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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Asylantrags eines unbegleiteten minderjährigen Beschwerdeführers und Ausweisung nach Italien infolge Unterlassung von Ermittlungen betreffend eine rechtskräftige Gewährung von Asyl in ItalienSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung des Asylgerichtshofes minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Guinea-Bissau. Den Feststellungen des Asylgerichtshofes und den Verwaltungsakten zufolge stellte der Beschwerdeführer am 25. Oktober 2012 in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer in Italien subsidiärer Schutz ("permit of stay for subsidiary", gültig bis 23. Mai 2013) gewährt.
2. Am 10. Juli 2013 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
3. Das Bundesasylamt richtete am 19. Juli 2013 an die italienischen Behörden eine Anfrage im Sinne des Art21 Verordnung (EG) Nr 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO). Den Antwortschreiben der italienischen Behörden vom 8. August 2013 und vom 12. August 2013 zufolge war dem Beschwerdeführer in Italien subsidiärer Schutz ("permit of stay for subsidiary", gültig bis 23. Mai 2013) gewährt worden. Dem in der Folge vom Bundesasylamt gestellten Wiederaufnahmeersuchen stimmte Italien mit Schreiben vom 27. August 2013 gemäß Art16 Abs2 Dublin II-VO zu.
4. Mit Bescheid vom 25. September 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 4/2008, zurück, wies ihn gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 38/2011, (in der Folge: AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien aus und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Italien gemäß §10 Abs4 AsylG 2005 für zulässig.
Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom 14. Oktober 2013 gemäß §5 Abs1 iVm §10 Abs1 Z1 und Abs4 AsylG 2005 ab. Die Unzuständigkeit Österreichs gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 begründete der Asylgerichtshof wie folgt:
"Gemäß Art5 Abs2 Dublin II-VO ist bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt ('Versteinerungszeitpunkt'). Dies ist in casu laut Eurodac-Treffermeldung der 25.10.2010, an dem der Beschwerdeführer seinen Asylantrag in Italien gestellt hat, sodass, da es sich bei dem Beschwerdeführer um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt (vgl. Art6 Dublin II-VO) (grundsätzlich, sofern sich der Judikatur des EuGH vom 6.6.2013 zu Zahl C648/11 nichts anderes ergibt) Italien zur Prüfung seines Antrages zuständig ist.
Aus der Judikatur des EuGH vom 6.6.2013 zu Zahl C648/11 ergibt sich, dass bei Vorliegen von noch nicht rechtskräftig entschiedenen Asylanträgen in verschiedenen Mitgliedstaaten (abweichend vom Grundprinzip des Versteinerungszeitpunktes (!)) jener Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, in dem sich der Minderjährige gerade aufhält.
In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29.06.2013, Zl. U1446/2012 wörtlich u.a. Folgendes ausgeführt [...]:
'Wie der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil in der Rs. C-648/11, MA ua., nunmehr entschieden hat, ist der Ausdruck 'der Mitgliedstaat', in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, nicht mit dem in Art13 der Dublin-II-VO verwendeten Ausdruck 'der erste Mitgliedstaat', in dem der Asylantrag gestellt wurde, gleichzusetzen (vgl. EuGH 6.6.2013, Rs. C-648/11, MA ua., Rz 53). Bei der Auslegung der Dublin-II-VO ist nach diesem Urteil nämlich zu berücksichtigen, dass unbegleitete Minderjährige im System der Verordnung als besonders schutzwürdig behandelt werden, was etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass Art6 leg.cit. als erste und damit wichtigste Regelung zur Klärung der Zuständigkeitsfrage heranzuziehen ist und dass diese Bestimmung ausdrücklich auf das Interesse des Minderjährigen Bezug nimmt. Um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nicht länger als unbedingt nötig hinzuziehen und dem Wohl des Minderjährigen bestmöglich zu entsprechen, ist Art6 der Dublin-II-VO daher so zu verstehen, dass unbegleitete Minderjährige – solange noch keine rechtskräftige Entscheidung über einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat getroffen wurde – nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind und jener Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, in dem sich der Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat (vgl. EuGH 6.6.2013, Rs. C-648/11, MA ua., Rz 66).'
Im vorliegenden Fall wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers in Italien bereits rechtskräftig entschieden, zum einen bringt der Beschwerdeführer selbst vor, dass er in Italien subsidiären Schutz erhalten hat, und zum anderen hat Italien die Rückübernahme des Beschwerdeführers gem. Art16 Abs2 Dublin II-VO akzeptiert. Diese Bestimmung gelangt dann zur Anwendung, wenn ein Mitgliedsstaat einem Antragsteller ein Aufenthaltsrecht gewährt hat.
Dies bedeutet, dass die Beschwerdeeinwendungen, wonach im Lichte der Judikatur des EuGH zu Zahl C648/11 Österreich zur Prüfung des Antrages des Beschwerdeführers zuständig sei, angesichts der obzitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht zu Recht bestehen.
Es sind aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen in dem gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO – Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im 'Dublin-Verfahren', VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei."
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf persönliche Freiheit und auf Freizügigkeit der Person behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:
Der Asylgerichtshof geht in seiner Entscheidung davon aus, dass "über den Asylantrag des Beschwerdeführers in Italien bereits rechtskräftig entschieden" worden sei. Zum einen bringe der Beschwerdeführer selbst vor, dass er in Italien subsidiären Schutz erhalten habe; zum anderen habe Italien die Rückübernahme des Beschwerdeführers gemäß Art16 Abs2 Dublin II-VO akzeptiert. Diese Bestimmung gelange dann zur Anwendung, wenn ein Mitgliedstaat einem Antragsteller ein Aufenthaltsrecht gewährt habe.
Aus der festgestellten Zuerkennung eines subsidiären Aufenthaltsrechts kann jedoch nicht geschlossen werden, dass in Italien über den Asylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig entschieden wurde. Wie der Beschwerdeführer in der Beschwerde zutreffend vorbringt, ist die (befristete) Gewährung von subsidiärem Schutz nicht mit der Gewährung von Asyl gleichzusetzen. Auch den vorgelegten Verwaltungsakten ist kein Hinweis auf eine Entscheidung über den Asylantrag des Beschwerdeführers in Italien entnehmbar.
Der Asylgerichtshof hat es daher in Willkür gleichzuhaltender Weise unterlassen, Ermittlungen zu der entscheidungswesentlichen Frage anzustellen, ob über den Asylantrag des Beschwerdeführers in Italien bereits rechtskräftig entschieden wurde.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Die Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ausweisung, Ermittlungsverfahren, EU-RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:U2470.2013Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015