TE Vwgh Erkenntnis 2014/6/24 2011/05/0141

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Veröffentlicht am 24.06.2014
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Index

L37154 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Oberösterreich;
L81704 Baulärm Umgebungslärm Oberösterreich;
L82004 Bauordnung Oberösterreich;
L82304 Abwasser Kanalisation Oberösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

BauO OÖ 1994 §48 Abs2;
BauO OÖ 1994 §48 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Beschwerde des G B in W, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in 4014 Linz, Kroatengasse 7, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 16. August 2011, Zl. IKD(BauR)-014325/1-2011-Hc/Neu, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde G in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 16. März 2011 beantragte der Beschwerdeführer bei der mitbeteiligten Marktgemeinde, die Räumung des sich auf seiner Liegenschaft befindlichen Gebäudes mittels Mandatsbescheides gemäß § 48 Abs. 6 und 7 der Oberösterreichischen Bauordnung 1994 (BO) zu verfügen. Begründend führte er aus, dass das gegenständliche Haus mit Ausnahme der im zweiten Obergeschoß rechts vom Stiegenaufgang gelegenen Wohnung unbewohnt sei. Am 8. März 2011 sei die statische Situation des Hauses durch den staatlich befugten und beeideten Zivilingenieur für Bauwesen Dipl.- Ing. H. überprüft worden, welcher in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass auf Grund einer in den 60er Jahren durchgeführten Aufstockung des Hauses die ursprünglich nur für Dachrevisionsarbeiten begehbare Decke durch die derzeit gegebene Wohnraumnutzung um das Doppelte der zulässigen Tragfähigkeit überlastet sei. Der Statiker betone in seinem Gutachten, dass jegliche Nutzung der Räume im zweiten Obergeschoß derzeit unzulässig sei, eine Weiternutzung dieser Räume nicht zu verantworten und eine Benutzung ab sofort zu untersagen sei. Es sei somit eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit und die körperliche Sicherheit der Bewohnerin dieser Räumlichkeiten gegeben.

Daraufhin führte die mitbeteiligte Marktgemeinde am 18. April 2011 im Beisein des bautechnischen Amtssachverständigen Ing. K. und des Beschwerdeführers eine baupolizeiliche Überprüfung des gegenständlichen Gebäudes durch. In seinem Gutachten kam der bautechnische Amtssachverständige in Beantwortung der vom Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde an ihn gestellten Frage, welche Maßnahmen zu setzen seien, damit eine Räumung der in Höhe des zweiten Obergeschosses im südwestlichen Gebäudeteil gelegenen Wohnung nicht verfügt werden müsse, nach einer Befundaufnahme zu folgendem Schluss:

"Aus bautechnischer Sicht wird dazu bemerkt, dass eine Räumung der im 2. OG gelegenen bewohnten Räume dann nicht verfügt werden muss, wenn unverzüglich folgende bauliche Maßnahmen getroffen werden:

1. Die Decke unterhalb der von Frau ( ... ) bewohnten Räume

ist fachgerecht zu pölzen.

2. Die Pölzung ist statisch entsprechend zu bemessen und in Querrichtung zur Tramlage anzuordnen.

3.

Sie hat sich vom 1. OG bis ins Kellergeschoß zu erstrecken.

4.

Mit der Durchführung der Sicherungsarbeiten ist eine hierzu befugte Firma zu beauftragen. Dieser hat der Baubehörde nach Beendigung zu attestieren, dass die Arbeiten fachgerecht durchgeführt wurden."

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 3. Mai 2011 wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 48 Abs. 2 BO unter der Überschrift "Instandsetzungs- und Sicherungsauftrag" die im Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen Ing. K. vom 18. April 2011 genannten und oben wiedergegebenen Aufträge erteilt und angeordnet, dass die angeführten Sicherungsmaßnahmen unverzüglich durchzuführen seien. Begründend wurde ausgeführt, dass ein Baugebrechen vorliege, wenn sich der Zustand einer baulichen Anlage so verschlechtert habe, dass eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Hygiene oder die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte entstehe, gleichgültig worauf die Verschlechterung zurückzuführen sei. Erlange die Baubehörde Kenntnis vom Vorliegen eines Baugebrechens, habe sie die allenfalls erforderlichen Sicherungsmaßnahmen anzuordnen. Auf Grund des Ergebnisses des am 18. April 2011 an Ort und Stelle durchgeführten Lokalaugenscheins sowie des Gutachtens des bautechnischen Amtssachverständigen seien die im Spruch angeführten Sicherungsmaßnahmen vorzuschreiben gewesen.

Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 14. Juli 2011 als unbegründet abgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften - soweit für das Beschwerdeverfahren noch maßgeblich - aus, primäre Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 BO sei das Vorliegen eines Baugebrechens im Sinn des Abs. 1 dieser Bestimmung. Dies sei im Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen vom 18. April 2011 schlüssig und nachvollziehbar belegt worden und werde selbst vom Beschwerdeführer nicht bestritten, zumal diese Baumängel von ihm selbst der Baubehörde mitgeteilt worden seien.

Dass die vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen nicht erforderlich seien, um konkrete Gefährdungen zunächst auszuschließen, sei vom Beschwerdeführer nie bestritten bzw. sei dazu kein gegenteiliges Sachverständigengutachten vorgelegt worden. Dass aber eine Vorschreibung von Sicherungsmaßnahmen ohne die gleichzeitige Vorschreibung einer Instandsetzung oder Abtragung rechtlich gesehen nicht möglich sei, ergebe sich aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 BO nicht.

Zwar entspreche es dem Wunsch des Beschwerdeführers, dass die Behörde eine Abtragung vorschreibe, jedoch stehe niemandem ein Rechtsanspruch auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zu. Im Übrigen bestehe eine Verpflichtung zur Instandsetzung auch dann, wenn ein baupolizeilicher Auftrag betreffend Sicherungsmaßnahmen konkrete Gefährdungen zunächst ausgeschlossen habe. Es stehe dem Beschwerdeführer daher ohnedies frei bzw. sei es sogar seine Pflicht, eine Instandsetzung bzw. gegebenenfalls den Abtrag durchzuführen. Erteile die Behörde (vorerst) nur Sicherungsmaßnahmen, ohne Instandsetzungsmaßnahmen oder den Abtrag zu verfügen, könnten nach Ansicht der belangten Behörde dadurch Rechte des Verpflichteten gar nicht verletzt werden, weil die Sicherungsmaßnahmen gewiss als milderer Eingriff zu werten seien und auf die Erlassung eines (konkret gewünschten) baupolizeilichen Auftrages kein Rechtsanspruch bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, dass die von ihm für erforderlich erachtete Abtragung schlicht unmöglich sei, weil die Räumlichkeiten weiterhin bewohnt würden. Mangels eines behördlich ausgesprochenen Benützungsverbotes sei der Abbruch nicht möglich.

Weiters sei auf Grund der Bezeichnung des erstinstanzlichen Bescheides vom 3. Mai 2011 unklar, ob es dabei um einen Instandsetzungsauftrag oder um Vorschreibung von Sicherungsmaßnahmen handle. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei den vorgeschriebenen Maßnahmen nicht um bloße Sicherungsmaßnahmen, sondern bereits um eine Instandsetzung handle. Geeignete Sicherungsmaßnahmen wären allenfalls die Räumung der Wohnung im zweiten Obergeschoß bzw. Maßnahmen zur Absicherung der Instandsetzung oder Abtragung gewesen. Im vorliegenden Fall sei hingegen eine Instandsetzungsmaßnahme in das Gewand einer Sicherungsmaßnahme gekleidet worden. Die geforderte Pölzung stelle schon ihrem Umfang nach keine Sicherungsmaßnahme dar, deren unverzügliche Umsetzung angeordnet werden könne. Zudem stehe auch der damit verbundene kostenmäßige Aufwand außer Verhältnis zu den Kosten einer Unterbringung der einzigen Bewohnerin in seiner Ersatzwohnung, zumal aus Sicht des Beschwerdeführers die Abtragung ohnehin unvermeidbar sei.

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach Sicherungsmaßnahmen auch für sich allein angeordnet werden könnten, sei verfehlt, weil sich die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen danach zu orientieren hätten, wie das Baugebrechen behoben werden solle, zumal sie auch eine Absicherung bei der Durchführung der Behebung gewährleisten sollten.

Auch bei amtswegig zu erlassenden Bescheiden seien die Rechte des Adressaten zu beachten, der die Verfügung der Räumung beantragt habe. Vorgeschrieben worden seien Sicherungsmaßnahmen, obwohl gemäß § 48 Abs. 7 BO die weitere Benützung der baulichen Anlage zu untersagen gewesen wäre. Der Behörde sei offensichtlich bewusst gewesen, dass die Wohnung geräumt werden müsse und nur bauliche Maßnahmen daran etwas ändern könnten, welche aber wiederum keine bloßen Sicherungsmaßnahmen darstellten.

Zudem seien keinerlei Feststellungen zur Frage getroffen worden, ob andere Maßnahmen möglich und sinnvoll wären und ob die Maßnahmen aus wirtschaftlicher Sicht vertretbar seien, insbesondere im Hinblick auf eine notwendige Abtragung des Gebäudes.

Unter dem Aspekt der Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, dass die Behörde ihm nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme geboten habe, wie er die Instandsetzung durchzuführen beabsichtige. In diesem Fall hätte sich herausgestellt, dass eine wirtschaftlich sinnvolle Instandhaltung nur durch den gänzlichen Abbruch der Decke und umfassende Neuerrichtung nach Räumung der Wohnung möglich sei.

Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 sind auf das vorliegende, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.

§ 48 BO in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung

LGBl. Nr. 36/2008 lautet:

"§ 48

Baugebrechen

(1) Hat sich der Zustand einer baulichen Anlage so verschlechtert, dass

1. eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Hygiene oder die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte entsteht,

2.

das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet wird oder

3.

schädliche Umwelteinwirkungen entstehen,

liegt, gleichgültig worauf die Verschlechterung zurückzuführen ist, ein Baugebrechen vor.

(2) Erlangt die Baubehörde Kenntnis vom Vorliegen eines Baugebrechens, hat sie die allenfalls erforderlichen Sicherungsmaßnahmen anzuordnen und dem Eigentümer unter Gewährung einer angemessenen Frist die Behebung des festgestellten Baugebrechens durch Instandsetzung oder, wenn eine Instandsetzung nicht mehr möglich ist oder so weitgehend wäre, dass sie einer Erneuerung der baulichen Anlage gleichkommen würde, die Abtragung aufzutragen. Ein Instandsetzungsauftrag steht der Erteilung einer Abbruchbewilligung nicht entgegen.

(3) Lassen sich Art und Umfang eines vermutlichen Baugebrechens nicht durch bloßen Augenschein feststellen, kann die Baubehörde dem Eigentümer unter Setzung einer angemessenen Frist die Untersuchung durch einen Bausachverständigen und die Vorlage des Untersuchungsbefundes vorschreiben. Auf Verlangen der Baubehörde ist der Untersuchung ein Organ dieser Behörde beizuziehen.

(4) Wenn die Behebung der Baugebrechen durch Instandsetzung auf verschiedene Art und Weise möglich ist, hat die Baubehörde dem Eigentümer Gelegenheit zu geben, innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist mitzuteilen, wie er die Instandsetzung durchzuführen beabsichtigt. Kann erwartet werden, dass auf eine solche Art und Weise das Baugebrechen behoben wird, hat die Baubehörde den Instandsetzungsauftrag darauf abzustellen.

(5) Für den Instandsetzungs- oder Abtragungsauftrag gilt § 35 Abs. 2 sinngemäß.

(6) Bei Gefahr in Verzug kann die Baubehörde ohne weiteres Verfahren und ohne Anhörung des Eigentümers die notwendigen Sicherungsmaßnahmen einschließlich der Räumung des Gebäudes oder der Gebäudeteile auf Gefahr und Kosten des Eigentümers durch Mandatsbescheid (§ 57 AVG) verfügen.

(7) Hat sich der Zustand einer baulichen Anlage oder eines Teiles davon so verschlechtert, dass eine Gefahr für das Leben oder die körperliche Sicherheit der Benützer dieser baulichen Anlage oder eines Teiles davon nicht auszuschließen ist, hat die Baubehörde die weitere Benützung der baulichen Anlage oder eines Teiles davon mit Bescheid bis zur Behebung des Baugebrechens zu untersagen. Abs. 6 gilt sinngemäß."

Dem Beschwerdevorbringen, wonach im vorliegenden Fall keine Sicherungsmaßnahmen vorzuschreiben gewesen wären, sondern nach § 48 Abs. 7 BO vorzugehen gewesen wäre, kommt Berechtigung zu.

Im Beschwerdefall lag auf Grund der festgestellten Einsturzgefahr der Decke über dem ersten Obergeschoß unbestritten eine Gefahr für das Leben bzw. die körperliche Sicherheit der Benützerin der Räume im zweiten Obergeschoß vor. In einem solchen Fall ist nach dem klaren Wortlaut des § 48 Abs. 7 BO die weitere Benützung der baulichen Anlage oder eines Teiles davon bis zur Behebung des Baugebrechens zu untersagen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die gegenüber § 48 Abs. 2 BO speziellere Norm, weil sie bei Vorliegen einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Sicherheit der Benützer einer baulichen Anlage eine spezielle Sicherungsmaßnahme, nämlich den Ausspruch eines Benützungsverbotes, anordnet. Durch den Ausspruch eines Benützungsverbotes wird aber die im Beschwerdefall gegebene Gefahr für das Leben und die körperliche Sicherheit der Benützerin der Räume im zweiten Obergeschoß der betreffenden baulichen Anlage bereits beseitigt. Dass darüber hinaus allenfalls auch noch andere Gefahren bestanden haben, die die Vorschreibung weiterer Sicherungsmaßnahmen nach § 48 Abs. 2 BO erfordert hätten, wurde hingegen nicht festgestellt.

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014 weiterhin anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Juni 2014

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2011050141.X00

Im RIS seit

23.07.2014

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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