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41/01 SicherheitsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 Z3Leitsatz
Unzulässigkeit eines Individualantrags auf Aufhebung einer Verordnung betreffend ein Vermummungsverbot in Teilen des Wiener Stadtgebietes mangels Eingriffs in die Rechtssphäre eines sich vor Kälte schützenden RadfahrersSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag und Vorverfahren
1. Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehrt der Antragsteller, die Verordnung der Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: LPD Wien) betreffend Vermummungsverbot im Stadtgebiet, ZLVW-WAB-Allg/3633/2013, zur Gänze als verfassungs- und gesetzwidrig aufzuheben. Begründend wird zur Zulässigkeit des Antrages wörtlich Folgendes ausgeführt:
"Zum Nachweis meiner Antragslegitimation weise ich darauf hin, dass ich in einer Wohnung auf der Wieden lebe. Ich pflege regelmäßig mit dem Fahrrad zu meiner Dienststelle zu fahren. In der kalten Jahreszeit trage ich beim Fahrradfahren einen Schal, einen Helm und bei höheren Windgeschwindigkeiten auch eine schwarze Sturmhaube. Mein Gesicht wird beim Fahrradfahren in der Regel zum Teil durch den Kragen meiner Jacke bedeckt.
Durch die Verordnung bin ich gezwungen, während meines Heimweges am Abend des 24. Jänner 2014 meinen Helm, meinen Schal und meine Sturmhaube in meiner Dienststelle zu lassen und mit geöffnetem Kragen durch das örtliche Geltungsgebiet der angefochtenen Verordnung zu fahren.
Durch die angefochtene Verordnung wird mir also unmittelbar eine Rechtspflicht auferlegt, die in meine Rechtssphäre unmittelbar und aktuell eingreift, ohne dass es hierfür einer behördlichen Entscheidung bedarf. Mir wird aufgetragen, auf die Verwendung wärmender Bekleidung im Gesichtsbereich zu verzichten, wodurch in Hinblick auf die aktuell herrschenden winterlichen Temperaturen von unter Null Grad eine Gefahr für meine Gesundheit geschaffen wird. Für den Fall eines Zuwiderhandelns muss ich unter Umständen mit der Verhängung einer Verwaltungsstrafe rechnen, was mir nicht zumutbar ist. Insbesondere ist es mir nicht zumutbar, mich durch objektives Zuwiderhandeln gegenüber dem verordneten Verbot der Gefahr verwaltungsstrafrechtlicher Verfolgung mit ungewissem Ausgang des Beweisverfahrens hinsichtlich des Vorliegens der subjektiven Tatseite ("… um … zu verhindern …") auszusetzen. Ein solches Verwaltungsstrafverfahren würde mir selbst im Falle einer letztlich allenfalls erfolgenden Verfahrenseinstellung schon allein wegen des Fehlens eines Kostenersatzanspruches für meine Rechtsverteidigung zumindest vermögensrechtliche Nachteile zufügen. Es steht mir auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um mich gegen die Verordnung zur Wehr setzen zu können. Meine Antragslegitimation ist daher gegeben."
Inhaltlich wird – im Wesentlichen – vorgebracht, dass mit dieser Verordnung eine Verletzung des Art8 EMRK, des Art18 B-VG und des §49 SPG (Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei, BGBl 566/1991 idgF) einhergehe, zumal der Verordnungsinhalt überschießend sei und einen unverhältnismäßigen Eingriff in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte mit sich bringe.
2. Die LPD Wien legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Äußerung.
2.1. Zur Zulässigkeit des Antrages brachte die LPD Wien dabei – im Wesentlichen – Folgendes vor:
"[L]aut Rechtsprechung des VfGH [ist] Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).
Auf Grund des völlig eindeutigen Wortlautes der angefochtenen Verordnung, die in §1 Z1 und 2 folgende Regelung trifft: ...'1. die ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllen oder verbergen, um ihre Wiedererkennung zu verhindern oder 2. die Gegenstände mit sich führen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.', ist von vornherein auszuschließen, dass der Antragsteller (als bloßer Radfahrer mit Mütze, Schal usw.) Adressat dieser Norm ist. Dies zumal davon auszugehen ist, dass der Antragsteller die angeführte Winterkleidung (wie im Antrag ausgeführt) als Kälteschutz zu verwenden pflegt und nicht in der Absicht, seine Wiedererkennung oder die Feststellung seiner Identität zu verhindern. Es kann daher auch keine Rede davon sein, dass der Antragsteller - wie er offenbar vermeint - unmittelbar in seinen Rechten verletzt sein könnte. Vielmehr konstruiert der Antragsteller eine denkunmögliche Auslegung der Verordnung. Dass er selbst die Absicht hatte, sich zwecks Vermeidung der Wiedererkennung zu vermummen, behauptet der Antragsteller nicht einmal selbst; er stützt seine Bedenken (wörtlich) lediglich auf die fiktive Annahme, 'selbst, wenn [er seine] primär dem Kälteschutz dienende Adjustierung mit Helm, Sturmhaube, Schal und Jackenkragen auch zum Zwecke der Wiedererkennbarkeit tragen würde, wäre der durch die angefochtene Verordnung erfolgende Eingriff in [seine] Rechtsphäre durch Verbot dieses Verhaltens gesetz- und verfassungswidrig.' Folglich war der BF auch nicht unmittelbar betroffen.
Aber selbst wenn man die Ansicht vertritt, der Antragsteller wäre bei Erfüllung des bloß objektiven, äußeren Tatbestandes (eben des Verhüllens) bereits aktuell beeinträchtigt, so wäre es ihm jedenfalls zumutbar gewesen, im Zuge einer Kontrolle, die ja schon alleine aus dem Titel der Lenker- und Fahrzeugkontrolle (§97 Abs5 StVO 1960) jederzeit zulässig ist, das Nichtvorliegen des erweiterten Vorsatzes, die Wiedererkennung verhindern zu wollen, bekannt zu geben. Der Antragsteller wäre in diesem Fall keiner Gefahr, einer verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung unterworfen zu werden, ausgesetzt gewesen, wie das folgende Szenario zeigt:
Wäre der mit Schal und Haube vor winterlichen Temperaturen geschützte Rad fahrende Antragsteller zur Geltungszeit der in Beschwerde gezogenen Verordnung von einem Exekutivorgan angehalten (§97 Abs5 StVO) worden, hätte er bei allfälliger Frage im Hinblick auf seine Kopfbekleidung angegeben, er befände sich auf dem Heimweg von seiner Dienststelle und hätte sich den Schal derart umgewickelt und die Haube derart aufgesetzt, um sich nicht zu erkälten. Vor diesem Sachverhalt hätte aufgrund der Verordnung für die Exekutivorgane keinerlei Veranlassung bestanden, dem Radfahrer die Weiterfahrt zu versagen, ein Verwaltungsstrafverfahren in die Wege zu leiten oder Gegenstände sicher zu stellen. Dem Radfahrer wäre die Weiterfahrt in voller Wintermontur jedenfalls möglich gewesen, hätten sich nicht gegenteilige Feststellungen vor Ort ergeben, die eine gegenteilige (inkriminierte) Absicht mit hoher Wahrscheinlichkeit als möglich hätten erscheinen lassen. Bei pflichtgemäßem und nicht pflichtwidrigem, also nicht schikanösem Verhalten des kontrollierenden Organs hätte es daher auf der vom Antragsteller behaupteten Fahrt zu keiner Gefahr einer verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung kommen können. Ein allenfalls rechtswidriges Verhalten eines Organs der öffentlichen Aufsicht darf aber bei der Begründung für die Zulässigkeit einer Antragstellung grundsätzlich nicht ins Treffen geführt werden, könnte dann schließlich jeder mit der Behauptung, ein solches Organ könnte ja pflichtwidrig handeln, jede Antragslegitimation beim VfGH erlangen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
2.2. In der Sache selbst führte die LPD Wien – zusammengefasst – aus, dass die angefochtene Verordnung nicht gesetzwidrig sei, da sie sich – zu Recht – auf die gesetzliche Grundlage des §49 SPG stütze und angesichts der außergewöhnlichen Gefahr für die öffentliche Ordnung sowie die Rechte und Freiheiten anderer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlich zu wahren wisse.
II. Rechtslage
Die zur Gänze angefochtene Verordnung der LPD Wien betreffend Vermummungsverbot im Stadtgebiet, ZLVW-WAB-Allg/3633/2013, lautet wie folgt:
"VERORDNUNG DER LANDESPOLIZEIDIREKTION WIEN
betreffend Vermummungsverbot im Stadtgebiet
Auf Grund des §49 Abs1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl […] Nr 566/1991 i.d.F. I Nr 195/2013 wird verordnet:
§1. Im Wiener Stadtgebiet dürfen sich in den Bezirken Innere Stadt, Leopoldstadt, Landstraße, Wieden, Margareten, Mariahilf, Neubau, Josefstadt und Alsergrund keine Personen an öffentlichen Orten aufhalten,
1. die ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllen oder verbergen, um ihre Wiedererkennung zu verhindern oder
2. die Gegenstände mit sich führen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.
§2. Von einer Festnahme eines Menschen, der bei einem Verstoß gemäß §1 auf frischer Tat betreten wurde und der trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (§35 Z3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991) haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes abzusehen, wenn weiteres strafbares Handeln durch
1. die Wegweisung dieses Menschen vom öffentlichen Ort und/oder
2. die Sicherstellung von Sachen, die für die Wiederholung der oder das Verharren in der Fortsetzung der strafbaren Handlung benötigt werden,
verhindert werden kann.
§3. (1) Sichergestellte Sachen sind auf Verlangen auszufolgen
1. dem auf frischer Tat Betretenen, sobald die Verwaltungsübertretung nicht mehr wiederholt werden kann, oder
2. einem anderen Menschen, der Eigentum oder rechtmäßigen Besitz an der Sache nachweist, sofern die Gewähr besteht, dass mit diesen Sachen ein Verstoß gegen §1 nicht wiederholt wird.
(2) Solange die Sachen noch nicht der Sicherheitsbehörde übergeben sind, kann der auf frischer Tat Betretene das Verlangen (Abs1) an die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes richten, die die Sache verwahren.
(3) Wird ein Verlangen (Abs1) nicht binnen sechs Monaten gestellt oder unterlässt es der innerhalb dieser Zeit nachweislich hiezu aufgeforderte Berechtigte (Abs1 Z1 oder 2), die Sachen von der Behörde abzuholen, so gelten sie als verfallen. Im Übrigen ist §43 Abs2 SPG sinngemäß anzuwenden.
§4. Von der Durchsetzung der Verbote nach §1 kann abgesehen werden, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit nicht zu besorgen ist.
§5. Wer gegen die in §1 angeordneten Verbote zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist gemäß §84 Abs1 Z3 SPG mit Geldstrafe bis zu 500 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.
§6. Die Verbote gemäß §1 treten mit 24.1.2014, 16:30 Uhr in Kraft und am 25.1.2014, 03:00 Uhr außer Kraft.
Der Landespolizeipräsident
Dr. Pürstl"
III. Erwägungen
Zur Zulässigkeit des Antrages:
1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).
2. Nach §1 der Verordnung der LPD Wien betreffend Vermummungsverbot im Stadtgebiet, ZLVW-WAB-Allg/3633/2013, gegen die sich der vorliegende Antrag richtet, ist es – in den näher bezeichneten Wiener Gemeindebezirken an öffentlichen Orten aufhältigen – Personen verboten, "ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände [zu] verhüllen oder [zu] verbergen, um ihre Wiedererkennung zu verhindern" oder "Gegenstände mit sich [zu] führen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern".
3. Wie der Antragsteller – zur Begründung seiner Antragslegitimation – vorbringt, trage er "beim Fahrradfahren einen Schal, einen Helm und bei höheren Windgeschwindigkeiten auch eine schwarze Sturmhaube. [S]ein Gesicht wird […] in der Regel zum Teil durch den Kragen [s]einer Jacke bedeckt." Durch die Verbote der o.a. Verordnung sei er gezwungen, diese Kleidungsstücke abzulegen.
4. Hiegegen wendet die LPD Wien in ihrer Äußerung ein, es sei von "vornherein auszuschließen, dass der Antragsteller […] Adressat dieser Norm ist. Dies zumal davon auszugehen ist, dass der Antragsteller die angeführte Winterkleidung (wie im Antrag ausgeführt) als Kälteschutz zu verwenden pflegt und nicht in der Absicht, seine Wiedererkennung oder die Feststellung seiner Identität zu verhindern."
5. Mit dieser Auffassung ist die LPD Wien – im Ergebnis – im Recht:
6. Der Antragsteller ist, wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des §1 der o.a. Verordnung ergibt, nicht Normadressat der von ihm angefochtenen Bestimmungen, untersagen diese doch bloß das Verhüllen bzw. Verbergen von Gesichtszügen, um die Wiedererkennung oder die Feststellung der Identität zu verhindern. Sein Vorbringen, er bedecke seine Gesichtszüge lediglich zum Schutz vor Kälte beim Radfahren, verdeutlicht, dass der Antragsteller von den Bestimmungen der angefochtenen Verordnung gar nicht erfasst ist, da nach dem Wortlaut der Verordnung diese sich bloß an an bestimmten näher bezeichneten öffentlichen Orten aufhältige Personen richtet, die mit dem Ziel, ihre Wiedererkennung zu verhindern, ihre Gesichtszüge verbergen. Dies ist bei einem sich vor Kälte schützenden Radfahrer auszuschließen. Die Verordnung greift daher in die Rechtssphäre des Antragstellers nicht ein.
7. Dem Antragsteller fehlt demnach insoweit die rechtliche Betroffenheit und damit schon deshalb die Legitimation zur Anfechtung der Verordnung.
IV. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher bereits aus diesem Grund zurückzuweisen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Polizei, Sicherheitspolizei, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:V15.2014Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015