TE Vfgh Erkenntnis 2014/3/6 U2131/2012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.03.2014
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art3, Art8
AsylG 2005 §2 Abs1 Z17, §3, §8 Abs1, Abs6, §10 Abs1, Abs3, Abs5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch Ausweisung eines seit der Geburt in Österreich aufhältigen Staatenlosen; verfehlte Annahme der Zulässigkeit einer Ausweisung mangels Bestehens eines Herkunftsstaates; im Übrigen Ablehnung der Beschwerde

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen worden ist, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, gemäß Art3 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein der Volksgruppe der Roma zugehöriger Staatenloser, wurde am 11. August 1979 in Österreich geboren, wo er die Pflicht- und Sonderschule besuchte sowie in der Folge als Maurer tätig war. Den Angaben des Beschwerdeführers zufolge ist sein Vater ein bosnischer Staatsangehöriger bzw. seine Mutter eine serbische Staatsangehörige; beide Elternteile des Beschwerdeführers leben in Österreich.

2. Er hielt sich bis zum Jahr 1995 auf Grund eines unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in Österreich auf, dieser wurde ihm jedoch auf Grund von strafrechtlichen Verurteilungen entzogen. Insgesamt weist der Beschwerdeführer nunmehr 14 strafrechtliche Verurteilungen (u.a. wegen Veruntreuung, Urkundenunterdrückung, versuchten Diebstahls sowie unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften) auf, die zu mehreren bedingten bzw. unbedingten Freiheitsstrafen im Ausmaß von drei Wochen bis 14 Monaten führten.

3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. September 2010 wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die gegen diesen Bescheid am 14. März 2011 eingebrachte Berufung wurde mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom 28. Oktober 2011 als verspätet zurückgewiesen.

4. Der Beschwerdeführer stellte am 26. April 2011 aus dem Stande der Strafhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer an, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, um in Österreich bleiben und hier arbeiten zu können. Er habe zwar keine Probleme mit den bosnischen bzw. serbischen Behörden, sei jedoch auch nie in Bosnien oder Serbien wohnhaft gewesen. Einst habe er einen jugoslawischen Reisepass besessen, diesen habe er jedoch verloren. Schließlich führte der Beschwerdeführer an, dass die medizinische Versorgung für seine Krankheiten – er leide an HIV und Hepatitis C– in Serbien nicht gegeben sei.

5. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. September 2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs3 Z2 iVm §2 Abs1 Z13 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, abgewiesen, dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat "Republik Bosnien" gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 leg.cit. nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bosnien ausgewiesen.

6. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom 14. September 2012 gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Spruchpunkte II. und III. folgendermaßen zu lauten hätten:

"II. Gemäß §8 Abs1 Z1 iVm Abs6 AsylG 2005 wird [dem Beschwerdeführer] der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt.

III. Gemäß §8 Abs6 iVm §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 wird [der Beschwerdeführer] aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen."

6.1. Begründend führt der Asylgerichtshof aus, dass im Hinblick auf die festgestellte Vielzahl an einschlägigen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers das Bundesasylamt zu Recht zu der Auffassung gelangt sei, dass die Voraussetzungen des besonders schweren Verbrechens iSd §6 Abs1 Z4 AsylG 2005 vorlägen, weshalb der Antrag auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach §3 Abs3 Z2 leg.cit. abzuweisen sei. Selbst wenn man dieser Beurteilung nicht folge, sei der Antrag des Beschwerdeführers gemäß §3 Abs1 leg.cit. abzuweisen, weil der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren keine konkret gegen seine Person bestehende Gefährdungssituation dargelegt habe.

6.2. Zu Spruchpunkt II. hält der Asylgerichtshof zunächst fest, dass der Beschwerdeführer aktuell staatenlos sei, wobei in seinem Fall – entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes – auch kein Herkunftsstaat iS eines Staates des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Beschwerdeführers existiere. Wie sich aus den Erläuterungen zu §8 Abs6 AsylG 2005 ergebe, solle diese Bestimmung verhindern, dass Asylwerber, die am Verfahren nicht mitwirkten und offensichtlich einen falschen Herkunftsstaat angäben bzw. ihre Staatsangehörigkeit verschleierten, gegenüber Asylwerbern, die ihren Herkunftsstaat wahrheitsgetreu angäben, besser gestellt würden. Eine für die Konstellation des vorliegenden Falles eines Staatenlosen ohne Herkunftsstaat anwendbare Bestimmung sei hingegen gesetzlich nicht normiert, weshalb §8 Abs6 leg.cit. auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden sei. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides sei daher entsprechend abzuändern.

6.3. Im Hinblick auf die Ausweisung des Beschwerdeführers sei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung festzuhalten, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers insbesondere auf Grund seiner fortgesetzten und wiederholten Straffälligkeit sowie seiner mangelnden Integration in die Arbeitswelt gegenüber seinen privaten Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet überwiegen würden und sich daher der Eingriff in das Privat- und Familienleben iSd Art8 EMRK im vorliegenden Fall als gerechtfertigt erweise, obwohl der Beschwerdeführer in Österreich geboren sei, sein gesamtes Leben im Bundesgebiet verbracht habe, eine Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen mit gemeinsamem Wohnsitz pflege und seine Eltern im Bundesgebiet aufhältig seien.

7. In der gegen diese Entscheidung beim Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

8. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die Gegenschrift führt u.a. Folgendes aus:

"Gemäß der Analyse der Staatendokumentation des Bundesasylamts 'Westbalkan: Staatsbürgerschaftsregelungen' vom 05.10.2011 kann u.a. in folgenden Fällen die Staatsbürgerschaft erworben werden:

'Bosnien:

Wenn zumindest ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt (auf bosnischem Staatsgebiet oder im Ausland) des Kindes die bosnische Staatsbürgerschaft besaß.

Serbien:

Wenn ein Elternteil die serbische Stb. besitzt, der Geburtsort des Kindes nicht in Serbien liegt und in weiterer Folge Staatenlosigkeit bestünde.'

Es liegt somit weiterhin in der Hand des Beschwerdeführers, seine Staatenlosigkeit zu beenden."

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

II. Erwägungen

A. Art144 B-VG idF der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012, BGBl I 51, ist auf anhängige Beschwerdeverfahren gemäß Art144a B-VG idF BGBl I 2/2008 anzuwenden (vgl. VfGH 6.3.2014, U544-547/2012). Auf die vorliegende Beschwerdesache ist daher Art144 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung (BGBl I 51/2012) anwendbar. Weiters ist auf den vorliegenden Fall das AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012, (in der Folge: AsylG 2005), anzuwenden.

B. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet richtet, begründet.

1.1. Gemäß der Begriffsbestimmung des §2 Abs1 Z17 AsylG 2005 ist der Herkunftsstaat eines Antragstellers jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthalts.

Zunächst ist dem Asylgerichtshof zuzustimmen, wenn er den Beschwerdeführer als staatenlos erachtet, zumal einerseits aus dem Antwortschreiben des serbischen Innenministeriums vom 19. November 2010 auf das vom österreichischen Bundesministerium für Inneres gestellte Rückübernahmeersuchen hervorgeht, dass der Beschwerdeführer kein serbischer Staatsangehöriger ist (s. S 27 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes), und andererseits aus der mittels E-Mail erfolgten – im Gerichtsakt des Asylgerichtshofes vorhandenen – Antwort der bosnischen Botschaft in Wien vom 28. März 2012 auf die vom damaligen rechtlichen Vertreter des Beschwerdeführers getätigte Anfrage, ob der Beschwerdeführer bosnischer Staatsangehöriger sei, ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer kein bosnischer Staatsangehöriger ist. Darüber hinaus liegt auch kein Staat des "früheren gewöhnlichen Aufenthalts" des Beschwerdeführers vor, zumal dieser – mit Ausnahme von kurzen Urlaubsaufenthalten außerhalb Österreichs – soweit ersichtlich sein gesamtes bisheriges Leben im Bundesgebiet verbracht hat.

1.2. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z2), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

§8 Abs6 AsylG 2005 sieht vor, dass, sofern der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann, der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen ist und diesfalls eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet zu verfügen ist, wenn dies gemäß §10 Abs2 leg.cit. nicht unzulässig ist. Die Erläuterungen zu §8 Abs6 leg.cit. führen Folgendes aus:

"In Abs6 wird normiert, dass nur dann der Status eines subsidiär Schutzberechtigen zuzuerkennen ist, wenn festgestellt werden kann, aus welchem Staat der Asylwerber kommt; das wird jedenfalls dann möglich sein, wenn der Asylwerber glaubwürdige Angaben über seinen Herkunftsstaat macht, die nicht – etwa im Wege einer Sprachanalyse – falsifiziert wurden. Es soll somit verhindert werden, dass sich Asylwerber, die am Verfahren nicht mitwirken und einen offensichtlich falschen Herkunftsstaat angeben – tatsächlich aber, etwa mangels Gefährdungslage, ihre Staatsangehörigkeit verschleiern – einen Vorteil gegenüber einem Asylwerber aus dem gleichen Herkunftsstaat haben, der diesen aber wahrheitsgemäß angibt. Ist der Herkunftsstaat nicht bekannt, ist der Asylwerber zwar nach §10 aus dem Bundesgebiet auszuweisen, es kann aber praktisch unmöglich sein, ihn in seinen tatsächlichen Herkunftsstaat abzuschieben. Wird die Abschiebung möglich, so ist vor der Durchführung der Abschiebung deren Zulässigkeit durch die Fremdenpolizeibehörden zu überprüfen." (s. RV 952 BlgNR 22. GP, 38)

1.3. Nach §10 Abs2 AsylG 2005 sind Ausweisungen unzulässig, wenn dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt (Z1) oder diese eine Verletzung von Art8 EMRK darstellen würden (Z2).

Gemäß Art8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs (Abs1), wobei der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Abs2).

1.4. Da der Beschwerdeführer weder die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzt, noch ein Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthalts vorliegt, sodass kein Herkunftsstaat des Beschwerdeführers iSd §2 Abs1 Z17 AsylG 2005 besteht, kommt der Asylgerichtshof zum Ergebnis, in Spruchpunkt II. der angefochtenen Entscheidung dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 Z1 iVm Abs6 leg.cit. nicht zuzuerkennen und in Spruchpunkt III. der angefochtenen Entscheidung eine Ausweisung gemäß §8 Abs6 iVm §10 Abs1 Z2 leg.cit. ohne Angabe eines Zielstaats auszusprechen.

2. Der Asylgerichtshof hat durch die angefochtene Entscheidung Art3 EMRK verletzt:

2.1. Gemäß Art3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Ein verfassungswidriger Eingriff in das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht liegt vor, wenn ein Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn er auf Grund einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005).

2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof zu Art3 EMRK weiter ausgesprochen hat, ist eine dem Staat zuzurechnende Behandlung als eine Verletzung der durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte zu werten, wenn ihr eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Missachtung des Betroffenen als Person innewohnt (vgl. VfSlg 8145/1977, 12.190/1989). Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes missachtet die Ausweisung einer Person, die in Österreich geboren wurde, die ausschließlich in Österreich (und zwar von Geburt an durch mehrere Jahrzehnte) aufhältig ist und die auf Grund ihrer Staatenlosigkeit und mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Staat als Österreich zu keinem anderen Staat einen Bezugspunkt aufweist, die Menschenwürde einer solchen Person, weil ihr damit jede rechtliche Grundlage ihrer Existenz entzogen wird, sie aber nicht in der Lage ist, gleichzeitig anderswo eine rechtliche Existenz zu begründen. Wäre die Gesetzeslage so, wie der Asylgerichtshof annimmt, wäre sie wegen Verstoßes gegen Art3 EMRK verfassungswidrig.

2.3. Die Auffassung des Asylgerichtshofes, im vorliegenden Fall sei §8 Abs6 AsylG 2005 analog anzuwenden, ist verfehlt. Diese Bestimmung ist nur auf Fälle anwendbar, in denen ein anderer Herkunftsstaat des Asylwerbers als Österreich besteht, dieser ihn aber verschleiert, um einer Ausweisung in diesen Herkunftsstaat zu entgehen. Im vorliegenden Fall ist aber überhaupt kein Herkunftsstaat des Beschwerdeführers iSd §2 Abs1 Z17 leg.cit. vorhanden, weil der Beschwerdeführer in Österreich geboren ist, sein gesamtes Leben hier verbracht hat und auch nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzt; daher existiert auch außer Österreich kein anderer Staat eines gewöhnlichen Aufenthalts, in den der Beschwerdeführer ausgewiesen oder abgeschoben werden könnte.

2.4. Nach §10 Abs3 AsylG 2005 ist die Durchführung der Ausweisung für die notwendige Zeit aufzuschieben, wenn die Durchführung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind. Gemäß §10 Abs5 leg.cit. ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß §10 Abs2 Z2 leg.cit. auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen.

Die angeführten Absätze 3 und 5 des §10 AsylG 2005 wären vom Asylgerichtshof im Fall des Beschwerdeführers dahingehend zu interpretieren gewesen, dass seine Ausweisung auf Grund sonstiger Art3 EMRK-Verletzung dauerhaft oder für eine bestimmte Dauer unzulässig ist, nämlich bis der Beschwerdeführer – sofern möglich – die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat. §10 Abs5 leg.cit. sieht nämlich vor, dass über die Zulässigkeit der Ausweisung "insbesondere" im Hinblick darauf abzusprechen ist, ob die Ausweisung gemäß §10 Abs2 Z2 leg.cit. auf Dauer unzulässig ist, woraus der Schluss zu ziehen ist, dass die Ausweisung auch für eine bestimmte Dauer für unzulässig erklärt werden kann.

Daraus folgt, dass der Asylgerichtshof die Ausweisung des Beschwerdeführers für unzulässig zu erklären hat, wobei dem Beschwerdeführer – auch iSd diesbezüglich relevanten völkerrechtlichen Bestimmungen (s. Art31 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954, BGBl III 81/2008, wonach die Vertragsstaaten einem Staatenlosen im Falle seiner Ausweisung eine angemessene Frist gewähren, in der er in einem anderen Land um Einreise ansuchen kann, wobei sich die Vertragsstaaten vorbehalten, während dieser Frist die ihnen erforderlich scheinenden Maßnahmen innerstaatlicher Art zu ergreifen) – zumindest ein angemessener Zeitraum zu gewähren ist, in dem er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangen kann; sollte dies dauerhaft – auch bei zumutbarem Bemühen des Beschwerdeführers – nicht möglich sein, wäre die Ausweisung dauerhaft unzulässig.

2.5. Dem Asylgerichtshof ist im Ergebnis zu folgen, dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, weil eine Verletzung u.a. des Art3 EMRK durch "Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat" iSd §8 Abs1 AsylG 2005 offenkundig nicht möglich ist, weil überhaupt kein anderer Herkunftsstaat des Beschwerdeführers als Österreich besteht; der Asylgerichtshof hat aber durch die Ausweisung aus den o.a. Gründen Art3 EMRK verletzt.

C. Soweit die an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde die Abweisung des Asylantrages und die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten bekämpft, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freizügigkeit der Person und des Vermögens, freie Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit der Beschwerdeführer damit die Abweisung des Asylantrages und die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten bekämpft, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Asylgerichtshof hat daher den Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, einer gemäß Art3 EMRK unzulässigen Behandlung unterworfen und ihn dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt. Die angefochtene Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Auslegung eines Gesetzes, Analogie, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U2131.2012

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten