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L9440 Krankenanstalt, SpitalNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des Nö KAG betreffend die Verpflichtung der Standortgemeinden von Landeskrankenanstalten zur Leistung eines Standortbeitrags wegen unsachlicher Benachteiligung der Stadt St. Pölten; "Abschöpfung eines Standortvorteils" im Hinblick auf die finanzausgleichsrechtlichen Grundsätze des abgestuften Bevölkerungsschlüssels sachlich nicht gerechtfertigt; Benachteiligung St. Pöltens auch wegen mangelnder Validität der Bevölkerungsdaten bei Gesetzwerdung und Nichtberücksichtigung einer Verminderung des "Standortvorteils"Rechtssatz
Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der Wortfolge "ST. PÖLTEN € 6.142.424" in §66a Nö KAG. Im Übrigen Einstellung des Verfahrens.
Bezüglich der von der Nö Landesregierung geäußerten Bedenken, dass dem Land Niederösterreich im Anlassfall (A7/2012) keine passive Klagslegitimation zukomme, da es die der Landeshauptstadt St. Pölten zustehenden Anteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben nur auf Grund einer gesetzlichen Anweisung nicht geleistet habe, verweist der VfGH auf seine Rechtsprechung, wonach das Bestehen einer solchen gesetzlichen Anweisung die Abweisung einer Klage, nicht aber ihre Unzulässigkeit zur Folge hat (VfSlg 18894/2009).
Wie sich im Gesetzesprüfungsverfahren ergeben hat, hätte eine Aufhebung des Standortbeitrages für St. Pölten nicht die Folge, dass der bislang von St. Pölten zu tragende Beitrag anteilsmäßig von den anderen Standortgemeinden zu übernehmen wäre. Die im Prüfungsbeschluss vertretene Ansicht, dass §66a Nö KAG eine untrennbare Einheit bilde, wird daher nicht aufrechterhalten. Präjudiziell ist aber nur die vom VfGH im Anlassfall tatsächlich anzuwendende Wortfolge "ST. PÖLTEN € 6.142.424". Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Prüfungsumfanges ist das Gesetzesprüfungsverfahren daher einzustellen.
Aufhebung der Wortfolge "ST. PÖLTEN € 6.142.424" in §66a Nö KAG, LGBl 9440, idF LGBl 9440-24, wegen Verstoßes gegen Art7 Abs1 B-VG und §4 F-VG.
Der VfGH teilt nicht die von der Nö Landesregierung vertretene Ansicht, dass §66a Nö KAG als Ausführungsbestimmung zu §34 Abs2 KAKuG betrachtet werden kann. Die Zahlung von Pauschalbeiträgen der Sitzgemeinden ist nämlich nach dem System des Nö KAG vom jeweiligen Betriebsabgang der konkreten Krankenanstalt völlig losgelöst.
Der Anwendung eines abgestuften Bevölkerungsschlüssels im Finanzausgleichsgesetz liegt die Theorie zugrunde, dass mit steigender Bevölkerungsballung für bestimmte Leistungen der Gemeinde die Kosten pro Einwohner zunehmen (vgl VfSlg 9280/1981). Demnach hätte also eine Gemeinde mit größerer Einwohnerzahl (ohne finanzausgleichsrechtliche Gegenmaßnahmen) einen Nachteil gegenüber Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl, da in der Gemeinde mit höherer Einwohnerzahl Aufwendungen pro Einwohner erfahrungsgemäß höher sind. Über den Finanzausgleich wird mithilfe des abgestuften Bevölkerungsschlüssels versucht, diesen Nachteil zu kompensieren.
Von diesen Grundsätzen weicht eine "Abschöpfung des Standortvorteils" iSd §66a Nö KAG in einer sachlich nicht gerechtfertigten Weise ab.
Das in §66a Nö KAG geregelte System geht nämlich offenbar davon aus, dass bei Vorhandensein einer Krankenanstalt Gemeinden mit höherer Einwohnerzahl einen Vorteil gegenüber Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl in jenem Ausmaß haben, in dem sie auf Grund des abgestuften Bevölkerungsschlüssels pro Einwohner vom Finanzausgleich überproportional profitieren. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass diese Leistungen bloß den Nachteil auszugleichen haben, der aus höheren Pro-Kopf-Kosten gegenüber Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl entsteht. Die Abschöpfung dieses Anteils der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben als einen "Vorteil" lässt diesen Nachteil schlichtweg außer Betracht.
Dies schließt es zwar keineswegs aus, St. Pölten und die übrigen Standortgemeinden an den Aufwendungen für das jeweils an ihrem Standort befindliche Landeskrankenhaus angemessen zu beteiligen, setzt aber voraus, dass dies nach einem Maßstab geschieht, der in einem Sachzusammenhang mit diesen Aufwendungen und der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Gemeinden steht und die willkürliche Bevorzugung oder Benachteiligung einer Gemeinde vermeidet.
Die Daten aus der Volkszählung 2001, die das IHS für die Studie zur Ermittlung des Standortvorteils St. Pöltens im Jahr 2004 herangezogen hatte, entsprachen bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des §66a Nö KAG nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten. Nach den von der Statistik Austria zur Verfügung gestellten Daten hatte St. Pölten bereits 2005 mehr als 50.000 Einwohner, im Jahr 2013 sogar bereits knapp 52.000 Einwohner. Der Berechnung des Standortbeitrags lagen also bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des §66a Nö KAG falsche Prämissen und damit ein unrichtiger, die Stadt St. Pölten den Umständen nach gröblich benachteiligender Maßstab zugrunde.
Da das FAG 2008 überdies seit dem Jahr 2009 zur Bestimmung der Volkszahl nicht mehr an die letzte Volkszählung, sondern an die jeweils aktuellen von der Statistik Austria gelieferten Daten anknüpft (§9 Abs9 FAG 2008), wurde der als wesentlicher Teil des "Standortvorteils" bezeichnete Anteil der Landeshauptstadt St. Pölten an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben pro Kopf spätestens ab diesem Zeitpunkt deutlich geringer, ohne dass dieser Umstand in der Höhe des Standortbeitrages einen Niederschlag gefunden hätte.
Selbst wenn man davon ausginge, dass hinsichtlich der Standortbeiträge des §66a Nö KAG ein finanzausgleichrechtliches "pactum" bestanden hätte, so würde dies mit Blick auf die verfehlten Prämissen und die aufgezeigte gröbliche Benachteiligung der Stadt St. Pölten nichts daran ändern, dass die Norm nach den Maßstäben des Art7 Abs1 B-VG und §4 F-VG verfassungswidrig ist.
Schlagworte
Krankenanstalten, Krankenanstaltenfinanzierung, Finanzverfassung, Finanzausgleich, Kostentragung, Bevölkerungsschlüssel abgestufter, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, VfGH / Anlassverfahren, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, VfGH / KlagenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G89.2013Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015