Index
19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §68 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der A, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 28. Dezember 2012, Zl. 162.487/8- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid bestätigte die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) die in erster Instanz vorgenommene Zurückweisung des am 16. April 2012 eingebrachten Antrages der Beschwerdeführerin, einer armenischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 9 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin am 28. April 2005 gemeinsam mit ihren Eltern nach Österreich eingereist sei und alle Familienmitglieder am selben Tag Asylanträge gestellt hätten. Der Vater und die Mutter der Beschwerdeführerin seien zweimal wegen versuchten Diebstahls rechtskräftig verurteilt worden.
Der Asylantrag der Beschwerdeführerin sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Oktober 2006 in Verbindung mit einer Ausweisung abgewiesen worden. Nach Aufhebung dieses Bescheides durch den Asylgerichtshof habe das Bundesasylamt den Asylantrag neuerlich mit Bescheid vom 31. Juli 2009 in Verbindung mit einer Ausweisung abgewiesen, diese Entscheidung sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. November 2011 bestätigt worden.
In der Folge sei der gegenständliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt worden. Dazu habe die Vertreterin der Beschwerdeführerin bekanntgegeben, dass seit der Ausweisungsentscheidung fünf Monate vergangen wären und sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt maßgeblich geändert hätte. Insbesondere hätte sich die Beschwerdeführerin gut weiterentwickelt und ihre schulischen Erfolge sowie die soziale Integration wären außergewöhnlich gut. Sie spräche ausgezeichnet Deutsch, lernte gut und hätte viele österreichische Kinder in ihrem Freundeskreis. Der Bruder besuchte den Kindergarten, der Vater hätte eine Beschäftigung gefunden.
Der Asylgerichtshof - so die weitere Bescheidbegründung - habe bereits eine detaillierte Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK vorgenommen und die guten Deutschkenntnisse der Familie, den Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich, diverse Empfehlungsschreiben, den Willen zur Selbsterhaltungsfähigkeit und zum ehrenamtlichen Engagement in Österreich, die Verurteilungen der Eltern, den Schulbesuch und die Teilnahme an einer Theatergruppe, die durch den Schulbesuch geknüpften Kontakte und den Besuch des Kindergartens durch den Bruder berücksichtigt. Die Eltern der Beschwerdeführerin hätten bis Ende Juli 2012 Leistungen aus der Grundversorgung bezogen. Hinsichtlich der selbständigen Tätigkeit des Vaters seit 7. September 2008 scheine keine Meldung bei der Sozialversicherungsanstalt auf. Die Eltern hätten im erstinstanzlichen Verfahren Sprachdiplome für das Niveau A2 und eine Einstellungszusage der Mutter vorgelegt. Allein daraus ergebe sich allerdings noch keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG. Es sei nicht erkennbar, dass im Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Ausweisung mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. November 2011 und der Entscheidung der erstinstanzlichen Niederlassungsbehörde am 24. August 2012 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre, der im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine anderslautende Entscheidung hätte herbeiführen können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene, vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Juli 2013, B 194/2013-7, nach Ablehnung ihrer Behandlung abgetretene und nach Aufforderung ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage erwogen:
Gemäß § 8 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, hat der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmungen des B-VG und des VwGG jeweils in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden, wenn - wie hier - der Verfassungsgerichtshof in einem Verfahren gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat.
Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Jänner 2013 sind die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 maßgebend.
Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG ist u.a. ein Antrag wie der vorliegende als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
Der Sache nach ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet. Die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhalts als wesentlich anzusehen ist, können daher auch für die Frage, wann maßgebliche Sachverhaltsänderungen im Sinne des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegen, herangezogen werden. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Bei dieser Prognose sind hier die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände jedenfalls soweit einzubeziehen, als zu beurteilen ist, ob es angesichts dieser Umstände nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, dass im Blick auf früher maßgebliche Erwägungen eine andere Beurteilung nach Art. 8 EMRK unter Bedachtnahme auf den gesamten vorliegenden Sachverhalt nunmehr geboten sein könnte. Eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK muss sich zumindest als möglich darstellen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, Zl. 2012/22/0068.)
In der ergänzten Beschwerde wird vorgebracht, dass das bundesverfassungsgesetzlich gewährleistete Recht "auf Abwägung des Kindeswohles" nicht entsprechend berücksichtigt worden sei und bei Miteinbeziehung der Interessen und Lebensumstände der minderjährigen Beschwerdeführerin eine inhaltlich anders lautende Entscheidung hätte getroffen werden müssen. Die Beschwerdeführerin habe "letzte Woche" mit dem Gymnasium begonnen und es gefalle ihr sehr. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft S setze sich sehr für die Familie ein und es werde auf das beiliegende Empfehlungsschreiben verwiesen.
Damit wird in keiner Weise dargelegt, dass im Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Ausweisung im November 2011 und der Erlassung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides der Niederlassungsbehörde im August 2012 eine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten wäre, die zu einer anderen Beurteilung nach Art. 8 EMRK hätte führen können.
Bemerkt sei, dass die gesamte Familie der Beschwerdeführerin ausgewiesen wurde und somit in das gemeinsame Familienleben mit der vorliegenden Entscheidung nicht eingegriffen wird. Im Hinblick auf die fehlenden Aufenthaltsberechtigungen der übrigen Familienmitglieder und das Alter der im März 2002 geborenen Beschwerdeführerin steht eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK der Verweigerung eines Aufenthaltstitels nicht entgegen, ist doch ein Verlassen des Bundesgebietes mit der Familie im Allgemeinen zumutbar.
Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtsverletzung nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 10. April 2014
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2013220198.X00Im RIS seit
13.05.2014Zuletzt aktualisiert am
05.06.2014