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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags und Ausweisung der Beschwerdeführerin in die Mongolei mangels aktueller Feststellungen zur Lage im HerkunftsstaatSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die am 6. Oktober 1991 geborene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Mongolei und christlichen Glaubens. Sie reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in Österreich ein und stellte am 1. März 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie angab, über Russland nach Österreich gekommen zu sein.
Die Eltern der Beschwerdeführerin seien von einer Reise nach China im Februar 2008 nicht mehr in die Mongolei zurückgekehrt. Im Juli hätten drei Chinesen und ein Mongole der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester angeboten, sie zu ihren Eltern nach China zu bringen, was diese angenommen hätten. In Peking (später gab die Beschwerdeführerin an, es sei Macao gewesen) seien sie in einem Hotel, das sich als Bordell herausgestellt habe, untergebracht worden. Die Eltern hätten sie nicht getroffen, stattdessen seien sie zur Prostitution gezwungen worden. Ende Jänner 2010 habe die Beschwerdeführerin mit Hilfe eines Kunden fliehen können, während ihre Schwester in der Gewalt der Menschenhändler verblieben sei. In Ihrem Heimatort habe sie auf der Straße jene Personen gesehen, die sie zuvor verschleppt hatten. Sie habe vermutet, dass diese sie suchen würden, daher habe sie die Mongolei, ohne sich an die Polizei zu wenden, verlassen. Zuvor habe sich die Beschwerdeführerin in Ulaanbaatar einen Reisepass beschafft und schließlich das Land verlassen. Es sei ihr damals nicht in den Sinn gekommen, sich an die mongolischen Behörden um Hilfe zu wenden.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Dezember 2010 wurden die Anträge der Beschwerdeführerin abgewiesen und ihr weder der Status einer Asylberechtigten noch jener einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin in die Mongolei ausgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde beim Asylgerichtshof. Mit der angefochtenen Entscheidung wies der Asylgerichtshof die an ihn gerichtete Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Der Asylgerichtshof erachtet die Angaben der Beschwerdeführerin im Wesentlichen als glaubwürdig. Dass er dennoch zu einer Abweisung der Beschwerde gelangte, begründet er zusammengefasst damit, dass es sich bei der Verfolgung der Beschwerdeführerin durch Menschenhändler um eine Verfolgung durch Privatpersonen handle. Zur Frage, ob dabei die Beschwerdeführerin bei den staatlichen Stellen in der Mongolei Hilfe bekommen hätte können, führt der Asylgerichtshof auf Basis von Länderfeststellungen Folgendes aus:
"Aus dem oben unter II.2.4 festgestellten Sachverhalt geht weiters hervor, dass der Handel und der Verkauf von Menschen in der Mongolei strafbar sind. Es ergibt sich daraus außerdem, dass es in der Mongolei zwar Verbesserungsbedarf bei der Bekämpfung von Menschenhandel und bei der Unterstützung der Opfer gibt. Es ergibt [sich] daraus schließlich aber auch, dass die Behörden gegen Menschenhändler vorgehen und Schutzorganisationen Hilfe und Unterstützung bieten.
Es ergibt sich somit aus dem Sachverhalt insgesamt nicht, dass eine Verfolgung der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Art infolge nicht ausreichender Schutzgewährung durch den mongolischen Staat oder nichtstaatlicher Einrichtungen in der Mongolei nicht abgewandt werden könnte. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die mongolischen Behörden generell nicht schutzwillig oder schutzfähig sind."
Zur Nichtgewährung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten heißt es in der Begründung der Entscheidung:
"Der Asylgerichtshof ist der Ansicht, dass im Fall der Verbringung der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat weder Art2 EMRK (Recht auf Leben), Art3 EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlichen Behandlung) oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt wird. Es bestehen nämlich keine Hinweise auf Umstände, die eine Abschiebung aus den genannten Gründen unzulässig machen könnten.
Dazu ist zum einen festzustellen, dass, auch wenn die Menschenrechtslage in der Mongolei (insbesondere was die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden betrifft), weiterhin von Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet ist, sich daraus keine die Beschwerdeführerin konkret betreffende Gefahr herleiten lässt.
Es kann nämlich zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in die Mongolei Gefahr läuft, Opfer willkürlicher Verhaftungen durch Sicherheitskräfte zu werden, doch ist die diesbezügliche Wahrscheinlichkeit eher gering. Aus dem unter II.2.4 festgestellten Sachverhalt ergibt sich nämlich nicht, dass Übergriffe der genannten Art in der Mongolei derart verbreitet sind, dass man dieser Gefahr kaum entkommen kann.
Es ist zum anderen auch nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland in eine derart ausweglose Lebenssituation geraten könnte, dass dies einer unmenschlichen Behandlung gleichkäme.
[…]"
Darauf gestützt gelangt der Asylgerichtshof in rechtlicher Hinsicht zunächst zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin in der Mongolei Schutz bei den mongolischen Behörden und Schutzorganisation hätte finden können bzw. nach wie vor finden kann, sodass ihr der Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Der Asylgerichtshof begründet in weiterer Folge noch näher, dass die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs in der Mongolei im Allgemeinen gewährleistet sei und die – nach Ansicht des Asylgerichtshofes im Wesentlichen gesunde – Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr in die Mongolei im Stande sei, grundsätzlich einer Beschäftigung nachzugehen, die ihr den Lebensunterhalt sichert.
Hinsichtlich der Ausweisung stellt der Asylgerichtshof die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich dem öffentlichen Interesse des Staates an der Ausweisung und der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Er hält fest, dass für den Verbleib in Österreich der Aufenthalt von bereits zwei Jahren und neun Monaten sowie die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin sprechen. Weiters sei der Beschwerdeführerin ein Privatleben mit den üblichen sozialen Beziehungen nicht abzusprechen, was aber das Privatleben – wie der Asylgerichtshof festhält – insgesamt nicht als von besonderer Intensität gekennzeichnet erscheinen lässt. Auch sei laut Asylgerichtshof die Beschwerdeführerin nicht als gesundheitlich schwer beeinträchtigt anzusehen, sodass kein Eingriff in Art8 EMRK wegen einer etwaigen dringend notwendigen medizinischen Behandlung in Österreich vorläge.
Gegen das Überwiegen der Interessen an einem Verbleib in Österreich spreche, dass die Beschwerdeführerin den weit überwiegenden Teil ihres Lebens in der Mongolei verbrachte und daher als im Wesentlichen in dieser Kultur sozialisiert anzusehen sei. Der Asylgerichtshof gehe von einer stärkeren Bindung an die Mongolei als jene an Österreich aus. Abschließend heißt es:
"[…]
Insgesamt kommt der Asylgerichtshof daher nach Abwägung der Interessen im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Eingriff, den eine Ausweisung in das Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich darstellen könnte, jedenfalls nicht als unverhältnismäßig anzusehen ist.
Was, zweitens, einen etwaigen Durchführungsaufschub gemäß §10 Abs3 AsylG betrifft, so stellt der Asylgerichtshof fest, dass keine Gründe ersichtlich sind, weshalb die Durchführung der Ausweisung eine unmenschliche Behandlung iSd. Art3 EMRK darstellen sollte. Hierbei ist insbesondere auf die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin unter II.2.1 zu verweisen."
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf den früheren Art144a B-VG gestützte und nunmehr nach Art144 B-VG in der am 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung zu behandelnde Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), im Recht auf Leben (Art2 EMRK), im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK), im Recht auf Asyl (Art18 GRC), sowie im Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art47 GRC in Verbindung mit Art6 GRC) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Dieser erstatte auch eine Gegenschrift, in der zusammengefasst darauf verwiesen wird, der Beschwerdeführerin sei ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden, weil die angeführten Beweismittel im Erkenntnis genau jene seien, die bereits dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegt worden seien, und die Beschwerdeführerin nicht von ihrem Stellungnahmerecht Gebrauch gemacht bzw. Art, Herkunft und Inhalt der Beweismittel nicht in Frage gestellt habe. Hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde eingebrachten Beweismittels (Bericht von ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation vom 9.4.2010) führt der Asylgerichtshof aus, dass dieses berücksichtigt worden wäre und daher kein rechtliches Gehör gewährt werden hätte müssen.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ein willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes, das eine Verletzung in dem durch ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, gewährleisteten subjektiven Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander bedeutet, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Die in der Beschwerde behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs hat nicht stattgefunden.
4. In die Verfassungssphäre reichende Fehler des Asylgerichtshofes liegen aber im Hinblick auf die Länderfeststellungen bzw. die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen vor:
Die (bloß in einer Auflistung angeführten) vom Asylgerichtshof herangezogenen Länderberichte als Beweismittel haben sich im Vergleich zum Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht entscheidungswesentlich geändert. Das von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde eingebrachte Beweismittel (ACCORD – Bericht vom 9.4.2010) wurde vom Asylgerichtshof berücksichtigt.
Es finden sich aber in der angefochtenen Entscheidung keine aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat. Die Entscheidung des Asylgerichtshofs stützt sich auf Länderberichte, die aus dem Zeitraum der Jahre 2006 – 2010 (der jüngste vom Mai 2010) stammen. Zwischen diesen Zeitpunkten und dem Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofes (18.12.2012) sind daher zweieinhalb bis sechs Jahre vergangen, in denen keine umfassenden aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsland getroffen wurden. Wenige Länderberichte stammen aus dem Jahr 2010, die meisten aus den Jahren 2008 und 2009 und einige sogar aus den Jahren 2006 und 2007. Diese Unterlagen sind daher nicht hinreichend geeignet, eine asylrelevante Verfolgung bzw. die Gefährdung von Rechten nach den Art2 und 3 EMRK für rückkehrende Personen im Sinne einer allfälligen maßgeblichen Verschlechterung der Situation zum Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofes auszuschließen. Der Asylgerichtshof hat daher die gebotene Einholung aktueller Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsland verabsäumt (vgl. VfGH 18.6.2012, U1518/11; 11.6.2012, U2344/11) und dadurch die gebotene Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt unterlassen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gem. §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Der zugesprochene Betrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von EUR 400,–.
Schlagworte
Asylrecht, Ausweisung, Ermittlungsverfahren, BescheidbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:U36.2013Zuletzt aktualisiert am
16.05.2014