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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §114 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, vom 2. Mai 2013, Zl. E1/13.153/2013, betreffend Versagung der Ausstellung eines Konventionsreisepasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Oktober 1998 nach Österreich ein, wo er einen Asylantrag stellte. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. März 1999 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. In der Folge erhielt der Beschwerdeführer einen vom 11. Februar 2000 bis 10. Februar 2002 gültigen Konventionsreisepass.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde einen weiteren Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Oktober 2012 auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses gemäß (erkennbar: § 94 Abs. 5 iVm) § 92 Abs. 1 Z 4 und Z 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.
Die belangte Behörde begründete dies zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer am 18. Mai 2004 vom Landesgericht für Strafsachen Wien im Zusammenwirken mit dem Urteil dieses Gerichtes vom 9. Oktober 2003 und unter Bedachtnahme auf das Urteil des Amtsgerichtes Regensburg vom 5. Juni 2001 wegen des Verbrechens der Bandenbildung nach § 178 Abs. 1 StGB gemäß §§ 31, 40 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer sei u. a. auch wegen des Verbrechens der Schlepperei gemäß § 104 Abs. 1 bis 3 und Abs. 3 (richtig: Abs. 5) Fremdengesetz 1997 verurteilt worden, weil er - den Urteilen zufolge - in Wien und anderen Orten Österreichs fortgesetzt, mehrfach und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung von März bis einschließlich September 2001 die rechtswidrige Einreise von - insgesamt weit mehr als 500 - Fremden von Österreich aus nach Deutschland und in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert habe, ein Entgelt zu erzielen. Des Weiteren habe sich der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum mit teilweise namentlich bekannten Mittätern mit dem Vorsatz verbunden, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Verbindung fortgesetzt ausbeuterische Schlepperei betrieben werde.
Die in den Jahren 2008, 2009 und 2010 gestellten Anträge auf Ausstellung eines neuen Konventionsreisepasses, die abgewiesen worden seien, habe der Beschwerdeführer damit begründet, dass er sich seit seiner Haftentlassung im Jahr 2006 wohlverhalten und am 21. Juli 2008 geheiratet habe. Er benötige den Konventionsreisepass, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden und seine Eltern und seine Schwester in Deutschland besuchen zu können. Die Tathandlungen lägen sehr lange zurück und die Tilgung der Verurteilung sei demnächst zu erwarten. Seit der Enthaftung sei er laufend beschäftigt und er habe ein monatliches Nettoeinkommen von etwa EUR 1.000,--. Im gegenständlichen Antrag habe der Beschwerdeführer zusätzlich vorgebracht, dass vor einem Jahr sein Sohn geboren worden sei.
Diesem Vorbringen hielt die belangte Behörde entgegen, dass der Beschwerdeführer seinerzeit in führender Position mit anderen Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung von März bis September 2001 fortgesetzt in mehreren Tathandlungen und gewerbsmäßig, gegen einen nicht bloß geringen Vermögensvorteil die rechtswidrige Einreise einer Vielzahl von Fremden, die aus ihrem Heimatland nach Österreich gebracht worden seien, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union vorsätzlich gefördert habe. Außerdem sei er in diesem Zeitraum Mitglied einer auf längere Zeit angelegten Verbindung einer größeren Anzahl von Personen gewesen, die auf die wiederkehrende Begehung schwer wiegender strafbarer Handlungen im Bereich der Schlepperei ausgerichtet gewesen sei.
Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Mit der ständigen Zunahme der Emigration steige auch das öffentliche Interesse an einer geordneten Überwachung der Reise- und Wanderbewegungen Fremder. Diesem öffentlichen Interesse stehe das Schlepperunwesen, im Speziellen die gewerbsmäßige Schlepperei, entgegen, zumal diese zum Großteil - wie auch die Verurteilung des Beschwerdeführers beweise - in enger Verflechtung mit der internationalen organisierten Kriminalität betrieben werde. Die Geschleppten würden nur allzu oft finanziell ausgebeutet und es bestehe meist auch noch nach erfolgter Schleppung eine Abhängigkeit, etwa zur Abarbeitung eines noch nicht bezahlten Schlepperlohns, was wiederum in Schwarzarbeit oder kriminelle Handlungen münde. Schutzgegenstand des Straftatbestands der Schlepperei seien sowohl staatliche Hoheitsrechte als auch die Freiheit der Geschleppten. Durch die organisierte Kriminalität und den "Kriminalitätstourismus" werde das Zusammenleben in einer Gemeinschaft empfindlich gestört und die allgemeine Rechtssicherheit beeinträchtigt, sodass die Unterbindung der Schlepperei auch den öffentlichen Frieden schütze. Schon im Hinblick auf die Höchststrafe für gewerbsmäßige Schlepperei von fünf Jahren und im Falle der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung von sogar zehn Jahren sei zu erkennen, wie groß das öffentliche Interesse an deren Unterbindung sei. Darüber hinaus sei bei der Schlepperei die Gefahr der Tatwiederholung geradezu wesensimmanent.
Die Versagung eines Konventionsreisepasses stelle eine vorbeugende Sicherungsmaßnahme zur Abwendung künftiger Straftaten dar. Da der Beschwerdeführer den Tatbestand der gewerbsmäßig ausgeübten, gerichtlich strafbaren Schlepperei verwirklicht habe, diene die getroffene Maßnahme der Verhinderung weiterer Straftaten dieser Art, etwa durch Reisen ins Ausland. Auch wenn seit Ende des Strafvollzuges am 16. Oktober 2006 bereits etwa sechseinhalb Jahre verstrichen seien, könne wegen des bei der Schlepperei immer gegebenen Auslandsbezuges, der Vielzahl von Geschleppten und der gewerbsmäßigen Tatausführung noch keinesfalls eine günstige Zukunftsprognose gestellt oder eine durchschlagende Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die innere Sicherheit der Republik Österreich im Zuge von Auslandsreisen und der Wiederholung der Schlepperei konstatiert werden. Der seit der Haftentlassung verstrichene Zeitraum sei jedenfalls noch zu kurz, um davon ausgehen zu können, dass der Beschwerdeführer mit Sicherheit nicht rückfällig werde. Überdies könne der Sohn des Beschwerdeführers auf Grund moderner Fortbewegungsmittel von seinen im Ausland lebenden Verwandten unabhängig von deren Alter auch in Österreich besucht werden oder es könne seine Mutter die Auslandsreise mit ihm durchführen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Voranzustellen ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grund der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (Mai 2013) zu überprüfen hat, sodass im vorliegenden Fall die Bestimmungen des FPG idF BGBl. I Nr. 68/2013 anzuwenden sind.
Dem Beschwerdeführer kommt infolge des Bescheides des Bundesasylamtes vom 8. März 1999 der Status eines Asylberechtigten zu, sodass ihm gemäß § 94 Abs. 1 FPG grundsätzlich auf Antrag ein Konventionsreisepass auszustellen ist. Gemäß § 94 Abs. 5 letzter Halbsatz FPG gelten die Bestimmungen nach § 88 Abs. 4 sowie §§ 89 bis 93 FPG, die sich auf Fremdenpässe beziehen, auch für Konventionsreisepässe. Gemäß § 92 Abs. 1 FPG ist die Ausstellung eines solchen Passes (u.a.) zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Fremde das Dokument benützen will, um Schlepperei zu begehen oder an ihr mitzuwirken (Z 4), oder durch den Aufenthalt des Fremden im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde (Z 5).
Der Beschwerdeführer wendet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die von der belangten Behörde in diesem Sinn vorgenommene Prognosebeurteilung und rügt eine fehlende Begründung dafür, weshalb die belangte Behörde trotz seines einwandfreien Lebenswandels über einen sehr langen Zeitraum, des sehr langen Zurückliegens der Straftaten von mehr als zwölf Jahren, und obwohl er seit seiner Haftentlassung arbeite, seit Juli 2008 verheiratet und seit dem Jahr 2012 Vater sei, niemals wieder straffällig geworden sei und zur Schlepperszene keinen Kontakt mehr habe, dennoch davon ausgegangen sei, er werde den Konventionsreisepass für "Schlepperzwecke" verwenden.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Verurteilungen und die diesen nach den Ausführungen der belangten Behörde zu Grunde liegenden Straftaten nicht. Zunächst ist unter diesem Gesichtspunkt darauf hinzuweisen, dass die den Beschwerdeführer betreffenden Strafurteile nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen, sodass sie als Einheit zu werten und nur als eine rechtskräftige Verurteilung anzusehen sind (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0282, mwN).
Der belangten Behörde ist darin zu folgen, dass die vom Beschwerdeführer von März bis September 2001 in Bezug auf eine sehr große Anzahl Fremder gewerbsmäßig gegen die Zusage eines nicht unbeträchtlichen Entgelts und im Zusammenwirken in einer kriminellen Vereinigung begangene Schlepperei eine große Wiederholungsgefahr indiziert. So hat der Beschwerdeführer die Straftat ungeachtet der Asylgewährung durch Österreich und vor allem unter Verwendung des nicht lange zuvor ausgestellten Konventionsreisepasses verübt. Damit hat sich die maßgebliche Annahme im Sinn der Z 4 des § 92 Abs. 1 FPG in der Vergangenheit verwirklicht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 5. Juli 2012, Zl. 2010/21/0345).
Im vorliegenden Fall war jedoch zu berücksichtigen, dass seit der Tatbegehung bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ein Zeitraum von etwa elf Jahren und acht Monaten verstrichen war, in welchem sich der Beschwerdeführer offenbar einwandfrei verhalten hat. Selbst seit dem von der belangten Behörde festgestellten Ende der Strafhaft waren bereits etwa sechs Jahre und sieben Monate verstrichen. Das Wohlverhalten des Beschwerdeführers in diesem Zeitraum wird auch von der belangten Behörde nicht angezweifelt. Angesichts des unbeanstandeten Verhaltens des Beschwerdeführers über einen sehr langen, insgesamt als relevant zu qualifizierenden Zeitraum hätte die belangte Behörde diesem Umstand bei der Prognosebeurteilung maßgebliche Bedeutung zumessen müssen (siehe etwa das Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0253).
Darüber hinaus ist die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, wonach sich seine persönlichen Verhältnisse in den letzten Jahren maßgeblich verändert hätten, nicht entgegengetreten. Danach ist der Beschwerdeführer seit seiner Haftentlassung im Oktober 2006 legal beschäftigt, seit Juli 2008 in aufrechter Ehe verheiratet und seit 2012 Vater eines Kindes. Angesichts dessen hätte es aber einer näheren Begründung bedurft, weshalb der Beschwerdeführer ungeachtet seiner mittlerweile erlangten sozialen und wirtschaftlichen Integration noch immer das Risiko der Begehung von Schlepperei eingehen sollte (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0253). Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid mit seinen allgemein gehaltenen Ausführungen, die eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation des Beschwerdeführers vermissen lassen, nicht gerecht.
Der angefochtene Bescheid war daher angesichts der aufgezeigten Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014 und erfolgte in dem durch Vorlage der Einzahlung der Eingabegebühr ausdrücklich verzeichneten Umfang.
Wien, am 10. April 2014
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2013220314.X00Im RIS seit
22.05.2014Zuletzt aktualisiert am
05.06.2014