TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/6 U2522/2013

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Veröffentlicht am 06.06.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EU-Grundrechte-Charta Art47 Abs2
AsylG 2005 §10, §41 Abs7

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Ausweisung des Beschwerdeführers nach Indien; im Übrigen Ablehnung der Beschwerde

Spruch

I.              1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit mit ihr die Ausweisung ausgesprochen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2010 nach Österreich ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Grund für seine Flucht brachte er vor, dass er in seinem Herkunftsstaat von Terroristen mit dem Tode bedroht worden sei. Auch die Polizei würde – auf Grund eines Missverständnisses – nach ihm suchen.

2. Nach zweimaliger Befragung des Beschwerdeführers wies das Bundesasylamt den Antrag mit Bescheid vom 28. März 2011 ab und verfügte die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Indien. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof. Mit Entscheidung vom 30. September 2013 bestätigte der Asylgerichtshof die Entscheidung des Bundesasylamtes und begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, keine Umstände hervorgetreten wären, die eine Verletzung der nach Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte im Falle einer Rückkehr nach Indien befürchten ließen und der Beschwerdeführer keine Aspekte aufgezeigt hätte, welche aus Sicht des Art8 EMRK für einen Verbleib in Österreich sprechen würden.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG iVm §7 VwGbk-ÜG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet wird

4. Der Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung in die Russische Föderation richtet, begründet.

1.1. Wie sich aus dem Gerichtsakt ergibt, erstattete der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22. Februar 2013 eine Stellungnahme zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme. Darin führte er unter anderem aus, dass sich seine Integration in Österreich seit der letzten Einvernahme vor zwei Jahren massiv verbessert habe. Er sei nun als Fahrer eines Kleinlasters tätig und verdiene zirka EUR 1.500,– pro Monat, er verfüge über eine ortsübliche Wohnung, spreche gut Deutsch und sei krankenversichert.

1.2. Der Asylgerichtshof geht auf diese Stellungnahme zwar im Rahmen der Darstellung des Verfahrens ein, trifft aber keinerlei Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers. Vielmehr führt der Asylgerichtshof im Zuge der nach Art8 Abs2 EMRK gebotenen Abwägung aus, dass "vom Beschwerdeführer […] weder im Verfahren vor dem Bundesasylamt noch vor dem Asylgerichtshof Aspekte aufgezeigt worden [seien], die aus der Sicht des Art8 EMRK für seinen weiteren Verbleib in Österreich sprechen würden". Einzig zum Vorbringen bezüglich der guten Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers, hält der Asylgerichtshof fest, dass diese "– selbst wenn sie, wovon der Asylgerichtshof nicht ausgeht, vorliegen – für sich genommen nicht ausreichen, um die fortgeschrittene oder gar vollständige Integration eines Fremden in Österreich annehmen zu können".

Damit bringt der Asylgerichthof einerseits zum Ausdruck, dass er das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich dessen Sprachkenntnisse nicht für glaubhaft hält, ohne dies näher zu begründen (allein der fehlende schriftliche Nachweis kann nicht zu dieser Annahme führen; vgl. dazu VfGH 22.11.2013, U729/2013) und ohne sich im Zuge einer mündlichen Verhandlung selbst ein Bild von den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers zu machen. Angesichts des dezidierten Vorbringens des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 2013 zu seiner Integration konnte der Asylgerichtshof nicht davon ausgehen, dass hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung der Sachverhalt geklärt war und damit die Voraussetzungen für einen Entfall der mündlichen Verhandlung gemäß §41 Abs7 AslyG2005 vorlagen.

1.3. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt hat (vgl. VfGH 13.3.2013, U1175-1178/12; VfGH 26.6.2013, U1257/2012), bewirkt das Unterbleiben einer im Lichte des §41 Abs7 AsylG2005 unter diesen Umständen gebotenen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 GRC.

2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und über die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten bekämpft wird, abzusehen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit mit ihr die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen wird, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verletzt. Die angefochtene Entscheidung wird daher insoweit aufgehoben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG sowie §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Verhandlung mündliche, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U2522.2013

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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