auflösung des Jagdpachtvertrages
Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, wenn ein Pächter
a)
sich wiederholt einer Übertretung dieses Gesetzes schuldig macht, den Vorschriften über die Abschussregelung nicht entspricht oder die Jagd beharrlich in nicht weidgerechter Weise ausübt;
b)
den Vorschriften über den Jagdschutz trotz Aufforderung durch die Bezirksverwaltungsbehörde nicht entspricht;
c)
wiederholt Jagdgäste einlädt, die sich im Jagdgebiet Übertretungen dieses Gesetzes schuldig machen;
d)
mit der Bezahlung des Pachtzinses trotz schriftlicher Mahnung länger als drei Monate in Verzug ist;
e)
einer im Interesse der Landeskultur behördlich verfügten Verminderung des Wildstandes nicht nachkommt;
f)
trotz schriftlicher Mahnung mit der Bezahlung des rechtskräftig festgestellten Wildschadens länger als drei Monate in Verzug ist.
Vor der Entscheidung über einen Antrag ist der Bezirksjagdbeirat zu hören. Gegen einen solchen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde ist die Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
Den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes wurde von der Tiroler Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren nicht entgegengetreten. Sie erweisen sich als zutreffend.
Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Auffassung fest: Die in Prüfung gezogenen Wortfolgen des §20 TJG 2004 sehen für eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte mit deutlich divergierendem Unrechtsgehalt einheitlich die zwingende Rechtsfolge der Vertragsauflösung vor. Das verfassungsrechtliche Sachlichkeitsgebot begrenzt den Spielraum des einfachen Gesetzgebers bei der Festlegung von Sanktionen für rechtswidriges Verhalten. Der Verfassungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit Strafsanktionen festgehalten, dass hinsichtlich des Unrechtsgehaltes eines gesetzlich verpönten Verhaltens differenziert werden muss (vgl. VfSlg 9901/1983, 10.904/1986, 12.151/1989, 18.775/2009, 19.351/2011). Dasselbe hat für administrative Maßnahmen zu gelten. Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung erweist es sich somit im vorliegenden Fall als unsachlich, wenn ein derart schwerer Eingriff in die Privatautonomie der Vertragsparteien als zwingende administrativrechtliche Folge von bereits zwei verwaltungsstrafrechtlichen Schuldsprüchen vorgesehen wird, ohne eine Berücksichtigung der Art und Schwere der zugrunde liegenden Verwaltungsübertretungen zu ermöglichen. Wird das Jagdausübungsrecht von einer Personenmehrheit gepachtet, erweist es sich darüber hinaus als überschießend, dass der Jagdpachtvertrag auch hinsichtlich jener Pächter aufgelöst werden muss, die den Auflösungstatbestand nicht verwirklicht haben.
IV. Ergebnis
1. Die Wortfolge "Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Jagdpachtvertrag auf Antrag des Verpächters oder von Amts wegen aufzulösen, wenn ein Pächter" in §20 und die Wortfolge "sich wiederholt einer Übertretung dieses Gesetzes schuldig macht," in §20 lita TJG 2004, LGBl 41 sind daher wegen Verstoßes gegen das auch den einfachen Gesetzgeber bindende Recht auf Unversehrtheit des Eigentums als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.
3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Tirol zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 liti Landes-Verlautbarungsgesetz 2013.
5. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
JagdrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G6.2014Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015