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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Beschwerde der Dr. M F in B, vertreten durch Dr. Karl Zach, Rechtsanwalt in 1230 Wien, Haeckelstraße 10, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. März 2011, Zl. RU1-BR-1116/006-2010, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde B und 2. M H in B), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin stellte am 26. Mai 2008 an die Gemeinde B den Antrag auf Beseitigung des auf der Nachbarliegenschaft S Allee 19 im Juli 2007 errichteten Sickerschachtes, weil für dieses Bauwerk keine Baubewilligung vorliege, das Bauwerk unzulässig sei und es das auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin vorhandene unterirdische Gewölbe gefährde, zu dessen Erhaltung sie verpflichtet sei.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Gemeindevorstands der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 9. Dezember 2008 wurde dieser Antrag gemäß § 1 Abs. 3 Z 3 Nö Bauordnung 1996 (BauO) iVm § 35 leg. cit. als unzulässig zurückgewiesen.
Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 5. Mai 2009 die dagegen erhobene Vorstellung als unbegründet ab.
Mit Schreiben vom 29. August 2009 beantragte die Beschwerdeführerin gemäß § 35 BauO die Beseitigung des auf der Nachbarliegenschaft S Allee 19 im Juli 2007 errichteten Sickerschachtes, weil für dieses Bauwerk keine Baubewilligung vorliege, das Bauwerk unzulässig sei und es den auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin im seitlichen Bauwich vorhandenen Hauskanalstrang gefährde.
Darüber entschied der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Bescheid vom 31. März 2010 in Form der Zurückweisung dieses Antrages wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG).
Die mit Vorstellung der Beschwerdeführerin bekämpfte abweisende Berufungsentscheidung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 19. August 2010 behoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde zurückverwiesen.
Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe zu Recht eingewendet, dass sich ihr Antrag vom 29. August 2009 auf die Gefährdung ihres Hauskanalstranges gestützt habe, während sich ihr Antrag vom 25. Mai 2008 auf die Gefährdung des unterirdischen Bachgewölbes bezogen habe, sodass sich der verfahrensgegenständliche Antrag auf eine andere Sache bezogen habe als jener des Jahres 2008. Es liege daher keine Identität der Sache vor. Die Berufungsbehörde habe im fortgesetzten Verfahren in der Sache selbst zu entscheiden, wobei sie zu berücksichtigen haben werde, dass ein Hauskanalstrang gemäß den Bestimmungen des § 17 Abs. 1 Z 1 BauO ein bewilligungs- und anzeigefreies Vorhaben sei, das daher nicht vom Regime der BauO umfasst werde, und dass privatrechtliche Ansprüche gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Zivilrechtsweg zu verweisen seien.
Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde erließ daraufhin mit Bescheid vom 13. September 2010 eine neuerliche Berufungsentscheidung, in der der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides, welcher auf Zurückweisung wegen entschiedener Sache gelautet hatte, in eine Zurückweisung als unzulässig im Grunde des § 17 Abs. 1 Z 1 BauO abgeändert wurde. Das darüber hinausgehende Berufungsbegehren wurde als unbegründet abgewiesen.
Die Berufungsbehörde begründete diese Entscheidung damit, dass zwar tatsächlich durch die Behörde erster Instanz im Bescheid vom 31. März 2010 unzulässigerweise der Antrag vom 29. August 2009 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei, aber dennoch keine Veranlassung bestanden habe, ein Prüfungsverfahren einzuleiten bzw. eine Sachentscheidung vorzunehmen. Die BauO lege in den Bestimmungen der §§ 14 bis 16 fest, in welchen Fällen eine baubehördliche Bewilligung erforderlich sei oder eine Bauanzeige zu erstatten sei. Darüber hinaus seien in § 17 Abs. 1 BauO Vorhaben angeführt, die weder einer Bewilligungs- noch einer Anzeigepflicht unterlägen. Aus den zitierten Bestimmungen ergebe sich zweifelsfrei, dass für die Herstellung von Anschlussleitungen und Hauskanälen weder eine Baubewilligung zu erwirken noch eine Bauanzeige zu erstatten sei. Daraus folge, dass diese Vorhaben nicht dem Bewilligungsumfang der BauO unterlägen. Somit besäßen auch die Nachbarn keine Parteirechte, da eben keine Bewilligungspflicht gegeben sei. Parteienrechte ergäben sich nur bei Erforderlichkeit einer Baubewilligung.
Wie bereits die Vorstellungsbehörde in ihrer Entscheidung vom 19. August 2010 ausgeführt habe, unterlägen derartige Vorhaben wie Hauskanäle und Anschlussleitungen nicht dem Regelungsinhalt der BauO, weshalb auch keine Zuständigkeit der Baubehörden gegeben sei. Es sei daher im gegenständlichen Fall von Baubehörden kein Verfahren durchzuführen und die Beschwerdeführerin auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. März 2011 wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt sei, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung anstelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Gegenstand des Verfahrens seien ausschließlich Rechtsfragen gewesen. Die Berufungsbehörde habe zu Recht über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 29. August 2009 entschieden. Nach den zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung anzuwendenden Bestimmungen der BauO in der Fassung der Novelle 2009 (LGBl. 8200-16) sei die Herstellung von Anschlussleitungen und Hauskanälen bewilligungs- und anzeigefrei gewesen, während zum Zeitpunkt der Errichtung des Hauskanalstrangs im Jahr 1989 eine Kompetenz der Baubehörde bestanden habe. Nunmehr seien die Baubehörden nicht mehr zur Durchführung von Verfahren, die sich auf Anschlussleitungen und Hauskanäle bezögen, zuständig. Dies habe die Berufungsbehörde richtig erkannt und daher zu Recht den Antrag der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Marktgemeinde - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Als Beschwerdepunkte macht die Beschwerdeführerin die Verletzung in ihrem Recht auf eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG dahingehend geltend, dass der Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 31. März 2010 aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung in erster Instanz unter Bindung an die Rechtsansicht, dass der Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen werden dürfe, zurückverwiesen werde, sowie eine Verletzung im Recht auf Beseitigung des Sickerschachtes auf der Nachbarliegenschaft S Allee 19 gemäß § 35 BauO geltend.
Durch die rechtswidrige Nichtbehebung des erstinstanzlichen Bescheides durch die Berufungsbehörde und den rechtswidrigen Austausch der Sache im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG sei die Beschwerdeführerin im Recht auf erstmalige Entscheidung durch die Baubehörde erster Instanz verletzt und es sei hierdurch der Instanzenzug verkürzt worden. In der Berufung sei ausschließlich die Aufhebung des Bescheides mit der Zurückweisung wegen res iudicata begehrt worden. Ein darüber hinausgehendes Berufungsbegehren sei entgegen der Ansicht der Berufungsbehörde nicht vorhanden gewesen und hätte daher auch nicht abgewiesen werden dürfen.
Gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Hauskanal der Beschwerdeführerin unterfalle nicht mehr der BauO, da seit der Novelle 2008 die Errichtung von Hauskanälen weder einer Bewilligung noch einer Anzeige bedürfe, sodass die Baubehörden zur Durchführung von Verfahren in Bezug auf Hauskanäle nicht mehr zuständig seien, bringt die Beschwerdeführerin vor, dass der Hauskanal ein unselbständiger Bestandteil ihres Hauses sei (Zitat VwGH vom 7. September 2004, Zl. 2001/05/1127) und daher als Bauwerk im Sinne des § 4 Z 3 BauO zu qualifizieren sei. Darüber hinaus sei ein Hauskanalstrang auch nicht in § 1 Abs. 1 bis 3 BauO als vom Geltungsbereich der BauO ausgenommen aufgezählt. Ein Hauskanal sei auch nach wie vor nach den Bestimmungen der BauO zu errichten.
Die Auslegung der Behörde führe darüber hinaus zu einem verfassungswidrigen Ergebnis, wenn der Eigentümer eines Hauskanals im Hinblick auf eine Gefährdung durch Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück nicht baurechtlich geschützt werde, ein anderer, der einen Kanalstrang zu einer anzeigepflichtigen Senk- oder anderen Sammelgrube für die Beseitigung der Schmutzwässer errichte, dagegen schon.
§ 6 BauO räume auch nach der Novellierung 2008 dem Eigentümer eines Kanalstrangs im Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren Parteirechte ein.
Auf das gegenständliche Beschwerdeverfahren, das mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig war, sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.
Die Beschwerde wendet sich primär dagegen, dass nach dem bindenden Ausspruch der belangten Behörde im vorangegangenen Verfahren, wonach der verfahrenseinleitende Antrag vom 29. August 2009 nicht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen werden dürfe, die Berufungsbehörde den erstinstanzlichen Bescheid nicht behoben, sondern ihn unter rechtswidrigem Austausch der "Sache" iSd § 66 Abs. 4 AVG aus einem anderen Grund zurückgewiesen und die Beschwerdeführerin dadurch im Instanzenzug verkürzt habe.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
Nach § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde (von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist dabei berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der Unterinstanz gebildet hat (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 zu § 66 AVG, Pkt 8., E 111, zitierte hg. Judikatur). Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist im Fall der Zurückweisung eines Antrages (hier: wegen entschiedener Sache) Sache der Berufungsentscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG nur die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 1. Dezember 1992, Zl. 92/11/0202, vom 29. März 2007, Zl. 2004/20/0191, und vom 6. April 2005, Zl. 2003/09/0187, sowie die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 62, angeführten Nachweise).
Diese der Berufungsbehörde gesetzte Grenze wurde verfahrensgegenständlich überschritten, indem die Berufungsbehörde den bekämpften erstinstanzlichen Bescheid dahingehend abänderte, dass der Antrag gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 BauO als unzulässig zurückgewiesen wurde; vielmehr hätte sie lediglich - in Bindung an die tragenden Gründe der Vorstellungsentscheidung vom 19. August 2010 - über die Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG zu entscheiden gehabt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht eine Bindung an die Begründung eines kassatorischen aufsichtsbehördlichen Vorstellungsbescheides nur insoweit, als die Begründung für die Aufhebung des mit Vorstellung bekämpften gemeindebehördlichen Bescheides tragend ist. Die Bindung erstreckt sich nur auf jene Teile der Begründung, welche die Aufhebung tragen, wobei es einer ausdrücklich geäußerten Rechtsansicht der Vorstellungsbehörde bedarf (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 1992, Zl. 88/17/0101, und vom 15. Oktober 2013, Zl. 2009/02/0364). Soweit sich die Vorstellungsbehörde überdies im Vorhinein zu Rechtsfragen des fortzusetzenden Verfahrens äußert, handelt es sich dabei begrifflich nicht um tragende Aufhebungsgründe, sodass die Berufungsbehörde sich nicht darauf stützen könnte, sie habe die getroffene Entscheidung in Entsprechung der bindenden Ausführungen der Aufsichtsbehörde gewählt.
Dadurch, dass die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG ohne Auseinandersetzung mit dem weiteren Beschwerdevorbringen aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG aF in Verbindung mit § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 8. April 2014
Schlagworte
Bindung an die Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde ErsatzbescheidVerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2011050074.X00Im RIS seit
14.05.2014Zuletzt aktualisiert am
30.05.2014