TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/6 U1820/2013

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Veröffentlicht am 06.06.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129e Abs2
AsylG 2005 §3, §8, §10, §20 Abs2

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch Entscheidung eines unrichtig zusammengesetzten Spruchkörpers des AsylGH in einer Annexsache; Unzuständigkeit des ausschließlich aus männlichen Richtern bestehenden Senates infolge behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Eltern des Beschwerdeführers, beide russische Staatsangehörige und aus Tschetschenien stammend, reisten illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten hier Anträge auf internationalen Schutz. So wie sein Bruder wurde auch der mj. Beschwerdeführer in Österreich geboren. Am 24. April 2013 brachte sein Vater als gesetzlicher Vertreter für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz ein, in dem ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe.

2. Die Asylanträge der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers wurden im Instanzenzug jeweils abgewiesen und die Antragsteller in die Russische Föderation ausgewiesen. Den gegen diese Entscheidungen des Asylgerichtshofes gerichteten Beschwerden gab der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 7. Juni 2013, U2285-2286/2012, bzw. vom 29. Juni 2013, U2430/2011, (teilweise) statt.

Betreffend die Mutter und den Bruder des Beschwerdeführers führte der Verfassungsgerichtshof – zusammengefasst – wie folgt aus:

"Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer (der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Sie stellten am 4. März 2011 (Beschwerdeführerin) bzw. am 28. Februar 2012 (Beschwerdeführer) Anträge auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, im August 2010 an ihrem Arbeitsplatz von mehreren Männern vergewaltigt worden zu sein.

[…]

Bei den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin abermals an, an ihrem Arbeitsplatz vergewaltigt worden zu sein. Mit den angefochtenen Entscheidungen weist der Asylgerichtshof die an ihn gerichteten Beschwerden der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers gemäß §§3, 8 und 10 Asylgesetz 2005 ab, weil er von der Unglaubwürdigkeit der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Vergewaltigung ausgeht.

[…]

Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe seines zu U688-690/2012 am 27. September 2012 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen; aus diesem ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer durch den Umstand, dass über ihre Beschwerden trotz des von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Eingriffs in ihre sexuelle Selbstbestimmung durch einen aus zwei männlichen Richtern bestehenden Senat des Asylgerichtshofes entschieden worden ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurden, weshalb die angefochtenen Entscheidungen des Asylgerichtshofes aufzuheben sind."

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Mai 2013 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers in vorliegender Rechtsache abgewiesen und selbiger in die Russische Föderation ausgewiesen.

4. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde am 12. Juni 2013 – entsprechend der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes für das Geschäftsjahr 2013 (vgl. S 3 der angefochtenen Entscheidung) – jenem Senat zugewiesen, der zuvor in den Rechtsachen der Mutter und des Bruders des Beschwerdeführers geurteilt hatte.

5. Dieser Gerichtssenat gab der Beschwerde des Beschwerdeführers mit der hier angefochtenen Entscheidung vom 26. Juni 2013 gemäß §§3, 8 und 10 Asylgesetz 2005 keine Folge. Begründend führte er – im Wesentlichen – aus:

"Für den minderjährigen Beschwerdeführer wurden im gegenständlichen Fall keine eigenen, individuellen Verfolgungsgründe vorgebracht. Da auch den Angaben seiner Eltern zu den Gründen, weshalb sie ihren Herkunftsstaat verlassen hätten, kein Glauben geschenkt werden konnte und die Beschwerden gegen die ihre zwei Anträge auf internationalen Schutz jeweils abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes vom Asylgerichtshof mit Erkenntnissen abgewiesen wurden, konnte dem Beschwerdeführer auch im Wege des Familienverfahrens gemäß §34 AsylG 2005 kein Asyl gewährt werden und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes deshalb spruchgemäß abzuweisen."

Weiters wurde in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Russische Föderation weder eine Verletzung der Art2 und 3 EMRK noch des Art8 leg.cit. anzunehmen sei.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf Achtung des Privat- und Familienlebens, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Begründend wird dazu – insbesondere – Folgendes ausgeführt:

"In dem gegenständlichen Familienverfahren hat die Mutter des BF sowohl in der Erstbefragung vor der Polizei wie auch in den Einvernahmen vor dem Bundes-asylamt und schließlich in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid vorgebracht, dass sie Opfer einer Vergewaltigung geworden war und daher fliehen musste. Einem solchen Vorbringen kommt zuständigkeitsbegründende Wirkung zu.

[…]

Dadurch, dass über den vorgebrachten Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung ein ausschließlich männlich besetzter Senat des belangten Gerichtshofes entschieden hat, wurde die Mutter des BF in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Dieser Mangel wirkt sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, unmittelbar auf das Verfahren des BF aus.

Zunächst liegt es auf der Hand, dass das Schicksal des BF im Falle seiner Abschiebung auf das Engste mit jenem seiner Mutter verknüpft ist und bleibt. Soweit die Kindesmutter daher Verfolgung zu befürchten hat, wird (gerade vor dem Hintergrund, dass das Problem mittels der Scharia, wie die Kindesmutter in ihrem Verfahren vorgebracht hatte, gelöst werden soll) auch der BF Verfolgung zu gewärtigen haben.

Doch auch unmittelbar nach den die Geschäftsverteilung normierenden Bestimmungen führt die gesetzwidrige Gerichtsbesetzung im Verfahren der Mutter zu einer gesetzwidrigen Gerichtsbesetzung auch im Verfahren des BF. Nach §2 der Geschäftsverteilung des belangten Gerichtshofes für das Jahr 2013 stellt die gegenständliche Rechtssache eine sogenannte Annexsache dar. Nach §2 Abs5 der Geschäftsverteilung liegt eine zuständigkeitsbegründende Annexität vor, wenn sich eine Rechtssache auf ein Familienmitglied einer Person bezieht, auf die sich ein anderes Verfahren bezieht oder bezogen hat, in gegenständlichem Fall: das Verfahren der Mutter. Der für die Mutter eigentlich zuständige, also (ausschließlich) mit Richterinnen besetzte Senat wäre also auch für das Verfahren des BF zuständig gewesen.

In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof in dem vorzitierten Erkenntnis vom 27.09.2012 zu den Zl. U688-690/12-19 festgehalten: 'Da die (Anm.: auf Sachverhaltsebene diesem Fall vergleichbare) Entscheidung betreffend die Erstbeschwerdeführerin (…) durch einen unrichtig zusammengesetzten Spruchkörper getroffen wurde, schlägt dieser Mangel (…) auf die Entscheidung betreffend die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin (Anm.: die minderjährigen Töchter der dortigen Erstbeschwerdeführerin) durch.' Auch in deren Verfahren wurde somit die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter festgestellt.

Dadurch, dass über den Antrag auf internationalen Schutz trotz des Faktums, dass sich das Fluchtvorbringen der Mutter auf eine erlittene Vergewaltigung und somit auf Übergriffe in die sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem ausschließlich männlich besetzten Senat des belangten Gerichtshofes entschieden wurde, wurde die Mutter des BF und in weiterer Folge auch der BF in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

7. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Rechtslage

1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl I 100, stellen sich im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung – auszugsweise – wie folgt dar:

"Status des Asylberechtigten

              §3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

              (2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Z23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

              (3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder

              2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.

              (4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.

              (5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[…]

Status des subsidiär Schutzberechtigten

              §8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

              2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

              (2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach §3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach §7 zu verbinden.

              (3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht.

              (4) – (7) […]

Verbindung mit der Ausweisung

              §10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

              1. der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;

2. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder;

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 vorliegt.

              (2) Ausweisungen nach Abs1 sind unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Art8 EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

              b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

              c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

              d) der Grad der Integration;

              e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

              f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

              (3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

              (4) Eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs1 Z1 verbunden ist, gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

              (5) – (8) […]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes für das Geschäftsjahr 2013 lauten – auszugsweise – wie folgt:

"§2

Annexsachen

              (1) – (4) […]

              (5) Annexität liegt weiters vor, wenn sich eine Rechtssache auf ein Familienmitglied einer Person bezieht, auf die sich ein anderes Verfahren bezieht oder bezogen hat (Bezugsperson). Familienmitglieder in diesem Sinne sind:

1. der Ehegatte der Bezugsperson oder eine Person, die mit der Bezugsperson im Sinne des Art8 EMRK ein Familienleben in Form einer Lebensgemeinschaft führt, sowie die Geschwister, Eltern und Kinder des Ehegatten oder Lebensgefährten;

2., Vorfahren und Nachkommen der Bezugsperson sowie die Ehegatten (und Lebensgefährten) dieser Vorfahren und Nachkommen und die Geschwister und Kinder dieser Ehegatten (und Lebensgefährten);

3. Geschwister der Bezugsperson sowie die Ehegatten (und Lebensgefährten) und Kinder dieser Geschwister.

(6), (7) […]

§19

Fälle der Unzuständigkeit

(1) – (4) […]

              (5) Ist ein Richter als Einzelrichter oder als Vorsitzender eines Senates in einer Rechtssache wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß §20 AsylG unzuständig und wird ihm aus diesem Grund diese Rechtssache abgenommen, so verliert er damit gleichzeitig auch seine Zuständigkeit für alle Rechtssachen, die zu dieser Rechtssache annex oder zu denen diese Rechtssache annex ist."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000 und 16.572/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof im vorliegenden Fall unterlaufen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung beginnend mit seinem Erkenntnis VfSlg 19.671/2012 judiziert, ist eine Rechtsache, in der ein Asylwerber einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung spätestens in der Beschwerde an den Asylgerichtshof geltend macht, gemäß §20 Abs2 Asylgesetz 2005 gleich bei Beschwerdeanfall (und nicht nur bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung) einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat zur Behandlung zuzuweisen, sofern der Asylwerber nichts anderes verlangt.

3.2. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur wurden – wie oben dargelegt (s. I.2.) – jene Entscheidungen des Asylgerichtshofes, in denen über die Beschwerden der Mutter und des Bruders des mj. Beschwerdeführers abgesprochen wurde, von einem unzuständigen, weil ausschließlich aus männlichen Richtern bestehenden Senat getroffen, weswegen diese Entscheidungen – auf Grund der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter – vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. Juni 2013, U2285-2286/2012, (zugestellt am 17. Juli 2013) aufgehoben wurden.

3.3. Die Rechtsache des mj. Beschwerdeführers wurde am 12. Juni 2013 in Anwendung der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes erneut demselben – unzuständigen – Gerichtssenat zugewiesen. Dieser Senat stellte unter Verweis auf die – von ihm angenommene – Unglaubwürdigkeit der Mutter, deren Verfahren noch anhängig ist, beim Beschwerdeführer fest, dass auch das Vorbringen des Beschwerdeführers selbst nicht asylrelevant sei. Dabei übersieht der Senat, dass er gemäß §2 Abs5 der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes für das Jahr 2013 selbst gar nicht mehr zuständig ist.

3.4. Der Mangel der unrichtigen Zusammensetzung des Spruchkörpers im Fall der Mutter und des Bruders des Beschwerdeführers schlägt damit gemäß §19 Abs5 und §2 Abs5 der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes für das Geschäftsjahr 2013 auf die den Beschwerdeführer betreffende Entscheidung durch (vgl. VfSlg 19.671/2012 und die Folgerechtsprechung).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Behördenzuständigkeit, Behördenzusammensetzung, Asylgerichtshof

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U1820.2013

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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