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40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und DienstrechtsverfahrenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des AVG betreffend schriftliche Anbringen in Form von E-Mail während der Amtsstunden; Beschränkungen des elektronischen Verkehrs mit Behörden und Festlegung von Amtsstunden keine Angelegenheiten des Verwaltungsverfahrensrechtes sondern des Verwaltungsorganisationsrechtes; Bestimmung über bekannt zu machende Beschränkungen daher keine Ermächtigungsnorm sondern Publizitätsvorschrift; Anknüpfen des Verwaltungsverfahrensgesetzgebers an organisationsrechtliche Tatbestände nicht bedenklich; kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und den GleichheitssatzRechtssatz
Keine Aufhebung des §13 Abs2 letzter Satz AVG idF BGBl I 5/2008 und des §13 Abs5 AVG idF BGBl I 100/2011.
Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind vor dem Hintergrund der bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung auszulegen. "Organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs" (§13 Abs2 letzter Satz AVG) und die Festlegung der Amtsstunden, während derer die Behörde zur Entgegennahme von schriftlichen Anbringen jeglicher Art verpflichtet ist (§13 Abs5 AVG), sind ausschließlich eine Angelegenheit des Verwaltungsorganisationsrechts und keine Angelegenheit des Verwaltungsverfahrensrechts. Innerhalb des Organisationsrechts sind Regelungen betreffend die Amtsstunden und den Parteienverkehr der sogenannten "inneren Organisation" zuzuordnen.
Aus diesem Grund können die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht so verstanden werden, dass sie organisatorische (zeitliche) Beschränkungen schriftlicher Anbringen, zu denen auch Anbringen in Form von E-Mail zählen, ermöglichen.
Ungeachtet der zahlreichen Novellierungen des §13 AVG, insbesondere auch der Novellierungen im Zusammenhang mit dem elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen seit der Stammfassung hinsichtlich der Verpflichtung zur Entgegennahme schriftlicher Anbringen während der Amtsstunden insoweit unverändert geblieben, als der Verwaltungsverfahrensgesetzgeber stets an die organisatorisch festgelegten Amtsstunden und deren Kundmachung angeknüpft hat.
§13 Abs2 letzter Satz AVG ist dementsprechend keine Ermächtigungsnorm, sondern lediglich eine Publizitätsvorschrift für etwaige organisatorische Beschränkungen. Nur wenn das in §13 Abs2 letzter Satz AVG vorgesehene Publizitätserfordernis für organisatorische (zeitliche) Beschränkungen eingehalten wird, liegt tatsächlich eine solche Beschränkung der Entgegennahme schriftlicher Anbringen in Form von E-Mails vor.
Durch das in §13 Abs2 letzter Satz AVG normierte Gebot der Publizität wird gewährleistet, dass jedermann erkennen kann, ob entsprechende "organisatorische Beschränkungen" (durch das Organisationsrecht) für schriftliche Anbringen in Form von E-Mail festgelegt worden sind.
In Fallkonstellationen, in denen zeitliche Beschränkungen während offener (Rechtsmittel-) Fristen geändert werden, kann der Rechtsschutzsuchende einen erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrag gemäß §71 AVG stellen. Im Übrigen beträfen etwaige Bedenken - wenn überhaupt - nur die organisationsrechtlichen Regelungen.
Es steht dem Verwaltungsverfahrensgesetzgeber hinsichtlich der Regelung der Entgegennahme von Anbringen frei, nicht an organisationsrechtliche Tatbestände anzuknüpfen. Es ist allerdings verfassungsrechtlich nicht bedenklich, wenn er dies in §13 Abs2 letzter Satz iVm §13 Abs5 AVG tut.
Es ist nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber bei der Regelung hinsichtlich des Einbringens einerseits zwischen schriftlichen Anbringen (gleichgültig ob sie elektronisch oder nicht elektronisch sind), die direkt der Behörde übergeben werden, und andererseits schriftlichen Anbringen, welche einem Zustelldienst im Sinne des §2 Z7 ZustellG übergeben werden, unterscheidet. Die sachliche Rechtfertigung liegt darin, dass nur bei jenen schriftlichen Anbringen, die einem Zustelldienst iSd §2 Z7 ZustellG übergeben werden, ohne Schwierigkeiten der tatsächliche Zeitpunkt der Übergabe nachweisbar ist. Da dieser Nachweis für direkt bei der Behörde übergebene, schriftliche (elektronische oder nicht elektronische) Anbringen nicht in derselben Art möglich ist, gibt es eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung.
(Anlassfall B621/2013, B v 11.03.2014, Ablehnung der Beschwerde).
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, elektronischer Rechtsverkehr, Determinierungsgebot, Auslegung eines Gesetzes, Kompetenz Bund - Länder, Verwaltungsorganisation, Fristen, ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G106.2013Zuletzt aktualisiert am
30.07.2015