TE Vfgh Beschluss 2014/6/5 U2460/2013 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.06.2014
beobachten
merken

Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

VfGG §14a Abs4, §33, §34
ZPO §530 Abs1 Z7

Leitsatz

Wiederaufnahme eines Beschwerdeverfahrens und Aufhebung des Beschlusses über die Zurückweisung der Beschwerde wegen Versäumung der Mängelbehebungsfrist; keine Versäumung einer Frist, bloß unrichtige Angabe der Geschäftszahl in der Mängelbehebung; Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags; Ablehnung der Behandlung der Beschwerde

Spruch

I.              Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II.              Das mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Februar 2014, U2460/2013-6, abgeschlossene Beschwerdeverfahren wird wiederaufgenommen.

III.              Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Februar 2014, U2460/2013-6, wird aufgehoben.

IV.              Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

Begründung

Begründung

I. Zum Wiedereinsetzungsantrag

1. Der Einschreiter brachte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2013 einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 8. Mai 2013, ZE6 431.142-1/2012-10E, beim Verfassungsgerichtshof ein. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 16. September 2013, U1383/2013-5, dem Einschreiter zuhanden seines Rechtsvertreters zugestellt am 17. Oktober 2013, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen.

2.1. Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2013 brachte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer postalisch eine Beschwerde gegen die oben genannte Entscheidung des Asylgerichtshofes ein. Mit Schreiben vom 13. November 2013 zu U2460/2013 forderte der Verfassungsgerichtshof den Beschwerdeführer unter Hinweis auf die nach §19 Abs3 VfGG eintretenden Säumnisfolgen auf, innerhalb von zwei Wochen die entgegen §14a Abs1 und 4 VfGG nicht elektronisch eingebrachte Beschwerde elektronisch einzubringen. Mit Beschluss vom 20. Februar 2014, U2460/2013-6, wies der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde wegen Versäumung der Mängelbehebungsfrist zurück.

2.2. Mit am 21. März 2014 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs (in Entsprechung der Mängelbehebung) eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Beschwerdeführer rechtzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und übermittelt die Bescheidbeschwerde zur Fortsetzung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, dass bei der Mängelbehebung vom 15. November 2013 hinsichtlich der Angabe der Geschäftszahl ein Fehler unterlaufen sei, weil die Geschäftszahl der Abweisung der Verfahrenshilfe, U1383/2013, und nicht die Zahl der Aufforderung zur Mängelbehebung, U2460/2013, angeführt worden sei. Das Versehen sei wohl nur als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren, welcher jedoch für den Beschwerdeführer einen Rechtsnachteil zur Folge habe. Gleichzeitig mit der Stellung des Wiedereinsetzungsantrages werde die versäumte Prozesshandlung, die Mängelbehebung, zur richtigen Geschäftszahl U2460/2013, nachgeholt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (zB VfSlg 11.041/1986, 12.306/1990, 14.695/1996, 18.050/2007, 19.152/2010), dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes – insbesondere auch seine Beschlüsse – endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens in seinen §§33 und 34 nicht selbst regelt, hat der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 und 530 ff.) sinngemäß anzuwenden.

4.1. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §146 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder) an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VfSlg 11.267/1987). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nur zulässig, wenn eine Frist für die Vornahme einer Prozesshandlung tatsächlich versäumt wurde (vgl. VfSlg 11.244/1987).

4.2. Die unrichtige Angabe der dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Mängelbehebung bekannten Geschäftszahl des Verfassungsgerichtshofes (U2460/2013) führte zur Zurückweisung der Beschwerde wegen fehlender Mängelbehebung, welche – objektiv gesehen – nicht vorlag. Damit lag aber auch kein Fall der Versäumung einer Frist vor, weshalb die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben waren und der Antrag daher abzuweisen war (vgl. zB VfSlg 18.050/2007).

5.1. Der im Antrag auf Wiedereinsetzung gestellte Antrag auf Fortsetzung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens kann als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verstanden werden.

5.2. Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen des Vorliegens des – hier allein in Frage kommenden – Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO (iVm §35 Abs1 VfGG) setzt voraus, dass "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel neu auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt haben würde". Die Wiederaufnahme findet weiters nur statt, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung der ersten Instanz erging, geltend zu machen (§530 Abs2 ZPO).

5.3. In einem solchen Fall – ausgehend von den unter I.4.2. angeführten Umständen – ist das Hervorkommen der falschen Geschäftszahl bei der Mängelbehebung, die zur Zurückweisung der Beschwerde geführt hat, dem Fall des Auffindens neuer Tatsachen oder Beweismittel gleichzuhalten (vgl. VfSlg 14.695/1996). Die Angabe der korrekten Geschäftszahl des Verfassungsgerichtshofes (U2460/2013) wäre geeignet gewesen, die Zurückweisung der Beschwerde zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung in der Hauptsache ergehen können (vgl. VfSlg 12.451/1990, 14.695/1996, 18.050/2007, 19.152/2010). Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers betreffend die Umstände, die zur Falschangabe der Geschäftszahl in der Mängelbehebung geführt haben, kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer bzw. sein Rechtsvertreter die ihm vom Gesetz auferlegte Sorgfalt außer Acht gelassen hat.

6. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Februar 2014, U2460/2013-6, war aus diesen Gründen unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben.

II. Zur Beschwerde:

1. Die ursprünglich per Post eingebrachte Beschwerde war dem im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsatz des Beschwerdeführers mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angefügt. Damit wird das Erfordernis des §14a Abs4 VfGG erfüllt.

2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144 Abs2 B-VG). Die Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art2, 3 und 6 EMRK.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s. etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua., ÖJZ1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen – oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen –, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Soweit die Beschwerde des Weiteren unter Bezugnahme auf Art2 EMRK verfassungsrechtlich relevante Fragen aufwirft, lässt auch dieses Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesem Recht die behauptete Rechtsverletzung als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Das Asylverfahren ist jedoch nicht von Art6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg 13.831/1994).

3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4. Diese Beschlüsse konnten ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden (§§19 Abs3 Z1 und 34 VfGG).

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Mängelbehebung, VfGH / Fristen, Auslegung eines Antrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U2460.2013

Zuletzt aktualisiert am

04.07.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten