RS Vfgh 2014/3/11 B1451/2011

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Veröffentlicht am 11.03.2014
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1, Abs2
B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §351c Abs10 Z1
Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG §25 Abs2 Z1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Streichung der Arzneispezialität Topamax aus dem grünen Bereich des Erstattungskodex mangels Einigung mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts über eine neuerliche Preisreduktion nach Aufnahme des dritten Generikums

Rechtssatz

Qualifikation der UHK als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art133 Z4 B-VG und als Tribunal iSd Art6 EMRK; keine Befangenheit des Leiters der Abteilung "EBM/HTA" des Hauptverbandes; keine Bedenken gegen die Zusammensetzung der belangten Behörde (vgl B1429/2011, E v 21.02.2014).

Der Ausschluss der beschwerdeführenden Partei von neuem Tatsachen- und Beweisvorbringen im Beschwerdeverfahren vor der belangten Behörde dient der Einhaltung der der Behörde im Interesse einer raschen Erledigung gesetzten Entscheidungsfristen und entspricht der Logik einer bloß nachprüfenden Kontrolle.

Kein Verstoß des §351c Abs10 Z1 ASVG und des §25 Abs2 Z1 der Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex - VO-EKO gegen das Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG.

Mit den Vorschriften der §§351c ff ASVG hat der Gesetzgeber unmissverständlich den für den Erstattungskodex tragenden Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass eine Arzneispezialität nur dann in den Erstattungskodex aufgenommen werden (oder darin verbleiben) soll, wenn sie entweder einen medizinischen oder zumindest einen ökonomischen Zusatznutzen gegenüber anderen im Erstattungskodex angeführten Arzneispezialitäten aufweist (VfSlg 19714/2012). Diesem Grundgedanken folgt ua auch §351c Abs10 Z1 ASVG.

§351c Abs10 Z1 ASVG und auf dieser Grundlage §25 Abs2 Z1 VO-EKO legen fest, dass, sobald durch ein Generikum eine dritte Preisreduktion erfolgt ist, der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalproduktes eine neuerliche Preisreduktion vereinbaren kann. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, so ist die Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex zu streichen.

Mit dieser Regelung macht §351c Abs10 Z1 ASVG zunächst deutlich, dass vom vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalproduktes jedenfalls kein niedrigerer Preis verlangt werden darf als jener, der dem Generikum zugestanden worden ist, das die dritte Preissenkung bewirkt hat. Angesichts der Voraussetzungen des ersten Satzes der Z1 des §351c Abs10 ASVG ist es auch grundsätzlich konsequent, für wirkstoffgleiche Produkte im System des Erstattungskodex gleiche Preise vorzusehen.

Hat sich auf Grund bestimmter Eigenschaften des Originalproduktes oder der damit zu therapierenden Erkrankung zB eine Umstellung von Patienten auf ein Generikum als nur erschwert möglich erwiesen, kann freilich auch weiterhin ein (erhebliches) Interesse der Versicherten am Vorhandensein des Originalproduktes im Kodex der im Rahmen der sozialen Krankenversicherung verschreibbaren Arzneispezialitäten gegeben sein. Ein derartiges Interesse hat der Hauptverband im Zuge der nach §351c Abs10 Z1 vorletzter Satz ASVG zu führenden Verhandlungen mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts zu berücksichtigen, allerdings mit den wirtschaftlichen Interessen der Sozialversicherung abzuwägen. Der Spielraum des Hauptverbandes ist dabei aber durch die dargestellten Kriterien im Lichte des Art18 B-VG ausreichend bestimmt.

Der erforderliche Rechtsschutz für das vertriebsberechtigte Unternehmen ist dadurch gewährleistet, dass bei der Kontrolle der Streichungsentscheidung durch die UHK die Angemessenheit der Forderungen des Hauptverbandes bzw der Angebote des vertriebsberechtigten Unternehmens im Rahmen der genannten gesetzlichen Kriterien nachprüfbar ist.

Es steht mit dem durch §351c Abs10 Z1 ASVG und §25 Abs2 Z1 VO-EKO vorgegebenen System der Preisregulierung im Einklang, wenn die belangte Behörde davon ausgeht, dass die "Ökonomischen Richtlinien" der Heilmittel-Evaluierungskommission als sachverständige Empfehlung und damit Orientierung für den Hauptverband wie die betroffenen Unternehmen bei der Handhabung des durch das Anknüpfen an ökonomische Kriterien in §351c Abs10 Z1 ASVG eröffneten Auslegungsspielraums dienen (vgl VfSlg 19631/2012).

Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde annimmt, dass der Hauptverband hinsichtlich der - im Rahmen von Verhandlungen zu vereinbarenden - Preisreduktion von einer Vermutung dahingehend ausgehen kann, dass eine Absenkung des Preises auf das Niveau des die dritte Preisreduktion auslösenden Generikums den ökonomisch angemessenen Preis darstellt. Diese Vermutung kann aus medizinischen oder sonstigen inhaltlichen Gründen widerlegt werden. Solche Gründe hat das vertriebsberechtigte Unternehmen im vorliegenden Fall insbesondere mit Hinweis darauf vorgebracht, dass den Patienten eine Umstellung weg vom Originalprodukt auf andere Produkte nicht zumutbar wäre. Die belangte Behörde ist aber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Hauptverband unter Hinweis auf entsprechende fachliche Indikatoren diesem Vorbringen zu Recht nicht gefolgt ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Arzneimittel, Kollegialbehörde, Tribunal, Befangenheit, Preisregelung, Determinierungsgebot, Rechtsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B1451.2011

Zuletzt aktualisiert am

29.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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