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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
ZPO §63 Abs1 / AussichtslosigkeitLeitsatz
Zurückweisung einer Ministeranklage und eines Individualantrags; kein Verordnungscharakter des bekämpften Erlasses über die Vorgehensweise bei Zurücklegung einer Anzeige; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslosSpruch
I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
II. 1. Die Anklage wird zurückgewiesen.
2. Der Individualantrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
1. Die von der anwaltlich nicht vertretenen Einschreiterin erhobene Anklage gemäß Art142 B-VG gegen die Bundesministerin für Justiz a.D. Dr. Beatrix Karl und gegen den amtierenden Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter wegen Kundmachung bzw. Aufrechterhaltung des angeblich rechtswidrigen Erlasses vom 8. April 2013, ZBMJ-S585.000/0015-IV 3/2013 erweist sich als unzulässig.
Nach Art142 Abs2 litb B-VG kann eine Anklageerhebung gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen Gesetzesverletzung nur durch Beschluss des Nationalrates erfolgen.
Da diese zwingende Voraussetzung des Art142 Abs2 litb B-VG im konkreten Fall nicht erfüllt ist, ist die Anklage jedenfalls unzulässig.
2.1. Die Einschreiterin begehrt weiters die (teilweise) Aufhebung des Erlasses der Bundeministerin für Justiz vom 8. April 2013, ZBMJ-S585.000/0015-IV 3/2013, über die Entscheidung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes vom 11. Juni 2012, 1 Präs. 2690-2113/12i. Der in Rede stehende Erlass hat – soweit hier von Bedeutung – folgenden Wortlaut:
"[...]
Wird nach der Entscheidung 1 Präs. 2690-2113/12i vorgegangen und eine Anzeige·zurückgelegt, so wird unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung bis zu einer notwendigen gesetzlichen Klarstellung folgende Vorgehensweise empfohlen:
? Der Anzeiger ist zu verständigen, dass die Anzeige im Sinne der Entscheidung 1 Präs. 2690-2113/12i des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes vom 11. Juni 2012 zurückgelegt wurde.
? Die Bestimmungen über die interne Revision sind sinngemäß zur Anwendung zu bringen.
? Die das staatsanwaltschaftliche Berichtwesen (§§8, 8a StAG) betreffenden Vorschriften sind sinngemäß anzuwenden.
? Die Abstreichung des Falles im Register ("erl") hat unter Hinweis auf die Entscheidung 1 Präs. 2690-2113/12i des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes vom 11. Juni 2012 zu erfolgen.
Wird auf Grund einer solchen Verständigung über die Zurücklegung der Anzeige ein Antrag auf Fortführung eingebracht, so wäre dieser grundsätzlich dem Gericht mit einer Stellungnahme über die Unzulässigkeit desselben im Sinne der vorstehenden Ausführungen vorzulegen (mangels eines jemals geführten Ermittlungsverfahrens)."
Nach Ansicht der Antragstellerin ist dieser Erlass als Verordnung zu qualifizieren, weil er in den gegenständlichen Punkten imperativ formuliert sei und somit normativen Gehalt besitze; es bestünde kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass es sich lediglich um eine Rechtsmeinung der Bundesministerin für Justiz handle. Der Erlass gestalte der Sache nach die Rechtssphäre eines unbestimmten Kreises von Betroffenen und wirke sich auf die Rechtsunterworfenen aus.
2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine verbindliche Äußerung der Behörde, auch wenn sie formell nur an die unterstellten Behörden adressiert ist, als Rechtsverordnung anzusehen, wenn sie der Sache nach die Rechtssphäre eines unbestimmten Kreises von Betroffenen gestaltet (vgl. VfSlg 13.632/1993, 17.244/2004, 17.806/2006, 18.495/2008). Maßgebend für die Qualifikation eines Rechtsaktes als Verordnung im Sinne des Art139 B-VG ist weder der formelle Adressatenkreis noch seine äußere Bezeichnung und auch nicht die Artseiner Veröffentlichung; vielmehr kommt es auf den normativen Inhalt des Verwaltungsaktes an (vgl. VfSlg 18.112/2007 mwN), der insbesondere dann anzunehmen ist, wenn er das Gesetz bindend auslegt (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpft – vgl. VfSlg 17.806/2006) und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beansprucht (vgl. etwa VfSlg 11.472/1987, 13.632/1993, 17.244/2004, 18.468/2008). Eine rechtsgestaltende Außenwirkung ist gegeben, wenn zum imperativen Inhalt ein solches Maß an Publizität hinzutritt, dass der betreffende Akt Eingang in die Rechtsordnung gefunden hat (vgl. zB VfSlg 15.694/1999, 17.244/2004).
Wendet man diese Kriterien auf den vorliegenden Erlass an, so zeigt sich, dass dieser keine Verordnung iSd Art139 Abs1 B-VG darstellt, da dem Erlass kein verpflichtender, die Rechtssphäre der betroffenen Person gestaltender Charakter innewohnt:
Schon mit der oben einleitend wiedergegebenen Formulierung, wonach den staatsanwaltlichen Behörden bei Anzeigenzurücklegung "unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung" eine näher beschriebene "Vorgehensweise empfohlen [wird]", bringt die Bundesministerin klar und unmissverständlich zum Ausdruck, dass es sich bloß um den Vorschlag einer Handlungsmöglichkeit für die verfahrensführenden staatsanwaltlichen Behörden handelt.
Der angefochtene Erlass stellt somit keine Verordnung im Sinne des Art139 Abs1 B-VG dar. Der Antrag ist daher schon mangels Vorliegens eines geeigneten Prüfgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen.
3. Da sich die von der Einschreiterin beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof mithin als offenbar aussichtslos erweist, ist der gemeinsam mit der Anklage und dem Individualantrag gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).
4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG bzw. §19 Abs3 Z2 lita und d VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.
Schlagworte
VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Anklage, Ministeranklage, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand, StaatsanwaltschaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:SG1.2014Zuletzt aktualisiert am
03.07.2014