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90/02 Führerscheingesetz;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des JM in S, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 21. Februar 2012, Zl. UVS-FSG/48/11046/2011-10, betreffend Einschränkung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Klassen A und B gemäß § 24 Abs. 1 Z. 2 FSG "auf Grund des ärztlichen Gutachtens (§ 8 Abs. 3 FSG 1997)" befristet. Weiters wurden gemäß § 2 Abs. 3 letzter Satz FSG-GV ärztliche Kontrolluntersuchungen im Zeitabstand von sechs Monaten als Auflage vorgeschrieben.
Dies begründete die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und der maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Bezugnahme auf die hg. Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Befristung einer Lenkberechtigung und der Vorschreibung von Nachuntersuchungen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2010, Zl. 2010/11/0067) im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nach dem eingeholten amtsärztlichen Gutachten an "einer Suchtkrankheit in der Form, als zumindest ein unregelmäßiger Konsum von Cannabis vorliegt", leide. Dieser Konsum sei zunächst erfolgt "wie jemand der Rotwein trinkt", dann laut ärztlicher Stellungnahme sogar als regelmäßiger Konsum, der offen und ohne Beschönigungstendenzen zugegeben werde. Die damit beschriebene Grundhaltung trage die "Gefahr einer Aufrechterhaltung bzw. Intensivierung des Cannabis Konsums in sich" sodass nach den schlüssigen Ausführungen des amtsärztlichen Sachverständigen bzw. der Amtsärztin eine fortschreitende Erkrankung vorliege, bei der ihrer Natur nach mit einer konkreten Verschlechterung betreffend die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu rechnen sei. Mit dieser "zu erwartenden, jedenfalls nicht auszuschließenden Verschlechterung" sei ein progredienter Konsum von Cannabis gemeint.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass mit dem von der belangten Behörde bestätigten erstinstanzlichen Bescheid sowohl die Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen im Zeitabstand von sechs Monaten als auch eine Befristung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers bis zum 29. August 2013 (und nicht, wie in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt wird, bis zum 29. August 2012) ausgesprochen wurden.
Die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Z. 2 FSG ist dann gegeben, wenn eine "Krankheit" festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss. Um eine bloß bedingte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen in diesem Sinne anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung zwar noch in ausreichendem Maß für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 2012, Zl. 2012/11/0132, mit Hinweis auf die Erkenntnisse vom 24. Mai 2011, Zl. 2010/11/0001, vom 24. April 2001, Zl. 2000/11/0337, vom 13. August 2003, Zl. 2001/11/0183, vom 13. August 2003, Zl. 2002/11/0228, vom 25. April 2006, Zl. 2006/11/0042, vom 15. September 2009, Zl. 2007/11/0043, und vom 22. Juni 2010, Zl. 2010/11/0067).
Für die Annahme einer eingeschränkten gesundheitlichen Eignung im oben genannten Sinn reicht es nicht, wenn eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/11/0132, mit Hinweis auf die Erkenntnisse vom 13. August 2003, Zl. 2002/11/0228, und vom 25. April 2006, Zl. 2006/11/0042).
Um die für die Befristung der Lenkberechtigung vorausgesetzte bloß eingeschränkte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung, und zwar in ausreichendem Maß, für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art nach Ablauf der von der Behörde angenommenen Zeit mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/11/0132, mit Hinweis auf die Erkenntnisse vom 22. Juni 2010, Zlen. 2010/11/0067, 0068, und vom 15. September 2009, Zl. 2009/11/0084).
Demnach ist Voraussetzung sowohl für die Vorschreibung von Nachuntersuchungen als auch für die Befristung der Lenkberechtigung, dass beim Betreffenden eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss.
Zwar hat die belangte Behörde diese Voraussetzungen zunächst zutreffend wiedergegeben und dazu auf das Erkenntnis vom 22. Juni 2010, Zl. 2010/11/0067, hingewiesen.
Der Beschwerdeführer weist in seiner Beschwerde jedoch mit Recht darauf hin, dass sich aus dem von der belangten Behörde zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat nicht ableiten lässt, beim Beschwerdeführer bestehe eine gesundheitliche Beeinträchtigung, nach deren Art mit einer (die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden) Verschlechterung gerechnet werden müsse:
Zwar durfte die belangte Behörde unstrittig von einem Drogenkonsum des Beschwerdeführers bis zum Jahr 2010 ausgehen, doch waren die darauf abzielenden Harnbefunde nach der Aktenlage seit dem 23. August 2010 negativ (vgl. insbesondere das aktenkundige psychiatrische Gutachten vom 26. August 2010, wonach sich beim Beschwerdeführer keine Hinweise auf Drogenabhängigkeit, sondern nur auf Gelegenheitskonsum von Cannabis fänden, mit Hinweis auf den negativen Harnbefund vom 23. August 2010; vgl. zu weiteren negativen Harnbefunden den medizinisch diagnostischen Laborbefund vom 24. November 2010, die ärztlichen Bestätigungen vom 25. Februar 2011 und vom 23. Mai 2011 und den medizinisch diagnostischen Laborbefund vom 17. August 2011).
Wenn daher die Amtsärztin der Bundespolizeidirektion Wien Dr. F. in ihrer Stellungnahme vom 29. August 2011, offenbar ausgehend vom Drogenkonsum des Beschwerdeführers zuletzt im Jahr 2010 ("Z. n. (Zustand nach) gefährlichem Cannabis"), den der Beschwerdeführer offen und ohne Beschönigungstendenzen zugegeben habe, die "Gefahr eines Rückfalls bzw. offensichtlich regelmäßigen Konsums" noch für den Begutachtungszeitpunkt angibt, so kann dies - mangels näherer Begründung und angesichts der zahlreichen negativen Harnbefunde - nur als Spekulation und nicht als schlüssige Aussage eines Sachverständigen gewertet werden, die keine taugliche Entscheidungsgrundlage bildete.
Daran vermag die Aussage des Dr. F. in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 21. Februar 2012, der keine neuen Fakten für die von der belangten Behörde angenommene Rückfallgefahr beim Beschwerdeführer dargelegt hat (und der im Übrigen - entgegen den Angaben im angefochtenen Bescheid - in der Berufungsverhandlung weder Befund noch Gutachten erstattet, sondern als Vertreter der Erstbehörde teilgenommen hat), nichts zu ändern.
Zusammengefasst verbleibt daher im gegenständlichen Fall der erwiesene Cannabiskonsum des Beschwerdeführers zuletzt im Jahr 2010, der (nicht zuletzt weil sämtliche aktenkundige danach folgende Harnuntersuchungen des Beschwerdeführers auf Cannabis negativ waren) jedenfalls im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheid nicht mehr zur Annahme berechtigte, der Beschwerdeführer leide an einer gesundheitliche Beeinträchtigung, nach deren Art mit einer (die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden) Verschlechterung gerechnet werden müsse (siehe zu vergleichbaren Fällen das - ebenfalls die belangte Behörde betreffende - Erkenntnis vom 20. November 2011, Zl. 2012/11/0132, sowie das Erkenntnis vom 20. März 2013, Zl. 2013/11/0028).
Im Übrigen ist die belangte Behörde gegenständlich auch unzutreffend davon ausgegangen, dass bereits eine "nicht auszuschließende Verschlechterung" einer gesundheitlichen Beeinträchtigung die Vorschreibung einer Kontrolluntersuchung bzw. die Befristung der Lenkberechtigung rechtfertigt (vgl. aus vielen die beiden zuletzt genannten hg. Erkenntnisse, wonach die bloße Möglichkeit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht genügt).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 2. April 2014
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2012110096.X00Im RIS seit
25.04.2014Zuletzt aktualisiert am
20.02.2017