TE Vwgh Erkenntnis 2014/6/27 2013/02/0102

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Veröffentlicht am 27.06.2014
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §26 Abs1;
ZustG §26 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des D in H, vertreten durch Mag. Stefan Huchler, Rechtsanwalt in 6845 Hohenems, Franz-Michael-Felder-Straße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 14. Jänner 2013, Zl UVS-1-1110/E12-2012, betreffend Zurückweisung einer Berufung i. A. Übertretung der Straßenverkehrsordnung (weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 4. Oktober 2012 wurde der Beschwerdeführer zweier Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) für schuldig erkannt.

Zur Zustellung dieses Straferkenntnisses erfolgte zunächst an die Adresse des Beschwerdeführers in Höchst, Vorarlberg ein Zustellversuch am 11. Oktober 2012, der jedoch erfolglos blieb. In weiterer Folge wurde das Schriftstück hinterlegt, wobei der Beginn der Abholfrist mit 12. Oktober 2012 angegeben wurde.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer in einem mit 11. November 2012 datierten, am 12. November 2012 zur Post gegebenen Schreiben das Rechtsmittel der Berufung. Darin führte er - neben Vorbringen zur ihm vorgeworfenen Tat - unter anderem aus, dass er aufgrund einer Montagetätigkeit in Tirol, "die auch jetzt noch andauert", nicht bereits früher auf das Straferkenntnis "antworten" habe können. Er habe das Straferkenntnis erst am 4. November 2012 geöffnet.

Am 10. Dezember 2012 richtete die belangte Behörde ein Schreiben an den Beschwerdeführer, in welchem sie ausführte, dass das von ihm bekämpfte Straferkenntnis mit 12. Oktober 2012 erstmals zur Abholung bereit gehalten worden sei. Die zweiwöchige Rechtsmittelfrist sei am 29. Oktober 2012 abgelaufen, die Berufung sei jedoch erst am 12. November 2012 der Post zur Beförderung übergeben worden. Die Behörde forderte den Beschwerdeführer auf, zu den folgenden Fragen Stellung zu nehmen:

"1. Waren Sie am 11.10.2012 (Tag des Zustellversuchs) von Ihrer Abgabestelle abwesend (nicht nur tagsüber, sondern darüber hinaus)?

2. Wann sind Sie an Ihre Abgabestelle zurückgekehrt?"

Falls der Beschwerdeführer die erste Frage bejahe, seien seine Angaben entsprechend zu belegen. Weiters teilte die Behörde mit, dass ohne entsprechende Antwort des Beschwerdeführers binnen zwei Wochen ohne weitere Anhörung entschieden werde und die Behörde in diesem Fall davon ausgehen werde, der Beschwerdeführer sei am Tag des Zustellversuchs nicht von seiner Abgabestelle abwesend gewesen.

Dieses Schreiben blieb vom Beschwerdeführer unbeantwortet.

In der Folge erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG als verspätet zurückgewiesen wurde.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe zwar in seiner Berufung behauptet, sich aus beruflichen Gründen zum angegebenen Zeitpunkt nicht an der Abgabestelle aufgehalten zu haben. Diese Behauptung sei von ihm jedoch nicht belegt worden. Insbesondere habe er ein Ersuchen der belangten Behörde, wonach er sich zur Frage seiner Abwesenheit von der Abgabestelle am Tag des Zustellversuches äußern und einen entsprechenden Beleg übermitteln solle, unbeantwortet gelassen. In diesem Schreiben habe ihn die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass im Falle eines Unterlassens einer Antwort angenommen werde, er sei am Tag des Zustellversuchs nicht von seiner Abgabestelle abwesend gewesen. Die Rechtsmittelfrist habe am 12. Oktober 2012 begonnen und sei am 29. Oktober 2012 abgelaufen. Die Berufung sei jedoch erst am 12. November 2012 und daher verspätet eingebracht worden, weshalb sie zurückzuweisen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 79 Abs 11 VwGG sind - soweit wie im vorliegenden Fall durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl I Nr 33/2013 nichts anderes bestimmt ist - in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

2. § 17 Zustellgesetz lautet:

"§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."

§ 26 Zustellgesetz legt hinsichtlich der Zustellung von Dokumenten ohne Zustellnachweis fest:

"§ 26. (1) Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird.

(2) Die Zustellung gilt als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam."

3. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei regelmäßig als Montagearbeiter auf verschiedenen Baustellen in ganz Österreich unterwegs. Das erstinstanzliche Straferkenntnis sei ihm nicht persönlich zugestellt, sondern beim Postamt hinterlegt worden. Er habe im Zeitraum vom 3. September 2012 bis 23. November 2012 - und damit auch zum Zeitpunkt der Hinterlegung - nicht in Vorarlberg geweilt, sondern sich beruflich in Tirol aufgehalten (eine entsprechende Bestätigung des Arbeitgebers über diesen Zeitraum wurde der Beschwerde beigelegt). Von der Existenz des erstinstanzlichen Straferkenntnisses habe er am 4. November 2012 Kenntnis erlangt.

Das Schreiben der Behörde vom 10. Dezember 2012, das die Aufforderung zur Stellungnahme bzw zum Nachweis der Ortsabwesenheit enthielt, habe er nie erhalten. Dieses Schreiben sei nach Auskunft der belangten Behörde ohne Zustellnachweis mit normaler Post verschickt worden. Eine derartige Vorgehensweise der belangten Behörde sei nicht nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer in seiner Berufung seine berufliche Ortsabwesenheit der Behörde mitgeteilt habe und es hinsichtlich der Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bereits Probleme gegeben habe. Die Behörde hätte daher einen Zustellmodus wählen müssen, der sichergestellt hätte, dass ihr Schreiben auch tatsächlich zugehe. Durch die Zustellung ohne Zustellnachweis habe es die Behörde trotz dieser Umstände in Kauf genommen, dass die Aufforderung dem Beschwerdeführer nicht zukomme. Die Behörde habe damit rechnen müssen, dass der Beschwerdeführer wieder von der Abgabestelle ortsabwesend sein könnte und habe dennoch nicht sichergestellt, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Kenntnis vom Schreiben vom 10. Dezember 2012 erlangt hätte. Da der Beschwerdeführer weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Verfahren vor der belangten Behörde anwaltlich vertreten gewesen sei und auch kein Jurist sei, könne ihm nicht entgegengehalten werden, dass er entsprechende Nachweise über seine Ortsabwesenheit bereits mit der Berufung vorlegen hätte müssen.

4. Der Beschwerde kommt Berechtigung zu:

§ 17 Abs 3 Zustellgesetz sieht vor, dass im Falle der Abwesenheit des Zustellempfängers von der Abgabestelle hinterlegte Dokumente nicht mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt gelten, sofern der Zustellempfänger infolge von Abwesenheit nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte. Ob der Empfänger wegen Abwesenheit nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, hat die Behörde von Amts wegen zu prüfen (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl 2003/18/0209).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer, der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht anwaltlich vertreten war, in seiner Berufung vom 11. November 2012 ausgeführt, dass er aufgrund einer Montagetätigkeit in einem anderen Bundesland, die auch "jetzt" - also zum Zeitpunkt der Berufungserhebung - noch andauere, nicht früher habe "antworten" können. Aufgrund dieser Mitteilung musste die belangte Behörde mit der Möglichkeit rechnen, dass der Beschwerdeführer auch noch zum Zeitpunkt der (versuchten) Zustellung des Schreibens vom 10. Dezember 2012 ortsabwesend sein könnte. Ein Nachweis über die Zustellung des Schreibens vom 10. Dezember 2012 ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen; es findet sich darin auch keine Zustellverfügung, die eine Zustellung dieses Schreibens mit Zustellnachweis verfügt hätte. Dass dieses Schreiben dem Beschwerdeführer tatsächlich zugekommen wäre, hat die belangte Behörde auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht dargelegt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 26 Abs 2 ZustG hat die Behörde bei Zustellungen ohne Zustellnachweis die Folge zu tragen, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegen getreten werden kann (vgl das hg Erkenntnis vom 20. September 2012, Zl 2011/10/0146, mwN). Im Beschwerdeverfahren ist daher davon auszugehen, dass das Schreiben vom 10. Dezember 2012 dem Beschwerdeführer nicht zugestellt wurde.

Damit steht aber auch fest, dass die belangte Behörde trotz der vom - unvertretenen - Beschwerdeführer in seiner Berufung behaupteten Ortsabwesenheit zum Zeitpunkt der (versuchten) Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses ohne die geboten gewesenen weiteren Ermittlungen von einer ordnungsgemäßen Zustellung zu jenem Datum ausgegangen ist, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wurde. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers ist aber nicht auszuschließen, dass dieser wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte und seine Berufung daher als rechtzeitig anzusehen wäre.

5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordung 2008, BGBl II Nr 455 (vgl § 79 Abs 11 VwGG iVm § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013, idF BGBl II Nr 8/2014). Das den Ersatz der Eingabengebühr betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da dem Beschwerdeführer mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 2013, VH 2013/02/0008, im Rahmen der Verfahrenshilfe unter anderem die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr nach § 24 Abs 3 VwGG gewährt wurde.

Wien, am 27. Juni 2014

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013020102.X00

Im RIS seit

28.07.2014

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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