TE Vwgh Erkenntnis 2000/10/5 97/21/0218

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Veröffentlicht am 05.10.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art140 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des S in der Türkei, geboren am 26. Oktober 1958, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. August 1996, Zl. Fr 2908/96, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde auf ein Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. April 1992, wonach der Beschwerdeführer wegen der §§ 146, 147 Abs. 2 und 148 zweiter Fall (schwerer gewerbsmäßiger Betrug) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt nachgesehen auf drei Jahre, rechtskräftig verurteilt worden sei, sowie auf eine weitere rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 19. Dezember 1994 wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges mit einem S 500.000,-- übersteigenden Schaden und des Vergehens der Urkundenfälschung gemäß §§ 146, 147 Abs. 3, 148 zweiter Fall sowie § 229 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Obwohl bereits nach der ersten rechtskräftigen Verurteilung Gründe für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorgelegen und dem Beschwerdeführer die "Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und die Abschiebung in (sein) Heimatland bei neuerlichen Verstößen gegen die hiesige Rechtsordnung zur Kenntnis gebracht worden ist", habe der Beschwerdeführer wiederholt massiv in das Rechtsgut des fremden Vermögens eingegriffen, was zur zweiten Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien geführt habe. Durch diese rechtskräftigen Bestrafungen werde dokumentiert, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich in die österreichische Rechtsordnung einzufügen. Darüber hinaus habe sich der Beschwerdeführer mehrerer - wenn auch nicht schwer wiegender - Verwaltungsstraftaten nach dem KFG und der StVO schuldig gemacht.

Auf Grund der rechtskräftigen Verurteilungen sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und auch die im Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Zu beachten sei allerdings, dass der Beschwerdeführer bereits im April 1975 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und sich seither, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung von Jänner bis Mai 1976, ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer sei verheiratet, seine Gattin und seine Mutter lebten allerdings in der Türkei. Zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung sei der Beschwerdeführer in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Er habe seinen Angaben zufolge mit einer in Österreich lebenden türkischen Staatsangehörigen ein gemeinsames Kind und eine österreichische Staatsbürgerin beabsichtige, den Beschwerdeführer zu adoptieren. Auch lebten zwei Geschwister des Beschwerdeführers in Österreich. Auf Grund der langen Aufenthaltsdauer sei von einer fortgeschrittenen Integration auszugehen.

Dennoch sei auf Grund der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen "Gerichtsdelikte" die Erlassung des Aufenthaltsverbotes trotz der im Inland bestehenden familiären Bindungen nicht nur zulässig, sondern zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Verhinderung strafbarer Handlungen - dringend geboten. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer auch in seinem Heimatstaat Türkei über familiäre Beziehungen verfüge.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist anzumerken, dass der angefochtene Bescheid angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren offensichtlich in den Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, eine Grundlage fände und somit nicht gemäß § 114 Abs. 4 leg. cit. außer Kraft getreten ist (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe vom mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist somit die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen erheblich gefährdet.

§ 18 Abs. 1 FrG ordnet sohin an, dass bei Vorliegen eines der in Abs. 2 aufgezählten Tatbestände auf der Grundlage des entsprechenden Sachverhaltes eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen ist, ob in concreto die umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Um diese Gefährlichkeitsprognose treffen zu können, ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 2000, Zl. 96/21/0591).

Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde nicht die - in der obigen Sachverhaltsdarstellung angeführten - rechtskräftigen Verurteilungen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien.

Durch die strafgerichtlichen Verurteilungen wurde der Tatbestand nach § 18 Abs. 2 Z. 1 erster, zweiter und vierter Fall FrG erfüllt und es besteht angesichts seines Fehlverhaltens kein Zweifel an der Verwirklichung der in Abs. 1 leg. cit. umschriebenen Annahme.

Die Beschwerde legt ihr Schwergewicht darauf, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht dringend geboten sei bzw. die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen würden.

Gemäß § 19 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Weiters darf gemäß § 20 Abs. 1 FrG ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist nach der letztgenannten Gesetzesstelle auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Die belangte Behörde verkennt in ihren Ausführungen nicht, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines 21-jährigen Aufenthaltes in Österreich hier weitgehend integriert ist. Auch die familiären und privaten Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich wurden - neben jenen in der Türkei - von der belangten Behörde berücksichtigt.

Wenn sie jedoch angesichts der besonderen Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last fallenden Straftaten (schwerer gewerbsmäßiger Betrug mit hoher Schadenssumme) und des daraus abgeleiteten hohen Grades der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und fremden Eigentums durch den Beschwerdeführer das Aufenthaltsverbot als dringend geboten im Sinn des § 19 FrG erachtete und bei der Abwägung nach § 20 Abs. 1 FrG den öffentlichen Interessen an den Erlassung des Aufenthaltsverbotes zumindest gleich großes Gewicht beimaß wie den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers, so begegnet diese Beurteilung seitens des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken. Gegenüber einem derart gravierenden, wiederholten Fehlverhalten und der daraus abzuleitenden Prognose einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit haben die zweifellos ebenfalls gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers zurückzutreten, zumal sich dieser trotz Androhung eines Aufenthaltsverbotes nicht von der Begehung einer weiteren schweren Straftat abhalten ließ.

Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Entscheidungen des EGMR vom 18. Februar 1991 im Fall Moustaquim gegen Belgien, vom 26. März 1992 im Fall Beldjoudi gegen Frankreich und vom 13. Juli 1995 im Fall Nasri gegen Frankreich vermag die Beschwerde nicht zum Erfolg zu führen. Die diesen Entscheidungen zu Grunde liegenden Sachverhalte waren nämlich in wesentlichen Punkten anders gelagert:

Im Fall Beldjoudi wertete der EGMR als entscheidend, dass der (1950) in Frankreich geborene Fremde und seine Eltern bis 1. Jänner 1963 die französische Staatsbürgerschaft hatten. Er war seit über 20 Jahren mit einer Französin verheiratet, der eheliche Wohnsitz war stets in Frankreich. Der EGMR nahm primär auf die persönlichen Verhältnisse der Ehefrau des Fremden (die auch Mitbeschwerdeführerin war) Bedacht. Würde sie (die französische Staatsbürgerin) ihrem Gatten nach seiner Ausweisung folgen, müsste sie sich im Ausland (vermutlich in Algerien) niederlassen. Sie würde entwurzelt werden und hätte große Schwierigkeiten, sich anzupassen. Der EGMR erblickte darin eine Gefährdung der Ehe.

Im Fall Moustaquim war von wesentlicher Bedeutung, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von zwei Jahren nach Belgien gelangt ist und die ihm zur Last gelegten Straftaten in seiner Jugendzeit begangen hat.

Im Fall Nasri wurde vor allem auf die Behinderung des Beschwerdeführers - er ist seit seiner Geburt taubstumm - Bedacht genommen.

Der Beschwerdeführer weist zwar einen langen inländischen Aufenthalt und intensive Beziehungen in Österreich auf, kann aber nicht auf einen so durchschlagenden, für seinen Verbleib in Österreich sprechenden Umstand verweisen, dass trotz seiner Gefährlichkeit von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand genommen werden müsste.

Wenn die Beschwerde die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 2 FrG, worin auf die Strafdrohung und nicht auf die Höhe der tatsächlich verhängten Freiheitsstrafe abgestellt wird, in Zweifel zieht, so ist ihr entgegenzuhalten, dass auch das durch die Strafdrohung ausgedrückte Gewicht der Straftat auf das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Einfluss hat. Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung hegt der Verwaltungsgerichtshof daher keine Bedenken (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 28. November 1996, Zl. 96/18/0498).

Soweit die Beschwerde den angefochtenen Bescheid infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften für rechtswidrig hält, ist sie ebenfalls nicht berechtigt. Der Beschwerdeführer wirft in dieser Hinsicht der belangten Behörde vor, dass sie ihre Feststellungen ohne weitere Ermittlungen über seine Beziehungen im Inland und ohne eine weitere Vernehmung seiner Person getroffen habe.

Dieser Mängelrüge kommt keine Relevanz zu, weil der Beschwerdeführer nicht aufzeigt, zu welchen konkreten, für ihn günstigen Feststellungen die belangte Behörde hätte gelangen können. Im Übrigen hat die belangte Behörde ohnehin festgestellt, dass private und familiäre Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich vorhanden seien und dieser hier integriert sei.

Die Beschwerde war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die beantragte Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 5. Oktober 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997210218.X00

Im RIS seit

05.02.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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