Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
VfGG §33, §34Leitsatz
Wiederaufnahme eines Verfahrens und Aufhebung des Beschlusses über die Zurückweisung von Beschwerden als verspätet; Unrichtigkeit der Beurkundung durch den Poststempel erwiesen; Abweisung der Wiedereinsetzungsanträge; Ablehnung der Behandlung der BeschwerdenSpruch
I. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.
II. Das mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2013, U2550-2551/2013-5, abgeschlossene Beschwerdeverfahren wird wieder aufgenommen.
III. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2013, U2550-2551/2013-5, wird aufgehoben.
IV. Die Behandlung der Beschwerden wird abgelehnt.
Begründung
Begründung
I. Zu den Anträgen auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. Wiederaufnahme":
1. Die Einschreiter brachten mit Schriftsätzen vom 18. Juni 2013 Anträge auf Gewährung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang zur Erhebung von Beschwerden gegen die Entscheidungen des Asylgerichtshofes jeweils vom 22. Mai 2013, Zlen. E2 418.241-1/2011/11E und E2 415.020-1/2010/15E, beim Verfassungsgerichtshof ein. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2013, U1384-1385/2013-5, den Einschreitern zuhanden ihres Rechtsvertreters zugestellt am 15. Oktober 2013, wurden die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen.
2. Mit Schriftsätzen vom 26. November 2013 brachten die anwaltlich vertretenen Einschreiter postalisch Beschwerden gegen die oben genannten Entscheidungen des Asylgerichtshofes ein. Das Kuvert wies einen Poststempel mit Datum "27.11.13" auf und langte beim Verfassungsgerichtshof am 28. November 2013 ein.
3. Der Verfassungsgerichtshof wies mit Beschluss vom 11. Dezember 2013, U2550-2551/2013-5, die Beschwerden als verspätet zurück. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass eine auf (den bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 anzuwendenden) Art144a B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Zustellung der Entscheidung des Asylgerichtshofes erhoben werden könne (§88a iVm §82 Abs1 VfGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 anzuwendenden Fassung). Im vorliegenden Fall sei die Beschwerdefrist – nach Zustellung des Beschlusses, mit dem die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen wurden, am 15. Oktober 2013 – am 26. November 2013 abgelaufen (§82 Abs1 iVm Abs3 VfGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 anzuwendenden Fassung). Die erst am 27. November 2013 zur Post gegebenen Beschwerden seien daher gemäß §19 Abs3 Z2 litb VfGG (in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 anzuwendenden Fassung) ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als verspätet zurückzuweisen gewesen. Insbesondere konnte von der Durchführung eines Verbesserungsverfahrens, wie es in §14a Abs4 iVm §18 VfGG für den Fall vorgesehen ist, dass Schriftsätze und Beilagen zu Schriftsätzen, für die die elektronische Einbringung für zulässig erklärt wurde, durch Rechtsanwälte nicht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht wurden, abgesehen werden, da ein derartiges Verfahren an der vom Verfassungsgerichtshof angenommenen Versäumung der Frist nichts geändert hätte.
Der Beschluss ging den Einschreitern zuhanden ihres Rechtsvertreters am 23. Dezember 2013 zu.
4. Mit am 7. Jänner 2014 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsätzen begehren die Einschreiter die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. Wiederaufnahme des Verfahrens". Den Schriftsätzen waren die Beschwerden vom 26. November 2013 angefügt.
4.1. Begründend führen die Einschreiter aus, dass die Aufgabe der Postsendung, mit welcher die Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof eingebracht wurden, tatsächlich am 26. November 2013 und damit rechtzeitig erfolgt sei. Sie legten dazu eine als "Abgabeinformationen" bezeichnete Quittung der Österreichischen Post AG in Kopie vor. Aus dieser gehe hervor, dass die Sendung mit der Sendungsnummer RQ188594905AT am 26. November 2013 um 17:16:01 Uhr in der Filiale 6803 Feldkirch, Marktgasse 24, aufgegeben wurde. Es liege offensichtlich ein Fehler der Österreichischen Post AG vor. Möglicherweise sei die Postsendung mit dem falschen Datum versehen worden (gemeint mit falschem Datum des Poststempels). Die Beschwerdeführer hätten mit der Zustellung des Beschlusses U2550-2551/2013-5 am 23. Dezember 2013 erstmals vom Vorliegen dieses Fehlers der Post erfahren, weshalb alle Voraussetzungen – insbesondere jene der Rechtzeitigkeit – für eine "Wiederaufnahme bzw. eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" vorlägen.
4.2. Der Verfassungsgerichtshof richtete ein Ersuchen an die Postfiliale 6803 Feldkirch und den Vorstand der Österreichischen Post AG, vor dem Hintergrund der Diskrepanz zwischen den "Abgabeinformationen" und dem Datum, das der Poststempel aufweist, ehestens bekannt zu geben, wann die Sendung mit der Nummer RQ188594905AT tatsächlich bei der Post aufgegeben wurde.
4.3. Mit Schreiben vom 11. März 2014 teilte die Österreichische Post AG mit, dass die Sendung mit der Einschreibnummer RQ188594905AT am 26. November 2013 in der 24h-Selbstbedienungs-Zone über die sogenannte "Post Aufgabebox" aufgegeben worden sei. Dies sei dem Kunden mit der Abgabeinformation vom 26. November 2013 bestätigt worden. Die Briefsendung gelte mit der Aufgabe in der "Post Aufgabebox" – im vorliegenden Fall am 26. November 2013 – als aufgegeben. Die Verwendung des sogenannten "OT-Stempels" (hier ist wohl der gemeinhin als Poststempel bezeichnete Stempel gemeint) erfolgte lediglich, um die Briefmarken zu entwerten. Richtigerweise wäre die Sendung jedoch mit dem Datum der Abgabe abzustempeln gewesen.
5. In Anbetracht der dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden "Abgabeinformationen" und der Mitteilung der Österreichischen Post AG ist von einer rechtzeitigen Postaufgabe der Beschwerden am 26. November 2013 auszugehen.
6. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen , dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes – insbesondere auch seine Beschlüsse – endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens in seinen §§33 und 34 nicht selbst regelt, hat der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 und 530 ff.) sinngemäß anzuwenden.
6.1. Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen des Vorliegens des – hier allein in Frage kommenden – Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO (iVm §35 Abs1 VfGG) setzt voraus, dass "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Die Wiederaufnahme findet weiters nur statt, "wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, […] die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung in erster Instanz erging, geltend zu machen" (§530 Abs2 ZPO).
6.2. Die Annahme der Postaufgabe des Schriftstückes, mit dem die Beschwerden eingebracht wurden, mit 27. November 2013 führte zur Zurückweisung der Beschwerden wegen Verspätung, welche – objektiv gesehen – nicht vorlag.
6.3. Damit lag aber auch kein Fall der Versäumung einer Frist vor, weshalb die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben waren und die offensichtlich (auch) darauf gerichteten Anträge abzuweisen waren (vgl. zB VfSlg 18.050/2007).
6.4. Die richtige Dokumentation des Postaufgabedatums am Kuvert seitens der Post wäre geeignet gewesen, die Zurückweisung der Beschwerden zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung in der Hauptsache ergehen können (vgl. VfSlg 12.451/1990, 14.695/1996, 18.050/2007, 19.152/2010). Insbesondere hätte der Verfassungsgerichtshof – nach Aufforderung zur Verbesserung gemäß §14a Abs4 iVm §18 VfGG – ehestens über die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu erkennen gehabt.
6.5. Eine Partei kann sich (wie auch der Verfassungsgerichtshof selbst) grundsätzlich auf die Richtigkeit eines Stempelaufdrucks der Österreichischen Post AG verlassen (VfSlg 19.152/2010). Dies gilt auch in jenen Fällen, in denen – wie in den vorliegenden – Briefsendungen mittels sogenannter "Post Aufgabeboxen" in von der Österreichischen Post AG betriebenen "Selbstbedienungszonen" aufgegeben werden. Dem Poststempel kommt zwar grundsätzlich der Beweiswert einer öffentlichen Urkunde zu (§292 Abs1 ZPO; vgl. zB VfSlg 18.674/2009; VwGH 26.6.2013, 2013/01/0027; OGH 26.6.2002, 7 Ob 87/02y). Im vorliegenden Fall ist allerdings die Unrichtigkeit der Beurkundung durch das Vorbringen der Beschwerdeführer und die Darlegungen der Österreichischen Post AG erwiesen, weshalb die Vermutung über den vollen Beweis des Poststempels als öffentliche Urkunde hier nicht Platz greift (§292 Abs2 ZPO).
6.6. Den Beschwerdeführern ist nicht der Vorwurf zu machen, dass sie die "Aufgabeinformationen" erst vorgelegt haben, als sie von der Zurückweisung ihrer Beschwerden auf Grund eines falschen Poststempels Kenntnis erlangten. Auf Grund der Angaben der Beschwerdeführer betreffend die Umstände der Postaufgabe haben die Beschwerdeführer (bzw. deren Rechtsvertreter) alle ihnen vom Gesetz auferlegte Sorgfalt bei der Absendung fristgebundener Schriftstücke beachtet (vgl. VfSlg 19.152/2010). Der Antrag auf Wiederaufnahme wurde auch rechtzeitig gestellt und ist daher zulässig.
6.7. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2013, U2550-2551/2013-5, ist aus diesen Gründen unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben.
II. Zu den Beschwerden:
1. Die ursprünglich per Post eingebrachten Beschwerden waren den im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsätzen der Beschwerdeführer mit den Anträgen auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. Wiederaufnahme" angefügt. Damit wird hinsichtlich der Beschwerden das Erfordernis des §14a Abs4 VfGG erfüllt.
2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2.1. Die Beschwerden rügen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf "gesetzlichen Schutz des Lebens", "nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden", auf "Freiheit und Sicherheit", auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung sowie auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Beurteilung der Möglichkeit einer Verletzung von Art3 EMRK in Hinblick auf die Lage in der Türkei und die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer als auch die Interessenabwägung nach Art8 EMRK einwandfrei erfolgte, nicht anzustellen.
3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über die Anträge, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / FristenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:U2550.2013Zuletzt aktualisiert am
15.04.2014