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L92105 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Salzburg;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Mag. Ulrich Walter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/11, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 11. Oktober 1999, Zl. 3/01-304-657-G609/1-1999, betreffend Pflegegeld, zu Recht erkannt:
Spruch
1. Soweit mit dem angefochtenen Bescheid die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft verweigert wird, wird er wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung von Pflegegeld richtet, wird sie zurückgewiesen.
3. Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 23. Jänner 1981 geborene Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige. Ihre Mutter bezog für sie (nach der Aktenlage jedenfalls ab Jänner 1994) die erhöhte Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder (gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Die Beschwerdeführerin hatte bis (zu ihrer Übersiedlung nach Wien im) Februar 1999 ihren Wohnsitz im Land Salzburg.
Am 24. März 1998 stellte die Beschwerdeführerin (vertreten durch ihre Mutter) den Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld nach dem (Salzburger) Pflegegeldgesetz - PGG.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß den §§ 2 und 3 PGG und der Verordnung der Salzburger Landesregierung LGBl. Nr. 51/1994 den Antrag ab. In der Begründung führte sie nach Hinweis auf § 3 Abs. 5 PGG aus, bei der Entscheidung über die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft sei auf die in der Verordnung LGBl. Nr. 51/1994 genannten Umstände Bedacht zu nehmen gewesen. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, dass sich die Beschwerdeführerin seit 13. Jänner 1989 rechtmäßig in Österreich aufhalte und für Betreuung und Hilfe betreffend ihre Person keine Kosten entstünden. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen habe keine soziale Härte festgestellt werden können. Da die Voraussetzungen für die Nachsicht von der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht erfüllt seien, sei der Antrag abzuweisen.
Der angefochtene Bescheid enthält die Rechtsmittelbelehrung, dass gegen ihn binnen sechs Wochen nach Zustellung des Bescheides eine Beschwerde an den Verwaltungs- oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 des Salzburger Pflegegeldgesetzes - PGG, LGBl. Nr. 99/1993, ist der Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft Voraussetzung für den Anspruch auf Pflegegeld.
Gemäß § 3 Abs. 4 leg. cit. sind Fremde unter bestimmten Voraussetzungen (aufgrund von Staatsverträgen, aufgrund bestehender Gegenseitigkeit oder aufgrund Asylgewährung) österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.
§ 3 Abs. 5 leg. cit. lautet wie folgt:
"Der Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft kann nachgesehen werden, wenn die Gewährung des Pflegegeldes aufgrund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint. Die näheren Voraussetzungen hiefür hat die Landesregierung durch Verordnung festzulegen."
Gemäß § 18 Abs. 1 zweiter Satz PGG ist gegen Bescheide nach diesem Gesetz ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.
Gemäß § 18 Abs. 2 leg. cit. können Anspruchswerber und anspruchsberechtigte Personen gegen einen in Vollziehung dieses Gesetzes, ausgenommen die §§ 3 Abs. 5 und 10 Abs. 4, ergangenen Bescheid Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erheben. Die Klage muss bei sonstigem Verlust der Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches innerhalb der unerstreckbaren Frist von drei Monaten ab Zustellung des Bescheides erhoben werden. Wird die Klage rechtzeitig erhoben, tritt der Bescheid im Umfang des Begehrens außer Kraft.
Aufgrund des § 3 Abs. 5 PGG hat die Salzburger Landesregierung die Verordnung LGBl. Nr. 51/1994 erlassen, die folgenden Wortlaut hat:
"§ 1
Der Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft kann bei der Gewährung von Pflegegeld nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz Fremden nachgesehen werden, die sich rechtmäßig in Österreich aufhalten.
§ 2
Bei der Beurteilung der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden ist Bedacht zu nehmen:
1.
auf die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich;
2.
auf das Ausmaß der Integration des Fremden selbst oder, wenn es sich beim Anspruchswerber um ein Kind handelt, seiner Eltern; und
3. auf die durch die Pflegebedürftigkeit entstehenden Belastungen der persönlichen Lebensumstände, der familiären Beziehungen und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
§ 3
Bei Fremden, denen nach § 2 Abs. 3 des Salzburger Behindertengesetzes 1981, LGBl. Nr. 93, Nachsicht vom Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft gewährt worden ist, kann von der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen werden."
Gemäß § 18 Abs. 2 PGG ist der Bescheid, mit dem über die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft abgesprochen wird, nicht mit Klage beim Arbeits- und Sozialgericht bekämpfbar, sondern nur mit Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. Von dem Bescheid über die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft ist der Bescheid über den Anspruch auf Pflegegeld zu unterscheiden, der (nur) mit Klage beim Arbeits- und Sozialgericht bekämpft werden kann. Vertritt die Behörde die Auffassung, dass einem Fremden die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht zu erteilen ist und mangels Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern gemäß § 3 Abs. 4 PGG wegen des Fehlens der österreichischen Staatsbürgerschaft Pflegegeld nicht zuerkannt werden kann, hat sie zwei Bescheide zu erlassen, und zwar den Bescheid über die Verweigerung der Nachsicht und den Bescheid betreffend die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung von Pflegegeld. Die Behörde kann diese Bescheide in getrennten Ausfertigungen erlassen, es besteht aber kein Hindernis, sie in einer Ausfertigung zusammenzufassen, wobei allerdings die entsprechenden Rechtsbelehrungen gemäß § 61a AVG einerseits und gemäß § 18 Abs. 2 PGG andererseits zu erteilen sind.
Dem vorliegenden Bescheid ist unter Berücksichtigung des Inhaltes seiner Begründung zu entnehmen, dass die belangte Behörde damit sowohl die Verweigerung der Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgesprochen, als auch aufgrund des Fehlens der österreichischen Staatsbürgerschaft den Antrag auf Gewährung von Pflegegeld abgewiesen hat. Soweit der angefochtene Bescheid den zuletzt genannten normativen Inhalt hat, war die Beschwerde gegen ihn wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen, wobei die Entscheidung darüber gemäß § 12 Abs. 3 VwGG im Fünfersenat getroffen wurde. Der vorliegende Beschwerdefall gleicht insoweit jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1999, Zl. 99/11/0103, zugrunde gelegen ist.
Für die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft sind im gegebenen Zusammenhang - die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Österreich und das Ausmaß der Integration ihrer Eltern wurden von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen - die wirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin und der für sie unterhaltspflichtigen Eltern einerseits und das voraussichtliche Ausmaß des Pflegebedarfs andererseits von Bedeutung. Je größer dieser Bedarf ist, umso eher kann unter Bedachtnahme auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von einer sozialen Härte gesprochen werden.
Der angefochtene Bescheid beschränkt sich diesbezüglich auf die Behauptung "Für die Betreuung und Hilfe entstehen keine Kosten", ohne dass nachvollziehbar begründet würde, wie die belangte Behörde zu dieser Annahme gelangt ist. In den vorgelegten Verwaltungsakten finden sich keine Ermittlungen zu dieser Frage. Der Beschwerdeführerin wurde dazu auch kein Parteiengehör gewährt. In der Beschwerde wird ausgeführt, dass im Falle der Gewährung des Parteiengehörs ein erheblicher Pflegeaufwand behauptet worden wäre.
Die belangte Behörde hat zudem keinerlei Sachverhaltsfeststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern getroffen, sodass ihre abschließend geäußerte Auffassung, es liege keine soziale Härte vor, einer entsprechenden Tatsachengrundlage entbehrt.
Die belangte Behörde wird im fortzusetzenden Verfahren Ermittlungen zur Einkommens- und Vermögenslage der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern sowie zum Pflegebedarf der Beschwerdeführerin in der Zeit von der Antragstellung bis zur Aufgabe ihres Wohnsitzes in Salzburg durchzuführen und nach Gewährung von Parteiengehör entsprechende Sachverhaltsfeststellungen zu treffen haben. Sie kann dabei auch die Ergebnisse jenes Verfahrens verwerten, das in der Folge zur Gewährung von Pflegegeld nach dem (Wiener) Pflegegeldgesetz (mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 26. Juni 2000) geführt hat. Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin sind die Voraussetzungen für das Absehen von einem Ermittlungsverfahren gemäß § 3 der Verordnung LGBl. Nr. 51/1994 nicht erfüllt, weil die mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 7. Juli 1999 erteilte Nachsicht nach § 1 Abs. 3 des Wiener Behindertengesetzes 1986 keine Nachsicht im Sinne der genannten Verordnungsstelle darstellt.
Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid, soweit mit ihm die Nachsicht gemäß § 3 Abs. 5 PGG verweigert wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 4. Oktober 2000
Schlagworte
Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Allgemein Allgemeine VerwaltungsverfahrensgesetzeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999110386.X00Im RIS seit
01.02.2002