TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/18 B683/2012

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Veröffentlicht am 18.06.2014
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Index

L8200 Bauordnung
L8040 Altstadterhaltung, Ortsbildschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Stmk BauG §26 Abs1
Stmk OrtsbildG 1977 §2 Abs3, §3, §7
OrtsbildschutzV Leibnitz vom 02.04.1990, LGBl 40

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung der Vorstellung eines Nachbarn betreffend eine Baubewilligung zur Errichtung eines Wohn-, Büro- und Geschäftsgebäudes im Schutzgebiet von Leibnitz mangels Vorliegens eines Ortsbildkonzeptes

Spruch

I.              Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser in Spruchpunkt III. ihre Vorstellung abweist, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

II.              Das Land Steiermark ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Leibnitz beschloss am 25. September 2008 den Teilbebauungsplan, Verfahrensfall 1.0, Raiffeisenplatz, Zl. 324.23 (in der Folge: Teilbebauungsplan). §4 Pkt. 4) des Teilbebauungsplanes legt hinsichtlich der Gebäudehöhe Folgendes fest:

"Generell darf eine Höhe von 297 m ü.M[.], d.h. 24 m über Hauptplatzniveau bzw. 7 oberirdische Geschosse nicht überschritten werden. […]"

Bereits zuvor führte der damalige Ortsbildsachverständige der Stadtgemeinde Leibnitz in seiner vorläufigen "Ad-Hoc-Stellungnahme" vom 17. September 2008 zum Teilbebauungsplan u.a. wie folgt aus:

"Derzeit ist es allerdings aus Sicht der Ortsbildpflege unvorstellbar, dass beispielweise in der Hofzone der Häuser Hauptplatz 5, 7, 9 eine Verbauung von bis zu einer Höhe von 24m, das entspricht etwa 8 Stockwerken[,] positiv begutachtet werden kann. Hier geht es nicht um die architektonische Qualität, sondern um die Baumasse. Hier wird auch ein ähnlich hohes Bauwerk am Nordostende des Raiffeisenplatzes keine Argumentationshilfe leisten können, das jedenfalls als Altlast aus einer Zeit vor der Ortsbildpflege und als störend anzusehen ist.

[…]

Angesichts der Dimension des Projektes für die Häuser Hauptplatz 5, 7, 9 und der Bedeutung des Hauptplatzes von Leibnitz für die Stadt ist ein möglichst qualitätsvolles Projekt anzustreben. Daher sollte überlegt werden, die Vorsitzende der Ortsbildkommission nach Leibnitz einzuladen und in Zusammenarbeit mit ihr über die Möglichkeiten eines Wettbewerbes nachzudenken. Eine möglichst optimale architektonische und städtebauliche Qualität sollte jedenfalls im Interesse aller Beteiligten liegen."

2. Nach Antrag der "****** ****** ********** ****" (in der Folge: mitbeteiligte Partei) vom 12. Mai 2010 auf Erteilung der Bewilligung für die Errichtung eines Wohn-, Büro- und Geschäftshauses, für den Umbau, die Sanierung und den Dachgeschossausbau der hauptplatzseitigen Bestandsgebäude, für die Errichtung einer Tiefgarage mit 123 PKW-Abstellflächen, für die Errichtung von 18 PKW-Abstellflächen im Freien sowie für die Errichtung eines Flugdaches über dem Müllplatz auf dem in ihrem Eigentum befindlichen Grundstück Nr 344/1, KG Leibnitz (Liegenschaften Hauptplatz 5, 7, 9 und 9a), wies der Vertreter der Beschwerdeführerin im Rahmen der im Verwaltungsverfahren am 10. Dezember 2010 abgehaltenen mündlichen Verhandlung u.a. auf die Verpflichtung der Stadtgemeinde Leibnitz nach §2 des Gesetzes vom 28. Juni 1977 zur Erhaltung und Gestaltung des Ortsbildes von Gemeinden (Ortsbildgesetz 1977), LGBl 54 idF LGBl 71/2001, (in der Folge: OrtsbildG), hin, wonach innerhalb "eines" Jahres nach Vorliegen einer Verordnung zur Festlegung eines Schutzgebietes nach §2 Abs1 leg.cit. ein Ortsbildkonzept zu beschließen sei. Eine solche Verordnung existiere bereits seit dem Jahr 1990, ein Vorschlag für ein Ortsbildkonzept liege seit dem Jahr 1995 vor. Da ein Ortsbildkonzept bis dato nicht beschlossen worden sei, habe die Stadtgemeinde Leibnitz den rechtlichen Vorgaben des OrtsbildG nicht entsprochen. In der Folge bewilligte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Leibnitz mit Bescheid vom 4. Juli 2011 das eingereichte Bauprojekt unter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen.

Mit Bescheid des Gemeinderats der Stadtgemeinde Leibnitz vom 28. September 2011 wurden u.a. die Berufungen der Beschwerdeführerin, welche Alleineigentümerin der Liegenschaft Hauptplatz 1 ist, und eines weiteren Nachbarn (Liegenschaft Hauptplatz 11) zurück- bzw. als unbegründet abgewiesen.

Der gegen diesen Bescheid durch den o.a. Nachbarn erhobenen Vorstellung gab die Steiermärkische Landesregierung mit Spruchpunkt II. ihres Bescheides vom 20. April 2012 Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Stadtgemeinde Leibnitz zurück. Begründend führte die Steiermärkische Landesregierung aus, dass die Rechte des Vorstellungswerbers verletzt worden seien, indem der lärmtechnischen Begutachtung kein medizinisches Gutachten zugrunde gelegt worden sei. Gleichzeitig wies die Steiermärkische Landesregierung in Spruchpunkt III. ihres Bescheides die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 28. September 2011 als unbegründet ab. Dabei setzte sich die den Bescheid erlassende Behörde mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin entweder nicht auseinander, weil keine Nachbarrechte iSd §26 des Gesetzes vom 4. April 1995, mit dem Bauvorschriften für das Land Steiermark erlassen werden (Steiermärkisches Baugesetz - Stmk. BauG), LGBl 59 idF LGBl 13/2011, berührt seien, oder aber verwarf die Einwendungen, wie jene zur behaupteten Verletzung von Abstandvorschriften und teilweise auch zu den befürchteten Lärmimmissionen, als unbegründet.

3. Die gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. April 2012 beim Verfassungsgerichtshof erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm (des Teilbebauungsplans). Weiters wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides und im Falle der Abweisung oder Ablehnung der Behandlung der Beschwerde ihre Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

3.1. Die Beschwerde führt zunächst aus, dass sich auf den Liegenschaften der mitbeteiligten Partei jeweils ein mit der Front zum Hauptplatz orientiertes historisches Bürgerhaus mit zwei bzw. zweieinhalb Regelgeschossen mit Satteldach befinde; an den Rückseiten seien jeweils niedrigere Nebengebäude angeschlossen. Das bewilligte Bauprojekt sehe in geschlossener Verbauung die Errichtung eines Gebäudekomplexes vor, der mit nicht weniger als 24 m die Höhe von acht Regelgeschossen erreiche. Die historischen, nur ein- bis zweigeschossigen Nebengebäude würden allesamt abgerissen und durch den Neubau ersetzt werden.

3.2. Des Weiteren macht die Beschwerde geltend, dass der Teilbebauungsplan §7 OrtsbildG widerspreche. Der damalige Ortsbildsachverständige der Stadtgemeinde Leibnitz habe in seinem Gutachten vom 16. Juni 2010 das Bauprojekt negativ bewertet und dargelegt, dass mit diesem das Einfügungsgebot des §7 leg.cit. verletzt werde. Das Gutachten zeige auf, dass der geplante Gebäudekomplex um mindestens drei Geschosse bzw. 9 m zu hoch sei, um sich in das Erscheinungsbild des betreffenden Ortsteils gemäß §7 leg.cit. einzufügen, zumal die durchschnittliche Bauhöhe in der Umgebung bei unter vier Stockwerken liege. Das in der Folge von der mitbeteiligten Partei eingeholte "Privatgutachten", welches im Ergebnis zur Auffassung gelange, dass das Bauprojekt nicht gegen das OrtsbildG verstoße, sei nicht nachvollziehbar. Zu diesem Ergebnis sei auch der Ortsbildsachverständige der Stadtgemeinde Leibnitz in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Privatgutachten vom 11. Jänner 2011 gekommen.

4. Die Steiermärkische Landesregierung legte die Verwaltungs- bzw. Verordnungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie den in der Beschwerde geäußerten Bedenken entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

5. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie u.a. ausführt, dass mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides der vor der Vorstellungsbehörde angefochtene Bescheid vom 28. September 2011 zur Gänze behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Stadtgemeinde Leibnitz zurückverwiesen worden sei. Daraus folge, dass auch die Berufung der Beschwerdeführerin wieder unerledigt und vor dem Gemeinderat der Stadtgemeinde Leibnitz anhängig sei. Die Baubewilligung, gegen welche sich die Beschwerdeführerin mit der Vorstellung zur Wehr gesetzt habe, sei aus dem Rechtsbestand beseitigt worden, weshalb die in Spruchpunkt III. des Bescheides der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. April 2012 erfolgte Abweisung der Vorstellung der Beschwerdeführerin bedeutungslos und diese in keiner Weise beschwert sei. Daher werde primär beantragt, die Beschwerde für gegenstandslos zu erklären und das Verfahren wegen "Klaglosigkeit" der Beschwerde-führerin einzustellen; eventualiter werde die Abweisung bzw. Ablehnung der Behandlung der Beschwerde beantragt.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig:

1.1. Da mit Spruchpunkt II. des vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheides der Vorstellung eines Nachbarn des Bauprojekts Folge gegeben und der vor der Steiermärkischen Landesregierung angefochtene Bescheid behoben wurde, stellt sich zunächst die – von der mitbeteiligten Partei im Rahmen ihrer Äußerung aufgeworfene – Frage, ob die Beschwerdelegitimation der Be-schwerdeführerin im Hinblick auf die Abweisung ihrer Vorstellung in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gegeben ist.

1.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begründet eine Beschwerdebehauptung nach Art144 Abs1 B-VG nur dann die Beschwerdelegitimation, wenn die behauptete Rechtsverletzung wenigstens möglich ist. Nur dann, wenn die Vorstellungsbehörde einen die Aufhebung tragenden Grund anders beurteilt hätte als die Vorstellungswerber oder die Vorstellungsbehörde dem Vorstellungsbegehren nur hinsichtlich einzelner Einwendungen Rechnung getragen, die übrigen Einwendungen der Vorstellungswerber jedoch im angefochtenen Bescheid ausdrücklich als unzutreffend verworfen hätte, wären die Vorstellungswerber berechtigt, den Vorstellungsbescheid anzufechten, obwohl dem Spruch nach festgestellt wurde, dass die Vorstellungswerber in ihren Rechten verletzt worden sind (vgl. VfSlg 14.954/1997 mwH sowie VfGH 3.10.2012, B1087/12).

1.3. Im vorliegenden Fall wurde zwar mit Spruchpunkt II. des nunmehr angefochtenen Bescheides der Vorstellung eines Nachbarn des Bauprojekts Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben, jedoch wurden bestimmte Einwendungen der Beschwerdeführerin im angefochtenen Bescheid behandelt und verworfen, weshalb nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes – der soeben zitierten Judikatur folgend – die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin insoweit gegeben und die Beschwerde somit zulässig ist, zumal diese Erledigung für das fortgesetzte Verfahren bindend ist.

2. Die Beschwerde ist auch begründet:

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der den Bescheid erlassenden Behörde u.a. dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2.2. Gemäß §1 Abs1 OrtsbildG erstreckt sich der örtliche Geltungsbereich dieses Gesetzes auf jene Teile von Gemeinden – ausgenommen die Landeshauptstadt Graz – die in ihrer landschaftlichen und baulichen Charakteristik das Ortsbild prägen und daher in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Baustruktur und Bausubstanz sowie in ihrer organischen Funktion zu erhalten sind (Schutzgebiete).

Mit der auf §2 Abs1 OrtsbildG idF LGBl 54/1977 gestützten Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 2. April 1990 über die Festlegung eines Schutzgebietes nach dem Ortsbildgesetz 1977 in Leibnitz, LGBl 40, wurden "Teile der Stadtgemeinde Leibnitz zum Schutzgebiet nach dem Ortsbildgesetz 1977 erklärt"; diese Teile sind in der Anlage zu dieser Verordnung dargestellt. In diesem Schutzgebiet liegen u.a. das Grundstück der mitbeteiligten Partei und jenes der Beschwerdeführerin.

Gemäß §2 Abs3 erster Satz OrtsbildG hat die Gemeinde die über die Erhaltungspflicht nach diesem Gesetz hinausgehenden eigenen Maßnahmen zur künftigen Gestaltung des Schutzgebietes in einem Ortsbildkonzept zusammenzufassen. Nach §2 Abs3 zweiter Satz leg.cit. zählen zu diesen Maßnahmen insbesondere solche zur Erhaltung oder Verbesserung der funktionellen Aufgabe des Schutzgebietes und die Ausweisung von Gebieten, die im Interesse der Erhaltung der bildhaften Wirkung des Schutzgebietes nur in einer bestimmten Weise oder überhaupt nicht verbaut werden sollen (Sichtzonen). Das Ortsbildkonzept ist nach §2 Abs2 dritter Satz leg.cit. innerhalb von zwei Jahren nach Erlassung der Verordnung gemäß §2 Abs1 leg.cit. durch den Gemeinderat zu beschließen. Trotz der sich aus diesen Bestimmungen iVm der o.a. Verordnung ergebenden Verpflichtung der Stadtgemeinde Leibnitz zur Erlassung eines Ortsbildkonzeptes lag ein solches für die Stadtgemeinde Leibnitz im Bescheiderlassungszeitpunkt nach den dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen nicht vor (s. hiezu zB die Ausführungen auf S 67 des erstinstanzlichen Bescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leibnitz vom 4. Juli 2011, wonach es für den vorliegenden Fall kein Ortsbildkonzept gebe, bzw. auch die S 4 und 13 des Ortsbildgutachtens vom 15. Oktober 2010, wonach sich das eingereichte Projekt im Ortsbildschutzgebiet der Stadtgemeinde Leibnitz befinde und für dieses ein Ortsbildkonzept nicht vorliege).

Gemäß §26 Stmk. BauG, zuletzt geändert durch LGBl 13/2011, begründen folgende Bestimmungen Nachbarrechte, die man in einem Bauverfahren einwenden kann:

"(1) […] Bestimmungen über

1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

2. die Abstände (§13);

3. den Schallschutz (§77 Abs1);

4. die brandschutztechnische Ausführung der Außenwände von Bauwerken an der Nachbargrenze (§52 Abs2);

5. die Vermeidung einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung (§57 Abs2, §58, §60 Abs1, §66 zweiter Satz und §88);

6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§41 Abs6).

(2)-(4) […]"

Gemäß §3 Abs1 OrtsbildG haben in einem Schutzgebiet die Liegenschaftseigentümer das äußere Erscheinungsbild jener Gebäude und sonstiger nach den Bestimmungen dieses Gesetzes geschützter Objekte, die nach ihrer landschaftlichen und baulichen Charakteristik das Ortsbild prägen, zu erhalten. Nach der gesetzlichen Definition des §3 Abs1 zweiter Satz leg.cit. umfasst das äußere Erscheinungsbild u.a. die Gebäudehöhe, die Dachform, die Dachneigung und die Dachdeckung. Schon hinsichtlich dieser Elemente des äußeren Erscheinungs-bildes liegt auf der Hand, dass sie Nachbarrechte iSd §26 Stmk. BauG berühren können. Dies ist auch hinsichtlich der restlichen Elemente, die das äußere Erscheinungsbild iSd §3 Abs1 leg.cit. bestimmen, nicht von vornherein auszuschließen (zB betreffend Durchgänge, Höfe, Einfriedungen und Innenanlagen, wie Stiegenaufgänge, Stiegenhäuser, Vorhäuser udgl.).

Maßnahmen, die der Instandsetzung oder Verbesserung eines Gebäudes dienen und auf dessen äußere Gestaltung Einfluss haben, sowie Bauveränderungen, die der Behebung von Beeinträchtigungen des Erscheinungsbildes, die durch frühere Umgestaltung des Gebäudes oder Teilen desselben eingetreten sind, dienen, bedürfen gemäß §3 Abs2 OrtsbildG einer Bewilligung; diese ist u.a. nur dann zu erteilen, wenn die jeweilige Maßnahme dem Ortsbildkonzept nicht widerspricht. Gemäß §3 Abs3 leg.cit. ist für geschützte Gebäude die Erteilung einer Abbruchbewilligung unzulässig. Nach §3 Abs4 leg.cit. ist im Schutzgebiet u.a. von Amts wegen vor der Erteilung einer Bewilligung nach §3 Abs2 leg.cit. festzustellen, ob und in welchem Umfang ein Gebäude iSd §3 Abs1 leg.cit. zu erhalten ist.

Schließlich fordert §7 Abs1 OrtsbildG, dass im Schutzgebiet beim Wiederaufbau abgebrochener Bauten sowie bei der Verbauung von Baulücken und sonst unverbauter Grundstücke die Bauten so zu gestalten sind, dass sie u.a. dem Ortsbildkonzept nicht widersprechen. Gemäß §7 Abs2 leg.cit. dürfen die bei Neu-, Zu- oder Umbauten entstehenden Baukörper in Baumasse (Länge, Breite, Höhe), Proportion und Gliederung nicht wesentlich von den bisherigen oder von den benachbarten Baukörpern abweichen.

Zusammengefasst können – je nach Art des Bauvorhabens – die genannten Bestimmungen des OrtsbildG iVm dem verpflichtend aufzustellenden Ortsbildkonzept Nachbarrechte iSd §26 Abs1 Stmk. BauG beeinflussen, sodass insofern die Nachbarn daraus subjektive Rechte ableiten können, zumal Nachbarn nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Flächenwidmungs- und Bebauungsvorschriften jedenfalls einen Anspruch darauf haben, dass ein Bauwerk, das nach diesen Vorschriften nicht errichtet werden darf, auch nicht errichtet wird.

2.3. Die den angefochtenen Bescheid erlassende Behörde hatte bei Beurteilung der bei ihr anhängigen Vorstellungen die maßgeblichen Bestimmungen des OrtsbildG zu berücksichtigen. Die Erteilung einer Bewilligung iSd §3 Abs2 OrtsbildG – beim vorliegenden Bauprojekt geht es auch um den Umbau, die Sanierung und den Dachgeschossausbau von hauptplatzseitigen Gebäuden des Bestandes – ist u.a. davon abhängig, ob die zu bewilligende Maßnahme dem Ortsbildkonzept nicht entgegenläuft. Zudem fordert §7 Abs1 leg.cit. u.a. bei der Verbauung von sonst unverbauten Grundstücken (s. hiezu auch S 53 des Bescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leibnitz vom 4. Juli 2011, der im vorliegenden Fall von einem sonst unverbauten Grundstück iSd §7 Abs1 leg.cit. ausgeht), Bauten derart zu gestalten, dass diese u.a. dem Ortsbildkonzept nicht widersprechen.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes kann die Frage, ob im vorliegenden Fall die Baubewilligung für das eingereichte Bauprojekt, welches im Schutzgebiet der Stadtgemeinde Leibnitz liegt, zu erteilen ist, nur anhand eines Ortsbild-konzeptes iSd §2 Abs3 OrtsbildG beurteilt werden. Da jedoch für die Stadtgemeinde Leibnitz zum Entscheidungszeitpunkt kein Ortsbildkonzept vorgelegen ist, hätte die den Bescheid erlassende Behörde nicht zum Ergebnis kommen dürfen, dass die Vorstellung der Beschwerdeführerin abzuweisen ist.

Die den angefochtenen Bescheid erlassende Behörde hat daher durch dieses Verkennen der Rechtslage den angefochtenen Bescheid, soweit dieser in Spruchpunkt III. die Vorstellung der Beschwerdeführerin abweist, mit Willkür iSd ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes belastet.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser in Spruchpunkt III. die Vorstellung der Beschwerdeführerin abweist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Der angefochtene Bescheid ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 220,– enthalten.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Nachbarrechte, Rechte subjektive öffentliche, Ortsbildschutz, Bindung (der Verwaltungsbehörden an Bescheide), Bescheid Trennbarkeit, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B683.2012

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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