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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gall, Dr. Stöberl und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 2. Juni 1997, Zl. UVS 30.6-5, 6/97-4, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (mitbeteiligte Partei: VP in I, vertreten durch Mag. Peter Poppmeier, Rechtsanwalt in 9470 St. Paul, Hauptstraße 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung (BH) vom 16. Dezember 1996 wurde der mitbeteiligten Partei zur Last gelegt, sie sei 1.) mit Schreiben vom 4. November 1996 als Zulassungsbesitzer eines näher beschriebenen Kraftfahrzeuges aufgefordert worden, der BH binnen zwei Wochen bekannt zu geben, wer das Fahrzeug am 20. September 1996 um 16.08 Uhr im Gemeindegebiet von Deutschfeistritz auf der A 9, Baukm. 162,300, Richtung Deutschfeistritz, gelenkt bzw. abgestellt habe, sie habe diese Auskunft jedoch bis dato nicht erteilt und sie habe 2.) im genannten Bereich die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 49 km/h überschritten (wobei zu ihren Gunsten 3 % der gemessenen Geschwindigkeit abgezogen worden seien). Sie habe dadurch zu 1.) § 103 Abs. 2 Kraftfahrgesetz 1967 (KFG) und zu 2.) § 52a Abs. 10 lit. a Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) verletzt, weshalb über sie Geldstrafen in Höhe von S 500,-- (zu 1)
bzw. S 1.500,-- (zu 2) sowie Ersatzfreiheitsstrafen verhängt wurden.
Die mitbeteiligte Partei erhob Berufung und führte aus, die ihr zur Last gelegte Übertretung des KFG habe sie in ihrem Einspruch lediglich in Ansehung des Ausmaßes der verhängten Strafe bekämpft; aus Kostengründen bekämpfe sie diese Strafe nicht weiter. Sie bestreite aber in Ansehung der ihr zu 2.) zur Last gelegten Übertretung nach wie vor, die Geschwindigkeitsübertretung begangen zu haben. Sie könne zwar ausschließen, dass sie das Fahrzeug selbst gelenkt habe, sie könne aufgrund der mittlerweile verstrichenen Zeit aber nicht mehr angeben, wer zum gefragten Zeitpunkt das Fahrzeug gelenkt habe, weil dieses regelmäßig von verschiedenen Personen, darunter auch nahe Angehörige benützt würde und die mitbeteiligte Partei bisher von einer Pflicht zur Führung von Aufzeichnungen nichts gewusst habe.
Über Aufforderung der Berufungsbehörde, Beweismittel für die Behauptung vorzulegen, das Fahrzeug nicht gelenkt zu haben, beteuerte die mitbeteiligte Partei "inständig", die ihr zur Last gelegte Geschwindigkeitsübertretung nicht begangen zu haben. Sie sei verzweifelt, weil sie nicht wisse, wie sie sich gegen diesen Vorwurf wehren solle, zumal das Auto im Tatzeitpunkt im Einflussbereich "anderer Personen" gewesen sei und sie sich - anlässlich ihres und ihrer Schwester Geburtstag - am Tag der Tat durchgehend in Graz aufgehalten habe und somit als Fahrerin nicht in Frage komme. Bisher habe sich die mitbeteiligte Partei nie sorgen müssen, wenn das Fahrzeug von anderen Personen benützt worden sei, nunmehr werde die Tat aber aus Angst vor Bestrafung von niemandem zugestanden.
Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 2. Juni 1997 wurde der Berufung der mitbeteiligten Partei hinsichtlich Punkt 2.) des Straferkenntnisses vom 16. Dezember 1996 Folge gegeben, das Straferkenntnis (insoweit) behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, es erscheine der Berufungsbehörde glaubwürdig, dass die mitbeteiligte Partei zum Tatzeitpunkt keine Verfügungsgewalt über das Fahrzeug gehabt habe, zumal sie sich damals in Graz und nicht am Tatort aufgehalten habe. Dass sie keine Aufzeichnungen darüber geführt habe, wer das Auto jeweils gelenkt habe, sei der mitbeteiligten Partei lediglich bezüglich einer Übertretung des KFG vorwerfbar; diesbezüglich sei eine Bestrafung wegen Verletzung des § 103 Abs. 2 KFG erfolgt und in Rechtskraft erwachsen. Im Übrigen habe die mitbeteiligte Partei aber stets behauptet, das Fahrzeug im Tatzeitpunkt nicht gelenkt zu haben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Was zunächst die Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung anlangt, bringt die mitbeteiligte Partei vor, es ergebe sich aus einem Schreiben der Erstbehörde vom 19. Juni 1997, dass der beschwerdeführende Bundesminister (jedenfalls) seit diesem Datum Kenntnis vom angefochtenen Bescheid gehabt habe. Die sechswöchige Beschwerdefrist sei daher im Zeitpunkt der Einbringung der vorliegenden Beschwerde am 21. August 1997 bereits abgelaufen gewesen.
Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass das erwähnte Schreiben der Erstbehörde - nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten - an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung gerichtet war und das Ersuchen enthielt, den (angeschlossenen) Verwaltungsstrafakt betreffend die mitbeteiligte Partei dem beschwerdeführenden Bundesminister zur Überprüfung und allfälligen Erhebung einer Amtsbeschwerde zu übermitteln, was auch der Inhalt einer Rücksprache des Strafsachbearbeiters der Erstbehörde mit einem Mitarbeiter des entsprechenden Ministeriums gewesen sei. Diesem Schreiben ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, der beschwerdeführende Minister hätte bereits vor dem in der vorliegenden Beschwerde erwähnten Zeitpunkt (11. Juli 1997) Kenntnis vom Inhalt des angefochtenen Bescheides, und zwar in einem Ausmaß gehabt, dass es ihm möglich gewesen wäre, sowohl die Entscheidung zu treffen, eine Amtsbeschwerde zu erheben, als auch diese gesetzmäßig auszuführen. Der Hinweis auf dieses Schreiben ist daher nicht geeignet, die Rechtzeitigkeit der am 21. August 1997 eingebrachten Beschwerde im Sinne des § 26 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Zweifel zu ziehen.
Die mitbeteiligte Partei bringt weiters vor, die Erhebung einer Amtsbeschwerde "zum Nachteil eines in einem Verwaltungsstrafverfahren rechtskräftig 'freigesprochenen' Beschuldigten" sei unzulässig. Sie übersieht dabei jedoch, dass eine Einschränkung des Amtsbeschwerdebefugnis des Bundesministers, wie sie der mitbeteiligten Partei vorzuschweben scheint, weder dem Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG, der den zuständigen Bundesminister ermächtigt, gegen einen im Instanzenzug nicht mehr anfechtbaren Bescheid zur Sicherstellung der objektiven Rechtmäßigkeit Beschwerde zu erheben, zugrundeliegt, noch durch den von der mitbeteiligten Partei zur Stützung ihrer Auffassung herangezogenen Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK, der den Grundsatz des "ne bis in idem" normiert, geboten ist ( vgl. Art. 4 Abs. 2 dieser Bestimmung ).
Die Beschwerde ist auch berechtigt.
Der beschwerdeführende Bundesminister beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und begründet dies im Wesentlichen damit, die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid, von dem er am 11. Juli 1997 zufolge Übersendung durch das Amt der Steiermärkischen Landesregierung Kenntnis erlangt habe, nicht begründet, warum sie den Angaben der mitbeteiligten Partei Glauben geschenkt habe, zumal diese ihre bloße Behauptung, sie habe das Fahrzeug nicht gelenkt, durch keinerlei Beweisangebot untermauert habe. Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung der mitbeteiligten Partei wären auch deshalb angebracht gewesen, weil die mitbeteiligte Partei in Salzburg gewohnt habe, das Fahrzeug in Salzburg zugelassen gewesen sei, sich die Verwaltungsübertretung aber in der Steiermark ereignet habe und es der Lebenserfahrung widerspreche, dass jemand, der in Salzburg lebe, sein in Salzburg zugelassenes Kraftfahrzeug in der Steiermark im Einflussbereich anderer Personen belasse. Zumindest hätten in dieser Richtung Ermittlungen vorgenommen werden müssen. Schließlich hätte sich die belangte Behörde auch mit der Tatsache auseinander setzen müssen, dass die Tauernautobahn A 9 die nächstliegende Verbindung von Salzburg nach Graz darstelle. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens könnten die Auffassung der belangten Behörde jedenfalls nicht stützen.
Zwar ist die behördliche Beweiswürdigung einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (nur) insoweit zugänglich, ob die vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind und ob der Sachverhalt, der solcherart gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist; es kann wohl die Schlüssigkeit der Erwägungen, nicht aber ihre konkrete Richtigkeit nachgeprüft werden (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3 (1987), 548 f, referierte hg. Judikatur).
Allerdings hat die behördliche Beweiswürdigung erst dann Platz zu greifen, wenn die Behörde in Erfüllung ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit ( vgl. dazu Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1999) 140 f.) jene Beweise aufgenommen hat, die zur Entscheidung in der Sache nach der Lage des Falles erforderlich sind.
Dieser Verpflichtung hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht entsprochen, weil sie sich mit der Angabe der mitbeteiligten Partei, das Fahrzeug habe sich zum Tatzeitpunkt der Geschwindigkeitsübertretung im Einflussbereich "anderer Personen" befunden, begnügt und dieses Vorbringen zur sachverhaltsmäßigen Grundlage des angefochtenen Bescheides gemacht hat, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, diese "anderen Personen" - unter Inanspruchnahme der die mitbeteiligte Partei im Verwaltungsstrafverfahren treffenden Mitwirkungspflicht - zu eruieren und im Gegenstande einzuvernehmen. Solcher Verfahrensschritte hätte es umso mehr bedurft, als sich die mitbeteiligte Partei aufgrund der Aufforderung, Beweismittel für die Behauptung vorzulegen, sie habe das Fahrzeug zur Tatzeit nicht gelenkt, nicht veranlasst gesehen hat, jene Personen, in deren "Einflussbereich" sich das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt befunden hat, konkret zu nennen.
Solcherart hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können; dieser war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Aufgrund des Vorbringens der mitbeteiligten Partei sieht sich der Verwaltungsgerichtshof noch zu dem Hinweis veranlasst, dass eine rechtskräftige Bestrafung der mitbeteiligten Partei als Zulassungsbesitzerin eines Kraftfahrzeuges wegen einer Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 einer Bestrafung der mitbeteiligten Partei als Lenkerin dieses Fahrzeugs wegen einer Übertretung des § 52 lit. a Z. 10a StVO 1960 nicht entgegensteht.
Wien, am 11. Oktober 2000
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH StrafverfahrenSachverhalt BeweiswürdigungSachverhalt Mitwirkungspflicht VerschweigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997030202.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
25.06.2012