Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/19/2648 E 2. Oktober 2000Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des 1963 geborenen P B, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Juni 1996, Zl. 114.815/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 11. Jänner 1995 (Einlangen bei der erstinstanzlichen Behörde) im Wege des österreichischen Generalkonsulates Krakau die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, wobei er als Aufenthaltszweck die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit angab. Unter der Rubrik "Sonstiger, genau zu beschreibender Aufenthaltszweck" wurde ausgeführt:
"Geschäftsführender Gesellschafter HandelsgesmbH". Dem Antrag war u. a. ein Firmenbuchauszug vom 3. Juni 1994 angeschlossen, demzufolge der Beschwerdeführer mit 25 % an einer näher bezeichneten GesmbH beteiligt war.
Der Landeshauptmann von Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 26. Jänner 1995 gemäß § 4 Abs. 1 AufG ab. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. Juni 1996 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nach der auch auf seinen eigenen Angaben beruhenden Aktenlage sichtvermerksfrei eingereist. In seinem Antragsformular habe er angeführt, einer selbstständigen Erwerbstätigkeit als Gesellschafter der K. & C. GesmbH in Österreich nachgehen zu wollen. Bei einer Erhebung seitens der belangten Behörde sei der Beschwerdeführer an der "antragsgegenständlichen Firmenadresse" bei der Ausübung von Maurertätigkeiten angetroffen worden. Er verfüge weder über eine Aufenthaltsberechtigung noch über eine Beschäftigungsbewilligung in Österreich. Vielmehr sei er sichtvermerksfrei eingereist. Als polnischer Staatsangehöriger sei der Beschwerdeführer zu einem dreimonatigen sichtvermerksfreien Aufenthalt zu touristischen Zwecken berechtigt, nicht jedoch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Daher sei die von ihm aufgenommene Beschäftigung illegal erfolgt und halte er sich des Weiteren illegal in Österreich auf. Damit liege ein Sichtvermerksversagungsgrund vor und könne dem Beschwerdeführer auch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Die öffentlichen Interessen überwögen daher im Hinblick auf den illegalen Aufenthalt des Beschwerdeführers sowie auf seine illegale Beschäftigung gegenüber den privaten Interessen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 24. Juli 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.
§ 5 Abs. 1 AufG lautete:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
§ 10 Abs. 1 Z 4 FrG 1992 lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;
Art. 1 des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Polen über die gegenseitige Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 330/1972, lautet:
"Artikel 1
(1) Die Staatsbürger eines jeden der beiden Staaten, die Inhaber eines der im Artikel 3 angeführten Reisedokumentes sind, dürfen ohne Sichtvermerk des anderen Staates in dessen Hoheitsgebiet einreisen, sich dort bis zu drei Monaten aufhalten und aus ihm ausreisen.
(2) Die Berechtigung des Absatzes 1 gilt nicht für die Staatsbürger eines jeden der beiden Staaten, die sich auf das Hoheitsgebiet des anderen Staates begeben wollen, um dort ein Arbeitsverhältnis einzugehen."
§ 2 Abs. 2 und 4 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG)
in der vorliegend maßgeblichen Fassung der Novelle
BGBl. Nr. 895/1995 lautete (auszugsweise):
"§ 2. ...
(2) Als Beschäftigung gilt die Verwendung
a)
in einem Arbeitsverhältnis,
b)
in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, sofern die Tätigkeit nicht auf Grund gewerberechtlicher oder sonstiger Vorschriften ausgeübt wird,
...
(4) Für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung im Sinne des Abs. 2 vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend. Eine Beschäftigung im Sinne des Abs. 2 liegt insbesondere auch dann vor, wenn
...
2. ein Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Geschäftsanteil von weniger als 25 % Arbeitsleistungen für die Gesellschaft erbringt, die typischerweise in einem Arbeitsverhältnis geleistet werden, es sei denn, die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice stellt auf Antrag fest, dass ein wesentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft durch den Gesellschafter tatsächlich persönlich ausgeübt wird. Den Nachweis hiefür hat der Antragsteller zu erbringen."
Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage verfügte der Beschwerdeführer jemals über eine Aufenthaltsbewilligung. Der angefochtene Bescheid ist demnach auch nicht gemäß § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 mit Ablauf des 31. Dezember 1997 außer Kraft getreten.
Die belangte Behörde erachtete den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG deshalb als verwirklicht, weil der Beschwerdeführer sichtvermerksfrei eingereist sei, um einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, jedoch bei der Ausübung von Maurertätigkeiten angetroffen worden sei, ohne über eine Aufenthaltsberechtigung oder über eine Beschäftigungsbewilligung zu verfügen. Die belangte Behörde stützte sich hiebei erstmals auf den von ihr festgestellten Umstand, dass der Beschwerdeführer (nach der Aktenlage zu ergänzen: am 29. April 1996) an einer näher bezeichneten Anschrift bei der Ausübung von ausländerbeschäftigungsrechtlich bewilligungspflichtigen Maurertätigkeiten angetroffen worden sei. Da diese Annahme dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vorgehalten wurde, unterliegt sein diesbezügliches Beschwerdevorbringen nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot:
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass polnische Staatsangehörige für den Zeitraum von drei Monaten sichtvermerksfrei nach Österreich einreisen und sich hier aufhalten könnten. Die Frage, ob es dem Beschwerdeführer erlaubt sei in Österreich zu arbeiten, stelle sich im gegenständlichen Verfahren nicht, dies sei von der zuständigen Behörde gemäß dem AuslBG zu prüfen. Er sei zum Zeitpunkt der Antragstellung zu 25 % an einem näher bezeichneten Unternehmen beteiligt und auch dessen Geschäftsführer gewesen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass bei sichtvermerksfreier Einreise keine Arbeitstätigkeit in Österreich aufgenommen werden könne, sei in keiner Bestimmung normiert. Im Fall des Beschwerdeführers würden die fremdenrechtlichen Gesetze und die Bestimmungen des AuslBG vermischt.
Dazu ist zunächst zu bemerken, dass Art. 1 Abs. 2 des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Polen über die gegenseitige Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 330/1992, hinsichtlich der Zulässigkeit einer sichtvermerksfreien Einreise ausdrücklich auf das Eingehen eines "Arbeitsverhältnisses" abstellt, das aber bei einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht vorliegt. Die Aufnahme einer "selbstständigen Erwerbstätigkeit" ist demnach vom Begriff "ein Arbeitsverhältnis eingehen" nicht umfasst (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1999, Zlen. 97/19/0147,0148). Dem Beschwerdeführer stünde nach (derart zulässiger) sichtvermerksfreier Einreise die Möglichkeit einer selbstständigen Erwerbstätigkeit - so wie von ihm als Aufenthaltszweck angegeben - offen, ohne dass es einer ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bewilligung bedürfte.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die Feststellung getroffen, der Beschwerdeführer sei bei der Ausübung von Maurertätigkeiten angetroffen worden. Da bei Zutreffen des nicht dem Neuerungsverbot unterliegenden Beschwerdevorbringens (Beteiligung des Beschwerdeführers an einem näher bezeichneten Unternehmen mit - also nicht "weniger" als - 25 %) die Vermutung des § 2 Abs. 4 Z. 2 AuslBG nicht Platz greifen würde, ist mangels gegenteiliger Feststellungen über den "wahren wirtschaftlichen Gehalt" der Beschäftigung (§ 2 Abs. 4 erster Satz AuslBG) nicht auszuschließen, dass die im angefochtenen Bescheid genannte Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers eine selbstständige ist, wofür er keiner Bewilligung nach dem AuslBG bedurft hätte und die er auch nach sichtvermerksfreier Einreise auszuüben berechtigt gewesen wäre. Diesfalls wäre die Annahme der belangten Behörde, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers auf Grund der zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährden, nicht gerechtfertigt.
Nach dem Vorgesagten ist nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde - im Rahmen eines mängelfreien Verfahrens - zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen) Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 2. Oktober 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996192640.X00Im RIS seit
13.06.2001