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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Dr. Mayr sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der P GmbH in P, vertreten durch Masser & Partner Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. Oktober 2013, Zl. UVS-ANL/8/10454/2013-1, betreffend gewerbliche Betriebsanlage (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; mitbeteiligte Partei: A K in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (belangte Behörde) wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Akteneinsicht im Verfahren der Genehmigung der gewerblichen Betriebsanlage (Gasthaus) der mitbeteiligten Partei im Standort W, D-straße 28, im Instanzenzug gemäß den §§ 8, 17 Abs. 1 und 42 Abs. 1 AVG iVm § 81 GewO 1994 zurückgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei Mehrheitseigentümerin und Hausverwalterin der Liegenschaft W, D-straße 28. Die gegenständliche Betriebsanlage, in deren Genehmigungsakt die Beschwerdeführerin Akteneinsicht begehre, sei mit näher bezeichneten Bescheiden genehmigt worden. Im letzten Genehmigungsverfahren sei 1997 eine ordnungsgemäß kundgemachte Augenscheinverhandlung durchgeführt worden. Die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Durchführung der Verhandlung noch nicht Eigentümerin der Liegenschaft gewesen und habe weder bei der Verhandlung noch davor Einwendungen erhoben.
Die Beschwerdeführerin sei juristische Person und könne daher nicht im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 belästigt werden.
Auch sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin (wie sich auch aus einem von Amts wegen beigeschafften Grundbuchsauszug ergebe) zum Zeitpunkt der Erlassung des letzten Genehmigungsbescheides nach § 81 GewO 1994 vom 18. Februar 1998 noch nicht dinglich Berechtigte des Grundstückes W, D-straße 28, gewesen sei. Somit sei die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der letzten Anlagengenehmigung noch nicht Nachbarin im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1994 gewesen, weshalb ihr im gegenständlichen Verfahren auch keine Parteistellung zugekommen sei. Schon aus diesem Grund komme der Beschwerdeführerin gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1994 in Folgeverfahren nach § 79 GewO 1994 als nachträglich zugezogene Nachbarin keine Parteistellung zu.
Zwar könnten sich Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ebenso auf § 17 AVG berufen (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 6. September 2011, Zl. 2011/05/0072), dies setze allerdings voraus, dass die Akteneinsicht den Zweck verfolge, diese rechtskräftig abgeschlossene, und nicht eine andere Sache zu betreiben. Selbst wenn also die Beschwerdeführerin Parteistellung in den genannten Betriebsanlagengenehmigungsverfahren gehabt hätte, wäre sie nach dem Vorgesagten nicht zur Akteneinsicht berechtigt, da sie diese im Hinblick auf ein von ihr angestrebtes Unterlassungsverfahren und somit zur Verfolgung einer anderen Rechtssache als dem Betriebsanlagengenehmigungsverfahren benötige und begehrt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
2. Im Beschwerdefall geht es alleine um die Frage, ob die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zu Recht die Akteneinsicht in den Betriebsanlagenakt der mitbeteiligten Partei verweigerte.
3. Gemäß § 17 Abs. 1 AVG können die Parteien, soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.
Gemäß § 17 Abs. 3 AVG sind von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
Das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 17 AVG kommt den Parteien eines anhängigen oder abgeschlossenen Verfahrens - unter den sonstigen Beschränkungen - unabhängig davon zu, zu welchem Zweck sie die Akteneinsicht begehrt haben. Die Partei ist daher auch nicht verpflichtet zu begründen, zu welchem Zweck sie Akteneinsicht benötigt (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 22. Oktober 2013, Zl. 2012/10/0002).
4. Darauf, dass die vorliegend begehrte Akteneinsicht einer Beschränkung nach § 17 Abs. 3 AVG unterliege, hat sich die belangte Behörde jedoch nicht berufen.
Es kommt im Beschwerdefall - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nach dem oben angeführten Erkenntnis eines verstärkten Senates nicht darauf an, zu welchem Zweck die Beschwerdeführerin Akteneinsicht begehrte.
Vielmehr kommt es alleine darauf an, ob die Beschwerdeführerin als Mehrheitseigentümerin des Grundstückes, auf dem die Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei betrieben wird, Partei der bereits abgeschlossenen Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens ist, in deren Akten sie Einsicht nehmen will.
5. Die insoweit maßgeblichen Bestimmungen der GewO 1994 lauten:
"§ 74. ...
(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,
1. das Leben oder die Gesundheit ... der Nachbarn ... oder
das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,
2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,
...
§ 75. (1) Unter einer Gefährdung des Eigentums im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 ist die Möglichkeit einer bloßen Minderung des Verkehrswertes des Eigentums nicht zu verstehen.
(2) Nachbarn im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Als Nachbarn gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe der Betriebsanlage aufhalten und nicht im Sinne des vorherigen Satzes dinglich berechtigt sind. Als Nachbarn gelten jedoch die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich, wie etwa in Beherbergungsbetrieben, Krankenanstalten und Heimen, regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, und die Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen.
...
§ 81. (1) Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist."
6. Zunächst vertritt die belangte Behörde zu Recht die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin als juristische Person nicht in ihrem Leben oder in ihrer Gesundheit gefährdet oder im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 belästigt sein kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2006, Zl. 2003/04/0159, mwN).
Die - von der Beschwerdeführerin behauptete - Parteistellung "als verlängerter Arm der Mieter" und somit von natürlichen Personen als Nachbarn im Hinblick auf eine Gefährdung oder Belästigung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 ist im Gesetz nicht vorgesehen. Dass die Beschwerdeführerin von den Nachbarn der Betriebsanlage gemäß § 10 AVG bevollmächtigt worden wäre, hat sie nicht vorgebracht.
7. Eine Nachbarstellung der Beschwerdeführerin als juristische Person käme daher nach § 75 Abs. 2 erster Satz GewO 1994 nur als Eigentümerin oder sonst dinglich Berechtigte in Frage (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2006, Zl. 2003/04/0159, mwN).
Die Beschwerdeführerin ist Mehrheitseigentümerin des Grundstückes, auf dem die gegenständliche gewerbliche Betriebsanlage betrieben wird. Auch dem Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Betriebsanlage errichtet werden soll bzw. errichtet wurde, kommt, wenn er nicht gleichzeitig Inhaber bzw. Betreiber der Betriebsanlage ist, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 GewO 1994 die Rechtsstellung eines Nachbarn zu (vgl. das zur vergleichbaren Rechtslage der GewO 1973 ergangene hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1992, Zl. 92/04/0031; vgl. auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3 (2011), 781, Rz. 3 zu § 75). Das Gesetz stellt auf die Auswirkungen der Betriebsanlage ab, die von der errichteten und betriebenen Anlage ausgehend auf die Umgebung, insbesondere die Nachbarn samt ihrem Eigentum und ihren dinglichen Rechten voraussichtlich einwirken. Zu einer im Sinn des § 77 Abs. 1 iVm § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 relevanten Gefährdung kann es somit nur durch den Betrieb der Betriebsanlage kommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. September 2005, Zl. 2004/04/0079, mwN).
Für die Parteistellung als Eigentümerin oder sonst dinglich Berechtigte kommt es jedoch nicht - wie von der belangten Behörde angenommen - darauf an, ob die Beschwerdeführerin als solche bereits in den seinerzeitigen Genehmigungsverfahren Parteistellung hatte.
Vielmehr ist die Parteistellung als Eigentümerin oder sonst dinglich Berechtigte wesensmäßig mit einer Sache verbunden und wird daher durch einen Wechsel in der Person des Eigentümers oder dinglich Berechtigten nicht berührt (vgl. Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 19912 (2014), Rz. 26 zu § 8 AVG und die dort zitierte Rechtsprechung).
Entscheidend ist daher, ob der bzw. die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin im entsprechenden Betriebsanlagengenehmigungsverfahren Parteistellung hatten. Dazu hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage keine entsprechenden Feststellungen getroffen.
8. Aus diesem Grund hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
9. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden, weil es im vorliegenden Fall nicht um Fragen der Beweiswürdigung oder strittige Tatsachenfeststellungen geht, sondern Verfahrensgegenstand nur die Lösung von Rechtsfragen ist, weshalb Art. 6 EMRK dem Unterbleiben der mündlichen Verhandlung nicht entgegensteht (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 2013, Zl. 2011/04/0034, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 18. Juli 2013, Nr. 56422/09, Schädler-Eberle gegen Liechtenstein, mwN).
10. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 29. April 2014
Schlagworte
Gewerberecht Nachbar RechtsnachfolgerIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2013040157.X00Im RIS seit
28.05.2014Zuletzt aktualisiert am
16.03.2018